„Ethik ohne Gott?“ – Bericht zum Vortrag von Dr. Josef Leifert (Dipl. Psych.), Humanisten Freiburg, im InterCity Hotel Freiburg am 01.06.2011 Zu Beginn erklärte Josef Leifert, dass es ihm um die Frage geht: „Was soll ich tun?“, damit ich im Einklang mit meinen Mitmenschen ein Leben führen kann, das für mich und andere erträglich ist. Er warf dann die grundsätzliche Frage auf, ob denn der Mensch überhaupt einen freien Willen habe, der es ihm ermöglicht, zwischen „gut“ und „böse“ zu unterscheiden. Sein Fazit aufgrund jüngster neurologischer Forschungsergebnisse war, dass der Mensch keineswegs so frei in seinem Denken ist, wie er sich fühlt. Er finde immer schon eine Menge vorgefertigter Urteile vor, die aus der frühkindlichen Prägung, aus der Erfahrung, den Gedächtnisinhalten und den damit verbundenen Triebansprüchen und Gefühlen stammen. Danach stellte er einige verschiedene Ethik- Systeme vor:
Religiös begründete Ethik: Jahrtausendelang haben uns die Priester gesagt was wir dürfen und was wir sollen. Josef Leifert zeigte auf, wie viele Grausamkeiten, Widersprüche und Aggressionen gegen Un- und Andersgläubige Bibel und Koran enthalten und zwar nicht als vereinzelte „Ausrutscher“, sondern die Vernichtung der Andersgläubigen ziehe sich als gängiges Programm durch die gesamten heiligen Schriften. Darüber hinaus durchziehe der Terror im Namen Gottes die gesamte Menschheitsgeschichte. Das menschliche Anpassungsverhalten sei aber so ausgerichtet, dass der Mensch sich immer das heraussucht, was ihm im Moment am günstigsten erscheine. Wenn die heiligen Bücher die Möglichkeit zu Völkermord, Vertreibung und ähnlichen Verbrechen als Gottes Wille zulassen, dann eignen sie sich ganz bestimmt nicht als ethische Richtschnur für das 21. Jahrhundert.
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Vernunftgeleitete Ethik: „Der autonome Mensch trifft seine Entscheidungen nach dem ihm innewohnenden Sittengesetz kraft seiner Fähigkeit zu vernünftigem Denken und in freiem Willen.“ Das ist die Idealvorstellung ethischen Handelns nach der Vorstellung der Aufklärung, die die Vernunft als die entscheidende Instanz anerkennt.
Josef Leifert erläuterte, dass der Mensch aber durch frühkindliche Prägung, Denkverbote und auch Angst daran gehindert werde, sich von der Vernunft leiten zu lassen. Eine humane Ethik sei nur möglich, wenn sie den ganzen Menschen mit all seinen Gefühlen und Bedürfnissen berücksichtigt. Eine Ethik, die nur auf dem Prinzip der Vernunft, der Gerechtigkeit, der Freiheit oder Sicherheit basiert, ist unvernünftig, weil die Werte in Konkurrenz zu einander stehen. Vernunft ist wohl das wichtigste, aber nicht das einzige Regulativ des Menschen. Das sieht man auch an dem, was der Mensch mit seinen Fähigkeiten anstellt. „Der antiquierte Mensch ist nicht auf der Höhe seiner Produkte. Er lebt gleichsam immer „über seine Verhältnisse“. Als „Homo faber“ macht er mehr, als er sich klarmachen, geschweige denn verantworten kann“ (Lütkehaus, Ludger)
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Humanistische Ethik: Humanismus alter Art bedeutet: Der Mensch steht im Mittelpunkt, ist das Maß aller Dinge. Wenn auch Ziel dieser humanistischen Idee die Veredelung des Menschen durch höhere Bildung, die praktizierte Menschenliebe, die Anerkennung der Würde und Autonomie des Menschen das Denken des Abendlandes geprägt hat, so ist zu fragen: Wie ist es möglich, dass in diesem fortschrittlichen und aufgeklärten Mitteleuropa , in dem zwei dem Humanismus verpflichtete Weltanschauungen – die christliche Religion und der Kommunismus – die zwei Urkatastrophen der beiden Weltkriege nicht verhindern konnten?
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Neuer Humanismus: Das Anliegen des neue Humanismus ist die Befreiung von Angst und die Freude am Leben im Hier und Jetzt. An die Stelle des Bildungsideals, das sich aus der Vorstellung vom Wahren, Guten und Schönen der antiken Gedankenwelt herleitet, tritt heute die Orientierung an der Wissenschaft. Es steht nicht mehr ein Idealbild vom edlen und gebildeten Menschen als Zielprojektion vor Augen, sondern die nüchterne Frage: Wie ist ein gedeihliches Zusammenleben der Menschen möglich?
Hierbei stellte sich natürlich die Frage, an welchem dieser (oder ganz anderer) Ethiksysteme man sich für sein persönliches Leben orientieren soll. Josef Leifert beantwortete dies sehr pragmatisch: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ (Math. 7;16). Was heißt das konkret? Wenn ich (oder sonst wer) in Not bin und Hilfe brauche, dann ist es mir gleichgültig, ob jemand mir hilft aus christlicher Verantwortung um der Liebe des Herrgottes willen, aus edler humanistischer Gesinnung oder aus verstecktem Eigennutz, weil ihn seine Spiegelneuronen dazu zwingen. Die Frage, ob Altruismus, Nächstenliebe, Freundschaft, Mitgefühl usw. auf eigennützige Interessen zurückzuführen sind, sei eine Frage der Hermeneutik und damit ein Scheinproblem!
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In der Diskussion wurde kritisiert, dass dieser pragmatische Ansatz nicht unbedingt den Leitsätzen der Evolutionären Humanisten entspreche (sondern eben die Meinung von Dr. Josef Leifert darstelle) und dass z.B. die „vernunftgeleitete Ethik“ genauso „in die Pfanne gehauen“ werde wie andere offensichtlich unzeitgemäße Ethiksysteme.
Ebenso kontrovers wurde die Frage diskutiert, wie viel ethisches Verhalten der Mensch als natürliche Disposition mitbekommen hat. Es wurde jedenfalls festgestellt, dass ethisches Verhalten im Regelfall von der Evolution begünstigt wird und die biologisch funktionellen Grundlagen für Empathie und Gefühle schließlich auch von der Evolution (z.B. Spiegelneuronen) hervorgebracht wurden.
25.6.2011, Manfred Geiger)
Referat von Dr. Josef Leifert
https://www.humanisten-freiburg.de/sites/default/files/pdf/Ethik%20ohne%20Gott-11-06-04.pdf