Kann im Dialekt anspruchsvoll gedichtet werden? Lassen sich die Begriffe „literarisches Schaffen“ und „Mundart“ wirklich zur Deckung bringen? Diese Fragen, die eine gewisse Minderwertigkeit der Mundart stillschweigend unterstellen, sind genau so unsinnig, wie die Frage, ob Mundart zur Kommunikation taugt. Mundart ist natürlich eine vollwertige Sprache, die die gleichen Möglichkeiten in sich birgt, wie die Hochsprache. Schon vor 200 Jahren hat der Dichter Johann Peter Hebel, ein Glücksfall fürs Alemannische, den Beweis dafür erbracht. Er sorgte damals dafür, dass seine alemannischen Gedichte selbst in angesagtesten literarischen Kreisen Beachtung und Anerkennung fanden. In den vergangenen 50 Jahren waren weit über hundert Autorinnen und Autoren im alemannischen Teil Badens aktiv, von Rastatt über Lörrach bis nach Konstanz – viele von ihnen sind es bis heute. Aber nur wenige finden über ihren engeren Kreis hinaus Gehör und Anerkennung.
In den 60er Jahren fand sich ein Kreis zusammen, der versuchte mit solider Dichtkunst das Prestige der Mundart zu fördern. Hubert Baum, Karl Kurrus, Philipp Brucker und Gerhard Jung gehörten hier dazu. Damit ihnen das besser gelingt, gründeten sie die Muettersproch-Gsellschaft, die zunächst als Sprachrohr der alemannischen Dichter fungierte, später den alemannischen Sprachgebrauch im Ganzen förderte. Kurrus, Brucker, Jung und andere erreichten mit zahlreichen Veröffentlichungen ein Publikum weit über ihre Herkunftsorte hinaus. Vom Bodensee aus errang Bruno Epple große Anerkennung, später erarbeiteten sich Walter Fröhlich aus Singen und Rosemarie Banholzer aus Konstanz mit heiteren Themen eine Fangemeinde. Auch Werner Richter (Grenzach-Wyhlen) und Liesel Meier, das „Breite-Lieseli“ (Kandern) traten in dieser Zeit aufs öffentliche Parkett.
Schon in den 70er Jahren machte man sich aber Sorgen um den Fortbestand des literarischen Schaffens im Alemannischen. Im Jahr 1974 schrieb die Muettersproch-Gsellschaft deshalb einen Wettbewerb für junge Autorinnen und Autoren aus, aus dem einige Talente hervorgingen, die bis heute aktiv sind und die lange Zeit als Vertreter der „Jungen Mundart“ gehandelt wurden. Autoren wie Markus Manfred Jung, Johannes Kaiser und der Liedermacher Uli Führe, alle aus dem Dreiländereck, sowie Wendelinus Wurth aus der Ortenau und der Kabarettist Martin Schley aus Freiburg traten erstmals in Erscheinung. Als Vertreter einer jungen, rebellierenden Generation näherten sich diese dem literarischen, mundartlichen Schaffen im experimentellen Umgang mit Form und Thematik. Und sie hatten Erfolg damit: Ihr literarisches Können wurde mit diversen Preisen belohnt, einige von Jungs und Wurths Gedichten wurden in andere Sprachen übersetzt.
Doch inzwischen nähern sich die Vertreter der „Jungen Mundart“ dem Rentenalter. Auch weitere Autoren, wie Inge Tenz, Hanspeter Wieland, Stefan Pflaum und Carola Horstmann, die sich in den vergangenen Jahren mit ausgefeilter und anspruchsvoller Literatur einen Namen machten, sind in diesem Alter. Und wieder ist die Frage: „Was folgt nach?“
Durch den Gerhard-Jung-Wettbewerb, der 2003 von der Stadt Zell im Wiesental mit Unterstützung der Muettesproch-Gsellschaft ins Leben gerufen wurde, sollten wieder Talente unter 35 aufgespürt werden. Bis vor kurzem ging dieses Konzept auch auf: Nachwuchsautorinnen wie Ulrike Derndinger und Nicole Keilbach-Schmittel konnten gekürt werden. Auch Rockbands, wie „Fisherman’s Fall“ und „Luddi“ boten eine ganz neue Präsentation des Alemannischen. Doch im diesjährigen Wettbewerb konnte das Niveau der Vorjahre nicht mehr erreicht werden.
Da bleibt der Mundart-Fangemeinde eben nur die Besinnung auf das Hier und Jetzt, das immer noch mit mundart-literarischen Glanzlichtern aufwarten kann und für die eine oder andere Überraschung sorgt. Denn als Stefan Pflaum jüngst bei der Preisverleihung bei einem alemannischen Kurzfilm-Wettbewerb in Lörrach las, wurde er kurzerhand mit seinem Alemannen-Rap zu einer ansonsten hochdeutschen Poetry Slam-Veranstaltung eingeladen. Vielleicht zieht das Alemannische dort Kreise? Man wird sehen.
Friedl Scheer-Nahor, 17.9.2012