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Blick von der Friedrichstrasse über Freiburg zum Kybfelsen. Nur das Münster steht noch nach dem 27.11.1944 – ein Wunder
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- Knabe-Interview: Russland – Bedeutung des 8. Mai 1945 (23,5,2925)
- Hubertus Knabe: „Tag des Friedens“ statt „Tag der Befreiung“ (9.5.2025)
- Michael Klonovsky: „Tag der Zerschlagung des Nationalsozialismus“ satt „Tag der Befreiung“ (8.5.2025)
- Deutschland-Russland
Knabe-Interview: Russland – Bedeutung des 8. Mai 1945
In der JF-Ausgabe vom 16. Mai äußerte der Verfasser eines Leserbriefs seine Mißbilligung des Interviews, das in der vorangegangenen Ausgabe mit Hubertus Knabe zur Bedeutung des 8. Mai 1945 geführt worden war. Im Kern geht es um drei Punkte: Widerspruch gegen die Behauptung Knabes, die Wehrmacht sei auf russischem Gebiet als Befreier begrüßt worden, denn das sei nur in der Ukraine geschehen;
Kritik daran, daß zwar die Greueltaten der Sowjetarmee bei der Besetzung des Reichsgebiets erwähnt würden, aber nicht die vorangegangenen deutschen Kriegsverbrechen;
und die sarkastische Schlußbemerkung, daß man als „Glanzstück“ des Interviews die Auslassung jedes Hinweises auf die Gesamtzahl der russischen Toten zu betrachten habe.
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Die Argumentation des Leserbriefs ist in vieler Hinsicht typisch für die Art und Weise, wie mit dem Thema heute umgegangen wird, führt nichtsdestotrotz in die Irre. Was den ersten Punkt angeht, ist darauf hinzuweisen, daß der norwegische Historiker Johannes Due Enstad bei Auswertung deutscher und sowjetischer Quellen zu dem Ergebnis kam, daß gerade im russischen Kernland die Deutschen regelmäßig voller Freude empfangen wurden, und im Dezember 1941 habe die Landbevölkerung aus eigenem Antrieb warme Kleidung für die Soldaten bereitgestellt. Bezeichnend ist jener erhalten gebliebene Zettel, den ein Bauer beigefügt hatte und auf dem stand: „Ich sende diese Socken als Geschenk an die unbesiegbare deutsche Armee und bete, daß sie die Bolschewiken besiegen, damit sie für immer ausgerottet werden.“
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Damit zu dem im Leserbrief folgenden Punkt. Wenn man die Behauptung ernst nimmt, daß die Ausschreitungen von 1944/45 eine irgendwie nachvollziehbare Reaktion auf deutsche Untaten waren, hat man es nicht nur mit einer radikalen Form des Aufrechnens, sondern auch mit der Legitimierung von Racheakten jeder Art zu tun, und – was am schwersten wiegt – mit einer völligen Verkennung der historischen Rahmensituation. Schließlich war die Sowjetunion nicht das irgendwie schuldlose Opfer eines deutschen „Überfalls“, jener „bösen Tat“, von der der Verfasser des Leserbriefs meint, daß sie „fortwährend Böses“ zeugte. Vielmehr hatte Stalin gemeinsam mit Hitler den Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Seine Truppen führten sich im besetzten Polen und dann in den baltischen Staaten genauso auf, wie sie es später bei der „Befreiung“ der osteuropäischen Staaten und zuletzt bei der Besetzung Deutschlands tun sollten: Mord, Plünderung, Deportation, Versklavung, Vergewaltigung, Willkür gegenüber den „Befreiten“. Zuletzt noch zur Frage der sowjetischen Verluste die Bemerkung, daß die eben nicht nur auf die – fraglose – Brutalität der deutschen Seite zurückgingen, sondern auch auf die Unfähigkeit und den Zynismus der eigenen Führung und das, was Richard Overy die russische Tradition der „Vergeudung“ von Menschenleben genannt hat.
… Alles vom 23.5.2025 von Karlheinz Weißmann bitte lesen in der JF 22/25, Seite 15
Hubertus Knabe: „Tag des Friedens“ statt „Tag der Befreiung“
„Unglaublich schockierend“
Interview: Zum 80. Jahrestag wird das Kriegsende am 8./9. Mai 1945 erneut als „Befreiung“ verklärt. Hubertus Knabe, Experte für die Verbrechen des Kommunismus, widerspricht, sowohl Sieger als auch Besiegte erlebten eine andere historische Wahrheit
Daniel Holfelder / Moritz Schwarz
Herr Knabe, war der 8. Mai 1945 für uns Deutsche ein „Tag der Befreiung“?
Hubertus Knabe: Nein. Keiner der Alliierten hatte an diesem Tag vor, Deutschland zu befreien: Es sollte bedingungslos kapitulieren und vollständig besetzt werden. Die Oberbefehlshaber der Alliierten übernahmen die alleinige Regierungsgewalt. Allerdings gab es in den westlichen Zonen bald freie Wahlen, während in der sowjetischen Besatzungszone eine Diktatur auf die andere folgte.
Deshalb das Fragezeichen im Titel Ihres nun wiedererschienenen Buchs „Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland“?
Knabe: Ja. Östlich von Oder und Neiße sorgte Stalin 1945 für eine brutale ethnische Säuberung und zwischen Elbe und Oder installierte er eine Diktatur unter Herrschaft der SED. Erst 1990 konnten sich die Ostdeutschen davon befreien. Im Westen dagegen ließen die Alliierten 1946 freie Kommunal- und Landtagswahlen zu, und 1949 wurde der erste Bundestag gewählt. Trotzdem sollte man nicht vergessen, daß auch die Amerikaner Deutschland nicht besetzten „zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat“ – wie es in der von US-Präsident Harry S. Truman am 10. Mai 1945 unterschriebenen Direktive 1067 hieß. Der Begriff „Befreiung“ ist deshalb auch für Westdeutschland nicht wirklich zutreffend. Das Wort „Befreiung“ erweckt den Eindruck, auch die Deutschen seien Opfer der Nationalsozialisten gewesen. Davon kann jedoch keine Rede sein. Nicht die Deutschen wurden 1945 befreit, sondern Europa von den Deutschen. Daß der Begriff dennoch so populär wurde, hat vor allem damit zu tun, daß er die Deutschen von ihrer Verantwortung entlastet. In der DDR war dies schon seit den frühen fünfziger Jahren der Fall, in der Bundesrepublik seit Richard von Weizsäckers Rede im Jahr 1985. Die SED hat sich sogar zu den Siegern des Zweiten Weltkriegs gezählt, weil sie ja stets im Bündnis mit der Sowjetunion stand. Die Bundesrepublik war erst 1995 soweit, als Bundespräsident Roman Herzog die Siegermächte zu einem Staatsakt nach Berlin einlud, um den 8. Mai zu feiern.
Wie stellte sich das Kriegsende für die Erlebnisgeneration denn tatsächlich dar?
Knabe: Eben überhaupt nicht als Befreiung. Im Gegenteil: Im Osten flüchteten Millionen vor der Roten Armee, die furchtbare Greueltaten beging: Massenhafte Vergewaltigungen, Liquidierungen, Verhaftungen und Deportationen. 1,9 Millionen Frauen und Mädchen sollen damals vergewaltigt worden sein, 272.000 Zivilisten wurden zur Zwangsarbeit in die UdSSR verschleppt, was über ein Viertel nicht überlebte. Nach dem Statut des Internationalen Militärgerichtshofs waren das schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber auch im Westen nahmen nur wenige den Einmarsch der Allliierten als Befreiung wahr. Der 8. Mai war, wie Bundeskanzler Ludwig Erhard 1965 in einer Rundfunkansprache sagte, „ein Tag so grau und trostlos wie so viele vor oder auch noch nach ihm“. Die einschneidendste Änderung war, daß die Bombardierungen aufhörten und die Kampfhandlungen endeten.
Obwohl Ihnen die Verbrechen der Roten Armee bewußt waren, hat Sie deren Ausmaß im Zuge Ihrer Recherchen für das Buch dennoch überrascht. Weshalb?
Knabe: Die Augenzeugenberichte sind unglaublich schockierend. Das gilt vor allem für die ganz frühen Berichte, die Anfang der fünfziger Jahre im Auftrag des Bundesministeriums für Vertriebene zusammengetragen wurden. Aber auch Lew Kopelew, der als junger Rotarmist in Ostpreußen einmarschierte, beschreibt in seinen Erinnerungen schreckliche Greueltaten. Dasselbe gilt für Alexander Solschenizyn, der in seinem Poem „Ostpreußische Nächte“ die brutale Gewalt der Roten Armee schildert. Aber nicht nur Deutsche wurden zu Opfern. Auch die sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter wurden nach ihrer Befreiung sofort wieder verhaftet und in Lager gesteckt. Sie galten als „Vaterlandsverräter“, nur weil sie überlebt hatten.
Welche prägenden Folgen hatten diese Erfahrungen der Erlebnisgeneration für die deutsche Nachkriegsgesellschaft?
Knabe: In Ostdeutschland waren die sowjetischen Verbrechen bis 1989 ein strenges Tabu. Auch nachdem die Vergewaltigungen und Plünderungen verboten worden waren, war es riskant, solche Vorfälle zu melden. Wenn sich Bürgermeister oder Polizeichefs beim sowjetischen Kommandeur beklagten, wurde ihnen oft vorgeworfen, „die Ehre der Roten Armee zu beschmutzen“. Auch die Deportierten, die später aus der Sowjetunion zurückkehrten, mußten über ihre Erlebnisse schweigen. Die Massengräber neben den sowjetischen Speziallagern in Ostdeutschland wurden erst 1990 entdeckt.
Und im Westen?
Knabe: Auch hier mußten die Opfer mit ihrem Schmerz meist alleine zurechtkommen. Die Vertriebenen wurden im Westen nicht gern gesehen. Sie brauchten Wohnraum und Nahrungsmittel, die lange knapp waren. Es gab wenig Empathie, weil jeder genug eigene Probleme hatte. An psychologische Betreuung, wie wir sie heute kennen, war erst recht nicht zu denken. Ab Mitte der sechziger Jahre wurden die Vertriebenenverbände, die sich um die Opfer kümmerten, dann zunehmend in die rechte Ecke geschoben. Man warf ihnen vor, sie wollten die NS-Verbrechen „relativieren“. Erst 1990 kam das Thema wieder hoch, als in der DDR die Massengräber freigelegt wurden und einige Überlebende ihre Erinnerungen veröffentlichten. Das hielt aber nicht lange an. 2001 erschien ein Buch, das die Vertriebenen als „Hitlers letzte Opfer“ bezeichnete und verschiedene Historiker stellten die Massenverhaftungen als Maßnahme zur Entnazifizierung hin. Doch dieselben Methoden hatte Stalin auch in Polen, im Baltikum und im eigenen Land angewandt. Man kann fast froh sein, daß die meisten Betroffenen inzwischen verstorben sind und nicht mehr miterleben müssen, daß der Einmarsch der Roten Armee in den meisten ostdeutschen Bundesländern heute wieder als „Tag der Befreiung“ gefeiert wird.
Lassen sich die Verbrechen der Roten Armee – und übrigens auch der Polen, Tschechen etc. – allein aus den NS-Verbrechen erklären? Sprich, hätte es diese Verbrechen ohne die deutschen Verbrechen nicht gegeben?
Knabe: Solche Kausalitätsketten greifen fast immer zu kurz. Wäre Hitler nicht in die UdSSR eingefallen, wäre die Rote Armee vermutlich nicht in Deutschland einmarschiert – obwohl auch Stalin einen Angriffskrieg plante. Hätten sich die Deutschen in der Sowjetunion als freundliche Befreier aufgeführt, wäre diese wahrscheinlich auseinandergebrochen und Stalin gestürzt worden. Was mir allerdings auffiel: Bei den Verbrechen handelte es sich nicht um individuelle Racheakte. Es gab vielmehr klare Direktiven: „Das Land der Faschisten muß zur Wüste werden“, wie Marschall Iwan Tschernjakowski vor dem Angriff auf Ostpreußen befahl. Stalin wollte Deutschlands industrielle und militärische Macht für immer zerstören. Hinzu kam die Frontpropaganda, die die Soldaten zum Weiterkämpfen motivieren sollte und einen unbarmherzigen Rassenhaß predigte: „Wenn du nicht im Laufe eines Tages wenigstens einen Deutschen getötet hast, so ist es für dich ein verlorener Tag gewesen“, schrieb Ilja Ehrenburg in einem seiner rund 3.000 Aufrufe. Stalin war außerdem der Ansicht, daß die Rotarmisten ein Recht darauf hatten, sich nach den Jahren der Entbehrung an den Reichtümern der Deutschen zu erfreuen, wozu neben Uhren und Fahrrädern auch ihre Frauen gehörten. Die Verbrechen fanden deshalb nicht im Verborgenen statt, sondern im Beisein von Kameraden und Vorgesetzten. Wer dagegen einschritt, wie Kopelew, wurde sogar bestraft: Im April 1945 wurde er verhaftet und später wegen „Mitleids mit dem Feind“ und „bürgerlichem Humanismus“ zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt.
Welche Reaktionen haben Sie auf Ihre Thesen nach dem Erscheinen der ersten Auflage Ihres Buches bekommen?
Knabe: Ich bekomme sehr viel Zuspruch von Menschen, die einen biographischen Bezug zum Thema haben. Sie fühlen sich endlich ernstgenommen. Einige Historikerkollegen, vor allem aus dem linken Lager, haben dagegen schroff ablehnend reagiert. Inzwischen ist jedoch Bewegung in die Fronten gekommen. Seit dem Einmarsch Rußlands in die Ukraine begreifen auch linke Historiker, wie brutal der Kreml seine Machtansprüche durchsetzt. Und diese Brutalität – das schreibe ich in der Neuauflage meines Buches – liegt vor allem daran, daß sich die russische Armee nie mit ihren eigenen Verbrechen auseinandergesetzt hat. Im Gegenteil: In Rußland können Sie heute zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt werden, wenn Sie den Ruhm der Roten Armee in Frage stellen.
Halten Sie die Befreiungsthese dennoch für eine legitime historische Deutung oder handelt es sich vielmehr um ein ideologisches Narrativ mit dem Zweck, innenpolitische Macht auszuüben?
Knabe: Das Wort „Befreiung“ ist ein politischer Kampfbegriff, der schon im Krieg gegen Napoleon Verwendung fand. Auch die russischen Kommunisten haben ihre Eroberungen stets als Befreiung deklariert. Er funktioniert deshalb so gut, weil er so vage ist: Ist damit die Beendigung eines unfreien Zustands gemeint – oder die Schaffung freiheitlicher Verhältnisse? Das ist nicht dasselbe. Wenn ich jemanden aus einer Gefängniszelle heraushole, ist er zwar frei, aber wenn ich ihn anschließend in die Nachbarzelle einsperre, ist es eben keine Befreiung. Und genau das ist in Ostdeutschland passiert. Für den Westen könnte man, um im Bild zu bleiben, sagen, daß er nach einiger Zeit in den „offenen Vollzug“ kam und dann „auf Bewährung entlassen“ wurde. Was mich irritiert, ist, wie leichtfertig der Begriff „Befreiung“ vom Westen auf den Osten übertragen wird.
Wenn Befreiung ein politischer Kampfbegriff ist, welche gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen nutzen ihn dann für welchen Kampf?
Knabe: Der erste Bundespräsident, der ihn benutzte, war der FDP-Politiker Walter Scheel. Aus seiner Rede im Jahr 1975 spricht deutlich das Bedürfnis, die Deutschen als Opfer zu beschreiben. Dasselbe gilt für Richard von Weizsäcker, dessen Vater 1949 in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war. Der 8. Mai hätte „uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“, erklärte er 1985. Die Grünen boykottierten damals übrigens die Gedenkstunde im Bundestag. In den letzten Jahren wird der Begriff „Befreiung“ vor allem von SPD und Grünen benutzt, die ähnliche Motive haben dürften wie Scheel und von Weizsäcker – getreu dem Satz von Johannes Gross: „Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die seinen.“ Die Linke, die bundesweit einen „Tag der Befreiung“ einführen will, verteidigt damit aber auch das Regime der SED, das dann ebenfalls zu den Befreiten gehören würde. Allerdings verwenden inzwischen auch CDU-Politiker immer häufiger den Begriff, sei es aus Unkenntnis, sei es aus Anpassung. Erst kürzlich hat die CDU einem Antrag der Linken zugestimmt, den 8. Mai in Sachsen zum „Tag der Befreiung“ zu erklären. Viel schwieriger ist es dagegen, sich der historischen Ambivalenz dieses Tages zu stellen. Wenn man den 8. Mai zum Gedenktag erklären will, wäre es deshalb viel zutreffender, ihn als „Tag des Friedens“ zu bezeichnen. Dann könnte man in Erinnerung rufen, daß Kriegführen kein Mittel der Politik sein darf. In Rußland geschieht leider das Gegenteil: Dort ist der 9. Mai der „Tag des Sieges“ und wird mit einer riesigen Militärparade begangen. Die russischen Soldaten in der Ukraine werden dabei regelmäßig zu Helden erhoben. Vor einiger Zeit mußten sogar Kinder unter der Fahne, die Rotarmisten 1945 auf dem Berliner Reichstag gehißt hatten, Unterstützungsbriefe an sie schreiben. Der Zweite Weltkrieg wird von Putin systematisch zur Rechtfertigung neuer Kriege instrumentalisiert.
Ob man einen russischen Vertreter zur Gedenkveranstaltung einladen sollte, darüber gab es zuletzt Streit in der AfD. Wie ist Ihre Meinung?
Knabe: Ich habe nur Parteichef Chrupalla vernommen, der sogar gefordert hat, man solle den russischen Botschafter bei der Gedenkveranstaltung in Torgau sprechen lassen – um so Verhandlungen über ein Kriegsende in der Ukraine zu führen. Das ist entweder unglaublich naiv oder schlicht demagogisch, da man bei Kranzniederlegungen keine Friedensverhandlungen führt, schon gar nicht mit einem Botschafter, der sowieso keine Entscheidungen treffen darf. Niemand verwehrt es Botschafter Sergei Netschajew, in Deutschland wo auch immer einen Kranz niederzulegen. Aber es wäre geradezu zynisch, ein Land, das seinen Nachbarn überfallen hat und täglich Dutzende Menschen tötet, zu einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Zweiten Weltkrieges einzuladen.
… Alles vom 9.5.2025 von Hubertus Knabe bitte lesen in der JF 20/25, Seite 3
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Dr. Hubertus Knabe: Der Historiker war von 2000 bis 2018 Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zur Erinnerung an die SED-Verbrechen. Heute lehrt er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Würzburg. Der 1959 in Unna geborene Knabe ist Gastautor unter anderem der NZZ, FAZ, Welt, des Focus und Cicero und schrieb zahlreiche Bücher, darunter das als „große, packende Erzählung“ (FAZ) und „Standardwerk“ (Tagesspiegel) gelobte „17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand“ (2003), „Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur“ (2007) oder „Honeckers Erben. Die Wahrheit über die Linke“ (2009). 2005 erschien seine Studie „Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland“, „eine wahrhaft beklemmende Lektüre“ (Zeit), die nun in Neuauflage vorliegt. https://www.hubertus-knabe.de
Michael Klonovsky: „Tag der Zerschlagung des Nationalsozialismus“ satt „Tag der Befreiung“
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Als ich im juvenilen Alter erstmals und nur äußerst vage von den Schändlichkeiten raunen hörte, die Rotarmisten deutschen Frauen angetan hatten, sagte ich im sogenannten Brustton der mir eingebleuten Überzeugung, dass sowjetische Soldaten und überhaupt Soldaten einer sozialistischen Armee dergleichen niemals tun würden, aus objektiven Gründen (ich kannte die sozialistische Armee noch nicht). Kurzum: Ich wollte es nicht glauben. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Die Rote Armee hatte uns schließlich vom Hitlerfaschismus befreit, der extremsten Reaktion des in seiner imperialistischen Spätphase verfaulenden Kapitalismus auf den weltweiten Siegeszug des Kommunismus bzw. Marxismus-Leninismus. (Das klingt nicht nur wie Ernst Nolte, das ist faktisch dasselbe, nur von der Gegenseite gesehen.)
Später wusste ich dann besser und schrieb auch darüber, was sich bei der sogenannten Befreiung Ost- und Mitteldeutschlands abgespielt hatte und wie es namentlich den Frauen der Besiegten ergangen war. Die „Befreiung vom Hitlerfaschismus” war gleichbedeutend mit der kommunistischen Unterjochung der inzwischen zum Osten gewordenen Mitte Deutschlands. Der 8. Mai 1945 markiert, im Bilde gesprochen, nicht nur das Ende der Gestapo, sondern zugleich die Geburtsstunde der Stasi. Für mich ist die Formulierung „Tag der Befreiung” kommunistische Propaganda, Sklavensprache, Unterdrückungssemantik, deswegen lehne ich sie ab.
Aber natürlich weiß ich, dass sie zugleich zutreffend ist. Der 8. Mai steht symbolisch für die Zerschlagung der NS-Diktatur; es war ein Tag der Befreiung für die überlebenden Häftlinge der Konzentrationslager, für die Juden, die irgendwo versteckt überlebt hatten, für die Völker, die unter den Nationalsozialisten gelitten hatten, für diejenigen Deutschen, die in Opposition zum Regime lebten.
Doch dieser Tag bedeutete eben nicht nur das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, sondern auch den Beginn von neuem Vertreibungsterror, von neuer Unterdrückung im Osten und der Teilung unseres Landes. Nur Zyniker oder Menschen mit politischen Interessen können angesichts der zwölf bis 14 Millionen Millionen Vertriebenen, von denen knapp zwei Millionen umkamen, sowie der folgenden Errichtung einer zweiten deutschen Diktatur in Mitteldeutschland den 8. Mai ohne jede Einschränkung als „Tag der Befreiung“ feiern.
In der alten Bundesrepublik herrschte lange ein antitotalitärer Konsens. Er wurde aber von Links systematisch durchlöchert und vereinseitigt. Mit jedem Jahr versuchten und versuchen deutsche Politiker, den 8. Mai in ein bisschen weiter in Richtung „Tag der Befreiung“ zu verschieben, bis nichts anderes von diesem Datum mehr übrigbleibt. Das inzwischen schwarz-rot regierte Berlin begeht den diesjährigen 8. Mai als Feiertag – ausgerechnet die Stadt, in der 1945 womöglich mehr Frauen von den Siegern vergewaltigt wurden als jemals irgendwo sonst binnen eines halben Jahres, und in der später die SED und das MfS ihre Hauptquartiere hatten. Natürlich weiß der Berliner Senat, in welch zwielichtige Tradition er sich mit dieser pauschalisierenden Befreiungsrhetorik stellte; darum tut er’s ja wohl. Die Kommunisten in der Sowjetischen Besatzungszone trieben den Teufel Nationalsozialismus mit dem Beelzebub Stalinismus aus. Der Antifaschismus war der Gründungsmythos und bei Lichte besehen die einzige Legitimation der SED-Genossen. Mit dem Anspruch, man habe einen „antifaschistischen“ Staat geschaffen, versuchte die SED-Führung zu bemänteln, dass sie eine Diktatur errichtet hatte. In der DDR war der „Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus“ deshalb der symbolpolitisch wichtigste Staatsfeiertag.
Es ist eine gewaltige, zutiefst sadistische Demütigung für ein Volk, welch verworfener Regierung es auch immer nachlief, welche Verbrechen in seinem Namen auch immer begangen wurden, ihm einen Tag als Feieranlass aufzunötigen, der dafür steht, dass seine Frauen und Töchter geschändet und seine Männer in die Gefangenschaft verschleppt wurden. Das Ergebnis kann nur Hass, Identifikationsauflösung oder kognitive Dissonanz sein.
Der 8. Mai ist der Tag des Endes der nationalsozialistischen Diktatur. Ein guter Tag für alle, die erlöst oder befreit wurden. Man soll ihn offiziell den Tag der Zerschlagung des Nationalsozialismus nennen. Punkt.
Wie sich die Kommunisten nach 1945 als Antifaschisten und Befreier darstellten, instrumentalisieren die Linken den 8. Mai als „Tag der Befreiung vom Faschismus“, um den neosozialistischen Umbau in Deutschland zu legitimieren. Viele Linke benutzen heute wieder das eigentlich noble Argument des Antifaschismus, um ihr autoritäres linkes Gedankengut in die Gesellschaft zu tragen. Wie man sieht, mit Erfolg.
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Wenn die Verlierer als Tag der Befreiung feiern, was die Sieger den Tag des Sieges nennen, ist der Tag der Befreiung der Tag des Wechsels auf die Seite der Sieger. Die daraus entstehende Zerrissenheit führt letztlich dazu – wir sind unter Deutschen –, dass die Verlierer sich mit den Siegern identifizieren und gegenüber den Toten in den Reihen der Sieger mehr Empathie empfinden – strenggenommen: es fingieren –, als gegenüber den Toten in den Reihen der eigenen Landsleute.
… Alles vom 8.5.2025 von Michael Klonovsky bitte lesen auf
https://www.klonovsky.de/2025/05/8-mai-2025/