Am 7.2. 2018 erschien in der BZ ein sehr informatives, weil authentisches und ehrliches Interview mit vier Abiturienten, die in FR-Weingarten aufgewachsen sind. Die Probleme ihres Stadtteils sehen diese weniger in der Hochhausbebauung (Wohnung) bzw. mangelnder Sozialfürsorge (Geld), sondern im Patriarchat (Familie), in dem die Frauenrechte als Teil der allg. Menschenrechte nicht umgesetzt werden: Rechtlose Frauen, häusliche Gewalt, Gewalt auch gegen Kinder, Ungleichbehandlung von Sohn und Tochter, Zwangsehe. Begriffe wie Gewalt, Prügel, Schlägerei, aggressiv, Gewalttätigkeit, Anschreien bzw. „kriminelle Sachen“ überwiegen.
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Was tun in/für Weingarten? Die Antwort der Schüler lautet einhellig Bildung, Bildung, Bildung, … Denn „Mit höherem Bildungsniveau ist es viel leichter, sich zu integrieren. Und man ist dann auch eher integriert. Es gibt aber leider viele, die sich auf staatliche Hilfe verlassen – die fühlen sich nicht integriert“ (Drilon Hoxha, 19, albanische Wurzeln).
Es ist ermutigend, wenn junge Menschen mit Migrationshintergrund in der Zeitung zu Wort kommen und dabei die zwei Begriffe „Bildung“ und „Integration“ (bzw. „Integrieren„) verknüpfen. Hoffentlich bringt die BZ (ein Lob den Journalisten) noch viele solche ehrliche Interviews. Denn die jungen Leute aus unseren Parallelgesellschaften in Weingarten, Landwasser, Stühlinger, Rieselfeld, … können Realitäten benennen, die immer mehr Freiburger Bobbele nicht mehr offen anzusprechen wagen, aus Angst vor Nazi-Keule und Rassismus-Vorwurf.
Gleichwohl, es ist noch ein langer Weg zu gelungener Integration: Denn diese Integration ist erst dann gelungen, wenn auch die Väter (trotz ihrer übergroßen innerfamiliären Macht) und die Mütter (trotz ihrem traurigen Untergebenendasein) bereit und fähig sind, sich in der Zeitung zu äußern – wie dies in dem vorliegenden BZ-Interview ihre Kinder tun. Schade, dass das Interview nur in der Bezahl-BZ zu lesen ist – man müsste es im Amtsblatt der Stadt Freiburg veröffentlichen, das alle FreiburgerInnen kostenlos erhalten.
Weingarten hat einen Ausländeranteil von 26,2% Ausländeranteil, gegenüber 17% in Stadtgebiet Freiburgs insgesamt. Wechseln in Freiburg 52,6% aus Gymnasium, sind es in Weingarten nur 38,4%.
https://www.freiburg-schwarzwald.de/littenweiler/weingarten.htm (Archiv-Seite)
Hier einige Zitate aus dem Zeitungsinterview „Ich fühle mich anders und bin es auch“ – das Interview unbedingt lesen,
https://www.badische-zeitung.de/junge-menschen-aus-weingarten-im-interview-ich-fuehle-mich-anders-und-bin-es-auch, damit die Zitate nicht aus dem Zusammenhang gerissen mißverstanden werden.
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Weingarten ist unterteilt:
„Weingarten geteilt: Im Osten leben libanesische Clans, im Westen die Sinti.“ … „Die jüngeren Sinti gehen heute lieber ins Rieselfeld zum Chillen. Große Gruppen sind auch die Türken, Araber, Kurden, Albaner.“
Häusliche Gewalt:
„Gewalt ist die Norm in Weingarten“. Gewalt in den patriarchischen Familien, gegen Frauen, gegen Kinder, auch „weil er sich nicht anders zu helfen weiß.“ Oder „Gewalt und Prügel in der Erziehung – ich wollte abhauen.“
Gewalt gegen/unter Jugendlichen:
„Auf dem Zigeunerplatz stößt man schnell auf Beleidigungen und Bedrohungen. Viele Jugendliche, auch frühere Freunde, suchen ihr Abenteuer in Schlägereien. Sie haben einfach nichts anderes zu tun.“
Nur Jungen werden freiheitlich erzogen:
„Jungs haben viel mehr Möglichkeiten. Ja, sie dürfen sogar trinken, rauchen, Sex vor der Ehe haben, und auch eine deutsche Freundin. Aber wehe, ein Mädchen würde das wagen. Diese Ungerechtigkeit wird nicht einmal thematisiert. Das kann man in den Familien einfach nicht ansprechen.“
Gewalt gegen Töchter
„Viele Mädchen werden von ihren Brüdern verschlagen, wenn sie einen Freund haben. Ich weiß von einer, die blau geprügelt wurde, weil sie sich ihren Mann selber aussuchen und das Kopftuch ablegen wollte.“
Die Frau als ‚Gebärmaschine‘:
„Für viele gibt es keine Phase zwischen Verliebtsein und Heiraten. Als Frau hat man das Gefühl, nur dafür geboren zu sein. “ . … „Mehrere Klassenkameradinen von mir (19) haben schon ein Kind, manche sogar zwei.“
Zwangsverheiratung von Mädchen gibt es häufig:
„Einmal kam ein älteres Mädchen auf den Spielplatz und erzählte urplötzlich von ihrer bevorstehenden Hochzeit. Der Verlobte kam aus der Heimat und war ein Bekannter der Familie. Solche Zwangshochzeiten gibt es häufig. Und ich finde es erschreckend, dass die Mädchen bei ihren Familien bleiben, obwohl sie derart erniedrigt werden. Zu groß ist die Angst, verstoßen zu werden.. “
Vereinszugehörigkeit:
„Meine Freunde waren Mitglied im Sportverein, im Musikverein. o etwas macht man in Weingarten nicht. Hier besucht man lieber Cafes mit Spielautomaten.“
Kultur in Herkunftsländern oft moderner/städtischer als im konservativ/ländlichen Weingarten:
„In Weingarten herrscht eine ländlich geprägte Vorstellung unserer kurdischen Kultur. Sie verharrt auf dem Stand vor 30 Jahren. …In den großen Städten in Albanien sind die Menschen modern. Ganz anders als viele Albaner in Weingarten.“
Die fleissigen Zuwanderer
„Sie (meine Eltern) kamen nach Deutschland wegen eines besseren Lebens. Es ist besser als in ihren Heimatländern, aber nicht das, was sie sich erträumt haben. Sie arbeiten zehn, elf Stunden, sind irgendwann ausgebrannt, der Körper schmerzt.“
Zuwanderung in die Versorgung:
„Das ist der Teil der Gesellschaft, der um 5 Uhr morgens aufsteht und putzen geht. Meinen Eltern ist die Härte des Lebens ins Gesicht geschrieben. Auf der anderen Seite gibt es viele Frauen, die nicht arbeiten gehen, und auch Männer, die sich mit Hartz IV abfinden und abhängen. Ich nenne das verlorene Identitäten.“
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Bildung erleichtert Integration:
„Mit höherem Bildungsniveau ist es viel leichter, sich zu integrieren. Und man ist dann auch eher integriert. Es gibt leider viele, die sich auf staatliche Hilfe verlassen – die fühlen sich nicht integriert.“
Ich fühle mich anders und ich bin es auch
Niedrige Wohnzufriedenheit, schwacher sozialer Zusammenhalt, hohes Misstrauen – Weingarten hat Probleme mit seinem Image. Vier junge Menschen schildern, wie es ist, dort aufzuwachsen. … Alles vom 7.2.2018 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/junge-menschen-aus-weingarten-im-interview-ich-fuehle-mich-anders-und-bin-es-auch
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3.2.2018
https://www.badische-zeitung.de/freiburg/weingarten-soll-eine-soziale-anlaufstelle-erhalten–148946825.html
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Segregation Weingarten: Freiburg zerfällt von innen
Segrergation pur. Abhilfe wäre school busing und Umsetzung des Artikel 4 GG. Wir akzeptieren, separieren und lassen zu, von innen verändert zu werden, wie es uns nicht freiwillig in den Sinn käme. N. Nahum spricht für sein Volk vom Zerfall der inneren Front, der zerstörerischer wirkt, als Angriffe von außen.
7.2.2018, Heinrich Franzen, BZO
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Weingarten ist bunt – und das ist gut so (laut Gutmenschen)
„Weingarten ist der bunteste Stadtteil Freiburgs und der schwierigste.“ War denn nicht schon seit Jahrzehnten (besonders auch in der BZ) behauptet worden, diese ‚Buntheit‘ sei grundsätzlich gut und Voraussetzung einer offenen, humanen und zukunftsfähigen Gesellschaft? Müsste dann nicht in Littenweiler oder anderen Stadtteilen, wo die Bewohnerschaft leider noch nicht so bunt und vielfältig ist, das Leben sehr sehr ’schwierig‘ sein? Jeder weiß – es ist nicht so.
Da stößt eben die Ideologie auf die Realität und das tut weh. Die Realität in Weingarten heißt Retribalisierung. Keineswegs ‚integrieren‘ sich die einzelnen Ethnien. Selbstverständlich nicht in die deutsche Kultur, die dort ja ohnehin nur noch rudimentär vorkommt. Aber eben auch nicht in eine neue gemeinsame ‚bunte‘ Kultur. Vielmehr braut sich dort, wie in allen größeren Städten und Vorstädten ein Krieg der Clans zusammen: Jeder Clan gegen jeden und alle gegen die deutsche Gesellschaft, die das ganze bezahlt. Perverser geht es nicht.
7.2.2018, Frank Torgau, BZO
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Für Weingarten war nie Durchmischung gewollt
Für mich bildet dieser Bericht die Realität ganz gut ab. Ich habe Anfang der Neunziger einige Jahre in Weingarten gewohnt, weil ich als „Zugereiste“ den Stadteil vorher gar nicht so einschätzen konnte und eigentlich sollte es auch nur eine Übergangslösung sein. Ich schreibe mit Absicht „gewohnt“ und nicht „gelebt“, weil mein soziales Umfeld sich ausschließlich außerhalb von Weingarten befand. Außerdem wohnte ich in einer Anlage mit Eigentumswohnungen, wo es nicht ganz so krass war, aber doch etwas anderes als ich es gewohnt war. Da ist mir erst klar geworden, was sich außerhalb meiner geordneten Welt so abspielt. Und ich habe ja nur die Spitze des Eisbergs gesehen. Ich bin viel spazieren gegangen und habe beobachtet, auch damals gab es schon viele Jugendliche, meist mit Migrationshintergrund, die einfach nur den ganzen Tag irgendwo abhingen und wo es eher rau zuging. Man kann bereits in den Gesichtern von Jugendlichen schon sehr viel erkennen. Und in einem Hochhaus der damaligen Siedlungsgesellschaft gegenüber war ständig irgendwelcher Zoff, Schreien u.ä. und auf der Straße Pöbeleien. Das ist kein Klischee, das ist dort Alltag. Man stumpft da irgendwann ab und achtet nicht mehr darauf, obwohl es natürlich sein kann, dass gerade ein Kind oder eine Frau verprügelt wird. Ich habe das an mir selbst erfahren. Man hat auch Angst, sich durch das Rufen der Polizei, selbst in Gefahr zu bringen.
Weingarten hatte nie eine Chance zur Durchmischung. Wer in einer Stadt wie Freiburg ein Hochhaus-Ghetto baut, kriegt dort keine Mittelschichtbewohner. Die, die ganz zu Anfang eine Wohnung dort gekauft hatten, haben nach ein paar Jahren das Weite gesucht und vermietet. Meines Erachtens hat man Weingarten als Ghetto in Kauf genommen, um viel billigen Wohnraum zu schaffen und um sich andere Stadtteile von Problemfällen frei zu halten. Ich finde die Schilderungen der jungen Leute sehr authentisch. Allerdings hätte ich gerne auch die Erfahrungen von deutschstämmigen Bewohnern gehört.
7.2.2018, Maria Traxler, BZO
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Ein sehr offener Bericht zu Weingarten
Mein Gott, wie gehässig. Das hier gibt es auch: https://www.badische-zeitung.de/freiburg-suedwest/schwimmer-mit-aussicht–63777506.html
Frau Traxler, ich bin 1986 nach Weingarten gezogen, 2007 wieder raus. 2 mal Wohnungen in der Krozingerstraße. Die erste in einer Frauen-WG, die zweite allein. Beidesmal nicht Stadtbau. In der 2. Wohnung wurde ich vorgezogen, die Warteliste wurde übersprungen, weil ich ein sozial stabiler Faktor war. In dem Haus wohnten mehrheitlich Handwerker, ich als Lehrerin, höhere Angestellte des Arbeitsamts. Ich kam in den Stadtteil durch Trennung und weil die Miete am günstigsten war. Vorher 15 Jahre Kirchzarten und Littenweiler.
Man kann über die vielfältigen Aspekte nur Schnipsel schreiben: Ich dachte auch, jetzt wird es gewalttätig und lärmig – aber ich hörte keine Frauen oder Kinder schreien. Eine Familie in der Wohnung unter mir schrie so viel mit einem ihrer Kinder, dass ich mit dem Hausmeister und dem Jugendamt drohte. Die sahen mich nicht mehr an, aber das Schreien hörte auf. Was allerdings sehr gewöhnungsbedürftig war, war das Einkaufen, wo ein unheimlich starker autoritärer und unfreundlicher Ton vieler Leute mit ihren Kindern herrschte.
Eines meiner Kinder ging noch 2 Jahre in die Adolf Reichweinschule und zu dieser Zeit waren viele Grundschulklassen enorm laut, offensichtlich alte Lehrerinnen sehr überfordert und der Ton der Lehrerinnen unfreundlich, die Klassen undiszipliniert. Lehrer erzählten, dass es ein Riesenunterschied sei, Kinder aus Weingarten oder aus Haid zu haben. Haidbewohner distanzierten sich oft von Weingarten.
Die ersten Bemühungen um ein Stadtteilfest waren mühsam, im Gegensatz zu anderen Stadtteilen. Tische und Bänke blieben unbesetzt. In Weingarten lebt man lieber allein – oder mit der großen Familie.
Freunde wohnten in einer WG in der 78 – das war heftig, weil in dem großen Haus dauernd jemand am umziehen war und der Beton diese elende Bohrerei überall hinleitete. Abgesehen, dass dort der Aufzug immer verpisst war, ging schon dieses Bohren nicht.
Die Polin über mir hat ihre 2 Kinder 5 Jahre lang jeden Tag in die Schule gebracht und abgeholt – aus Angst vor Sexualstraftätern. Der Schulweg ist lang. Ihre Freundinnen machten das ebenso. Ich wollte isoliert leben – von den Nachbarn wäre mehr an Kontakt gewünscht gewesen, innerhalb des Hauses. Mein großer Sohn hat es gehasst, in Weingarten zu wohnen – aber mit denselben Leuten in der Schule kam er klar. Er wurde im Stadtteil auch anfangs bedroht – „normale“ Cliquenwirtschaft, war er aber von Kirchzarten und Littenweiler nicht gewohnt. Der Sohn einer Freundin wurde 2-3 Jahre regelmäßig auf dem Schulweg verhauen, weil er so „verweichlicht“ sei. Da wollten sich die Jungs auch nicht helfen lassen – wäre ja feige gewesen.
Es gab Studien, ab welchem Geschoss das Wohnen problematisch wird. Psychisch und entwicklungsmäßig. Bei Untersuchungen hat sich gezeigt, dass Kinder automatisch die Kleinteiligkeit suchen und ihnen die großen Freiflächen mit den Blocks Orientierungsprobleme bereiten. So haben sich die Kinder eigenständig Schlittenhügel eingeteil – das Haus der Hügel etc. Näheres weiß ich nicht mehr. Ich persönlich wollte nicht mit kleinen Kindern in ein Hochhaus. Das ist wie Hundehaltung – du kannst die Kinder nie allein raus lassen, im Gegensatz zu niederen Häusern. Und wenn man die Straßen in Weingarten und die Höfe anschaut, dann sind da Splitter, Abfälle, die barfußlaufen unmöglich macht. Das finde ich mangelnde Lebensqualität. Meine Kinder waren da schon 9 und 12 – also machbar. Also Hochhäuser für Senioren, bitte.
Natürlich haben Lehrer selektiv geschaut. Ich habe in der Unterwiehre mit der Stadt Projekte gemacht – dort gab es eine Zeit, wo der Ausländeranteil in der Lorettoschule über Durchschitt, aber der Übergang auf weiterführende Schulen unter Durchschnitt war. Ein Teil der ausländischen Schüler wurden gleich in der Hauptschule im ersten Halbjahr dann auf die Realschulen weitergeleitet. Eindeutig subjektiv gefärbte Schulempfehlungen. Das ist aber auch schon über 10 Jahre her. Auch nicht weingartenspezifisch.
Da hatten wir zuletzt ein Aktion Mensch Projekt mit der Grundschule gemacht, die als Problem angegeben hatte, russische bzw. russlanddeutsche Eltern nicht integrieren zu können. Unser Projekt leiteten 2 Russen, studierte. Es klappte hervorragen. Zwei Drittel der Russlanddeutschen ausder Schule machten mit. Ihr Problem war Transparenz. Sie wollten wie in Russland Berichte über die Kinder, möglichst wöchentlich und wollten wissen, was die Note 2 denn bedeutet. Sie hatten sich nicht gemeldet aus Angst, ihren Kindern würden Nachteile entstehen, waren aber sehr ehrgeizig. Die Lehrer waren ausgesprochen unfreundlich. Die Eltern sollten auf die Elternabende kommen, fertig. Und dem Ansinnen einer Berichterstattung käme man schon gar nicht nach, sagte man mir auf einer Konferenz und nahm an, dass ich das der Gruppe auszurichten hätte. Das Andocken an das Quartiersbüro war schwierig, weil die Aufgabenstellung der Stadt solche Bildungssachen nicht erlauben würde. Ab da hatte ich keine Lust mehr auf Projekte. Die russischen Projektleiter waren entsetzt. Die Eltern stemmten dann fast das ganze Schulfest mit Chor, Marionettenbau, Essenständen – toll, aber nicht die Zielsetzung des Projekts. Ist auch schon mehr als 10 Jahre her. Es hat sich ja viel entwickelt seitdem, aber ich weiß es nur noch aus der Zeitung, wenn überhaupt.
Genauso subjektiv gefärbt sind die Meinungen von Studenten, die nie im Leben nach Weingarten ziehen würden und jede höhere Miete im Stühlinger zahlen.
Genauso subjektiv wie die Stille in jedem Lehrerkollegium, wenn ich meine Adresse sagte: Die Krozingerstraße war bekannt wie ein bunter Hund in Freiburg. Genauso subjektiv wie die Hebelhauptschüler, die mich strahlend anlächelten wegen „Krozingerstraße“ und sagten: „Du darfst uns anschreien, du bist eine von uns. Bei uns schreit jeder.“ So süß. Die Jugendlichen sprachen mit Stolz immer vom Ghetto. Später, als ich Kinder aus den Vorbereitungsklassen an STreetworker andocken wollte, war das nicht möglich, weil die völlig überfordert waren. Nur mit dem Jugendzentrum in der Staudi hatte ich gute Erfahrungen. Die sorgten für das nötige Nest, in dem sich dann ein Junge prächtig entwickeln konnte. Die anderen werden verloren gegangen sein.
Die Schläge sind sicher nicht weingartenspezifisch sondern kulturell. Patriarchat geht meistens noch von schwarzer Pädagogik aus. Da habe ich viel erlebt – aber nicht auf Weingarten bezogen. Der Balkan und die Türkei taten sich da besonders hervor, und Evangelikale, allgemein: christliche Sekten. Böses Wort gesagt – Mund mit Cayennpfeffer ausge“waschen“. Mittelschicht, keine Prolls. Stunden irgendwo stehen oder 1 Stunde auf einem Bein stehen….. Kinder und Jugendliche wollten nie, dass ich mich für sie einsetze – weil es sonst noch schlimmer werden würde, wenn sie „petzen“. Ich habe das alles den entsprechenden Arbeitskreisen gemeldet bei der Stadt – da wird drüber wegggeschaut. Man hat es nie aufgegriffen. Das war zu kompliziert. Ich sage seit Jahren: Begleitende Erziehungskurse für alle. Aber solche harte Erziehungsmethoden schafft eben kaum neue Menschen.
Also ich verstehe die Gehässigkeiten nicht – man muss bei jedem Stadtteil neu diskutieren, wie man bessere Wege schafft. Und mein Vorurteilshirn hat bei dem Artikel geklingelt: Guck an, schon so viele Studierende unter den ausländischen Weingartnern?
7.2.2018, Ursula Birgin, BZO
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Wohnbebauung in die Höhe schlecht für Sozialisierung?
Die Schilderung des persönlich Erlebten, Frau Birgin, im und rund um den Stadtteil Weingarten zeichnet ein facettenreiches und authentisches Bild einer ehemaligen Bewohnerin. Ich habe Satz für Satz, auch wegen der Assoziation zu persönlichen Erfahrungen, gelesen. Sie sollten diese Erinnerung in anderem Format (Buchform?) festhalten und einer interessierten Leserschaft zugänglich machen.
Weingarten hat im Laufe der Jahrzehnte viele Wandlungen erfahren, die nicht immer zum Besseren gereichten. Man denke an die diversen (gescheiterten?) Versuche der Schaffung von Begegnungsstätten zwecks Zusammenführung der verschiedenen Ethnien oder an die Probleme mit einem funktionellen Einkaufszentrum, von der nachhaltigen Ansiedlung medizinischer Fachkompetenz ganz zu schweigen.
Das »Turmhaus« in der Laufener Straße mit dem »Höhenschwimmbad« (wohl ein Vorzeigeobjekt) hat früher auch mein Interesse geweckt. Aber irgendwie bin ich dann wieder davon abgekommen. Der Drang auf’s Land, auch ohne »Grüner« zu sein, überwog. Dazu kam noch die Verbesserung des Wohnumfeldes für meine Tochter. Die Entscheidung hat sich im Nachhinein als richtig erwiesen. Meine Verpflichtungen in der Stadt (Beruf, Freunde, Vorsitzender in einem Fußballverein im Westen) konnte ich auch aus dem nahen Umland noch problemlos wahrnehmen. So dachten außer mir noch viele, die der ««Großstadt«« Freiburg den Rücken kehrten.
Die Lösung des Unterbringungsproblems einer wachsenden Bevölkerung mit der Ausweitung der Wohnbebauung »in die Höhe« mag zwar angesichts knapper werdender Bauflächen ökonomisch sinnvoll erscheinen. Hinsichtlich der Sozialisierung der Bewohner verhält sich diese Vorgehensweise leider als kontraproduktiv. Viele Beispiele aus anderen »Problem«Städten belegen dies. Trabantenstädte wie Landwasser, Rieselfeld sprechen Bände. Dietenbach wird da keine Ausnahme sein. Dass man jetzt auch noch vorhandene Bausubstanz platt macht (Studentensiedlung), um an der Stelle »Verdichtung in die Höhe« zu realisieren, ist städteplanerisch zwar verständlich aber im Hinblick auf die Lebensqualität deren Bewohner verwerflich.
7.2.2018, Rudi Rapp, BZO
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Gute Schulen für Weingarten – Bildung von Mädchen und Frauen ist wichtig
Das von den vier Gymnasiasten mit Migrationshintergrund angesprochene zentrale Problem in FR-Weingarten ist die Gewalt – Gewalt, die von den Familien ausgeht, in denen die islam-geprägten kulturellen Traditionen des Patriarchats gelten: Gewalt des Familienoberhaupts gegen Frau und Kinder: Körperliche, sexuelle, psychische und ökonomische Gewalt. Gewalt, die dann von den heranwachsenden Söhnen übernommen wird.
Anders als so viele Politiker klagen die Schüler angesichts der Weingartener Mißstände nicht über Hochhäuser oder „zu wenig Geld“, sondern über mangelnde Bildung.
Würde man in einem riesigen Bauprogramm alle übereinander liegenden Hochhauswohnungen Weingartens in nebeneinander liegende Reihenhäuser unterbringen – die patriarchische Gewalt würde nicht abnehmen – oder etwa doch?.
Würde man in einem riesigen Ausgabeprogramm die Sozialtransfersätze wie auch Sozialarbeiterstellen verdoppeln, die Gewalt der übermächtigen Familienoberhäupter würde nicht abnehmen – oder doch?
Es bleibt, was die interviewten Schüler fordern: Wir müssen unsere Bildungsinvestitionen verstärken, vor allem die Bildung der Töchter, Mädchen und Frauen: Kita, Schulen, mehr Lehrer, Bildungs- und Berufsberatung, Hausaufgabenbetreuung und -überwachung. Kein Familienoberhaupt darf seiner Tochter irgendeine Schullaufbahn verbieten – schon gar nicht, um sie mit einem Cousin zu verheiraten.
Beispiel Iran: Dort haben mehr Frauen Hochschulabschlüsse als Männer, im Verhältnis „55 zu 45“. Auch deshalb sind bei den aktuellen Freiheitsbewegungen die Frauen federführend. Auch deshalb befürchtet die männliche Mullah-Kaste nichts so sehr wie die Aufhebung des Kopftuchgebots. Reformen des Islam sind nur über die Aktivitäten von Frauen möglich.
Schade, dass so viele Kommentatoren die BZ dafür tadeln, dass sie per Interview den vier Schülern so viel (zwei Druckseiten) Raum gegeben haben, um ihre Meinung kund zu tun. Es ist doch immer besser, „Betroffene“ selbst zu Wort kommen zu lassen, als über diese zu berichten. Miteinander sprechen und diskutieren ist immer gut!
8.2.2018, K. Baumann
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Mißstände klar benennen – zwecks Integration
Ich bin sehr beeindruckt von den vier Jugendlichen aus Weingarten, die den Mut aufgebracht haben, sich so ins „Kreuzfeuer“ zu begeben und die Dinge beim Namen zu nennen! Sie wussten sicher, dass sie sich damit im Stadtteil selbst keine Freunde machen, geschweige denn Zustimmung oder Unterstützung der zuständigen Stellen erwarten können. Die werden eher alles tun, um die Aussagen zu relativieren: „Sozialeinrichtungen vor Ort, wir haben Geld geschickt …“
Tatsache ist: Nur so – in dem wir den Mut aufbringen, Dinge klar zu benennen – werden wir die Integration jemals bewältigen und die Chancengleichheit annähernd erreichen, wenn wir die Augen nicht davor verschließen, dass neben uns eine Parallelgesellschaft existiert und nicht alle (vor allem Kinder und Jugendliche) darin glücklich sind. Die Integration bedeutet nicht nur „herzlich Willkommen“ sagen, sondern einiges (auch unangenehmes!) dafür tun, damit Menschen ankommen.
Manches muss hart erkämpft werden und ist nicht gerne gesehen (junge Mädchen dürfen nicht mit der Klasse ins Landschulheim). Dass die Eltern nicht glücklich sind, wenn sich hier die Gesellschaft einmischt, ist klar, aber notwendig, denn eines Tages werden diese Kinder Teil unserer Gesellschaft und wie sie dann werden, hängt in großem Maße von uns ab.
Wenn die großen Parteien den Mut aufgebracht hätten – so wie die vier Jugendlichen – Missstände klar und deutlich anzusprechen, hätte die AfD vermutlich niemals so ein Zulauf erfahren! Hut ab!
12.2.2018, Christiane Boll-Hösch, Freiburg, BZO
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Vier junge Menschen bewiesen Mut – Verantwortung
Missstände klar auszusprechen erfordert Mut. Diesen haben die vier jungen Menschen mit ihren Interviews bewiesen: Bei der Lektüre ihrer Erfahrungen zuckt man an vielen Stellen zusammen, da sie den Finger in die Wunden eines Stadtteils so legen, als ob es die eigenen wären. Derart mag es auch vielen ergangen sein, die sich für Weingarten in der Verantwortung sehen oder sehen sollten. Diesen ist nun ein ähnliches Maß an Mut zu wünschen, damit sie sich um die Wunden auch tatsächlich kümmern, und nicht über sie hinwegreden.
12.2.2018, Max Walter Kinninger, Freiburg, BZO
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Diese Seiten müssten Pflichtlektüre werden für alle Mitarbeitenden von FR
Herzlichen Dank für Ihre Idee, das Leben im Stadtteil Weingarten anhand von Interviews mit jungen Erwachsenen darzustellen. Mutig, uns ein Paralleluniversum in Freiburg zu offenbaren. Wie gut Ihnen das auf zwei ergreifenden BZ-Seiten gelungen ist. Ich brauchte 15 Jahre Gespräche und Beobachtungen, um ähnliche Einblicke zu erhalten.
Diese zwei Seiten müssten Pflichtlektüre werden für alle Mitarbeitenden der Stadt, egal ob im Amt oder in der Schule, bei der Polizei oder dem Krankenhaus, der Sozialarbeit, in Jugendeinrichtungen und der Feuerwehr. Ihr Artikel kann all die wachrütteln, die dachten, wir schaffen das schon, es ging ja bislang immer irgendwie gut.
Das Ergebnis schauen wir uns aber in der Regel gar nicht an, sondern meiden schlicht die Stadtteile, die von Menschen mit Migrationshintergrund bevölkert werden. Würde ich, die über Jahre die Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung im Rieselfeld für Lernende aus der ganzen Stadt anbietet, Ihnen genau diese Einblicke in unseren Nachbarstadtteil schreiben, würde mir kaum ein Mensch glauben!
Doch dadurch, dass Sie die jungen Menschen aus Weingarten selbst reden ließen, können wir die Fakten nicht ausblenden oder schönreden. Es geht um Gewalt, Beleidigungen und Bedrohungen im Alltag. Die vier anonymen Jugendlichen sprechen von Clans, von der Schule, häuslicher Gewalt, von der Art, wie sie aufgewachsen sind, hier in Freiburg: Das ist nicht das Freiburg, das wir Leserinnen und Leser in der Regel kennen und auch nicht das, was wir unseren Kindern zumuten möchten.
Sie erzählen von Kriminalität, von der Polizei und von ihrem Leben als Mädchen. Würde ich als Deutsche es wagen, beispielsweise Zwangsverheiratung oder Kopftuchzwang in unserer Stadt anzusprechen, würde ich umgehend als Nazi oder Rassistin tituliert.
Mein großer Dank gilt euch „Drilon“, „Cicek“, „Fatma“ und „Anna“ für eure ehrlichen Worte – alles Gute für euren Lebensweg!
20.2.2018, Susanna Glaubrecht, Freiburg, BZO