Die sich nach der Wiedervereinigung 1990 verbreitenden Wortschöpfungen vom Jammer-Ossi und Besser-Wessi hatten einen wahren Kern, sie bezeichnen ein Machtgefälle: Der Jammerer auf der emotionalen Ebene unten hat dem belehrenden Besserwisser oben wenig entgegenzusetzen.
Der Wessi ist dabei „nicht unbedingt der Klügere, er befindet sich aber gesellschaftlich, sozial, psychologisch im Vorteil“ (1) – zunächst wenigstens. Denn auf der einen Seite zelebriert der Wessi weiterhin sich selbst bestätigend seine angebliche Überlegenheit und verharrt so gerne und wohlig als Besser-Wessi.
Auf der anderen Seite hingegen wandelt sich der Jammer-Ossi in den 35 Jahren nach dem Mauerfall hin zum Stolz-Ossi: Die Menschen in den ’neuen Ländern‘ werden als Diskutanten ebenbürtig, und mehr noch: Aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Unfreiheit der DDR-Diktatur und frei von der intellektuellen Wohlstandsverwahrlosung der Wessis (ideologie-affin, infantil und moralisierend) verweisen sie stolz auf ihr Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, das sie sogar zu bewahren und zu verteidigen bereit sind.
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(1) Vor dem Mauerfall war die BRD nicht souverän und so konnte sie sich mit der gesamten Kraft der Innenpolitik zuwenden, dem Aufbau des Sozialstaats und der Umsetzung von Moral. Nach 1990 hatte sie plötzlich außenpolitische Verpflichtungen. Hierin versagte die BRD aufgrund der Unfähigkeit, die eigenen Interessen von Deutschland klar zu formulieren und über intelligente Diplomaten auf dem internationalen Parkett zu erklären und durchzusetzen.
„Nach 1990 konnte das inzestuöse und hypermoralische Politikverständnis, das sie hervorgebracht hatte, nur in die Selbstzerstörung führen“.
(2) Die Zeit der Tabus und Political Correctness brach an. Der sächsische Justizminister Stefen Heitmann (CDU), von seiner Partei für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen, sagte 1993 in der SZ: „Das Merkwürdige ist in der Bundesrepublik Deutschland, daß es ein paar Bereiche gibt, die sind tabuisiert.(…) Es gibt eine intellektuelle Debattenlage, die nicht unbedingt dem Empfinden der Mehrheit der Bürger entspricht, die man aber nicht ungestraft verlassen kann. Und dazu gehört das Thema Ausländer, dazu gehört das Thema Vergangenheit Deutschlands, die Nazi-Vergangenheit, dazu gehört das Thema Frauen.“ (Heitmann meinte den Konflikt von Berufstätigkeit und Mutterschaft). Er glaube, daß man „diese Debatten [..] aufbrechen muß, selbst auf die Gefahr hin, daß man in bestimmte Ecken gestellt wird, in denen man sich gar nicht wohl fühlt.“ Nach dieser offenen und ehrlichen Meinungsäußerung wurde Heitmann von seiner CDU abgestraft, das Problem der zerstörten Diskussionskultur aber blieb.
(3) Angela Merkel gelang es, die CDU von der politischen Mitte nach links auszurichten. Auch Journalisten (Medien), Professoren (Hochschulen) und Künstler (Kultur) orientieren sich mehrheitlich links. Der Begriff von DDR 2.0 kommt auf. Nach Umfragen wagt nur noch eine Minderheit der Deutschen, ihre Meinung frei und offen sagen zu können aus Angst vor Ausgrenzung, Denunziation und gezielten Übergriffen. Die Prophezeiung der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley (24.5.1945 – 11.9.2019) sollte wahr werden:
„… Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen wird wiederkommen … Man wird Einrichtungen schaffen, viel effektiver, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation und der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“
Auf der anderen Seite sind „die Fremdheitsgefühle und die Schockstarre der Ostdeutschen in eine bewußte – und selbstbewußte – Distanz zu den Praktiken der Regierenden übergegangen.“ Die Jammer-Ossis wurden mehr und mehr zu Stolz-Ossis, und diese gehen in Opposition zur Berliner Politik und wählen AfD als Synonym zu Opposition.
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(4) In den alten Bundesländern bahnt sich eine andere Veränderung an: Die Eliten „da oben“ pflegen unbeirrt ihren Status als Besser-Wessis. Und die reichweitenstarken Medien auch. Der Spiegel publiziert noch im Sommer 2025, die Ostdeutschen hätten als Verlierer und Nazis „ihre Lebenswelt verloren“ – die Zeitschrift pflegt immer noch ihren klebrigen West-Ost-Paternalismus. Frank-Walter Steinmeier’s Diktum „das beste Deutschland, das es jemals gegeben hat“ gilt und verbietet Selbstkritik und Hinterfragen der eigenen West-Arroganz.
Die Bürger „da unten“ hingegen machen die AfD auch im Westen zur stärksten Partei – trotz oder gerade wegen der Brandmauer. Die Spaltung läuft nicht mehr zwischen Ost und West, sondern quer durchs Land.
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Der volkswirtschaftliche, soziale wie kulturelle Niedergang im gesamten Deutschland macht den Blick auf die Realität frei. Zuerst im Osten, ganz allmählich und zaghaft auch im Westen. Und plötzlich kann der Westen vom Osten lernen:
Individuelle Freiheit braucht Selbstverantwortung. Und Demokratie braucht Freiheit. Dabei ist Demokratie nicht „Unsere Demokratie„, welche die Nicht-Unsrigen ausgrenzt, sondern schlicht die Demokratie als weltbeste Staatsform überhaupt.
10.10.2025
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Ende von Beitrag „Jammer-Ossi und Besser-Wessi“
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Beginn von Anlagen (1) –
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(1) Jammer-Ossi und Besser-Wessi: Vom Jammern und Besserwissen
Deutsche Einheit: Dreieinhalb Jahrzehnte später verlaufen die Gräben längst nicht mehr zwischen Ost und West, sondern quer durchs Land. Die alten Rollenbilder wirken jedoch bis heute fort
von Thorsten Hinz
Was heute „Spaltung der Gesellschaft“ heißt, läßt sich als dialektische Aufhebung der „inneren Zweiheit“ beziehungsweise des Defizits an „innerer Einheit“ begreifen, die sich nach der Wiedervereinigung herausstellten. Der Begriff „Aufhebung“ vereint drei Bedeutungen: erstens die Negation der bestehenden Entwicklungsstufe; zweitens die Bewahrung dessen, was erhaltenswert ist; drittens seine Überführung in eine neue Qualität.
Die alte Qualität war der innerdeutsche Ost-West-Konflikt, die Fremdheit und Interessendifferenz zwischen den sogenannten „Jammer-Ossis“ und den „Besser-Wessis“. Die Wortschöpfungen trivialisierten das Problem, trotzdem enthielten sie einen rationalen Kern. Das Verb „jammern“ bezeichnet die Klage über eine als schmerzhaft oder ungerecht empfundene Situation. Es kann sich um eine verschämte Bitte um Anteilnahme oder eine aggressive Forderung mittels moralischer Erpressung handeln oder um beides. Der Jammerer verharrt auf der emotionalen Ebene, er ist unfähig, seine Situation zu objektivieren und in adäquate Worte zu fassen. Als Diskutant ist er nicht ebenbürtig.
Der Besserwisser tritt belehrend auf und zelebriert seine Überlegenheit. So bestätigt und erhöht er sein Selbst. Er ist nicht unbedingt der Klügere, er befindet sich aber gesellschaftlich, sozial, psychologisch im Vorteil. Er gibt die Spielregeln vor. Zwischen beiden gibt es ein klares Machtgefälle.
Das konnte nach 1989/90 gar nicht anders sein. Die Wiedervereinigung war der eilige Beitritt des DDR-Gebietes nach Artikel 23 des Grundgesetzes. Das entsprach dem Wunsch der meisten DDR-Bürger. Für sie hieß das, sich zurechtfinden und einordnen zu müssen in neuartige Verhältnisse. Für die ungleiche Machtverteilung sprachen nicht nur die unterschiedlichen Bevölkerungsanteile und die materielle Abhängigkeit des Ostens vom Westen.
Die DDR war nun mal ein allseits gescheitertes Staatsmodell; die Bundesrepublik hingegen durfte sich als Erfolgsmodell bestätigt fühlen. Neben den politischen, ökonomischen, sozialen Mechanismen waren auch neue Begriffe zu erlernen, die den öffentlichen Diskurs prägten. Der schlagartige Wechsel sämtlicher Bezugssysteme mußte zu Orientierungskrisen führen. Die politischen Eliten der DDR waren abgesetzt, man konnte sich weder positiv noch negativ auf sie beziehen. Selbst an jenen Angehörigen der intellektuellen und kulturellen DDR-Eliten, die als SED-kritisch gegolten hatten, haftete gleichfalls das Odium des Scheiterns.
Und die Bürgerrechtler hatten keine politisch befähigte Gegenelite hervorgebracht. Sie hatten nicht wahrhaben wollen, daß es sich bei der DDR um ein mauerumfriedetes Sonderbiotop handelte und auf eine Staatsreform und einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz gesetzt. Mit dem Mauerfall waren sie zu tragischen, aus der Zeit gefallenen Figuren geworden.
Die Abläufe der Transformation und ihre mediale Vermittlung waren häufig von unnötigen und auch mutwilligen Verletzungen begleitet. Ein Beispiel bietet ein Spiegel-Artikel vom Oktober 1991, der sich mit der Evaluierung der Staatsoper Unter den Linden in Ost-Berlin durch Kultpolitiker aus dem Westen beschäftigte. Das Opernhaus galt Musikliebhabern in der DDR als ein Schatzkästlein, als musische Oase. Der Spiegel belehrte sie nun, daß sie sich in Wahrheit an minderwertigen Surrogaten delektiert hatten: „Dort, wo bis Kriegsende hochrangiges Musiktheater und dann unter SED-Regie vor allem volkseigene Sangeskunst verbreitet wurde, soll wieder Oper von Welt gespielt werden, am liebsten Scala plus Met.“ Die Sänger des Hauses wurden als „singende Altlasten“ deklassiert. Dem Autor fiel nicht einmal auf, daß die Bezeichnung im krassen Gegensatz zum ein paar Zeilen später erwähnten „Weltklasse-Bariton Siegfried Lorenz“ stand, den die Wiener Staatsoper gerade für die Rolle des Wolfram im „Tannhäuser“ engagiert hatte. Die Pflege klassischer Musik in der DDR brauchte wahrlich keinen Vergleich zu scheuen. Nur waren die Verhältnisse bescheidener. Devisenmangel und fehlende Reisefreiheit hatten eine gleichberechtigte Teilhabe am internationalen Opernbetrieb jahrzehntelang unmöglich gemacht.
In einem seriösen, fairen, auf deutsch-deutschen Ausgleich bedachten Artikel wären diese Umstände erwähnt worden. So aber blieben als Extrakt des Spiegel-Textes die „volkseigene Sangeskunst“ und „singende Altlasten“ in Erinnerung. Das war neben der Demütigung ein politisch-performativer Akt, der die einseitige Machtverteilung bestätigte und befestigte. Der Osten war in diesem Diskurs wehrlos. Bereits der Gestus der Weltläufigkeit wirkte einschüchternd. Welcher Opernfreund aus der DDR war zu dem Zeitpunkt schon in der Scala, gar in der Met gewesen und konnte Vergleiche anstellen? Bis zum Mauerfall hatte man nicht einmal die Deutsche Oper in West-Berlin besuchen können. Und außerdem kannte kaum jemand den Aufsatz von Hans Magnus Enzensberger, der schon 30 Jahre zuvor die „Sprache des Spiegel“ als Taschenspielertrick entlarvt hatte: „Die Koketterie mit der eigenen Gewitztheit, die rasch applizierte Terminologie, die eingestreuten Modewörter, der Slang der Saison, die hurtige Appretur aus rhetorischen Beifügungen, dazu eine kleine Zahl rhetorischer Gags, die sich meist von angelsächsischen Mustern herschreiben: (…) Ein Immergleiches wird als ein Besonderes verpackt und an Ahnungslose verkauft, die sich, je ahnungsloser sie sind, um so mehr einbilden, Bescheid zu wissen.“
Im Osten wurden diese Suggestionen als kolonialistischer Übergriff empfunden, noch gesteigert durch die implizite Aufforderung, die eigene soziale Degradierung als Chance zur geistig-moralischen Erneuerung nach dem westlichen Vorbild zu begreifen. Widerspruch wurde als infantiler „Osttrotz“, als sozialistischer Erbschaden lächerlich gemacht. Der Osten war in Schockstarre versetzt, die Jammerei seine natürliche Ausdrucksform.
Der geheime Hauptgrund dafür, dem Schwächeren immer wieder seine Unterlegenheit unter die Nase zu reiben, scheint das Ressentiment, der Groll über den mit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung stattgefundenen Einbruch der Geschichte in die wohlgeordnete Welt der Bundesrepublik gewesen zu sein. Stärker als die Furcht vor materiellen war die Ahnung der Überforderung auf der politischen, intellektuellen, mentalen Ebene. Das Gegenstück zur Spiegel-Arroganz war die scheinbar mitfühlende Frage an die Ostbürger, ob sie schon „in Deutschland angekommen“ seien. Nun, dort waren sie schon zu DDR-Zeiten gewesen. Die Frage diente weniger der Erkundung der Seelenlage des anderen als der Selbstvergewisserung. Ihr Subtext lautete: Nicht wahr, die Bundesrepublik ist die beste aller möglichen Welten? Nicht wahr, mit eurem Beitritt ist sie größer geworden, aber sie kann bleiben, wie sie ist?
Die objektive Lage aber war eine ganz andere geworden. Der Golfkrieg 1991, den der irakische Diktator Saddam Hussein mit der Besetzung Kuweits ausgelöst hatte, hatte die formell souverän gewordene Bundesrepublik schlagartig unter Zugzwang gesetzt. Erstmals mußte sie eine eigenständige, die Weltpolitik betreffende Entscheidung treffen. Zwei Meinungslager standen sich gegenüber. Das eine lehnte jegliches Engagement aus Gründen der Kapitalismuskritik („Kein Blut für Öl“) ab. Die anderen waren der Meinung, daß Deutschland sich wegen seiner historischen Schuld in irgendeiner Weise beteiligen müsse; schließlich bedrohe Saddam auch Israel. Weder den einen noch den anderen war es gegeben, in politischen Kategorien zu argumentieren.
Die Unfähigkeit war nicht verwunderlich, denn seit Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die „politischen Großstrukturen“ und die „politisch-militärische(n) Funktionsbereiche des Staates“ außerhalb deutscher Entscheidungsgewalt gelegen. (Rolf Peter Sieferle) Für die Bundesrepublik war das bequem gewesen, denn sie konnte sich voll auf die Wirtschaft und den Ausbau des Sozialstaats konzentrieren. Es führte aber auch dazu, daß außenpolitische Fragen unter innenpolitischen und moralischen statt unter machtpolitischen Gesichtspunkten erörtert wurden. Insofern war die Bundesrepublik gleichfalls ein Kunstbiotop, ein zwar privilegiertes, jedoch kuratiertes Staatsfragment.
Nach 1990 konnte das inzestuöse und hypermoralische Politikverständnis, das sie hervorgebracht hatte, nur in die Selbstzerstörung führen. Daher nahm 1993 der Dresdner Kirchenjurist und sächsische Justizminister Steffen Heitmann, den die CDU/CSU für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen hatte, mit dem Freimut des Revolutionsherbstes 1989 die bundesdeutsche Demokratie- und Freiheitsrhetorik beim Wort. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erläuterte er den fassungslosen West-Journalisten:
„Das Merkwürdige ist in der Bundesrepublik Deutschland, daß es ein paar Bereiche gibt, die sind tabuisiert.(…) Es gibt eine intellektuelle Debattenlage, die nicht unbedingt dem Empfinden der Mehrheit der Bürger entspricht, die man aber nicht ungestraft verlassen kann. Und dazu gehört das Thema Ausländer, dazu gehört das Thema Vergangenheit Deutschlands, die Nazi-Vergangenheit, dazu gehört das Thema Frauen.“ (Heitmann meinte den Konflikt von Berufstätigkeit und Mutterschaft.) Er glaube, daß man „diese Debatten [..] aufbrechen muß, selbst auf die Gefahr hin, daß man in bestimmte Ecken gestellt wird, in denen man sich gar nicht wohl fühlt.“
Danach brach ein ungeheurer Mediensturm über Heitmann herein, der ihn zum Rückzug von der Kandidatur veranlasste. Umfragen ergaben, daß auch im Westen eine Mehrheit seinen Positionen zustimmte. Tatsächlich hatte Heitmann wesentliche Probleme benannt, deren anhaltende Leugnung den Bestand des Landes heute in Frage stellt.
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Längst nehmen Ex-DDR-Bürger die aktuelle Mischung aus Realitätsverweigerung und Repression als Déjà-vu-Erlebnis wahr. Wieder wird der um Erkenntnis, Mündigkeit und Selbstbestimmung bemühte Bürger von staatlichen Organen als Feind behandelt. Im Rückblick wird auch klar, daß die „Stasi-Überprüfung“, die exklusiv Ostbürger betraf, keine Sache der politischen Hygiene, sondern Teil des west-östlichen Machtspiels war. Die Stasi-Praxis als solche, die Überwachung, Kontrolle, Denunziation, die gezielten Übergriffe, sind sukzessive als zivilgesellschaftliche Tugenden rehabilitiert worden. Auf der anderen Seite sind die Fremdheitsgefühle und die Schockstarre der Ostdeutschen in eine bewußte – und selbstbewußte – Distanz zu den Praktiken der Regierenden übergegangen.
Die 2014 gegründete, 2024 aufgelöste Pegida-Bewegung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), die vor allem in Sachsen aktiv war, hatte der Emanzipation des Ostens von den altbundesdeutschen Diskursen einen gewaltigen Schub gegeben. Inzwischen hat sie eine neue, höhere Qualität erreicht. Die Spaltung zwischen den Staatskritikern und denen, die unbeirrt an „das beste Deutschland, das es jemals gegeben hat“ (Frank-Walter Steinmeier) glauben, verläuft nicht mehr zwischen Ost und West, sondern quer durchs Land.
Der Spiegel aber kocht weiter sein ranzig gewordenes Süppchen. Sein Chefredakteur Dirk Kurbjuweit veröffentlichte im Sommer einen langen Text: „AfD und Journalismus: Wie umgehen mit der Gefahr von rechts?“ Kurbjuweit will die „liberale Demokratie“ verteidigen, doch über den Realzustand des Landes verliert sein redundanter Aufsatz kein Wort. Noch habe man nicht alles ergründet, „was die AfD vor allem in den ostdeutschen Bundesländern so stark gemacht hat. Uns ist klar, daß viele Menschen dort eine Lebenswelt verloren haben und sich mitunter schwertun, die neue Lebenswelt anzunehmen, auch weil sie sich in ihren Biographien und Problemen nicht ernst genommen fühlen. (…) Gleichwohl sind wir ein westlich geprägtes Haus, das sein Bewußtsein dafür schärfen muß, ostdeutsche Eigenarten ständig im Blick zu behalten.“
Wie vorgestrig dieser klebrige West-Ost-Paternalismus heute klingt. Statt endlich die eigenen altbundesdeutschen Defizite zu ergründen, erklärt der Spiegel-Chef sie zum Normalfall und ihre Benennung zum illiberalen Ärgernis.
Nur ist das Blatt heute keine Instanz mehr, von deren Wohlwollen das Wohlbefinden der „Ossis“ abhängt. Er hat noch nicht verstanden, daß 35 Jahre nach dem Ende der DDR auch die Geschichte der Bundesrepublik auserzählt ist und wir uns längst in einer Nachspielzeit befinden.
… Alles vom 3.10.2025 von Thorsten Hinz bitte lesen in der JF 41/25, Seite 13