Europa-Untergang

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Blick über St. Märgen im Hochschwarzwald über Nebel zum Feldberg am 10.11.2024

 

 

Emmanuel Todd: Der Westen im Niedergang
Ein Buch über Ökonomie, Kultur und Religion im freien Fall
Der prominente französische Historiker Emmanuel Todd sagte bereits 1976 das Ende der Sowjetunion voraus. In seinem neuen Buch wagt er wieder den Blick in die Zukunft: Er prognostiziert den endgültigen Niedergang der westlichen Welt.
Er ist der Typus des französischen Intellektuellen, der sich nicht in ein Raster zwängen läßt sondern die Unabhängigkeit der Aufklärung und die Überlegenheit des Denkens pflegt: Emanuel Todd. Tugenden, die in Deutschland selten geworden sind, weil sich zu viele Pseudo-Intellektuelle an den Futtertrögen staatlicher Einrichtungen mästen und beim Verdauungsvorgang das Lied ihrer Geldgeber singen. Die Cancel Culture hat in den Universitäten begonnen und deshalb sind diese im sicheren Niedergang begriffen.
Aber Todd geht es um Weltpolitik, und da liefert er immer wieder neue, gut belegte Analysen, denen man vielfach wertvolle Einsichten abgewinnen kann und selbst der Widerspruch zu Todd schärft die Einsichtsfähigkeit – und das macht den Wert des Intellektuellen aus, nicht das Nachbeten von Vorgekautem.
So sieht Todd den Westen: Im Kern verrottet, aber nach außen expandierend steht der Westen einem Russland gegenüber, das sich stabilisiert hat und nunmehr konservativ auf die Länder der restlichen Welt wirkt, die den USA und ihren Verbündeten nicht in ihre Kriege folgen wollen.
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Todd schätzt Russland wirtschaftlich weit stärker und innenpolitisch weitaus solider ein, als es die westlichen Minnesänger des baldigen Sieges der Ukraine über Russland sehen. Da sind zum einen Fakten, die den westlichen Ökonomen entgangen sind: Rückgang der Todesfälle durch Suff, sinkende Kindersterblichkeit, Zurückdrängen der Kriminalität und Zunahme der Lebenserwartung im Alter sind Indikatoren für einen sozialpolitischen Erfolg.
Was den katastrophalen Rückstand Russlands mit Kennzahlen des Bruttoinlandsprodukts betrifft, so relativiert Todd diese Zahl mit dem Blick auf die „Tarnkappenindustrie“ Russlands: Es gibt prozentual mehr Studenten, die Ingenieurwesen studieren, mehr „harte“ Industrie, die reale Güter (und damit auch Panzer) produziert als eine auf die Finanz- und Unterhaltungsbranche ausgerichtete Dienstleistungsgesellschaft westlichen Musters. Todd setzt dem blinden BIP der westlichen Welt ironisch das „WIP“ entgegen, das „wahre oder realistische Inlandsprodukt“. Um das zu ermitteln, bringt er in Abzug, dass die dortigen „15 140 Ökonomen des Landes, von denen die meisten große Lügenpriester sind, ein Jahresgehalt von im Schnitt 121 000 Dollar beziehen“. Deren Arbeit zählt er nicht zum WIP, wohl aber die der Ingenieure. So liest sich sein Buch sowohl intellektuell anregend als auch wegen seiner demonstrativen Boshaftigkeit amüsant.
Er pflegt den französischen Anti-Amerikanismus und liefert Stoff für anti-transatlantische Hass-Gesänge. Intensiv widmet er sich dem „Washingtoner Blob“, ein Begriff, der von Ben Rhodes stammt, einem Ex-Berater von Obama, um den für Außenpolitik zuständigen Mikrokosmos zu beschreiben: „Der Name bezeichnet einen schleimig aussehenden, einzelligen Organismus, den man in Wäldern antrifft, wo er sich vermehrt, indem er Bakterien und Pilze in seinem Umfeld absorbiert. Er besitzt kein Hirn“.
Und Gehirnlosigkeit sieht er in der Washingtoner Politik vorherrschend. Das Buch hat er allerdings vor dem Wahlsieg Donald Trumps geschrieben und er sieht die USA im unausweichlichen Niedergang befindlich.
Todd regt zum Denken an: Setzt Trump nicht grundsätzlich andere Signale? Wird er den Niedergang der USA stoppen können, indem er mit einer neuen Mannschaft den „Blob“ beseitigt, mit Elon Musk den Staat verschlankt und Washington schleift, ein neues Bewusstsein an die Stelle der Wokeness stellt? Das sind die Fragen, die Todd provoziert.

Die Niederlage in der Ukraine ist bereits nahezu Fakt, prophezeit Todd. Schlussendlich ist es deshalb unvermeidlich, dass es zu einem Einfrieren des Konfliktes zwischen der Europäischen Union und Russland kommt. Ein Europa befreit von US-amerikanischem Einfluss könnte das Ergebnis sein. Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, und diese Rolle sollte es selbstbewusst annehmen – das ist Todds Appell in diesem Buch. Denn er sieht Deutschland und Russland näher beieinander als uns lieb sein kann: Beide großen Länder befinden sich im demographischen Niedergang. Weder Deutschland noch Russland können einen großen Krieg führen – es fehlen die Männer, die Schlachten-Opfer, und die Mütter in beiden Ländern würden aufbegehren gegen einen Krieg, der ihre einzigen Söhne frißt.
Auch diese Prognose Todds scheint sich zu bewahrheiten. Putin will 100.000 nordkoreanische Söldner anwerben. Die Söhne von Mütterchen Russland sind zu kostbar für einen Krieg geworden.
An vielen Stellen stößt Todd damit eine schmerzhafte Debatte an; auf seine Interpretation, warum Ignoranz und Dummheit zum Merkmal der deutschen Politiker-Kaste geworden ist, habe ich an anderer Stelle hingewiesen.
Man mag Todd zwar nicht immer folgen, er provoziert auch Widerspruch. Aber man ist nach der Lektüre klüger. Und das ist das Beste, was man von einem Buch erwarten kann.
… Alles vom 22.11.2024 von Roland Tichy bitte lesen auf
https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/buecher/todd-oekonomie-kultur-religion-im-freien-fall/
 
Emmanuel Todd, Der Westen im Niedergang. Ökonomie, Kultur und Religion im freien Fall. Westend Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 352 Seiten, 28,00 €.
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Emmanuel Todd Der Westen im Niedergang – Einige Zitate
Kinderarmut ermöglichen friedliche Kooperation von D und RU – Youth Bulges:
„Ich bin davon überzeugt, daß die Bemühungen der Vereinigten Staaten, Deutschland von Russland zu trennen – eine ihrer strategischen Obsessionen seit 1990 – letztlich scheitern werden. Auf der Landkarte Europas stechen zwei große Kräfte ins Auge, Deutschland und Russland. Ihre gemeinsame Geburtenrate von 1,5 Kindern pro Frau stimmt sie versöhnlich und nähert sie einander an. Sie können nicht mehr gegeneinander Krieg führen; ihre wirtschaftlichen Spezialisierungen ergänzen sich gegenseitig“ (S. 296)

Elite vs. Volk: Ende der repräsentativen Demokratie
„Vor dem Ukrainekrieg nahmen nun also die Beobachter westliche Demokratien als von einem Über untergraben wahr, das sich verschlimmern würde. Bei diesem Übel stehen sich zwei große ideologische und mentale Kategorien gegenüber, der Elitarismus und der Populismus. Die Elitenbeklagen ein Abdriften der Bevölkerung in die fremdenfeindliche Recht, und die Bevölkerung verdächtigt die Eliten, einem wahnsinnigen ‚Globalismus‘ zu verfallen. wenn das Volk und die Elite nicht mehr miteinander übereinkommen, um gemeinsam zu funktionieren, dann hat der begriff der repräsentativen Demokratie keinen Sinn mehr. Wir landen bei einer Elite, die nicht mehr vertreten will, und bei einem Volk, das nicht mehr vertreten werden will“. (Seite 130)

„Sowohl in Washington als auch in Moskau werden die Europäer als Vasallen und Diener angesehen, die jede Fähigkeit zum eigenständigen Handeln verloren haben. Sie werden verachtet“ (Seite 330)

NATO als Kontrollinstrument der USA über Europa
„Es bleibt festzuhalten. dass der Westen oligarchisch strukturiert ist und dass das NATO-System weit mehr ist als ein Schutz gegen Russland. Es repräsentiert in seiner jetzigen Form, vielmehr einen Mechanismus, mit dem Washington die Kontrolle über die Eliten und Vasallenarmen ausübt.“ (Seite 331).

„Die Unsicherheiten der Zukunft betreffen Europa. Die grundlegende Unsicherheit besteht in der Fähigkeit europäischer Oligarchin, ihre Bevölkerungen in der Feindschaft zu Russland zu halten oder sie sogar in einen direkten Krieg zu verwickeln, obwohl sie keinem Risiko ausgesetzt waren und obwohl die Konfrontation zu einer Verschlimmerung der materielle,. Schwierigkeiten der Normalbürger führt.“ (Seite 332).