Strassen Schulen umbenennen

Bequem am Laptop sitzend, mit Google bzw. Wikipedia allwissend und in 68er-Nachfolge  sozialisiert, da läßt sich trefflich urteilen, wer in der Vergangenheit ein guter Mensch war, so wie man selbst, und wer nicht. Und die Erinnerung an letztere, die als angeblich böse Menschen also nicht so gut waren, wird einfach gelöscht: Strassennamen, Schulnamen, Denkmäler, Hinweistafeln, usw… im öffentlichen Raum. Diese Lösch-Spirale wird sich immer weiter rückwärts bewegen, bis hin zu Martin Luther, dessen Name als Antisemit dann ebenfalls zu löschen sein wird? Aber bis zur Reformation ist es noch ein weiter Weg. In Freiburg sind wir bei diesem unsäglichen Löschen erst im 3. Reich angelangt, so zuletzt beim Löschen des Namens Gerhart Hauptmann als Strassenname und Schulname (s.u.).
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Dabei sind all die Guten, die rückwärts gewandt so eifrig löschen, auch im Jetzt und nach vorwärts gewandt am Löschen – nur heißt dies dann neudeutsch Canceln. Als Anhänger der Cancel Culture sind sie der von den USA her verbreiteten „kollektiven Zensur“ (Yascha Mounk) verpflichtet. Jüngstes Beispiel: Die deutsch-deutsche Schriftstellerin Monika Maron (78) wird vom Verlag gecancelt, da sie im Jahr 2020 in Dresden eine falsche Freundin hat, zu der sie weiter hält. Eine Monika-Maron-Strasse wird es „im besten Deutschland, das es je gab“ (zuletzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 30. Jahrestag der Deutschen Einheit in Potsdam) niemals geben – oder erst in der Post-Merkel-Ära?
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Zurück zum Dichter und Dramatiker Gerhart Hauptmann und der „Gerhart-Hauptmann-Schule“  in Freiburg: „Der Schulname könnte dazu (d.h. zur Diskussion) eine Verpflichtung sein.“ Mit diesem klugen, weil friedenstiftenden Satz endet der BZ-Beitrag von Manuel Fritsch (siehe unten): Wir müssen miteinander reden und diskutieren, auch über Geschichtliches; wir müssen die zerstörte Diskussionskultur neu beleben – in und außerhalb des Parlaments, auch in der Schule.
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Die Schule in Freiburg-Betzenhausen wurde auf Vorschlag der schlesischen Lands-mannschaft im Jahr 1963 mit „Gerhart-Hauptmann-Schule“ benannt.
Gerhart Hauptmann (15.11.1862 – 6.6.1946) durchlebte eine unvorstellbar schwere Zeit mit drei Kriegen: Dem deutsch-französischen Krieg 1970/71, dem 1. Weltkrieg 1914-18 und dem 2. Weltkrieg 1939-45. Wenn die Schülerinnen und Schüler der „Gerhart-Hauptmann-Schule“ im Pflichtunterricht durchnehmen und diskutieren, wie die Geschichte ihren Namenspatron – mit hellen wie auch dunklen Seiten – geprägt hat, dann haben sie viel „für’s Leben“ gelernt. Und dabei dürfen die Schülerinnen und Schüler durchaus auch stolz sein, denn schließlich wurde Gerhart Hauptmann im Jahr 1912 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
So gesehen bietet der Name „Gerhart-Hauptmann-Schule“ sogar didaktisch-methodisch eine große Chance für die Schülerinnen und Schüler, über ihren „Gerhart“ aus der so leidvollen Geschichte zu lernen. Denn die Lehrerinnen und Lehrer haben die Chance, ihren Geschichtsunterricht anschaulich und motivierend zu gestalten.
4.12.2020
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https://gerhart-hauptmann-schule-freiburg.de/
http://www.gerhart-hauptmann-gesellschaft.de/
https://www.landsmannschaft-schlesien.de/landsmannschaft/landesverbaende/
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Bei der Diskussion um Gerhart Hauptmann gibt es keinen eindeutigen Schluss
Es gibt ein Lied des Kabarettisten Georg Kreisler, in dem ein ganzes Dorf streitet, ob man etwas machen sollte oder nicht. Schließlich fassen die Dorfbewohner den klugen Entschluss, nichts zu tun. Denn täte man es, dann wäre nichts mehr dran zu drehen. Lässt man es aber – „na, dann kann man ja noch drüber diskutieren“. Ähnlich ist es mit Straßenumbenennungen. Da hat die Stadt Freiburg ein aufwändiges Gutachten erstellen lassen, eine lange und engagierte öffentliche Diskussion schloss sich an. Doch was nicht umbenannt wurde, wird immer weiter diskutiert. Denn manchmal ist die Sache einfach nicht klar. Und Hauptmann ist so ein Fall.
Der Autor ist nicht ins Exil gegangen, hat sich von den Nazis feiern lassen, sie öffentlich nie kritisiert. Im Gegensatz zu so vielen Kollegen, die in Nazi-Deutschland geächtet waren, blieb er dort geachtet.
Gleichzeitig ist er kein Nazi-Schriftsteller. Während des Kaiserreiches war seine Literatur sozialkritisch. Nationalsozialistisches Gedankengut findet sich darin nicht. Die Diskussion um die Trennung von Autor und Werk, darüber, wann Schweigen und Ignorieren ins Zustimmen und Mitmachen kippt – bei Gerhart Hauptmann kann sie lange geführt werden und das wurde sie auch, besonders in der Literaturwissenschaft. Es ist sicherlich richtig, das ausführlich und immer wieder zu tun. Der Schulname könnte dazu eine Verpflichtung sein.
… Alles vom 9.11.2020 von Manuel Fritsch bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/bei-der-diskussion-um-gerhart-hauptmann-gibt-es-keinen-eindeutigen-schluss–197833614.html
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Es ist von der Forschung widerlegt, dass Gerhart Haupmann ein Parteimitglied war
Zu: „Warum lässt man es zu, dass sich Grundschüler an einem Hitlerverehrer und Antisemiten täglich orientieren?“, Leserbrief von Christoph Schwarz, BZ vom 17. November:
https://www.badische-zeitung.de/warum-laesst-man-es-zu-dass-sich-grundschueler-an-einem-hitlerverehrer-und-antisemiten-taeglich-orie–198050834.html
Die in der BZ geführte Diskussion über die Umbenennung der Gerhart-Hauptmann-Schule eskaliert inzwischen mit dem Leserbrief von Christoph Schwarz. Schon in dem Artikel von BZ-Redakteur Fritsch vom 9. November hatte Schwarz versucht, den Gemeinderatsbeschluss vom Sommer 2020 gegen eine Veränderung des Namens in Frage zu stellen, jetzt stellt er aber auch den Namensträger der Schule ganz in Frage.
Wie mir der im Artikel genannte Freiburger Germanist Christopher Meid nochmals bestätigte, sind alle Vorwürfe gegen Hauptmann schon seit Jahrzehnten in der Germanistik bekannt. Es gibt aber auch viele positive Beispiele, wie Hauptmann Juden mit Geld zur Flucht verholfen hat.
Leider äußerte sich Hauptmann nur im privaten Kreis kritisch zur damaligen politischen Situation, unter der er sehr litt, und er prophezeite die baldige Katastrophe Deutschlands. Der Historiker und Vorsitzende der von der Stadt eingesetzten Kommission, Bernd Martin, schreibt mir zu Hauptmann: „… aber ein Faschist und Antisemit war er in dieser plakativen Normierung nicht, sondern blieb seiner prinzipiellen Unentschlossenheit verhaftet“.
Auch ist von der Forschung inzwischen widerlegt, dass er ein Parteimitglied war. Mit dem Leserbrief reduziert Christoph Schwarz aber den über 80-jährigen Dichter, berühmt als Nobelpreisträger in aller Welt, auf seine letzten Lebensjahre, in denen er ohne Zweifel eine sehr ambivalente Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus einnahm. Aber aus welchen Quellen hat Herr Schwarz seine zitierten Behauptungen über Hauptmann? Für die Forschung heute sind laut Christopher Meid die Tagebücher Gerhart Hauptmanns zur NS-Zeit noch gar nicht erschienen.
Als polnische Miliz 1945 den todkranken Mann wie alle andern Deutschen auch aus seiner Heimat Schlesien vertreiben wollte, war es ein gebildeter sowjetischer Offizier, der das verhindert hat. Hauptmann war in Russland bekannt als Schriftsteller naturalistischer sozialkritischer Dramen wie „Rose Bernd“ oder „Die Weber.“
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Ich verwahre mich auch als Vorsitzender der Landsmannschaft Schlesien, Kreisgruppe Freiburg, die der Initiator der Namengebung 1963 war, gegen die Unterstellung, dass die Landsmannschaft „eine Nähe zum NS pflegte“. Mit welchem Recht kann Herr Schwarz dies behaupten? Ich fand in meinen Unterlagen keine Hinweise dafür. Dass Christoph Schwarz sich mit dem Verein „Geraubte Kinder“ für Opfer des NS-Regimes einsetzt, ehrt ihn. Aber hier geht er entschieden zu weit.
4.12.2020, Wolfgang Lorenz, Freiburg

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