Liebe Freunde der historischen Freiheitsbewegung, so kann der „Tag der Deutschen Einheit“ auch gefeiert werden: Als „frohes Fest der Demokratie“ mit historischem Schauspiel. „Freiheit und Einheit“ waren auch zentrale Themen der bürgerlichen Revolution von 1848. In Schopfheim (Kreis Lörrach) wird daher am 3. Oktober 2012 nachmittags ab 14 Uhr der Zug der Hecker-Freischar nachgespielt. Eine in dieser Form wohl einmalige Gestaltung des Einheits-Feiertages. Anbei dazu ein Text und die Anregung, sich dieses Ereignis nicht entgehen zu lassen.
„De Hecker chunnt!“ – Badische Revolution zum Mitmachen In Schopfheim (Kreis Lörrach) wird der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober mit einem Historienschauspiel begangen. Den Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober kann man so oder so begehen: Den freien Tag genießen oder auch eine Feierstagsrede im Radio anhören. In Schopfheim im Wiesental (Kreis Lörrach) wird das in diesem Jahr anders sein. „Ein frohes Fest der Demokratie“ soll es geben, nicht im Saal, sondern auf der Straße und mit einem geschichtlichen Thema, das zur Einheitsfeier
bestens passt. Bürgerinnen und Bürger ziehen Anzüge und Kostüme an, bürgerlich-biedermeierlich die einen, bäuerlich-proletarisch die anderen. Eine Freischar von rund 200 Männern mit Sensen und Dreschflegeln bewaffnet wird am Nachmittag den Schopfheimer Marktplatz erreichen, an ihrer Spitze der Revolutionär Friedrich Hecker. Es wird zum historisch verbürgten Dialog zwischen Friedrich Hecker und dem Schopfheimer Fabrikanten Ernst Friedrich Gottschalk kommen. Danach wird Hecker auf dem Rathausbalkon die deutsche Republik ausrufen.
Der Zug des Volkstribuns, Rechtsanwalts und radikalliberalen Abgeordneten der zweiten badischen Parlamentskammer begann am 13. April 1848 in Konstanz. Hecker wollte eine Massenerhebung auslösen, um „ohne einen Schwertstreich und ohne einen Schuss abzugeben“ nach Karlsruhe ziehen und den Großherzog
Leopold zum Rücktritt zu zwingen. An die Stelle der Erbmonarchie sollte eine deutsche Republik mit einem frei gewählten Parlament treten, eine demokratische Verfassung sollte Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und den
Rechtsstaat garantieren. Doch der Heckerzug des Frühjahrs 1848 scheiterte ebenso wie der im Jahr darauf folgende zweite Aufstand und auch die deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche konnte ihre Verfassung im Deutschen Bund gegen den preußischen Widerstand nicht durchsetzen. Es dauerte gut 100 Jahre, bevor das Grundgesetz die Ideale von 1848/49 festschrieb und demokratische deutsche Einheit brachte erst wieder die friedliche Revolution in der DDR 1989/90.
Auf seinem Weg kam Friedrich Hecker mit rund 800 Freischärlern am 18. April 1848 auch durch Schopfheim. Natürlich sind es Laienschauspieler, die den Einzug der Freischar vor 164 Jahren in Schopfheim darstellen werden. „Wir haben bewusst den 3. Oktober, den Tag der deutschen Einheit ausgesucht, um daran zu erinnern, dass Einheit und Freiheit – Werte, die heute als Selbstverständlichkeit angesehen werden – nicht vom Himmel gefallen sind, sondern erkämpft werden mussten“, erklärt Jeannot Weißenberger. Der Schopfheimer Stadtrat ist mit einigen anderen, im Vereinsleben aktiven und bekannten Schopfheimern auf die Idee gekommen, den Nationalfeiertag einmal anders zu begehen. „Wir haben zudem ein Denkmal von Peter Lenk, das sich mit dem Thema der Badischen Revolution beschäftigt, da muss man mehr draus machen als es nur anzuschauen“, sagt Weißenberger. Und so hat er den Förderkreis Fußball Schopfheim als Veranstalter gewonnen und öffentlich zur Mitwirkung an der
Gestaltung des Feiertages mit Historienspiel aufgerufen. Mit bereits jetzt überwältigendem Erfolg: Aus der ganzen Region haben „Freischärler“ angekündigt, mit blauer Bluse, Heckerhut und (entschärfter) Sense anzurücken. Über sechzig Sänger treffen sich seit Ende August bereits, um die Lieder der 1848er Revolution einzustudieren: „Wenn die Leute fragen, lebt der Hecker noch?“ oder „S‘ ist wieder März geworden“. Bekannte oder weniger bekannte Freiheitslieder, die der Chor am 3. Oktober auf dem Rathausplatz singen wird. „Wir haben Leute zusammengebracht, die sich vorher nicht kannten, die vorher Hecker nicht kannten und die jetzt mit Begeisterung
dabei sind“, freut sich Chorleiter Weißenberger. „Das wichtigste an der Sache ist, dass die Leute selber mitmachen.“ Laienschauspieler proben die Aufführung des historischen Dialogs und für Speis‘ und Trank sorgen die Mitglieder des Förderkreis Fußball. Die Revolution wird natürlich nicht ausgerufen, die Veranstalter wollen
den Spagat meistern zwischen Unterhaltung und Geschichtsstunde. Der Schopfheimer Bürgermeister Christof Nitz begrüßt die ambitionierte Privatinitiative, die Stadtverwaltung ist den Organisatoren behilflich, wo es geht. „Dieser
historische Brückenschlag ist eine tolle Idee“, sagt Nitz, der zwar keine Rolle spielen, aber zum Schluss des historischen Spektakels als heutiger Bürgermeister auf die Bühne treten wird. Die Veranstaltung in Schopfheim
beginnt um 14 Uhr, die Innenstadt wird gesperrt sein, damit die Freischar zum Rathaus unter den „Revolutionsbalken“ von Peter Lenk ziehen kann.
Heinz Siebold, 24.9.2012
„De Hecker chunnt!“ – Einzug der 1848er Revolutionäre in Schopfheim, Mittwoch, 3. Oktober, 14 Uhr in Schopfheim, Rathausplatz an der Lenk-Plastik.
Ein fröhliches Fest mit ernstem Hintergrund
Ein geruhsamer Vormittag am Tag der deutschen Einheit. Mit der Feiertagsruhe ist es jäh vorbei, als Revolutionäre in die Markgrafenstadt einziehen. „De Hecker chunnt“, kündigen in die Innenstadt rennende Kinder an, und tatsächlich: Der Freischärler-Trupp, bewaffnet mit Mistgabeln und Drechflegeln, wird von Hunderten von Neugierigen empfangen. „Freiheit“, schallt es laut durch die Hauptstraße, immer wieder „Freiheit“, es weht Schwarz-Rot-Gold, und die Aufständler marschieren zum Podium. Was Schopfheim gestern erlebte, war ein „Stück gelebte und erlebte Geschichte“, wie es Bürgermeister Nitz am Schluss der Vorstellung nannte, „ein frohes Fest der Demokratie von Bürgern für Bürger“, so Moderator und Autor Heinz Siebold. „Vorsicht, es besteht die Gefahr, dass man etwas dazulernt“, hieß es. Diese Gefahr bestand wirklich: Was dann von allen Darstellern, Chorleiter Jeannot Weißenberger und dem Förderkreis Fußball als Veranstalter geboten wurde, war ein Lehrstück auf der Straße par exellence, allen voran Friedrich Hecker (Klaus Streicher) mit seinen meisterlich gesprochenen Reden – einschließlich der auf dem Rathausbalkon. Entsprechenden Jubel gab es vom Volk, als Hecker und seine 1848er-Revolutionäre die Abschaffung der Fürstenherrschaft verlangten und forderten, die Herrschaft der Republik auf den Schild zu heben. Wohlstand für alle, Meinungs- und Pressefreiheit, die Beseitigung des Missverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit, ein rechtsstaatliches System, unabhängige Gerichte, ein Parlament, die Demokratie – was heute selbstverständlich erscheint, war es lange nicht. „Abschütteln“, rief Hecker vom Rathausbalkon, solle man die Staatsform, bei der sich ein ganzes Volk dem Willen eines Einzelnen unterwirft. „Wir sind Kinder des Volkes und kämpfen für die Unteren.“ Jubel allenthalben; gab es Reden gegen die Aufständler, dagegen Buh-Rufe. Die Schopfheimer machten mit, ließen sich die Begegnung Heckers mit Bürgermeister Johann Karl Grether (Gerd Woop) ebenso wenig entgehen wie die freundschaftliche, tränenreiche Umarmung mit dem Fabrikanten Ernst Friedrich Gottschalk (Wolfgang Lenz). Es gab schöne Kostüme zu sehen, in die so manche Zuschauerinnen und Zuschauer eingekleidet waren, lange Röcke, blaue Oberteile, Heckerhüte und Westen. Die Darsteller meisterten allesamt ihren Auftritt bestens. Auch die Sängerinnen und Sänger taten sich hervor, „Die Gedanken sind frei“ lautete nur eines der zahlreichen Revolutionslieder. Sehr gut kamen auch die im Stück eingebauten Anspielungen auf die heutige Zeit an: So wunderten sich die Freischärler natürlich, weshalb in Schopfheim schon eine Lenk-Plastik mit den Revolutionären stand. „Es hätte doch 150 Jahre später auch gereicht.“ Es war ein friedlicher, bestens gelungener Auftritt der Revolutionäre, deren Ziele erst so viel später nach ihrem eigentlichen Einzug in Schopfheim am 18. April 1848 Wirklichkeit werden sollten. Es war ein fröhliches Fest mit ernstem Hintergrund, und viele sangen: „Es lebe Hecker, stoßet an.“
Petra Martin Schopfheim, Die Oberbadische, 4.10.2012
Bildergalerie von „De Hecker chunnt“ in Schopfheim am 3.10.2012
https://www.michael-trefzer.de/Hecker/