Flars – Alemannisch-Dialektstudie im Sprachgebiet Baden-Elsass

Wie schwätzt man hier? Dialektforscher der Unis Freiburg und Straßburg horchen derzeit in Meißenheim genau hin. Besonders interessiert sie, welche Rolle die deutsch-französische Grenze spielt. Selbstversuch. Die Redakteurin soll hochdeutsche Sätze in ihren Dialekt übersetzen, wie es auch die Testpersonen aus Meißenheim tun. „Hast du das Licht ausgemacht?“ – „Hesch du s’Liächt ussgmacht?“ „Im Nachbargarten steht eine alte Eiche“ – „Im Nochbersgarte steht ä aldi Eich“. „Hör doch auf, ihn zu belästigen!“ – „Heer doch uff, ihne z’gäckse!“ In diesen Sätzen, erklären die Sprachwissenschaftler Julia Breuninger (27) und ihr Kollege Martin Pfeiffer (30), sind die Merkmale versteckt, auf die es die Sprachwissenschaftler abgesehen haben. Sprachmerkmale, die – grob gesagt – den Dialekt vom Hochdeutschen trennen.Sagt der Befragte Muetter oder Mudder? Endet die Eiche auf ein hartes oder ein weiches „ch“? Werden aus den alten Männern „aldi“ oder „alde“ Männer? Die Sprachwissenschaftler sind in der Lage, an den Antworten abzulesen, wie es um den Dialekt bestellt ist. Letztlich wollen sie herausfinden, „wie die Leute schwätzet“ und was der Unterschied zu früher ist, umschreibt Martin Pfeiffer, dessen Remstalschwäbisch an dieser Stelle ein wenig hervorlugt. „Früher“, das sind in diesem Fall die 1970er-Jahre. Damals entstand an der Uni Freiburg der Südwestdeutsche Sprachatlas, der die Sprachgeographie der alemannischen Dialekte erfasst. Mit diesen Daten werden die neuen Aufnahmen verglichen. Also ist die aktuelle Studie einfach die Neuauflage des Atlas? Ein Ist-Zustand? Nein, sagen die zwei Sprachwissenschaftler, die in 20 Orten von Au bei Karlsruhe bis Weil am Rhein im Süden jeweils sechs Personen aus zwei Altersgruppen (25 bis 35 und 60 bis 70 Jahre) befragen. Die Studie geht weiter. Sie fragt nicht nur nach dem „Was?“, sondern auch nach dem „Warum?“: Warum sprechen die Menschen im grenznahen Elsass und Baden, wie sie heute sprechen? Welche Einflüsse wirken auf die Menschen? Welche Rolle spielt etwa eine Arbeitsstelle außerhalb des Rieds? Welchen Einfluss haben Internet und die wachsende Mobilität? Auch nach der Einstellung zum Dialekt wird gefragt. Sprachwissenschaftler Martin Pfeiffer fasst diesen Bereich so zusammen: „Was denken die Leute über ihren eigenen Dialekt?“ Will heißen: Wie steht der Meißenheimer zu seinem Dialekt und wie steht er zum Elsässischen? Was halten grenznahe Elsässer und Badner voneinander? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden genannt? Der Blick über die Grenze ist fester Bestandteil, ja Urgrund der Studie. Die Elsässer, in gleicher Anzahl und im spiegelbildlichen Verbreitungsgebiet von Nord nach Süd, bekommen die gleichen Fragen gestellt.
An dieser Stelle wird das Projekt richtig spannend, das von der deutschen Forschungsgemeinschaft und der l’Agence Nationale de la Recherche mit rund 400.000 Euro finanziert wird. Hier wird sich zeigen, ob es so etwas wie eine alemannische Identität gibt. Quasi eine Heimat über den Rhein hinweg. Aus der Geschichte wissen wir, dass Kontakte gepflegt wurden. Meißenheimer Bauern bewirtschafteten im Elsass Wiesen und Äcker, hatten Verwandte. Die berühmteste Meißenheimerin, die Goethe-Geliebte Friederike Brion, war eine Elsässerin. Man fühlte sich über den Rhein hinweg verschwistert, auch wenn die deutsch-französische Geschichte leidvolle Kapitel schrieb. Der alemannische Dialekt, zu dem das Elsässische zählt, hielt und hält sich sowieso nie an Grenzen. In Baden, Staatskonstrukt von Napoleons Gnaden, werden immerhin vier Dialekte gesprochen: Alemannisch, Kurpfälzisch, Fränkisch und Schwäbisch. Eine der entscheidenden Fragen der Studie ist: Wie steht es mit der Verschwisterung? Fühlen sich beide Seiten mehr und mehr entfremdet voneinander? Oder gibt es das Kontinuum noch, in dem über Grenzen hinweg eine gemeinsame (Sprach)-Identität existiert? Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein. Angesichts des Phänomens, dass die politischen und wirtschaftlichen Grenzen zusehends unwichtiger und durchlässiger werden, könnte die Studie ein verblüffendes Ergebnis zeitigen: Die Grenzen sind offener denn je, aber das Gefühl, sprachlich und damit auch kulturell zusammen zu gehören schwindet. Auf Spekulationen lassen sich die beiden Nachwuchswissenschaftler nicht ein: „Fraget Se mich dazu nochmal in drei Johr“, sagt Martin Pfeiffer diplomatisch. Bis dahin sollen die Ergebnisse der Studie, die im Frühjahr anlief, vorliegen.
Ulrike Derndinger, 13.7.2012

 
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