An Weihnachten, in der „Zeit zwischen den Jahren“ bzw. in den Raunächten zwischen Heiligabend und Dreikönig, wenn es draußen eher schnuddelig, drinnen aber umso gemütlicher ist – dann ist viel Zeit für gute Gespräche, aber auch für Familienkrach und Disput. Zur Vermeidung desselben rät der Psychíater Dr. Spaemann (1): „Hände weg von den unpolitischen Durchwurstlern! Sie sind der Kitt in unserer Gesellschaft. Es ist immer ein Zeichen für eine freie Gesellschaft, daß man die unpolitischen Menschen in Ruhe läßt.“
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Ob die Flucht ins Unpolitische und in die Belanglosigkeiten einer Diskussion von AUS (Apotheke – Krankheiten, Urlaub – Nixtun und Sucht – EssenUndTrinken) das Richtige ist? Oder doch nur einen familiären Scheinfrieden wahrt?
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Nein, eine Diskussion ist immer gut, auch dann, wenn die Politik dabei ins Spiel kommt. Hauptsache, man kommt ohne Beleidigungen aus. Man muß ja nicht gleich wie Steinmeier am 4.8.2016 den Trump einen „Hassprediger“ nennen oder wie Musk am 1.1.2025 den Steinmeier einen „Tyrann“.
Beleidigungen sind immer mies und armselig. Und ohne sie lebt man besser, weil friedlicher.
26,12,2024
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Ende von Beitrag „Familienkrach und Politik“
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Beginn von Anlagen (1) –
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(1) „Liebe ist ein göttlicher Funke“
Interview: Zum Fest wird wieder vor dem „AfD-Opa“ gewarnt. Doch was, wenn die Grünen-Tante den Feiertagsfrieden stört? Der Psychiater Christian Spaemann rät dringend, haben Sie sie trotzdem lieb
Moritz Schwarz
Herr Dr. Spaemann, alle Jahre wieder bereiten Medien ihre Leser mit Tips auf das Schlimmste vor: das Treffen mit dem „Schwurbel-Opa“ oder „AfD-Onkel“ beim Familienweihnachtsfest.
Christian Spaemann: Oh, wie wunderbar hilfreich – doch unterlassene Hilfeleistung gegenüber allen, die an den Feiertagen ihre Grünen-Tante fürchten.
Was tun Sie, sollten Sie zum Fest auf Ihre Grünen-Tante oder Ihren AfD-Onkel treffen?
Spaemann: Das ergibt sich aus dem Quotienten meiner politischen Haltung und dem Ziel, das ich gegenüber den jeweiligen Tanten oder Onkeln verfolge.
Das bedeutet?
Spaemann: Beim einen, sich angeregt zu unterhalten, beim anderen, den Arsch – Pardon – zusammenzwicken, um die Familienharmonie zu erhalten.
Einige Tips der Medien zielen keineswegs auf diese, sondern vielmehr darauf, den bösen Onkel beim Weihnachtsessen zu stellen. Was ist davon zu halten?
Spaemann: Mir scheinen solche Ratschläge, in die eine wie die andere politische Richtung, unterkomplex: Wichtig wäre etwa die Überlegung, ob ich meiner Tante, mit der ich sonst nichts am Hut hab, schon immer mal gerne eine reinwürgen wollte oder ob ich mich mit ihr gut stellen muß, weil ich noch etwas von ihr will … Aber nun mal Spaß beiseite: Die Politisierung des Familienkreises ist aus meiner Sicht kein gutes Konzept.
Sind solche Medienbeiträge also im Grunde Anleitungen zum Familienzwist?
Spaemann: Das kommt auf den einzelnen Beitrag an. Einige von ihnen finde ich sehr gelungen, vor allem wenn es darum geht, das Verstehen zu fördern. Es gibt ja Gesprächsfallen, in die man schon immer gerne bei Auseinandersetzungen hineingetappt ist. Allerdings fällt auf, daß es bei diesen Artikeln so gut wie jedesmal um den „AfD-“ oder „Schwurbel-Onkel“ und nie um die Grünen-Tante geht.
Dann stellen wir jetzt hier die Frage nach ihr.
Spaemann: Mag sein, doch statt sich ausgiebig argumentativ vorzubereiten, sollte man sich fragen: Warum ist mir ihr politisches Gezeter so wichtig? Warum bin ich nicht in der Lage, das zu überhören und in den Vordergrund zu rücken, was wirklich wichtig ist, etwa wie es ihr geht oder was ihre Kinder machen? Im Familiären sollte man sich fragen, welche Art Beziehung langfristig für alle Beteiligten, einschließlich der künftigen Generationen, die beste ist: Meiner Erfahrung nach wirkt Liebe in der Familie als ein göttlicher Funke, der, wohl behütet, über Generationen wirksam sein kann.
Was konkret bedeutet?
Spaemann: Viel Nachsicht, Geduld und Abwarten, wann welches Wort wichtig und passend ist.
Was tun, wenn die Grünen-Tante – wie der AfD-Onkel in den Beispielen der Medien – den Feiertagsfrieden unablässig durch politisches Insistieren stört?
Spaemann: Verbohrte Menschen, die nicht anders können, als sich über Politik oder auch anderes zu streiten, gab es schon immer. Allerdings hat das in meinen Augen nichts mit unserer aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation zu tun.
Nicht ursächlich, aber kehrt nicht der Typ des totalitären Ideologen früherer Zeiten bei den Grünen wieder?
Spaemann: Es sind häufig Menschen, die wenig Zugang zur eigenen Lebendigkeit haben. Oft sind sie in einem stark rationalisierten familiären Umfeld aufgewachsen, in dem nicht über tiefere Bedürfnisse und Gefühle gesprochen wurde, und falls doch nur in allgemeiner, prinzipieller Form. So können sich diese Menschen schlecht „fallenlassen“, ihre Bedürfnisse nur schwer anders als in Form von Prinzipien ausdrücken, hinter denen sie diese verstecken.
Welchen Rat haben Sie also für jene, die sich schon wiederholt vorgenommen haben, nicht mehr auf Provokationen solcher Verwandter zu reagieren. Und doch mit dem Wissen in die Feiertage gehen, daß es ihnen bisher noch jedesmal mißlungen ist?
Spaemann: Das ist eben nicht einfach. Zum Beispiel habe ich selber Probleme mit jemandem, den ich lange sehr gut kenne, der aber eine blasierte Art an den Tag legt, mit dem umzugehen, was in der Corona-Zeit vielen Menschen passiert ist und womit ich folglich auch in meiner Praxis viel zu tun hatte. Ich gebe zu, daß da durchaus ich derjenige bin, der gerne mal provokant stichelt. Übrigens sind es nach wie vor vor allem die nicht aufgearbeiteten Corona-Ereignisse, die Familien- und Freundeskreise am tiefsten spalten. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Inwiefern?
Spaemann: Jene, die im Widerstand gegen diese waren, die ihre körperliche Selbstbestimmung geltend gemacht und sich eingehender mit den Hintergründen der Krise beschäftigt und deshalb selbst unter eheblichen Nachteilen gelitten haben, fühlen sich bis heute unverstanden und im Stich gelassen. Denn sie stoßen in ihrer Umgebung oft weiterhin auf Desinteresse, wenn nicht auf mit Arroganz gepaarte Ignoranz, die Enttäuschung und Bitterkeit, ja sogar Haß erzeugen kann. Man sollte anerkennen, wie verletzt und unverstanden sie sich fühlen. Ich kann den Betroffenen nur empfehlen, dies als Herausforderung anzunehmen, sich bewußtzumachen: Welche Ziele habe ich? Was ist mir im Leben wirklich wichtig? Selbstverständlich soll die Familie wissen, wie man denkt und fühlt. Es gibt aber eine Art menschliches Grundgesetz, nach dem letztlich nur Liebe und Geduld im Familien- und Freundeskreis überzeugen. Nur wer selber Frieden in sich hat, kann diesen auch in der Familie ausbreiten.
Und wie kommt der einzelne zu solch innerem Frieden?
Spaemann: Indem man ein Gegengewicht schafft gegenüber all dem, was medial auf einen eindringt, gegenüber dem ständigen Lärm, dem wir ausgesetzt sind. Das kann schöne Literatur oder auch Gebet sein, kein Geplapper, sondern Stille, Dankbarkeit und Hinhören auf das Geheimnis der Schöpfung. Was allerdings nicht heißt, auf den gesellschaftlich-politischen Kampf zu verzichten.
Ihn aber in Familien- oder Freundeskreis zu führen, zumal zu Weihnachten, davon raten Sie ab?
Spaemann: Ja, ich habe zum Beispiel eine Patientin, die sich mit ihrer Corona-kritischen Haltung von ihrer Familie alleingelassen fühlt. Neben meinem Verständnis versuche ich ihr aber auch ihre Verantwortung für sich selbst und für ihre Familie klarzumachen, damit sie aus der Position der Schwäche und der Opferrolle herauskommt. Das mündet in der Erkenntnis: Ich schlucke nicht einfach alles um des lieben Friedens willen, sondern ich, die ich in der Sache mehr durchschaut habe als meine Familie, übernehme entsprechende Verantwortung. Ich erkenne an, daß meine Familie in einer anderen Welt lebt, die Dinge anders wahrnimmt und gewichtet. Und weil ich meine Beziehung zu ihr erhalten will, stelle ich die Klärung der Streitfragen zurück und versuche stattdessen, als Mensch zu überzeugen.
Also statt sachlich lieber charakterlich, durch Lang- und Großmut bei gleichzeitiger Festigkeit in der Sache?
Spaemann: Genau! Möglicherweise sagt die Familie eines Tages: „Da hat sie ja vielleicht doch recht gehabt.“ Ja, vielleicht ist sie später sogar stolz auf sie.
Schlimm wird es, hat man es in der Familie mit jenem Typus zu tun, der schon eine andere Meinung als Angriff sieht. Wie kommt es zu solch einer Emotionalisierung?
Spaemann: Die Spaltung der Gesellschaft ist nicht neu. Ein Jugendlicher aus einer Arbeitersiedlung der fünfziger Jahre befand sich ebenso in einer relativ festgefügten Welt wie der bürgerliche Oberministrant des Nachbarviertels. Da konnten sich Jungsozialisten und Jungunionisten auch schon mal gegenseitig die „Fresse polieren“, wie es damals hieß, ohne irgendwelche Emotionen verinnerlichen zu müssen. Zwischen damals und heute liegen aber siebzig Jahre der Auflösung identitätsstiftender Milieus und zunehmenden Wohlstands. Radikaler Individualismus und Massengesellschaft sind zwei Seiten einer Medaille, und die mit letzterer einhergehende Massenmanipulation muß per innerer Dramatisierung individualisiert werden, damit sich der einzelne noch als vermeintlich freies Wesen spüren kann.
Was bedeutet diese Tendenz zur Dramatisierung für die Demokratie? Die jungen Deutschen ja zunehmend nicht mehr als Recht auch des Andersdenkenden vermittelt wird, sondern als dessen Niederkämpfung.
Spaemann: Bei der Demokratie handelt es sich um ein Verfahren zur Bottom-up-Delegierung von Macht in Verbindung mit dem Rechtsstaat. Jedem, dem man das Demokratsein absprechen will, müßte man nachweisen, daß er vorhat, dieses Regularium abzuschaffen. Die zunehmende Aufladung des Demokratibegriffs mit diversen Gesinnungen legitimiert dagegen, dies als eine „DDR 2.0“ zu bezeichnen. Solch ein Demokratieverständnis lebt von dem, was uns die Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley nach dem Lesen ihrer Stasi-Akte prophezeite: Diffamierung, Diskreditierung, Ausgrenzung und Zersetzung – das alles werde wiederkommen.
Für bizarre Beispiele der Dramatisierung sorgte jüngst die Wahl Donald Trumps: Zu bewundern waren in sozialen Medien Menschen, die enthemmt weinten, in unbändige Raserei verfielen oder verkündeten, aus Protest fortan auf Körperpflege oder auf Sex zu verzichten. Ist zu fürchten, daß der im Januar anstehende Amtsantritt Trumps vielen Deutschen das Fest verdirbt?
Spaemann: Ich glaube, daß sich die Trump-Apokalyptiker bei uns bis dahin schon wieder erholt haben werden. Umgekehrt wäre es dagegen anders gewesen.
Inwiefern?
Spaemann: Jene, die große Sorge angesichts einer Wahl von Kamala Harris hatten, wären bei deren Sieg nicht hysterisch ausgezuckt – hingegen aber weit über Weihnachten hinaus tief bedrückt gewesen.
Wieso das?
Spaemann: Die Harris-Warner wurden nicht von den Medien gefüttert, sondern mußten sich selbst ein kritisches Bild von ihr und ihren Zielen machen, was zu einer eher authentischen Sorge führte. Informierte und sich authentisch Sorgende reagieren nicht hysterisch, sondern mit Erleichterung oder einem Gefühl der Bedrückung. Womit ich jedoch nicht jedem Trump-Kritiker die Authentizität absprechen will. Die besten Kritiker von Kamala Harris und Analysten ihrer woken Bubble finden sie übrigens bei den amerikanischen Linksintellektuellen.
Bei der Nachricht von Trumps Sieg hätten sie und ihr Mann sich in den Arm gelegen und „fünf bis zehn Minuten geweint“, erklärte im ZDF Ronja von Wurmb-Seibel. Doch weder lebt die vielgelobte und preisgekrönte Journalistin und Bestsellerautorin in den USA, noch ist die fast Vierzigjährige pubertäre 16.
Spaemann: Daß Menschen ob der Wahl eines US-Präsidenten unterschiedlich emotional reagieren, erscheint mir normal. Hätte sich diese Journalistin für Harris engagiert und kraftraubend Wahlkampf geführt, könnte ich Weinen aus Enttäuschung nachvollziehen. So aber wirkt die Reaktion des Paares befremdlich. Ich vermute eine medial- und milieuinduzierte, phantasievolle Symbolisierung der Personen Trump und Harris, die zu entsprechend inszenierten Gefühlen der Enttäuschung geführt hat.
Gespannt dürfen wir sein, ob der „Spiegel“ zu Trumps Amtsantritt wieder, wie nach dessen Sieg, eine Verhaltenstherapeutin interviewt zum Thema: „Was tun, wenn ich wegen Trump Angst habe?“
Spaemann: Dieses Interview stellt für mich ein bemerkenswertes soziologisches Zeitdokument dar. Es zeigt die medial begleitete Milieu-Blase einer deutschen Großstadt unserer Zeit, in der auch Therapeut und Patient eine Einheit bilden. Diese Art Interview hätte übrigens in emotional etwas verdünnter Form genauso ins München des linksliberalen Milieus der achtziger Jahre bei einer Wahl von Franz Josef Strauß zum Bundeskanzler gepaßt.
Auch wenn Sie in Österreich praktizieren: Nehmen Sie Politisierung und Spaltung der Gesellschaft in Ihrer täglichen Arbeit als wachsendes Phänomen wahr?
Spaemann: Lassen Sie mich eine indirekte Antwort geben: Bei mir handelt es sich um einen nervenärztlichen Outlaw, den es nach Mattighofen im berüchtigten Innviertel Oberösterreichs verschlagen hat. Hier habe ich mit Bauern, Handwerkern und Schichtarbeitern aus Serbien und Bosnien zu tun. Eine fantastische Mischung! Was sie verbindet, ist ihr Realismus. Nichts zieht mich nach München-Bogenhausen zurück, wo ich in den Neunzigern meine Ausbildung gemacht habe. Natürlich gab es vor allem in der Coronazeit auch hier Spaltungen. Insgesamt aber scheint mir die Spaltung zwischen dem an der Grenze zu Bayern gelegenen kleinen Mattighofen und Bogenhausen größer zu sein als die innerhalb von Mattighofen und Bogenhausen.
Apropos Österreich: Stellen Sie dort einen anderen Umgang mit der politischen Spaltung fest?
Spaemann: Ich muß Sie enttäuschen. Man neigt dazu, den Nachbarn zu idealisieren. Doch die Österreicher waren es, die während Corona die allgemeine Impfpflicht eingeführt hatten, und jetzt machen sie bei der Regierungsbildung in Wien den gleichen Murks wie in Thüringen. Dennoch, es gibt, was Ideologie angeht, im deutschsprachigen Raum ein Nord-Süd-Gefälle. Die Österreicher waren und sind eher schwache Ideologen. Lassen Sie mich zum Schluß aber noch einen Appell an die Leser richten!
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Bitte.
Spaemann: Hände weg von den unpolitischen Durchwurstlern! Sie sind der Kitt in unserer Gesellschaft. Es ist immer ein Zeichen für eine freie Gesellschaft, daß man die unpolitischen Menschen in Ruhe läßt. Frohe Weihnachten!
… Alles vom 20.12.2024 von Christian Spaemann bitte lesen in der JF 52/24, Seite 3
https://www.junge-freiheit.de
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Dr. Christian Spaemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und war zuletzt Leiter einer Psychiatrischen Klinik in Braunau am Inn. Der Sohn des Philosophen Robert Spaemann wurde 1957 in Münster geboren, lebt in Niederbayern und betreibt im grenznahen österreichischen Mattighofen-Schalchen eine eigene Praxis. https://www.www.spaemann.com