Deutschland – EU – Zahlmeister

Die Machtbalance in der EU zwischen mediterranen Ländern (F, I, SP, P, GR) und Nordstaaten (DM-Block D, NL, Fin, AUT plus GBR) endete mit dem Brexit im Juni 2016. Seitdem vertreten die Mediterranen 42% der EU-Bevölkerung gegenüber dem DM-Block mit nur 25%, wodurch sie im Ministerrat praktisch durchregieren können: Sie dominieren alle Entscheidungen, die mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden – und das sind die meisten.
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(1) Seit 2014 erfolgen die Beschlüsse des EU-Ministerrats mit einfacher Mehrheit (Verfahrensfragen), einstimmig (die Budgethoheit betreffend wie z.B. Steuern) oder mit qualifizierter Mehrheit (das Gros der Entscheidungen). Dabei müssen mindestens 55% der Länder UND 65% der zugehörigen Bevölkerung zustimmen. Oder umgekehrt: Die Sperrminorität liegt bei 45% der Zahl der Länder UND bei 35% der dahinterstehenden Bevölkerung.
Vor dem Brexit lagen die Bevölkerungsanteile für die potenzielle Sperrminorität bei 36% (Mediterrane) gegenüber 35% (Nordstaaten), nach dem Austritt von GBR verschieben sie sich zu 42% (Mediterrane) gegenüber 25% (Nordstaaten). „Angesichts der desolaten Lage der Wirtschaft und Staatsfinanzen in den mediterranen Ländern könnten die Konsequenzen für Deutschland verheerend sein, denn Frankreich kann zusammen mit diesen Ländern nun praktisch durchregieren“ (Sinn, S. 54).
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(2) Nach dem Brexit liegt der Stimmenanteil des alten DM-Blocks nur noch bei 25%, also weit unter der Sperrminorität. Der DM-Block und damit das finanzstarke Deutschland kann also überstimmt werden bei wichtigen Themen wie: Verteilung der Posten in Brüssel, Handelspolitik, Regulierung von Industriezweigen, Energiepolitik, Verbraucherschutz und Umweltpolitik. „Möglicherweise wird es auch Versuche geben, die lange geforderten Vergemeinschaftsaktionen im Bereich der Sicherung der Bankeinlagen und der Arbeitslosenversicherung bis hin zu einer Fiskalunion mit einem gemeinsamen Euro-Finanzministerien vorzubereiten. Deutschland kann dann zwar versuchen, sich dem mit dem Argument zu widersetzen, dass dies budgetrelevente Entscheidungen sind, die der Einstimmigkeit bedürfen. Doch es ist zu befürchten, dass man im mediterranen Block die Maßnahmen schon so zu verpacken weiß, dass die Adäquanz einer Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit als begründet erscheint“ (Sinn, Seite 56). Im Klartext: Finanztransfers, Enteignung der Sparer und Haftung liegen bei D, um den Südländern systemrelevantes Schuldenmachen und Defizitausgleich zu ermöglichen.
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(3) Deutschland kann sich einem solchen Überstimmtwerden in Brüssel kaum widersetzen. Eine Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) wird wahrscheinlich abgewiesen werden, da im EuGH jedes Mitgliedsland einen gleichberechtigt mitbestimmenden Richter stellt – unabhängig von Bevölkerungsgröße und Bruttoinlandsprodukt des Landes. Hans-Werner Sinn sieht dieses aus dem Brexit resultierende Machtgefüge im EU-Brüssel als „für Deutschland verheerend“ an. Merkel mitsamt GroKo schweigen und die Mainstram-Medien verharmlosen.
17.12.2016
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Hans-Werner Sinn: Der schwarze Juni
Brexit, Flüchtlinsgwelle, Euro-Desaster – Wie die Neugründung Europas gelingt,
Herder, Freiburg November 2016, ISBN 978-3-451-37745-7

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