Heidegger – Schwarze Hefte

Die Veröffentlichung der drei Bände 94-96 der Gesamtausgabe von Martin Heidegger (1889-1976) – „Schwarze Hefte“ bzw. Vermächtnis genannt – polarisiert: Denn in den von Peter Trawny herausgegebenen Aufzeichnungen bis 1941 geht Heidegger nicht, wie bisher angenommen, auf Distanz zum Nationalsozialismus. Im Gegenteil, einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts philosophierte antisemitisch.
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Eine sehr schmerzhafte Bedeutung

Die Manuskripte der „Schwarzen Hefte“ sind in ihrer Gedankendichte einzigartig. Ihre Entstehung erstreckt sich über 40 Jahre. Ich würde behaupten, dass solch ein Manuskript in der deutschen Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts einzigartig ist. Die Frage, warum er die antisemitischen Stellen nicht gestrichen hat, ist schwer zu beantworten. Vielleicht wollte er alles so belassen, weil er meinte, dass auch Irrtümer zu seinem Denken gehören. Vielleicht hat er die Stellen nicht für antisemitisch gehalten. ….
Komplettes Interview von Bettina Schulte mit Herausgeber Peter Trawny, der am 19. März in der Kirchzartener Rainhofscheune die Bände vorstellt, vom 18.3.2014 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/kultur-sonstige/eine-sehr-schmerzhafte-bedeutung–81997021.html.
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Martin Heidegger, der verblendete Prophet
Über die Vollendung der Neuzeit und das barbarische Prinzip: Diese Würdigung der „Schwarzen Hefte“ durch den Freiburger Philosophen Rainer Marten nimmt den Antisemitismus Heideggers nicht isoliert in den Blick, sondern bettet ihn ein in den seinsgeschichtlichen Entwurf des Messkircher Denkers, der im Nationalsozialismus vorübergehend die Vollendung der Neuzeit im barbarischen Prinzip sah. Marten ist seit 1949 mit dem Verfasser von „Sein und Zeit“ befasst – und versteht sich als Anwalt des (einzelnen) Menschen gegen den Propheten.
Alles zu „Der verblendete Prophet“ von Rainer Marten vom 22.3.2014 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/literatur-rezensionen/martin-heidegger-der-verblendete-prophet–82140280.html

Martin Heidegger: Gesamtausgabe.
Bd 94: Überlegungen II-VI (Schwarze Hefte 1931-1938). 563 S., 68 Euro.
Bd 95: Überlegungen VII – XI (Schwarze Hefte 1938/39) 456 S., 48 Euro.
Bd 96: Überlegungen XII- XV (Schwarze Hefte 1939- 1941). 286 S., 37 Euro. Hrsg. von Peter Trawny, Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2014.

 

Genie und Wahnsinn schließen sich so wenig aus wie Genie und Antisemitismus
Den Antisemitismus Heideggers zu klassifizieren, indem man versucht, ihn als akademischen, philosophischen oder dem Zeitgeist unterworfenen Antisemitismus zu interpretieren, ist ebenso zum Scheitern verurteilt als würde man versuchen, einen Vulgärnationalsozialismus und einen „geistigen“ NS zu differenzieren. Heideggers Antisemitismus kann sich lediglich im Schaden unterscheiden, den Menschen mit derartiger Gesinnung anrichten. Hier eine philosophische Variante herauszulesen, wäre eine rein euphemistische Inszenierung. Heidegger gilt unter seinesgleichen als philosophischer Halbgott. Bei Menschen, die seinen philosophischen Ergüssen keinen praktischen Nutzen abgewinnen können, wird er entweder als normaler Bürger betrachtet oder, wie es Thomas Bernhard in einer mehrseitigen Abhandlung über Heidegger tat, als „Voralpenschwachdenker“. Letzterer Klassifikation würde ich eine weitere hinzufügen, nämlich: Charakterlosigkeit. Herbert Marcuse warf Heidegger vor, niemals zu seinen Handlungen Stellung bezogen zu haben. Die gleiche Charakterlosigkeit hat auch ein Grass, ein Schleyer oder ein Eggebrecht an den Tag gelegt, Menschen also, bei denen man eine gewisse Intelligenz vermuten würde. Und im Falle Heideggers scheint so etwas wie eine gespaltene Persönlichkeit vorgelegen zu haben. Die Bemerkung Trawnys, man „müsse durchdenken, was die antisemitischen Passagen für eine Bedeutung haben“ halte ich nicht nur für naiv, sondern für überflüssig. Antisemitismus ist immer ein Zeichen von Borniertheit. Genie und Wahnsinn schließen sich so wenig aus wie Genie und Antisemitismus. Heideggers Antisemitismus, den er durch hirnloses Nachplappern von Stereotypen erwarb, erfordert daher keine neuen Denkansätze.
28.3.2014, Michael Weiss, Freiburg

Sein Denken ist beides – Rettendes und Gefahr
Wer einen Hügel aufwirft, gräbt auch ein Loch, in das er zuweilen selbst hineinfällt. So geschehen auf dem Feld des Denkens bei Martin Heidegger, der jetzt wieder – ausgelöst durch die Veröffentlichung der „Schwarzen Hefte“ – in der Kritik steht. Weltweit haben Philosophinnen und Philosophen – auch der Schreiber dieser Zeilen gehört dazu – versucht, diesen Denkhügel zu besteigen und ihre Auseinandersetzung mit Heidegger hat ihn noch weiter wachsen lassen. Heideggers Denken prägte und prägt die Philosophie, das heißt, dass zumeist auch noch die Kritiker in ihrer Ablehnung seines Denkens von diesem Denken her bestimmt sind. Irgendwie also hockt die ganze Philosophenzunft auf Heideggers Denkhügel. Die einen preisen die Höhe, auf der sie stehen und rufen Heideggers Botschaften hinaus in die Welt, die anderen rufen auch, aber mahnend, und zeigen hinab in die Abgründe, die sich unter ihnen auftun. Beide Fraktionen verdanken Heidegger ihre erhobene Position und ihre Aussicht und beide haben natürlich Recht mit ihren philosophischen Unternehmungen. Heideggers Denken ist eines, das es vermochte, sich vom Mittelmaß weg in beide Richtungen zu katapultieren, nach oben und nach unten. Geht so was? Ja, das geht. Heidegger war einer der mächtigsten Philosophenzauberer, und sein Denken – um es in Anspielung auf seine Hölderlin-Interpretation zu sagen – ist beides, es ist „Rettendes“ und es ist „Gefahr“.
28.3.2014, Klaus Scherzinger, Glottertal

Wie kann ein Mann dieser Intelligenz so dumm sein?
Der völkisch-arisch geprägte Philosoph Heidegger wird und wurde von vielen zu hoch eingeschätzt. Wie kann ein Mensch, der die „Macht des Denkens“ verkörperte und glaubte, seinen Mitmenschen die Welt erklären zu müssen, indem er ihnen mit „Letztbegründungen“ das Sein erläuterte – wie kann ein Mann dieser Intelligenz gleichzeitig so dumm, so stupide und geistig so brutal sein, die Ideen einer NSDAP nicht nur gut zu heißen, sondern der Partei 1933 freiwillig beizutreten . Ebenfalls 1933 wurde er (in Abwesenheit der jüdischen Professoren) an der Freiburger Uni zum Rektor gewählt und wollte den „Arbeitsdienst, Wehrdienst und Wissensdienst“ bei seinen Untergebenen und Studenten einführen. Bei seiner Antrittsrede sprach er von der „Größe und Herrlichkeit dieses Aufbruchs“ (das war politisch gemeint) und gleichzeitig wurden woanders in Deutschland Bücher verbrannt … und es brannten auch Synagogen, jüdische Geschäfte und zum Schluss die Juden selbst. Trotzdem blieb Heidegger diesem eigenartigen Aufbruchsglauben treu, schrieb fleißig seine „Schwarzen Hefte“ voll und hielt sie bis zu seinem Tod unter Verschluss. So wurden uns wahrscheinlich (schreckliche) Durchhalte- und Siegesparolen, viel Deutschtümelei, viel philosophisches Gewäsch über das metaphysische Volk der Deutschen erspart.
28.3.2014, Klaus G. Hofe, Freiburg

 

Martin Heideggers Vermächtnis sind sie genannt worden: Die eben erschienenen drei Bände der Gesamtausgabe seiner Werke, die die sogenannten Schwarzen Hefte des Freiburger Philosophen öffentlich machen. Es sind Aufzeichnungen aus den 1930er Jahren, in denen Heidegger (1889-1976) nicht – wie bisher angenommen – auf Distanz zum Nationalsozialismus geht. Im Gegenteil. Bettina Schulte sprach mit dem Herausgeber Peter Trawny, der am 19. März in derKirchzartener Rainhofscheune die Bände vorstellt.

Zu: „Eine sehr schmerzhafte Bedeutung“,
BZ-Interview mit dem Philosophen und Herausgeber Peter Trawny von Bettina Schulte vom 18.3.2014 auf
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Armes Jahrhundert der Holzwege
Peter Trawny berichtet darüber, dass uns Heidegger in seinen „Schwarzen Heften“ als ein überzeugter Nationalsozialist entgegentritt. Ole Haldrup hat diesen Befund, der in bedrückender Weise bestätigt, was wir schon aus anderen Verlautbarungen des Philosophen wussten, in folgendem Fünfzeiler verdichtet: Martin Heideggers Überlegung/bringt noch heut unsern Geist in Erregung. / Spricht in völliger Klarheit/von der „inneren Wahrheit/und Größe“ der Hitler-Bewegung. Der Limerick bezieht sich auf Heideggers Vorlesung „Einführung in die Metaphysik“ von 1935, in der er von der „inneren Wahrheit und Größe des Nationalsozialismus“ sprach. Als 1953 ein Neudruck anstand, rieten ihm seine Schüler, diese Wendung zu streichen. Daraufhin fügte Heidegger folgende Änderung ein: „mit der inneren Wahrheit und Größe der Bewegung“. Und er setzte als Erklärung hinzu: „nämlich mit der Begegnung der planetarisch bestimmten Technik und des neuzeitlichen Menschen“. Als Rektor der Universität Freiburg hat er aus eigenem Antrieb allen Professoren den Hitlergruß vor und nach der Vorlesung vorgeschrieben. Trotzdem bleibt er für Trawny „einer der größten Philosophen des 20. Jahrhunderts“. Da kann man nur sagen: Armes Jahrhundert der Holzwege!
28.3.2014, Prof. Dr. Rudolf Happle, Freiburg
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Die Verjudung unserer Kultur und Universitäten ist schreckenerregend
Heidegger schrieb am 18. Oktober 1916 an seine Frau: „Die Verjudung unserer Kultur und Universitäten ist allerdings schreckenerregend und ich meine die deutsche Rasse sollte noch so viel innere Kraft aufbringen, um in die Höhe zu kommen. Allerdings das Kapital“. 1933 als Rektor der Uni Freiburg führte er ohne Widerstand das Gesetz zur „Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums“ aus. Jüdische Mitarbeiter der Universität wurden entlassen. Auch als später der „Freund“ Engelbert Krebs entlassen wird, findet Heidegger kein Wort dazu. Zur Beerdigung seines Lehrers Husserls ging er auch nicht. Braucht es mehr, um „fanatischen rassistischen Antisemitismus“ zu zeigen, in Wort und Tat?
Nach dem Krieg erleidet Heidegger selbst einen Nervenzusammenbruch, als er nicht mehr lehren durfte. Auf den Gedanken, dass er 1933 den Kant’schen Imperativ gröblich verletzt hatte, kam er wohl nicht. Wenn nun noch seine Auslassungen zur Universität im Allgemeinen betrachtet werden, in denen er der Universität in Deutschland dringenden „völkischen“ Reformbedarf und das „Führerprinzip“ empfiehlt, fehlt es nicht wirklich zum „volksverhetzenden“ Ideologen. Er schrieb durchaus über die „NS-Ideologie“, aber nicht im „kritischen Sinn“ (wie Lütkehaus schreibt), sondern er kritisiert die Spießigkeit der Nazis. Der Egomane vergaß völlig, dass die Universität nicht nur aus Philosophen besteht. Bis in die 30er Jahre sammelten deutsche Chemiker, Mediziner und Physiker über 30 Nobelpreise. Viele der Ausgezeichneten lehrten an deutschen Universitäten. Im Gegensatz zu einigen dieser Kollegen, überlebte Heidegger unbeschadet, behielt sein Haus am Rötebuck, seine Hütte in Todtnauberg, niemand seiner Familie endete in Exil oder Gaskammer. In seinen Briefen findet sich kein Wort von Einsicht oder Reue.
30.4.2014, Werner Heiland, Endingen

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Acht Tatsachen widerlegen seinen angeblichen Antisemitismus

Der angebliche Antisemitismus Martin Heideggers wird durch folgende Tatsachen widerlegt:

1. Die Jugendfreundin von Elfride Heidegger, die Halbjüdin Elisabeth Blochmann, wurde auch Freundin und Geliebte von Heidegger und blieb Freundin des Ehepaars bis zu ihrem Tod. Bei ihrer Emigration 1933 bekam sie durch Heideggers Vermittlung eine Stelle in England.

2. Edmund Husserl, ein Jude, war von 1919 bis 1933 väterlicher Freund von Martin Heidegger. Auf den vielen Fahrten von Marburg nach Todtnauberg und zurück übernachtete die Familie Heidegger jeweils in der Lorettostraße in Freiburg bei Husserls. Die Aufkündigung der Freundschaft geschah im Mai 1933 durch das Ehepaar Husserl, das erkannt hatte, dass Heidegger nicht Husserls Phänomenologie fortführte, sondern eigene Denkwege ging. Heidegger hatte als frisch gewählter Rektor als erste Maßnahme dafür gesorgt, dass die von seinem Vorgänger Professor Sauer durchgeführte Beurlaubung der vier jüdischen Dozenten der Philosophischen Fakultät mit badischem Regierungserlass vom 28. April 1933 wieder aufgehoben wurde. Husserl bekam noch im Sommersemester 1933 über das Rektorat Heidegger auf dem Dienstweg die Mitteilung, dass er wieder lesen dürfe.

3. Der Halbjude Werner Brock blieb Assistent Heideggers bis September 1933, als er durch Unterstützung Heideggers eine Stelle in England bekam. Solange Heidegger Rektor war, konnte der jüdische Professor und Klinikdirektor Thannhauser an der Universität gehalten werden.

4. Heidegger verbot die von den Nationalsozialisten geplante Bücherverbrennung. Die Bücher Husserls blieben unangetastet im Philosophischen Seminar.

5. Die enge Freundschaft mit dem jüdischen Ehepaar Szilasi dauerte von 1919 bis zum Tod von Wilhelm Szilasi 1966 und wurde mit Lily Szilasi noch bis zu deren Tod weitergeführt.

6. Als sein jüdischer Schüler Karl Löwith, der in Marburg hin und wieder die Kinder Heideggers gehütet hatte, ihn nach dem Krieg zum ersten Mal wiedersah, umarmte er seinen Lehrer und blieb ihm seither freundschaftlich verbunden.
7. Hannah Arendt, seine jüdische Schülerin und Geliebte aus Marburger Tagen, nahm ab 1950 wieder eine freundschaftliche Beziehung zu Heidegger auf. Sie besuchte das Ehepaar Heidegger im August 1975 zum letzten Mal, bevor sie im Dezember 1975 starb.

8. In den „Schwarzen Heften“ sind Bemerkungen zum Judentum eher randständig und leiten sich ab aus der Kritik am neuzeitlichen Menschentum. Diese betrifft ebenso den römischen Katholizismus, den Amerikanismus und Bolschewismus, ferner Technik, Wissenschaft und Universität und nicht zuletzt den Nationalsozialismus.

Anstatt sich von Verunglimpfung, Schlagworten und Begriffsungeheuern beirren zu lassen, möge sich der geneigte Leser von Heideggers Schriften selbst ein Urteil bilden.
17.7.2015, Dr. Hermann Heidegger, Stegen

 

Philosophie lebt von der Diskussion – Freiburger Tagung

Zu: „Mit Heidegger auf dem Holzweg – Eine Freiburger Tagung beschäftigte sich mit dem Philosophen“, Beitrag von Eggert Blum (Kultur, 12. Dezember):
https://www.badische-zeitung.de/literatur-und-vortraege/mit-heidegger-auf-dem-holzweg–115105047.html

Wenn man den Bericht über die Tagung liest, findet man nur negative Beschreibungen nicht nur der Schwarzen Hefte, sondern auch der gesamten Heidegger’schen Philosophie. Es liegt mir fern, manche Einstellungen Heideggers zu beschönigen. Aber es bleibt die Frage, inwieweit die für viele von uns unverständliche und zu verurteilende Haltung Heideggers zum Nationalsozialismus (die sich ja auch geändert hat) und zum Judentum sein gesamtes Werk kontaminiert hat. Darauf wurde auf dieser Tagung offensichtlich keine überzeugende Antwort gefunden. Insgesamt schildert der Verfasser des Artikels nur eine Ansammlung von negativen Urteilen, die sich auch auf das gesamte Werk Heideggers beziehen. Selbst die Berechtigung, ein Philosoph zu sein, wird Heidegger von einem Teilnehmer abgesprochen.
Von Rüdiger Safranski, ein besondereren Kenner von Heideggers Werk, wird eine Kontaminierung der Schriften von Heidegger, insbesondere hinsichtlich des Buches „Sein und Zeit“, verneint.

Philosophie lebt, wie die Politik, von unterschiedlichen Meinungen, von der Diskussion. Diese ist schlecht möglich, wenn es nur eine Meinung mit verschiedenen Schattierungen gibt, wie es hier dargestellt ist.
2.1.2016, Eckard Ulrich, Kirchzarten

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Das Tagungsergebnis kommt einem philosophischen Armutszeugnis gleich

„Alles muss jetzt neu gelesen werden“, Eggert Blum, 19.1.2016
https://www.badische-zeitung.de/kultur-sonstige/alles-muss-jetzt-neu-gelesen-werden–116306321.html

Das Ergebnis der zweiten Tagung zu Martin Heideggers Schwarzen Wachstuchheften an der Universität Freiburg kommt einem philosophischen Armutszeugnis gleich, das die Referenten und allen voran der Initiator dieser Tagung sich selbst ausstellen. Es ist der Versuch, Heideggers zweiten Ausarbeitungsweg der Seinsfrage, das seins- oder ereignisgeschichtliches Denken, das 1931 einsetzt, ideologisch zu verdächtigen.
Es sind die wenigen und auch knapp gehaltenen Textpassagen, die einen kritischen Blick auf das Judentum werfen, sofern auch dieses vom rechnenden Denken der neuesten Neuzeit, das heißt der Moderne, bestimmt wird. Diese Textstellen wecken bei jenen Referenten den Verdacht, dass deren kritische Haltung den Quellgrund für das seinsgeschichtliche Denken bilden, sodass das gesamte seinsgeschichtliche Denken antisemitisch sei. Dazu lese man jedoch die „Beiträge zur Philosophie (vom Ereignis)“, S. 163, „Der reine Blödsinn…“.
Man wird davon ausgehen dürfen, dass jene Ahnungslosen die seinsgeschichtlichen Abhandlungen, allen voran die „Beiträge zur Philosophie (vom Ereignis)“, kaum oder gar nicht studiert haben, weil sie zu diesen keinen Zugang fanden. Seit dem Erscheinen der „Beiträge“ (1989) habe ich selbst in meinen Freiburger Lehrveranstaltungen dieses Werk, und nicht nur dieses, Satz für Satz mit meiner international zusammengesetzten Studentenschaft phänomenologisch und systematisch durchgearbeitet: phänomenologisch in der gewandelten Blickstellung und systematisch, indem wir dem Wandel des transzendental-horizontalen Gefüges der Seinsfrage von „Sein und Zeit“ in das ereignisgeschichtliche Gefüge schrittweise nachgegangen sind. Aus dieser gemeinsamen Arbeit ist eine Reihe sehr guter Dissertationen hervorgegangen. Von hier aus gesehen, erhält die Tagungsparole „Alles muss jetzt neu gelesen werden“ eine andere Ausrichtung: Die Texte seit 1931 müssen nun endlich im Mitgang mit ihrer eigenen denkerischen Intention, nicht aber mit vorgefassten Vorurteilen gelesen und erarbeitet werden. Leider hat der Zeitungsartikel in der BZ die philosophisch aufgeschlossenen Bürger Freiburgs, von denen viele meine Gasthörer waren, mit dem absurden Fehlurteil, Heidegger habe eine antisemitische Philosophie geschaffen, völlig in die Irre geführt.
29.1.2016, Prof. Dr. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Freiburg
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