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Pfarrer Michaelis zur Amtsenthebung: „Das ist offener Rechtsbruch“
Interview: Martin Michaelis will als Parteiloser auf der Liste der AfD in Quedlinburg zur Stadtratswahl antreten. Nun hat die Kirche den schon mehrfach sanktionierten Pfarrer demonstrativ auch seines letzten Amtes enthoben
Moritz Schwarz
Herr Pfarrer, wieso „begründen Sie ihren Menschenhaß ausgerechnet mit dem Evangelium“?
Martin Michaelis: Diese Behauptung ist ebenso unverständlich wie unverschämt. Ich wollte es zunächst gar nicht glauben, als ich das gelesen habe.
Das schreibt die „Zeit“ über Sie, laut der Sie der Vertreter einer Strömung in der evangelischen Kirche sind, die auf „einen Faschisten als Ministerpräsident“ und die „Auferstehung des deutschen Volkes“ hofft.
Michaelis: Was für Unsinn. Mir scheint, dieser Zeit-Autor leidet an Fieberphantasien.
Gibt es keine solche Strömung in der EKD?
Michaelis: Nein, ich kenne niemanden. Es mag einzelne geben, die so denken, das kann man nie ausschließen, aber eine wahrnehmbare Größe? Absurd!
Immerhin wollen Sie bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt am 9. Juni in Quedlinburg auf der Liste der AfD kandidieren.
Michaelis: Darauf bezieht sich die Zeit ja eigentlich, was ihr Faschismus-Gefasel jedoch nur um so bizarrer macht: Sogar den NS-Reichsbischof Ludwig Müller bietet das Blatt auf – welcher Zusammenhang zwischen ihm und mir, zwischen der NSDAP und der AfD besteht, wird allerdings nicht erklärt. Aber ich glaube, darum geht es auch gar nicht, sondern nur darum, die Partei und mich irgendwie in einem Atemzug mit dem Nationalsozialismus zu nennen. Vielleicht ist es ja als ein Lehrstück lupenreinen Framings gedacht, weil es so leicht zu durchschauen ist. Ich halte es jedoch für sehr gefährlich.
Warum?
Michaelis: Weil so der Eindruck entsteht, Reichsbischof Müller sei ungefährlich, ja harmlos gewesen – so wie ich. Übrigens haben mir vor wenigen Monaten Nachkommen eines Mitgründers der Bekennenden Kirche das Sakristeigebet ihres Vaters geschenkt – ausdrücklich als Würdigung meines Wirkens in den letzten wenigen Jahren. Sie kennen mich. Das ist wohl der entscheidende Punkt.
„Wo bitte setzt sich die AfD für Diskriminierung ein?“
Für Ihre Landeskirche – die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) – scheint ein Zusammenhang zwischen Müller und Ihnen allerdings nicht so abwegig zu sein: Wegen Ihrer Kandidatur hat sie Ihnen nun die Tätigkeit als Gemeindepfarrer untersagt.
Michaelis: Ja, obwohl Paragraph 35 des Pfarrdienstgesetzes erlaubt, bei Kommunalwahlen zu kandidieren. Deshalb hätte mich die Landeskirche sogar in Schutz nehmen müssen, da laut Paragraph 47 Pfarrer „gegen ungerechtfertigte Angriffe in Schutz zu nehmen sind, insbesondere gegen politisch motivierte Angriffe“. Meine Familie und ich sind in Quedlinburg nun einmal heimisch geworden, und ich möchte mich für die Stadt engagieren.
Aber warum auf der Liste der AfD?
Michaelis: Um die geht es mir weniger, sondern um das kommunale Mandat. Doch kamen zwei Bekannte auf die Idee, wir könnten hier etwas bewegen: Nun treten wir gemeinsam an – alle parteilos.
Hätten Sie also auch auf anderen Listen kandidiert?
Michaelis: Prinzipiell ja, doch habe ich mit der AfD viele Übereinstimmungen, etwa beim Schutz des ungeborenen Lebens, der Stärkung demokratischer Mitbestimmungsrechte der Bürger oder daß meine Klarstellung, im Falle meiner Wahl bin ich nur meinem Gewissen, nicht aber der Parteidisziplin verpflichtet, äußerst positiv aufgenommen wurde.
Warum treten Sie der AfD nicht bei?
Michaelis: Grundsätzlich trete ich keiner Partei bei. Unabhängigkeit ist gerade in meinem Beruf wichtig.
„Parteiloser tritt in Kleinstadt zur Kommunalwahl an“ – Pardon, aber unbedeutender geht es doch kaum.
Michaelis: Um so absurder die Reaktion: Kaum hatte ich meine Kandidatur erklärt, teilte die EKM öffentlich mit, ich sei mit sofortiger Wirkung des Amtes enthoben, was in den Gemeinden und darüber hinaus natürlich sehr viele bemerkten. Der Superintendent höchstpersönlich überbrachte mir das entsprechende Schreiben, und wie wichtig ihm meine Bestrafung war, zeigt auch, daß er mir, obwohl das Verbot erst anderentags in Kraft trat, mit Verweis auf seine Weisungsbefugnis ab sofort verbot, mein Amt als Pfarrer auszuüben. So durfte ich selbst im schon vorbereiteten Abendgottesdienst nicht mehr predigen, zur Enttäuschung seiner Besucher – einige erzählten mir, daß sie deshalb gleich gegangen seien.
Wußten Sie denn, was auf Sie zukommt?
Michaelis: Nun, der Auftritt des Superintendenten hat mich insofern überrascht, als das Landeskirchenamt auf meine Ankündigung einer Kandidatur Mitte Februar gar nicht reagiert hat. Der Kreiskirchenrat dagegen teilte mir schriftlich mit, sollte ich das wahrmachen, würde ich mein Amt verlieren.
Warum haben Sie es dennoch getan?
Michaelis: Erstens, ganz einfach: Weil ich es darf. Denn die Rechtslage ist klar, ich nehme ein von Grundgesetz und Landesverfassung garantiertes Recht wahr. Zweitens, weil ich es unverfroren finde, wenn mir jemand mein Recht nehmen will. Die kirchliche Gesetzgebung räumt der Kirchenleitung, egal welcher Ebene, keinen Ermessensspielraum ein, sie hat dies schlicht zur Kenntnis zu nehmen. Ich hatte daher auch Zweifel, ob sie tatsächlich Ernst machen würden oder es bloß ein Einschüchterungsversuch war. Und wie sie nun weiter damit umgehen wollen, ist mir schleierhaft. Denn dies ist ein Rechtsbruch, bei dem ich keinesfalls mitwirken werde, auch nicht durch Gehorsam wider besseres Wissen. Zudem meine ich, daß die Ächtung der AfD, insbesondere ihren Mitgliedern den christlichen Glauben abzusprechen, nicht gerechtfertigt ist.
Warum nicht?
Michaelis: Weil es dafür keinerlei substantielle und gerichtlich bestätigte Begründung gibt. Und es widerspricht der Zwei-Reiche-Lehre Luthers, wonach die Aufgabe der Kirche in der geistlichen Verkündigung liegt und sie sich nicht in die Aufgaben des Staates zu mengen hat. Woran ich mich übrigens immer gehalten habe – denn nie habe oder würde ich etwa auf der Kanzel Werbung für eine Partei machen oder vor einer Partei namentlich warnen. Deshalb kritisiere ich auch, daß der Superintendent von Halberstadt die Kanzel für Reden ausdrücklich gegen die AfD mißbraucht.
Aber Sie wollen doch nun selbst in die Politik.
Michaelis: Ja, doch nicht als Pfarrer, sondern als Privatmann und Bürger.
„Es ist zwar im Kircheninteresse, daß Pfarrer sich politisch engagieren“, so die EKM in einer Erklärung zu Ihrer Suspendierung, „dies gilt aber nicht für Parteien mit verfassungsrechtlich fragwürdigen Positionen.“
Michaelis: Das ist ebenso an den Haaren herbeigezogen wie die Behauptung der Zeit, ich stünde „am Rand oder gar außerhalb des verfassungstreuen Spektrums“. Gibt es für all diese Unterstellungen eigentlich irgendwelche Belege?
„Wir können uns nicht neutral verhalten, wenn Menschen ausgegrenzt, verachtet, verfolgt oder bedroht werden“, begründete Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD – zu der die EKM gehört – den Kurs.
Michaelis: Bedrohen, verachten und ausgrenzen? Nun, das ist genau das, was die EKM mit mir macht – und sie merkt es nicht! Da fällt mir eine Aussage Martin Luthers ein: „Wen Gott recht strafen will, den macht er zuerst blind.“ Wohin soll dieser Umgang mit Menschen anderer Meinung führen?
Unlängst hat sich die EKD und damit auch die EKM dem Bündnis „Zusammen für Demokratie“ angeschlossen, um „für eine vielfältige, freie, offene Gesellschaft … das Recht auf gutes, friedliches Leben … und gegen jede Form von Diskriminierung durch Rechte“ zu kämpfen.
Michaelis: Im Klartext, gegen die AfD! Es fällt mir schwer, all diese Vorwürfe zu entkräften – weil ich nämlich nichts erkennen kann, was sie bekräftigt: Wo bitte setzt sich die AfD gegen Freiheit, Frieden, ein gutes Leben oder für Diskriminierung ein? Liest man nach, wofür sie eintritt, dann ist vielmehr genau das Gegenteil der Fall!
„Undemokratisch, unchristlich und menschlich enttäuschend“
Sie kennen doch die Vorwürfe: Menschenfeindlichkeit, Sexismus, Antisemitismus, Rassismus etc.
Michaelis: Eine kritische Haltung etwa zu ungeregelter Einwanderung hat nichts mit Menschenfeindlichkeit, gar Rassismus zu tun. Die Behauptung der letzten Wochen, die AfD wolle jeden Nichtdeutschen „deportieren“, Menschen „nach rassischen Kriterien“ sortieren und „vertreiben“, haben sich als unwahr herausgestellt. Persönlich mir bekannte AfD-Mitglieder etwa wünschen sich nur, daß die Dinge wieder korrekt nach Recht und Gesetz verlaufen. Nein, das ist üble Nachrede und Framing, um zu tun, was man als Christ auf gar keinen Fall tun soll, andere auszugrenzen! Vor allem aber entmündigt man die Menschen subtil, da so ihr Wahlverhalten beeinflußt werden soll – diese Aufgabe steht wirklich in keiner Kirchenverfassung.
Kann man aber nicht zu Recht argumentieren: Die AfD widersetzt sich, jeden aufzunehmen – was das christliche Gebot der Nächstenliebe jedoch gebietet.
Michaelis: Nein, das ist vollkommen falsch.
Warum?
Michaelis: Weil der christliche Glaube kein politisches Programm ist und seine Instrumentalisierung per se genannter Zwei-Reiche-Lehre widerspricht.
Unpolitisch ist die Bibel allerdings nicht, sie verlangt durchaus ein bestimmtes Verhalten etwa gegenüber Armen und Hilfsbedürftigen und unterscheidet so durchaus zwischen guter und schlechter Herrschaft – beziehungsweise Politik, wie wir heute dazu sagen.
Michaelis: Ja, indem die Kirche das Gewissen der Politiker schärft, nicht aber, indem sie eine ganz konkrete Politik verlangt: Natürlich soll die weltliche Macht vom christlichen Geist inspiriert sein, doch wie sie ihn politisch umsetzt, ist ihre Sache. Übrigens ist dies getrennt zu haben eine wichtige Errungenschaft des Abendlandes aus der Zeit der Reformation, die beide schützt, den Staat und die Kirche, und die zugleich in die Schranken weist! Und auf eben dieser Grundlage habe ich mich zum Beispiel während der Corona-Zeit öffentlich engagiert, als ich die negativen Folgen der Corona-Maßnahmen für die Menschen kritisiert, nicht aber der Regierung die richtige Politik diktiert habe.
Mit diesem Einsatz haben Sie bereits 2021 Bekanntheit erlangt. Der „Spiegel“ zitierte Sie damals so: „Wer hier Angst hat, hat das richtige Gespür und ist richtig im Kopf.“ Und auch dafür wurden Sie schon bestraft.
Michaelis: Es war der Spiegel, der das erst richtig in Gang setzte, denn er erwähnte mich in ein- und demselben Text mit Tommy Frenck.
Wer?
Michaelis: Das habe ich mich auch gefragt. Laut Spiegel ein Gastwirt aus Hildburghausen, der „Führerschnitzel“ für 8,88 Euro verkauft. Ich kenne ihn nicht und habe auch nie ein Führerschnitzel bestellt, serviert bekommen, gegessen etc.
Hat der „Spiegel“ denn eine Beziehung zwischen ihm und Ihnen hergestellt.
Michaelis: Nein.
Wo liegt dann das Problem?
Michaelis: Es hieß, es reiche, daß ich in einem Text auftauche, in dem auch Herr Frenck vorkommt, um untragbar zu sein. In der Folge wurde ich aus meinem Amt als Vorsitzender der Gesamtvertretung der VELKD vertrieben …
… also der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, einem konfessionellen Verband innerhalb der EKD …
Michaelis: … und kurz darauf auch aus dem Vorsitz der Pfarrvereine. Zudem wurde ich nicht mehr für die Dienstrechtliche Kommission der EKD vorgeschlagen, in der ich bis dato Mitglied war. Und schließlich setzte man ein Disziplinarverfahren gegen mich in Kraft, das bis heute anhängig ist. Ich habe also bereits damals fast alle Ämter verloren. Obwohl die von „Multipolar“ erklagten RKI-Akten belegen, daß ich mit allem damals von mir Gesagtem richtiglag. Dieses umfassende Strafgericht gegen mich war schon damals ein eigentlich unfaßbarer Vorgang.
Warum?
Michaelis: Weil es ein Maß an Intoleranz und antidemokratischer Gesinnung offenbart, das all die hochheiligen Beteuerungen der demokratischen und christlichen Werte, die ständig beschworen werden und verteidigt werden sollen, hohnspricht.
Was ist die Ursache dafür?
Michaelis: Die Kirche scheint gar nicht zu bemerken, daß sie trotz der historischen Erfahrung erneut einer Ideologie auf den Leim geht. Augenfällig wird das etwa, wenn sie den Gemeinden Banner mit der Aufschrift „Unsere Kreuze haben keine Haken“ anbietet, um sie an Kirchtürmen oder vor ihren Kirchen zu hissen. Dazu muß man wissen, daß die EKD 1947, nach der Erfahrung des Nationalsozialismus, als an vielen Kirchen Hakenkreuzfahnen wehten, beschloß, fortan sei ausschließlich die – 1919 entstandene und 1926 offiziell eingeführte – Kirchenfahne der EKD mit dem bekannten lilafarbenen Kreuz auf weißem Grund zu zeigen. Diese Flaggenverordnung gilt bis heute und soll eigentlich gerade das unmöglich machen, was nun wieder geschieht, daß die evangelische Kirche sich öffentlich in den Dienst einer Ideologie und einer Regierung stellt!
Die offiziellen Strafmaßnahmen gegen Sie sind eine Sache, wie aber ist der persönliche Umgang mit Ihnen?
Michaelis: Leider auch enttäuschend und alles andere als demokratisch und christlich. Glauben Sie nicht, man hätte je das Gespräch mit mir gesucht, versucht, meinen Standpunkt zu verstehen, meine Argumente zu wägen. Und so war es auch schon 2021. Ein weiteres Beispiel ist, daß schon vor sechs Monaten – also lange vor Ankündigung meiner Kandidatur auf der AfD-Liste – über mich ein Predigt- und Kasualverbot in Quedlinburg verhängt wurde. Das zeigt den Umgang mit Andersdenkenden, zuerst mit Gemeindegliedern, die mich in Anspruch nehmen möchten, aber auch mit mir selbst.
Wie ist all das zu erklären?
Michaelis: Nun, man will die Demokratie verteidigen – mit undemokratischen Mitteln. Und man bemerkt den Widerspruch nicht einmal! Ebenso absurd ist es, zur „Rettung der Demokratie“ hier im Osten den Ausschluß eines Drittels der Wähler aus dem politischen Diskurs zu fordern. Dabei spricht man den Menschen sowohl das moralische Recht als auch die Fähigkeit ab, sich eine eigene Meinung zu bilden, entmündigt sie also – zur „Rettung der Demokratie“. Und nicht nur das, auch ihr rechter Glaube wird ihnen abgesprochen: Man muß sich das vorstellen, im Grunde werden politisch Andersdenkende zu Ungläubigen erklärt! In unserer Kirche, der EKM, soll durch Synodenbeschluß demnächst festgezurrt werden, daß AfD-Mitglieder und sogar -Unterstützer nicht in Gemeindekirchenräte gewählt werden können. Das alles zeigt, daß wir es nicht, wie behauptet, mit Werten zu tun haben, sondern mit Ideologie! Und im Grunde wiederholt sich auch die alte Problematik des Verhältnisses zwischen Kirche und weltlicher Macht. Denn wenn wir die Zwei-Reiche-Lehre in unsere Gegenwart übersetzen, dann ist wichtigster Teil des weltlichen Regiments heute das Volk – ein jeder mit seinem gottgegebenen und hoffentlich wachen Gewissen –, das in der Demokratie ja der Souverän ist. Dem aber darf die Kirche nicht „ins Handwerk pfuschen“, wie Luther gemahnt hat, auch nicht bei einer Wahl. Und tut sie es doch, so ist das nicht etwa die Verteidigung, sondern der Angriff auf die demokratische Volksherrschaft.
… Komplettes Interview von Moritz Schwarz mit Pfarrer Martin Michaelis vom 5,4,2024 bitte lesen in der JF 15/24, Seite 3
https://www.junge-freiheit.de
Martin Michaelis: Der Physiklaborant und Theologe, geboren 1961 in Jena, war Pfarrer in Altenburg, Steinach und von 2017 bis zur Suspendierung in Gatersleben/Seeland bei Quedlinburg