Caritas-Geringverdiener gegen unfaire Lohnpolitik

Die Mitarbeiter der Caritas in Baden-Württemberg wollen mehr Geld – doch es geht ihnen auch um Gerechtigkeit. Am heutigen Donnerstag gehen sie in Karlsruhe auf die Straße. Die Arbeitgeberseite will zwar die Löhne erhöhen, aber die Geringverdiener ausnehmen. Bei der Caritas wird damit ein ähnlicher Konflikt ausgefochten wie bei der Arbeiterwohlfahrt. Die Caritas-Beschäftigten demonstrieren in Karlsruhe, weil dort am gleichen Tag die Caritas-Regionalkommission für Baden-Württemberg über die Forderungen der Mitarbeiterschaft berät. In den Einrichtungen der Caritas arbeiten in ganz Deutschland mehr als 550 000 Menschen, in Baden-Württemberg knapp 60 000. Die Caritas betreibt für die katholische Kirche unter anderem Altenpflegeheime, sozialpsychiatrische Beratungsstellen, Müttergenesungswerke und andere soziale Einrichtungen.
Tarifverhandlungen laufen bei den Kirchen anders als im Öffentlichen Dienst und in Privatunternehmen. Gewerkschaften sind für die kirchlichen Betriebe tabu. Sie genießen Tendenzschutz und sie müssen auch keinen Betriebsrat haben. Dennoch sind die Mitarbeitervertretungen, die bei der evangelischen Diakonie und bei der katholischen Caritas jeweils ein wenig anders heißen, längst nicht mehr mit milden Gaben zufriedenzustellen. „Wir wollen nicht von der Tarifentwicklung im Öffentlichen Dienst abgekoppelt werden“, sagt Thomas Schwendele, Sprecher der Mitarbeitervertreter in der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes. Dies ist die paritätische Tarifkommission, in der Dienstnehmer und Dienstgeber – so heißt das bei der Caritas – zusammensitzen.
Es gibt sechs regionale und eine Bundeskommission. Letztere gibt nur eine Empfehlung ab, die Umsetzung übernehmen dann die Regionalkommissionen. Die Mitarbeitervertretung in der Caritas will nun die von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi erreichte Tariferhöhung im Öffentlichen Dienst übernehmen. Die Regionalkommissionen in Nordrhein-Westfalen und Bayern sind dieser Forderung bereits nachgekommen. Baden-Württemberg soll jetzt folgen, doch hier sträuben sich die Dienstgeber.

Die Lohnerhöhung von 6,3 Prozent, verteilt auf zwei Jahre und mehrere Stufen, soll nur für die höheren und mittleren Lohn- und Gehaltsgruppen gelten, nicht aber für die niedrigen. Verzichten sollen „ausgerechnet die, die sowieso nicht auf der Sonnenseite stehen“, empört sich Mitarbeitervertreter Schwendele. Es sei ein eklatanter Widerspruch, sich einerseits für die Armen und Schwachen zu engagieren, aber andererseits zuzulassen, dass die sowieso mit rund 1500 bis maximal 1850 Euro brutto gering verdienenden Pflegehelfer, hauswirtschaftlichen Hilfs- und Reinigungskräfte leer ausgehen sollen – wie bereits in der letzten Runde. „Wer jetzt andere pflegt, soll selbst im Alter auch die Chance haben, gepflegt zu werden“, findet Schwendele.
„Wir stecken in einer Zwickmühle“, räumt Rainer Brockhoff, Vertreter der Arbeitgeberseite in der Bundes- und der Regionalkommission Baden-Württemberg ein. „Im Prinzip sind wir uns mit der Mitarbeitervertretung einig“, sagt Brockhoff, „wir müssen gegen Lohndumping vorgehen.“ Aber die Caritas zahlt seiner Darstellung nach in den unteren Lohngruppen wesentlich mehr als die privaten Konkurrenten. Er beziffert die Differenz auf durchschnittlich 20 Prozent. Man könne diesen Abstand zu Wettbewerbern nicht noch größer werden lassen, das gefährde langfristig die Existenz der Einrichtungen. Zudem fehle, was man an Mehrkosten habe, dann für die Entlohnung der Fachkräfte, an denen es in der Branche mangele.
Bei der SPD-nahen Arbeiterwohlfahrt (AWO) wird gerade ein ähnlicher Konflikt ausgetragen. Dort laufen die Tarifverhandlungen wie in der freien Wirtschaft. In dieser Woche gingen in Nürnberg 400 Mitarbeiter auf die Straße, um für höhere Löhne und Gehälter für die 14 500 Beschäftigten der bayerischen Arbeiterwohlfahrt zu demonstrieren. Die AWO-Führung will den Tarifabschluss des Öffentlichen Dienstes – also 6,3 Prozent in zwei Jahren – übernehmen. Die Beschäftigten im Niedriglohnbereich sollen aber nicht im vollen Umfang an der Erhöhung beteiligt werden. Die Gewerkschaft Verdi nennt das eine „geradezu obszöne Strategie, die unteren Entgeltgruppen abzusenken“. Die Arbeitgeber wollen die Gehälter von Küchenhilfen und anderen Hilfskräften um zwei Prozent erhöhen; darüber hinaus sollen sie vom 1. Juli 2013 an eine Einmalzahlung von 185 Euro erhalten. Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Gero Kettler, verteidigte die geplanten geringeren Lohnsteigerungen mit den Billigangeboten privater Pflegeheimbetreiber. Diese zahlten Hilfskräften 20 bis 30 Prozent weniger.
Bei der Freiburger Arbeiterwohlfahrt gingen vor zwei Wochen Mitarbeiter auf die Straße, um gegen die geplante Ausgliederung von Betriebsteilen und die damit verbundenen Lohneinbußen zu demonstrieren.
Heinz Siebold, 27.9.2012

 

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