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Fahrrad-Schrauber auf der Strasse am Wochenende 3.10.2024

 

Mariam Kühsel-Hussaini: „Mehr Furchtlosigkeit wagen!“
Interview: Die vielgelobte Schriftstellerin Mariam Kühsel-Hussaini wagt sich an das Tabu der Gegenwartsliteratur: Mit ihrem Roman-Zyklus legt sie dem zerrütteten deutschen Nationalbewußtsein ihre heilenden Hände auf
Moritz Schwarz

Frau Kühsel-Hussaini, die Meldestelle „REspect“ der Bundesnetzagentur sorgt künftig dafür, daß online „Haß und Fake News ohne bürokratische Hürde schnell entfernt werden“. Fühlen Sie sich auch so beruhigt?
Mariam Kühsel-Hussaini: In Deutschland hat man zu viel Angst und zu wenig Respekt, da zäumt man mit Meldestellen dieser Art das Pferd von hinten auf. Es hat sich seit dem Mittelalter, als man den Leuten ihre Mündigkeit per Ablaß und Spekulation auf ihre Schuld abkaufte, nicht viel verändert.
….
Was macht Ihrer Ansicht nach das wahre Deutschland, das Sie da beschwören, aus?
Kühsel-Hussaini:
Deutschland will lieben und geliebt werden.
Bei Heine küßt und spricht sogar das Veilchen deutsch
– das küßte mich und sprach auf deutsch: ich liebe dich!

Im Alter von drei Jahren kamen Sie mit Ihren Eltern nach Deutschland. Wie sind Sie aufgewachsen, als Afghanin, als Deutsche, als das Beste aus beidem?
Kühsel-Hussaini: Ich bin Deutsche! Mein Herz träumt einzig hier, mein Geist ist hier zu Hause, hier bin ich zu mir gekommen, hier will ich sein. Mein Herkommen aus einer alten afghanischen Familie wird stets ein innerer, romantischer Reichtum bleiben, der allerdings mit dem heutigen, bis in die letzten Zauberpartikel ausgetauschten Kabul nichts mehr zu tun hat. Wenn Afghanistan, dann das Erbgut Persönlichkeit!

Wie hat Ihre literarische und intellektuelle Umwelt auf Ihre jüngsten vier Romane reagiert?
Kühsel-Hussaini: Die Klugen reagierten klug, die Dummen bestätigten ihre Dummheit. „Ist doch aber nochmal alles gutgegangen mit uns Deutschen“, war sicher unter den auf Hirntod gestellten Reaktionen eines Verlegers die unschlagbarste. Aber auch: „Man darf doch nicht relativieren“, steht ganz oben auf der Liste. Nein! Nix ist gutgegangen! Und nein! Niemand relativiert, doch diese Menschheit muß sich einen Erdball teilen, der allen gehört, folglich auch einer jeden Geschichte und einem jeden Land – sonst hebt sich die Würde des Menschen von allein wieder auf. Darf der Deutsche nicht wie alle anderen auch ein Quantum Würde für seine Geschichte beanspruchen, gehört Würde keinem?

War Ihnen klar, welche Reaktionen auf Sie zukommen? Warum haben Sie das auf sich genommen?
Kühsel-Hussaini: Wahrheit ist das, was aus dem Schleim, dem Blut und den Wundern des Geschehenen und der Dichte und Fülle der Vergangenheit wie eine goldene Rose hervorblüht. Es gibt Zäsuren nach ’45, die die Verblendung und Verletzung dieses Landes verdeutlichen und die man benennen und offenbaren muß, wenn man eine Seele hat. Ich habe eine, die frißt mich auf. Ich kann gar nicht anders, als das niederzuschreiben und festzuhalten, was mir an verborgenem Material begegnet. Erst die Wahrheit macht den Glanz der Ehre von Literatur aus.

Nun macht man Ihnen die üblichen Vorwürfe von „rechts“ bis „Nazi“. Warum: Wider besseres Wissen oder versteht man Ihre Bücher gar nicht?
Kühsel-Hussaini: Daß in klein Erna, die in Literatursendungen endlich auch zu Wort kommen darf, nicht das Format eines, sagen wir mal, Thorsten Hinz funkeln kann, ist klar, und ich bin ja selbst auch nicht gerade von der netten Sorte. Zudem gehört auf den groben Klotz bekanntlich ein grober Keil. Ich nehme niemandem was übel, wohl aber kenne ich göttliche Wut und strafende Liebe und bin sozusagen schwerst und unheilbar verwundert über all die Geschichts-Lobotomisierten hierzulande – die begreifen es nicht mal, wenn es schwarz auf weiß dasteht. Ich ziehe derweil weiter, immerfort durch das grelle Science-fiction unserer kümmerlichen Tage. Keine Ahnung wohin. Meine Sprache wird immer da sein, selbst über meinen Tod hinaus. Was also sucht man an mir zu ersticken? Ersticken tun die doch an der Enge ihres Lebens, an der Folter ihrer verlogenen Weltbilder, daran, daß sie sich selbst hassen, für den Stillstand ihres Herzens und dafür, Fremde zu sein in ihrem eigenen Land – Uneingeweihte für immer, unbefriedigt seit Jahren. Armselig und nicht in Form, weil da kein Auftrag ist. Ich hingegen hatte eine Aufgabe, die habe ich erfüllt, und das bereitet mir eine unendliche Wonne. Und, glauben Sie mir, auf deren Party will ich gar nicht sein, ausgestattet mit dem billigen Gesöff ihres wertlosen Glücks, würde der heißgierig unermeßliche Schlund meines Wesens nicht mal nippen wollen!

Politisch ist in den vergangenen Jahren einiges ins Rutschen gekommen. Erwarten Sie ähnliches künftig auch für die Künstler- und Intellektuellenszene oder glauben Sie, einsame Ruferin in der Wüste zu bleiben?
Kühsel-Hussaini: Hier ist überhaupt nix ins Rutschen gekommen, höchstens ins Abrutschen. Mit keiner Szene habe ich was zu schaffen. Die unzähligen Bücher, die erscheinen, halte ich für Dreck. Das Echo ihrer Kritiker für Müll. Ein riesiges Nichts hat sich etabliert, ein vergammelnder Literaturbetrieb. Die guten Bücher werden jenseits davon gemacht, und selbst da schleicht sich schon was Faules ein. Mehr Furchtlosigkeit bitte! Mehr Genuß und Wissen! Überall dieses Bravtum und überall diese Hochstapler. Am unerträglichsten ist das Stumme, manchmal nachts, im Geäst, wenn es kurz erzittert. So etwas Verlorenes … Wenn man ein Land daran hindert, seine eigene Geschichte auch selbst nachzuvollziehen, wie es die Nürnberger Prozesse und Adenauer mit der Kastration Deutschlands machten, werden sich innerste Aggressionen bilden, über Generationen. Und diejenigen, mit dem geringsten Persönlichkeitsgehalt, kommen dann an die Oberfläche und treiben ihr Unwesen – von neuem, wie negative Ventile. Polieren wir also das letzte Stück Edelstein, das da vor uns schwebt in der Luft, das da liegt in der Zeit und das da wie das Pink-Floyd-Prisma sich dreht und dreht! Behauchen wir es und bringen wir es zum blendenden Schimmern, noch ein Mal! Dieser Edelstein will keine Linken und will keine Rechten und keine politischen Szenegeschäftsmodelle auf Kosten der Nerven von Männern und Frauen in diesem Land. Dieser Edelstein will freie Deutsche, die einander erkennen und nicht die Welt hierher verlagern, sondern sich in der Welt an ihrem Punkt verorten und erfüllen.

Mariam Kühsel-Hussaini wurde 1987 als Tochter des afghanischen Dichters Sayed Rafat Hussaini und Enkelin des Kalligraphen Sayed Da‘ud Hussaini in Kabul geboren. 1990 kam sie nach Deutschland und wuchs bei Stuttgart auf. 2010 gelang ihr mit ihrem vielbeachteten und „eindrucksvollen“ (Dennis Scheck) Debütroman „Gott im Reiskorn“ ein „Glücksfall … voller Ausdruckskraft“ (Martin Walser), denn „solches hat man lange nicht mehr gelesen … vielleicht noch nie“ (NZZ). Zuletzt erschienen ihre Romane „Tschudi“ (2020), den Elke Heidenreich in der Zeit für seine „Kunst des federleichten Erzählens“ lobte und in dem es um den bedeutenden Direktor der Nationalgalerie Berlin zur Kaiserzeit Hugo von Tschudi geht, „Emil“ (2022), der dem Philosophen Emil Cioran gewidmet ist, „57“, der Rudolf Diels dem Vergessen entreißt, sowie „Tucholsky“ (2024).

… Alles vom 18.10.2024 bitte lesen in der JF 43/24, Seite 3
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