So kann es nicht weitergehen. In der Ukraine liegen sich ukrainische und russische junge Soldaten in Schützengräben gegenüber und warten darauf, die gleichaltrigen Jungens von gegenüber wie befohlen abzuknallen – ein Stellungskampf wie im 1. Weltkrieg (Verdun). Währenddessen sind sich die Militärs einig, daß dieser Krieg von keiner Seite zu gewinnen ist.
Dennoch liefert die Berliner Ampel-Regierung auf Drängen von NATO und USA nach wie vor immer mehr und neue Waffen in das Kriegsgebiet. Und nun soll die Reichweitenbeschränkung von Raketen aus GBR wie USA, deren Missionsplanung komplett im Reach-Back bzw. Heimatland erfolgt, aufgehoben werden (1). Eine weitere tiefgreifende und gefährliche Eskalation.
Bei alledem weiß jeder: Ein Ende des Ukrainekriegs ist unumgänglich, schon allein deshalb, da sich das machtpolitische Weltgeschehen von europäischen in den ostasiatischen Raum verlagert hat.
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„Diesen Krieg kann niemand gewinnen“ – so der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, mit Verweis auf die militärische Pattsituation (2). Zudem: „Einen Krieg gewinnt man dann, wenn man die politischen Ziele erreicht, derentwegen man diesen Krieg führt“ . Und die ursprünglichen Kriegsziele beider Seiten sind laut Kujat nicht mehr realistisch.
Auch nach Kriegsende lastet auf der deutschen Bevölkerung das Gefühl permanenter Kriegsnähe. Dagegen muß sich ziviler Widerstand der Friedensbewegung regen.
23 verlorene Jahre. Am 25.9.2001 hielt Russlands Präsident Wladimir Putin im Deutschen Bundestag eine Rede, in der er – anknüpfend an Michail Gorbatschows „Neuem Denken“ – die Bildung einer europäischen Sicherheitspartnerschaft von Lissabon bis zum Ural vorschlug bzw. anbot. Die Standing Ovations der Bundestagsabgeordneten wollten damals kein Ende nehmen. Die später folgende schroffe Ablehnung bezeichnete Horst Teltschik, der Architekt des Zehn-Punkte-Plans zur Deutschen Einheit, als den größten aussenpolitischen Fehler nach der Wiedervereinigung.
Natürlich ist Putin ein Machtmensch, der ein großes Russland beherrschen will. Der aber auch als Realpolitiker eingesehen hat, daß allein die demografische Situation (wie in D geht auch in RU die Bevölkerungszahl ohne Zuwanderung zurück) die von der Ampel-Regierung herbeigeredete Expansion des russischen Territoriums nach Westen bis Berlin unmöglich macht.
Nun befindet man sich – nach einem wie auch immer gestalteten Kompromißfrieden des Ukrainekonflikts – demnächst sicherheitspolitisch in einer ähnlichen Lage wie am 25.9.2001, wobei alles nur weitaus schwieriger ist: Sanktionen, Nordstream-Sabotage durch USA/Ukraine/Polen, Russland-Bashing, Putin als teuflischer äußerer Feind, Kalter Krieg, deutsche Aussenpolitik am Boden.
Dennoch: „Verbessert“ hat sich die Lage insofern, als das alte Europa nicht mehr der Nabel der Welt ist, sondern der ostasiatische Raum mit China und Indien. Die bipolare Weltordnung mit den USA als dem Hegemon wird von einer multipolaren Ordnung (BRICS, China) abgelöst. Europa wird immer unwichtiger, Deutschland als im Prozess der Deindustrialisierung befindliches Land umso mehr – und gerade darin liegt die Chance zur Umsetzung des von Michail Gorbatschow angeregten „Neuen Denken“: Den Kalten Krieg beenden, ein gesamteuropäisches Sicherheitsbündnis von Portugal bis Russland vereinbaren, die Entspannungspolitik von Willy Brandt reaktivieren.
Doch so weit ist man nicht. Noch tobt der kalte wie heiße Krieg. Dagegen muß sich endlich durch eine Friedensbewegung 2.0 breiter Protest bis hin zum zivilen Widerstand bilden (3). Dieser Protest von unten kann Wirkung zeigen, was auch Michail Gorbatschow 2017 bestätigt hat: „Ich erinnere mich gut an die lautstarke Stimme der Friedensbewegung gegen Krieg und Atomwaffen in den 1980er-Jahren. Diese Stimme wurde gehört!“
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In der Nacht 26./27.9.1983 entschied Stanislaw Petrow im russischen Sicherheitszentrum bei Moskau auf Fehlalarm, als ein US-Atomangriff gemeldet wurde. Nach 20 bangen Minuten stellte sich heraus, daß seine Entscheidung richtig war. Petrow verhinderte einen Atomkrieg USA-RU.
Wird die von den USA befohlene und vom deutschen Kanzler in Washington akzeptierte Nachrüstung 2.0 im Jahr 2026 umgesetzt, dann kann sich diese Logik „Wer als erster schießt, stirbt als zweiter“ wiederholen. Mit dem Unterschied, daß die Vorwarnzeiten heute so kurz – nur 8 min bis Moskau – und die zu verarbeitenden Datenmengen so groß sind, dass man auf Künstliche Intelligenz (KI) angewiesen ist. Nicht mehr der Mensch Petrow wird entscheiden, sondern die KI. „Unsere Sicherheit hängt von KI ab“ (Leo Ensel in (4)), also von Computersoftware. Und Software bzw. Programme können fehlerhaft sein.
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Die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zeigen, wie unterschiedlich die Menschen in Ost und West „ticken“. Mit dem 3. Oktober 1990 wurde dem Osten ohne irgendeine Abstimmung bzw. Bedenkzeit die bedingungslose Westbindung übergestülpt (5). Es wurde versäumt, die Westbindung und das transatlantische Verhältnis zu diskutieren, das Verhältnis zu Russland zu klären und all dies in eine neue Verfassung einzuarbeiten.
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Die in D dominierende Kriegsrhetorik muß endlich einer umfassenden Friedensrhetorik weichen. Diplomatie statt Waffengang.
Laut Infratest/Dimap sind 84 % der Deutschen unzufrieden mit der Politik der Ampel, 78 % unzufrieden mit der von Bundeskanzler Scholz betriebenen Kriegspolitik und 77 % unzufrieden mit der Migrationspolitik. Schlechtere Werte konnten Demoskopen in den vergangenen 70 Jahren nicht liefern. Warum führt diese krasse Unzufriedenheit der Bevölkerung zu keinerlei Protesten und Demonstrationen im öffentlichen Raum. Warum schweigt die Friedensbewegung so beharrlich – zum inneren Frieden (täglich kommen 500 Migranten illegal über die Grenze) wie auch zum äußeren Frieden (täglich sterben unzählige Soldaten wie Zivilisten im Ukrainekrieg)?
Dieser Artikel ist auch erschienen auf
https://ansage.org/die-friedensbewegung-schweigt/
20.9.2024
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Ende von Beitrag „Die Friedensbewegung schweigt“
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Beginn von Anlagen (1) – (4)
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(1) Ein kurzer Gedanke zur Reichweitenerhöhung britischer und amerikanischer Raketen im Ukraine-Krieg
Großbritannien hat die Reichweitenbeschränkungen für seine der Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Raketen aufgehoben. Die USA werden wohl schon bald nachziehen. Russlands Präsident Putin sieht das als direkte Kriegsbeteiligung der NATO-Länder und kündigte bereits Gegenmaßnahmen an. https://www.nachdenkseiten.de/?p=121222#h02
In Deutschland scheint die Gefahr, die durch diese Eskalation ausgeht, noch nicht angekommen zu sein. Dabei wäre es höchste Zeit, jetzt auf die Bremse zu treten. Eine Aufhebung der Reichweitenbeschränkung wäre nämlich in der Tat eine direkte Kriegsbeteiligung mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen.
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Wir halten fest: Es geht um britische und amerikanische Raketen, für die die Briten und Amerikaner die Zieldaten liefern und die von britischem und amerikanischem Personal programmiert werden. Die Ukraine ist „lediglich“ der Ort des Abschusses und ihr „Abwehrkampf“ die öffentlich vorgetragene Begründung. Wenn wir das beiseitelassen, handelt es sich um britische bzw. amerikanische Angriffe auf russisches Territorium.
Wenn das keine direkte Kriegsbeteiligung ist, was ist soll es dann sein? Und genauso bewertet die russische Führung die angekündigte Reichweitenerhöhung. Großbritannien und die USA spielen mit dem Feuer. Wenn die Bundesregierung tatsächlich eine Eskalation des Krieges verhindern will, muss sie diesen Wahnsinn stoppen und sofort Druck auf ihre „Bündnispartner“ ausüben.
… Alles vom 13.9.2024 von Jens Berger bitte lesen auf
https://www.nachdenkseiten.de/?p=121246
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(2) Kujat: „Diesen Krieg kann niemand gewinnen“
Ex-Generalinspekteur: Sorge vor weiterer Eskalation durch Freigabe neuer Raketen in der Ukraine / Verhandlungen ohne Vorbedingungen nötig / Unterstützung der Selenskij-Initiative durch Scholz ein „Irrweg“
Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, warnt vor einer weiteren Eskalation des Ukraine-Krieges. In einem Expertentalk mit Michael Clasen von der Neuen Osnabrücker Zeitung beantwortete Kujat am Donnerstagabend (12. September) live die Fragen der Leser und Zuschauer. Dabei ging er auch auf die mögliche Aufhebung der Reichweitebegrenzung von Raketen durch die USA und Großbritannien ein. Diese wird vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij gefordert und derzeit diskutiert. Kujat, der bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses war, sieht darin einen „erheblichen Eskalationsschritt zur Erhöhung der Kampfhandlungen“.
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Kujat richtete sein Augenmerk auf die Kriegsziele der beiden beteiligten Großmächte USA und Russland, denn: „Einen Krieg gewinnt man dann, wenn man die politischen Ziele erreicht, derentwegen man diesen Krieg führt.“ Die ursprünglichen Kriegsziele beider Seiten seien nicht mehr realistisch. Russland sei dabei gescheitert, die weitere Ausdehnung der NATO zu stoppen und eine Pufferzone zu schaffen – dies zeige der Beitritt Schwedens und Finnlands. Der Westen sei aber seinerseits dabei gescheitert, Russland zu schwächen. Kujat verwies auf den Aufschwung der Wirtschaft und die Stärkung der Streitkräfte in Russland. „Diesen Krieg kann niemand gewinnen“, sagte Kujat, der immer wieder auf die Notwendigkeit von Realismus und Verhandlungen hinwies. Dies bedeute nicht, die Unterstützung der Ukraine aufzugeben oder die Aggression Russlands zu negieren. Auch bei Verhandlungen müsse der Westen die Ukraine unterstützen.
Laut Kujat sind von beiden Seiten hohe Hürden für neue Verhandlungen aufgerichtet worden. Auf russischer Seite sei dies die Annexion von Teilen der Ukraine, auf ukrainischer Seite das Verbot von Verhandlungen mit Russland. „Entscheidend ist deshalb, dass diese Vorbedingungen nicht aufrecht erhalten werden“, sagte Kujat. Ein Ergebnis wie in Istanbul im April 2022 könne nicht mehr erzielt werden. Grund hierfür sind für Kujat vor allem die Erfolge Russlands auf dem Schlachtfeld.
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Kujat erinnerte auch an die Vorgeschichte, an der er als Vorsitzender des NATO-Russland-Rates beteiligt war. Damals habe man versucht, einen Ausgleich zwischen dem Westen und Russland zu erzielen. Als Wendepunkte bezeichnete er zwei Daten. Zum einen die Kündigung des ABM-Vertrags durch die USA im Jahr 2002 und zum anderen den Versuch von Präsident George W. Bush 2008, die Ukraine und Georgien mit „Brachialgewalt“ in die NATO zu holen. Bis heute sei keine Einladung an die Ukraine ausgesprochen worden, dem Bündnis beizutreten, erklärte Kujat. Dafür ist ein einstimmiges Votum aller Mitgliedstaaten erforderlich.
… Alles vom 15.9.2024 bitte lesen auf
https://multipolar-magazin.de/meldungen/0105
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(3) Ohne Druck von unten wird sich nichts ändern! – Warum wir dringend eine kraftvolle „Friedensbewegung 2.0“ brauchen
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Eine neue Friedensbewegung, so wie ich sie mir wünsche, eine „Breite Koalition der Vernunft“ https://www.nachdenkseiten.de/?p=109418 , würde hier wieder anknüpfen. Sie würde versuchen, alle bereits existierenden Antikriegsaktivitäten lose zu bündeln. Sie würde, heute extrem wichtig!, auf Augenhöhe und in wechselseitigem Respekt den Dialog mit den Klimaschützern der jungen Generation suchen.
Sie würde anstreben, sich zu internationalisieren. Nach dem Prinzip „Alle Menschen, die ein sofortiges Ende des Krieges in der Ukraine und nachhaltige Deeskalation zwischen dem Westen und Russland wollen, sollten sich – ungeachtet aller anderen Differenzen – zusammenschließen.“ Und zwar nicht nur in die anderen Länder der Europäischen Union hinein, sondern bis in die Ukraine, nein: bis nach Russland! Sie würde die Bürger aller Länder dazu ermuntern, sich den neuen und alten Feindbildern zu verweigern und statt dessen die direkten Kontakte von Mensch zu Mensch auf sämtlichen Ebenen wieder aufzubauen und zu pflegen.
Und sie würde, solange der Krieg dauert, die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure – alle Menschen auf beiden Seiten der Front, die das Morden, das Zerstören nicht mitmachen wollen – mit offenen Armen empfangen.
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Sie würde schließlich über den blutigen Krieg in der Ukraine hinausdenken und sich auf der politischen Ebene für eine Neue Entspannungspolitik, für einen „Helsinki-Prozess 2.0“, sprich: für eine komplette Neujustierung der gesamten Europäischen Sicherheitsstruktur unter gleichberechtigter Einbeziehung Russlands einsetzen. Für eine Friedensordnung, die den Kernsatz der „Charta von Paris“ vom November 1990 „Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden“ wieder zu ihrem zentralen Dreh- und Angelpunkt macht.
Und sie würde sich im Verbund mit Organisationen wie der 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten internationalen Kampagne ICAN oder den Ärzten gegen den Atomkrieg (IPPNW) für ein weltweites Verbot von Atomwaffen einsetzen. ICAN hat es nicht nur geschafft, dass mittlerweile 93 Staaten den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet und 69 Staaten ihn ratifiziert haben – es arbeiten hier auch vergleichsweise viele, bestens informierte junge Menschen mit. Im optimalen Falle könnte ICAN der ideale Katalysator für ein zeitgemäßes ‚Ökopax‘, sprich: für eine sachlich längst überfällige Annäherung von Klimaschutz- und Friedensbewegung sein.
… Alles vom 13.9.2024 von Leo Ensel bitte lesen auf
https://www.nachdenkseiten.de/?p=121234
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(4) Dr. Leo Ensel: „Wir werden kriegsbereiter gemacht“
Konfliktforscher Dr. Leo Ensel fragt: Wo bleibt der Aufschrei? Deutschland rüstet auf, lässt die USA Marschflugkörper stationieren, die das Land zur Zielscheibe machen. Die Bürger schauen apathisch zu. Keine Spur von der Friedensbewegung der 80er Jahre. Warum ist das so? Warum engagieren sich die Klimajünger nicht auch für den Frieden? Wo ist „Öko-Pax“ der frühen Grünen geblieben? Ensel, dessen Forschungen sich auf den post-sowjetischen Raum konzentrieren, erinnert außerdem an den Fast-Atomkrieg 1983, der nur dank einer Reihe von Zufällen von einem einzigen Mann verhindert wurde. Durch immer modernere Waffensysteme würde wahrscheinlich künftig die Entscheidung über den roten Knopf bei Künstlicher Intelligenz liegen. „Dann hängt unser Wohl und Wehe von Automaten ab“, so Ensel.
… Alles vom 20.9.2024 bitte lesen auf
https://punkt-preradovic.com/wir-werden-kriegsbereiter-gemacht-mit-dr-leo-ensel/
oder
https://www.youtube.com/watch?v=6abBq503V-A
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(5) Fremdeln mit der Westbindung: Die Umerziehung der Ossis ist gescheitert
Die Westintegration gehört zum Kern des Selbstverständnisses der alten Bundesrepublik. Das ist im Osten anders. Betrachtung eines großen Missverständnisses.
Eine starke, früh gefestigte Bindung schafft Urvertrauen. So ausgestattet gelingt es Partnern, in ihrer Beziehung mit Stress umzugehen sowie positive Gefühle zu teilen. Was für Familien, Kleinkinder, Freunde oder Geschäftsleute gilt, trifft nicht minder auf das weite Feld der internationalen Beziehungen zu. Man denkt nur nicht ständig darüber nach. Aber in diesen Wochen fällt etwas exorbitant auf: die Schwierigkeiten des Ostens mit der Westbindung.
Sie wurde dem Osten in der besinnungslosen Zeit nach dem 3. Oktober 1990 ohne Federlesen übergestülpt. Die Bedeutung dieses Teils der Überführung des untergegangenen Staates Ost war der großen Öffentlichkeit nicht bewusst – wohl aber den Einheitsgestaltern West. Warum wohl wollten Schäuble und Kohl die schnelle Einheit nach Artikel 23 des Grundgesetzes, also den Beitritt statt der Vereinigung Gleichberechtigter wie es der Artikel 146 vorsieht?
Westbindung – ohne Debatte festgezurrt
Man kann doch nicht im Ernst glauben, der kürzere Querfeldeinweg in die Einheit sei aus Rücksichtnahme auf die DDR-Bürger gewählt worden, die schnell ins Reich von Konsum und Freiheit eintreten wollten. Schaut man sich an, was den neuen Bundesbürger nach der Einheit zugemutet wurde – das Abräumen der DDR-Wirtschaft durch die Treuhand, die Millionen Arbeitslosen, das Umstülpen von Gesundheits- und Bildungswesen, die Nichtanerkennung von Berufsabschlüssen, der Exodus der Jugend und so fort – dann kann man getrost ausschließen, dass der Verzicht auf den längeren, demokratischen Einigungsprozess nach Artikel 146 aus Rücksichtnahme geschah. Der Artikel besagt, das Grundgesetz verliere „seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Das wäre alle Anstrengung wert gewesen und gilt übrigens bis heute.
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Aber was in den Jahrzehnten vor 1989 und genauso danach von den USA (und der Nato) ausgegangen war, lässt sich nicht vergessen. Klar, man hatte als Ossi seine anstrengenden Erfahrungen mit der Sowjetunion, man wusste um die im Zweifel brutale Machtpolitik – ob 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in Prag, 1979 in Afghanistan etc. Aber die Liste der von den USA ausgehenden Gewaltakte und Menschenrechtsverletzungen war doch unvergleichlich länger. Hier einige Stichworte: Vietnam, Kuba, Chile, Nicaragua, Granada, Irak, Belgrad, Afghanistan, Abu Ghraib, Guantánamo, Libyen. Wohl kein einziges Land Lateinamerikas, dem Hinterhof der USA, blieb von Diversion und Intervention verschont. 1959 „inkorporierten“ die USA nach Jahrzehnten widerrechtlicher Besetzung Hawaii als 50. Bundesstaat, in den Augen vieler Einwohner eine illegale Annexion. Dass einem das Beispiel beim Nachdenken über die Krim in den Sinn kommt, hat gute Gründe. Und die Pershing-Raketen in der BRD waren auch auf die DDR gerichtet.
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Der Osten und die Friedensfrage
Ich behaupte: Dies ist eine Folge des Versuchs, im Osten einen Identitätswechsel zu erzwingen. Wollt ihr nicht die Westbindung bejubeln, habt ihr Zweifel, so seid ihr Putin-Knechte, Antidemokraten, Diktatursüchtige. So ungefähr lauten die Vorwürfe. Das kann nicht gut ausgehen. Hat man die Ostler nicht gerade für ihre Friedliche Revolution gelobt? Waren nicht Friedensgebete in DDR-Kirchen großartige Veranstaltungen gewesen? Wer den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ trug, wagte (zur Freude der BRD-Politik) mutigen Widerstand gegen das SED-Regime. Heute soll Frieden ein Unwort sein. Nun wehren sich die Leute auch dagegen mit ihrer Wahlstimme.
Im Westen hört man immer wieder, man habe anfangs geglaubt, die Ossis seien selbstverständlich ganz genauso wie man selbst. Das waren sie nicht, noch nie – östlich der Elbe herrschten seit Jahrhunderten andere Verhältnisse, das hatten auch die paar Jahrzehnte stärkerer deutscher Zentralstaatlichkeit unter Kaiser, Republik und Führer nicht ändern können. Die Umerziehung ist gescheitert. Der Osten liegt im Osten – so banal und so bedeutungsschwer ist das.
… Alles vom 20.9.2024 von Maritta Adam-Tkalec bitte lesen auf
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/fremdeln-mit-der-westbindung-die-umerziehung-der-ossis-ist-gescheitert-li.2255045