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Karsamstagnacht in Freiburg-Ebnet 16.4.2022: Osterfeuer, Kirche, Gräber und Mond

 


Papst Leo XIV in Dublin (Wachsfigurenkabinett) – Anfang Juni 2025

 

Papst Leo XIV: Brückenbauer der Versöhnung
Katholische Kirche: Mit der Wahl von Leo XIV. ist der Buona-Sera-Populismus vorbei
Marco F. Gallina
Es nützt nichts, viel zu reisen, wenn sich der Geist nicht bewegt. Das gilt auch für zahlreiche Berichterstatter in Rom. So wollte die Zeit bereits nach wenigen Minuten des Auftritts wissen, daß der neue Papst Leo XIV. so weit „links“ stehe, daß ihn viele gar nicht auf der Liste geführt hätten; er gelte als Progressiver. Auch die taz schloß Leo – bürgerlich: Robert William Prevost – schnell ins Herz. Traditionelle Katholiken bangten bereits darum, daß doch ein Franziskus II. gewählt worden sei, und malten sich ein Verbot der lateinischen Messe aus.
Ähnlich wie bei der US-Wahl steigerten sich die Kommentatoren in ihre eigenen Phantasien. Einzig die Mozetta weckte Unbehagen – zu pompös nach dem „bescheidenen“ Franziskus. Kurz flackerte der Gedanke auf, daß Leo womöglich nicht den Erwartungen entsprechen könnte.

Dabei ist es dieser „Fehler im System“, der die Katholiken weltweit aufmerken ließ. Denn nicht nur das rote Schultergewand fiel auf, sondern auch die Stola mit den vier Evangelisten, das Goldkreuz – und vor allem der Name. Denn Leo gehört zu den traditionellen Namen der Bischöfe von Rom. Daß zudem auf dem Balkonteppich nicht wie üblich das Wappen des verstorbenen Papstes prangte, sondern lediglich die Tiara mit den Schlüsseln Petri, hätte stutzig machen sollen.

In den Worten Leos war und ist Franziskus lebendig – außerhalb davon sucht man vergeblich das bergoglianische Erbe. Auch in der Rhetorik ist der Buona-Sera-Populismus am Ende: In schönem Italienisch knüpfte der US-Amerikaner an den Stil der Vor-Franziskus-Ära an. Von den Schlüsselworten des letzten Pontifikats blieb nur die Synodalität übrig – wie diese auszulegen sein wird, ist dagegen nun die Angelegenheit von Prevost, nicht von Bergoglio.

Für einen Schmusekurs mit dem Zeitgeist hat Leo XIV. wenig übrig
Daß diese Auslegung definitiv nicht der entsprechen dürfte, die den deutschen Bischöfen und Anhängern des „Synodalen Wegs“ vorschwebt, zeichnet sich ab. Während sich die Vertreter in Deutschland darum bemühten, Leo als Freund dieses Irrwegs darzustellen, reisten die Kardinäle Marx und Woelki überraschend ab. In einer 25-Minuten-Pressekonferenz hielt der Münchner Erzbischof eine Rede, die Angela Merkel alle Ehre gemacht hätte: Marx bemühte sich möglichst über den verstorbenen Franziskus, statt über den nun regierenden Leo zu sprechen. Der Essener Bischof Overbeck zeigte sich in einem Interview zerknirscht: Prevost sei bei Reformen „zurückhaltend“.

Für den Schmusekurs mit dem Zeitgeist, wie ihn das deutsche Episkopat pflegt, hat Leo wenig übrig. Das verdeutlichte der Pontifex bei der ersten Messe in der Sixtinischen Kapelle. In seiner Predigt sagte er: „Vielfach wird Jesus, obwohl er als Mensch geschätzt wird, auch heute bloß als eine Art charismatischer Anführer oder Übermensch gesehen, und zwar nicht nur von Nichtgläubigen, sondern auch von vielen Getauften, die so schließlich in einen faktischen Atheismus geraten.“

Das ist eine Kritik am Relativismus, wie man sie zuletzt von Benedikt gehört hat. Mit dem vagen Schlingerkurs des direkten Vorgängers hat Prevosts Linie wenig gemein. Der Augustiner steht mit beiden Füßen auf der Lehre. Das gilt besonders bei LGBTQ, Transkult, Abtreibung, Frauenpriestertum und Zölibat. Freilich werden Themen wie Umweltschutz, weltweite Konfliktherde und Massenmigration auch für diesen Papst Thema bleiben. In einem weitverbreiteten Video betonte Prevost jedoch, daß Massenmigration ein Problem sei – bei dem man nie vergessen dürfe, daß jeder Mensch ein Ebenbild Gottes sei. Das ist eine Differenzierung, die man unter dem argentinischen Pontifex vermißte. Die augustinische Lehre steht im Kontrast zum Manichäismus. Zugleich steht dies im Einklang mit dem Missionsgedanken und der Evangelisierung, die Prevost wieder stärker ins Zentrum rücken will – was heute weniger auf die Dritte Welt als das säkulare Europa zutreffen dürfte.

Diese spannende Kombination von frommer Tradition und sozialpolitischer Verantwortung hat offenbar schon im Konklave eine Rolle gespielt. Nach italienischen Medienberichten waren es ausgerechnet die Konservativen, die Prevost ins Spiel brachten. Schon am 30. April hatte sich herumgesprochen, daß Prevost Kardinal Burke, die Speerspitze der konservativen Franziskus-Opposition, in dessen römischer Wohnung besucht hatte. Andererseits hatte der Franziskusfreund und progressive Kardinal Maradiaga verbittert das Vorkonklave verlassen, weil man Bergoglio „den Rücken“ zugewendet habe. Ein reversement des alliances, bei dem sozialkatholisch Gemäßigte und Traditionalisten zusammenarbeiteten – eine SPÖ/FPÖ-Koalition im Konklave.

Damit erklärt sich auch die Mischung aus traditionellen und sozialen Elementen. Denn neben der Rückkehr der alten Gewänder steht offenbar auch die Rückkehr in den Apostolischen Palast an – innerkirchliche Konzessionen an die mutmaßlichen Mehrheitsbeschaffer? Mit dem „sozialen Programm“ können die „Rechten“ leben, solange die Progressiven und die Kurialen ausgeschaltet bleiben. Denn das soziale Element ist keineswegs eine Erfindung von Franziskus, auch wenn er diese PR betrieben hat – daß Pius XII. im vom Krieg gebeutelten Rom seinen Schafen in weit größerer Not geholfen hat, wird heute leicht verdrängt.

Damit dringt auch die Gestalt Leos XIII. in den Vordergrund, dessen Enzyklika „Rerum Novarum“ in den nächsten Wochen sorgfältiger denn je gelesen werden dürfte. Diese „Sozialenzyklika“ ist keine Anbiederung an den Sozialismus, sondern dessen Verurteilung. Leo schlägt stattdessen mit der katholischen Soziallehre einen dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus vor. Leo XIV. hat angekündigt, im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung exakt an dieser Umwälzung in der Arbeitswelt anzuknüpfen. Ähnlich wie Leo XIII. die Kirche ins 20. Jahrhundert führte, könnte Leo XIV. sie endlich im 21. Jahrhundert ankommen lassen – auch weil die Belastungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, wie sie die letzten Generationen zeichneten, für den 69jährigen nicht gelten.

Das Kernthema des neuen Papstes ist deutlich: der Frieden
Es wäre dabei verfehlt, Leo XIII. einzig auf den Titel des Arbeiterpapstes zu reduzieren. Er verband in seinem Pontifikat Moderne und Mystik, galt als Rosenkranzpapst und ist zugleich Urheber des Gebets an den Erzengel Michael gegen den Teufel – das bis zum letzten Konzil in jeder Stillen Messe gebetet wurde. Mit dem Ave Maria auf der Loggia und seinem Besuch im Marienheiligtum Genazzano am Samstag hat Leo XIV. diese marianische Dimension gestärkt. Auf seinem Wappen stehen eine Lilie und hellblauer Grund für die Verbundenheit mit Maria und ihrem Himmelsmantel.
Das Kernthema des neuen Papstes ist deutlich: der Frieden. Achtmal hat Leo den Begriff bei seiner Rede auf der Loggia verwendet, beginnend mit dem Ostergruß als Eröffnungsformel seines Pontifikats. Am darauffolgenden Sonntag betonte er den Frieden als programmatischen Schwerpunkt, indem er den Krieg in der Ukraine anprangerte, ein Ende des Krieges in Gaza und die Freilassung der israelischen Geiseln forderte. In Erinnerung an das Weltkriegsende vor 80 Jahren, das auf den Tag seines Amtsantritts fiel, bediente er sich des Mottos: „Nie wieder Krieg!“ Auch das ist keine Neuerung als solche, sondern steht bereits in der Tradition Benedikt XV. und Pius XII.
Während Franziskus auf Äquidistanz zu den geopolitischen Großmächten achtete, könnte Leo XIV. eine entschlossenere Akzentverschiebung einleiten. Während zahlreiche Medien das „Anti-Trump“-Narrativ prominent in Stellung brachten, dürfte die Wahl eines US-Amerikaners eher als Anti-China-Signal zu werten sein. Innerhalb der Kirche ist das Abkommen mit der Volksrepublik hochumstritten, eine Revision nicht unwahrscheinlich. Die Papabili Pietro Parolin und Luis Tagle galten als China-Appeaser. Prevost könnte eine deutlich aktivere Rolle im Sinne Johannes Pauls II. annehmen.
Die Zeiten der „Ostpolitik“, wie sie unter Franziskus als außenpolitische Leitlinie im Bezug auf China und Rußland galt, war am Sonntag jedenfalls kaum zu erkennen. Wie sich das angespannte Verhältnis zu Israel entwickelt, nachdem Bergoglio Ähnlichkeiten zu einem Genozid in Gaza ausgemacht hatte, bleibt offen. Bei der Beerdigung am 26. April hatte Israel als einer der wenigen Staaten keinen Regierungsvertreter geschickt und es beim Botschafter belassen. Tage zuvor hatte es ein unwürdiges Schauspiel um ein israelisches Kondolenzschreiben auf X gegeben, das später gelöscht wurde.

Leo XIV. steht am Beginn eines Pontifikats, das sich mehr an den 2.000 Jahren der Una Sancta orientiert als an den zwölf Jahren Franziskus – auch wenn die Medien anderes kolportieren. Seine Mission ist die der Versöhnung – nach außen wie nach innen. Dies betrifft sowohl die internationale Bühne als auch die tiefen Gräben innerhalb der Weltkirche. Ob der neue Pontifex jenen Gläubigen entgegenkommen wird, die an der Alten Messe festhalten, bleibt vorerst offen. Seine Hinwendung zu einer klassisch geprägten Ästhetik läßt sich zumindest als Hoffnungsschimmer deuten.
Gleichzeitig steht er vor der Herausforderung, in Deutschland endlich für klare Verhältnisse zu sorgen – dort, wo ein Teil des Episkopats seit Jahren auf der Grenzlinie zwischen staatsfrommer Anpassung und lehramtlicher Erosion balanciert. Eine delikate Aufgabe, zumal die deutsche Kirche über finanzielle Mittel verfügt, von denen andere Bischofskonferenzen nur träumen können. Leo wird, wie schon sein Vorgänger, der den Namen „der Große“ trägt, nicht nur hier brüllen müssen, um seine Gemeinde zu schützen und die Wölfe zu schrecken.
… Alles vom 16.5.2025 von Marco Gallina bitte lesen in der JF 21/25, Seite 14
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David Engels: Krise und Aufbruch der Weltkirche – Wendezeit des Glaubens
Kaum war die Nachricht vom Tod Papst Franziskus’ in der Welt, und schon begann das große Rätselraten um den neuen Nachfolger Petri und gleichzeitig die Zukunft der Kirche – und mit ihm eine Flut von Stellungnahmen, Kommentaren und Abrechnungen. Das nun anstehende Konklave findet nicht nur im Schatten eines pontifikalen Erbes statt, das zugleich Hoffnung wie Spaltung säte, sondern auch im Zeichen eines epochalen Umbruchs: Das Christentum ist im alten Europa auf dem Rückzug, der Globale Süden gewinnt an Einfluß, und selbst in den Medien ist der Vatikan kaum mehr als eine Randnotiz zwischen geopolitischen Krisen und Kulturkämpfen. Wer in einem solchen Moment den Heiligen Stuhl besteigt, steht nicht nur vor theologischen, sondern auch vor zivilisatorischen Weichenstellungen, die kaum größer gedacht werden können.

„Über die Toten nichts als Gutes“, formulierten es einst die Römer. Es sagt viel über unsere Zeit aus, daß selbst (und gerade) aus den Reihen der „Konservativen“ dieser alte Grundsatz nicht immer gewürdigt wird – besonders wenn es sich um eine so herausragende Gestalt des sakralen Lebens wie Papst Franziskus handelt: Die Nachricht von seinem Tod war erst wenige Stunden alt, als schon die ersten „Abrechnungen“ publiziert wurden. Und selbst wenn beileibe nicht immer alles, was in diesen Texten geschrieben wurde, auch falsch war, handelt es sich hierbei doch um einen Stilbruch, der letzten Endes genaugenommen um so schwerwiegender ist, je mehr er eine gewisse Rechtfertigung für sich in Anspruch nehmen kann. In der Folge wollen wir die gegenwärtigen Geschehnisse zum Anlaß nehmen, einen eher allgemeinen Blick auf die Weltkirche zu werfen, um dann sine ira et studio die letztlich begrenzten Möglichkeiten zu beleuchten, die einem heutigen Pontifex zur Mitgestaltung der Ereignisse zur Verfügung stehen.

Was die Lage der Weltkirche betrifft, so macht man sich gerade in Europa kaum ein Bild davon, wie komplex, differenziert und letztlich durchwachsen die globale Situation ist. Daß der Katholizismus in Europa überall auf dem Rückzug ist, ist eine Binsenweisheit: Nicht nur in Deutschland und Frankreich, sondern auch in ursprünglich tiefkatholischen Ländern wie Polen, Irland, Spanien und Italien sinken die Zahlen der Gläubigen wie auch der Geistlichen unerbittlich – und mit ihnen nicht nur der politische und kulturelle Einfluß Roms sowie wichtige Einkommensquellen. Die Gründe hierfür sind altbekannt: die Anbiederung an den Zeitgeist, die das Gegenteil dessen bewirkt hat, was erhofft wurde; die systematische Diffamierung des Christentums in Medien, Politik und Kultur; der mit dem Abgang der Boomer-Generation auch in der Kirche einsetzende demographische Wandel – all dies und viele andere Faktoren haben eine Dynamik geschaffen, die überaus kritisch ist und in einigen Generationen von den Historikern zweifellos als das zentrale geschichtliche Ereignis des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts bewertet werden wird. Denn mit dem Schwinden des Christentums zerfällt nicht nur der geistliche, sondern auch der geistige, politische und kulturelle Bezugsrahmen, der das Abendland über Jahrhunderte im Innersten zusammenhielt.

Doch nicht alles ist schlecht: Dem Bedeutungsverlust der alternden Massenkirche steht gleichzeitig eine zunehmende Stärkung der traditionalistischen Strömungen gegenüber, die gerade bei jungen Menschen zunehmend Einfluß gewinnen und im wesentlichen durch die Verbindung von lateinischer Messe, nationalem Patriotismus und ausgeprägtem Familiensinn gekennzeichnet sind. Wo man bis vor einigen Jahren mit „Tradis“ ewiggestrige Senioren verband, sind es heute junge, kinderreiche und politisch ganz klar „rechts“ verortete Familien, allen voran in Frankreich.

Kein Wunder also, daß sich in den nächsten Jahren die Proportionen innerhalb der europäischen Kirche massiv verschieben werden: In 20 Jahren werden die Konservativen, die heute noch ihre tridentinischen Messen in den Katakomben feiern müssen, wohl die wichtigste Kraft innerhalb der Kirche darstellen und diese mehr oder weniger übernehmen. Die Frage ist nur, was dann überhaupt noch von der „Kirche“ übriggeblieben sein wird, nicht nur, was ihren zu diesem Zeitpunkt wohl weitgehend geschwundenen kulturellen und politischen Einfluß betrifft, sondern auch ihre demographische Bedeutung; ganz zu schweigen von ihrer logistischen Macht, findet doch jetzt schon eine bedrückende Verramschung von Kirchengebäuden, Krankenhäusern, Schulen, Sammlungen oder Bibliotheken statt: Wie in so vielen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens wird die scheidende Generation auch kirchenpolitisch nur verbrannte Erde zurücklassen.

Doch auch außerhalb Europas ist die Situation alles andere als rosig. Man erklärt gern, daß die Zukunft des Christentums ohnehin nicht auf dem „alten Kontinent“ liege (der ja auch erst zu seiner sekundären Heimstatt nach der Levante geworden ist), sondern in Afrika, Lateinamerika und selbst Asien, und daß viele der auf den ersten Blick kontra-intuitiv wirkenden Entscheidungen des verstorbenen Papstes darauf beruhten, daß er lieber die neuen außereuropäischen Zentren stärken als zu viel Energie in eine ohnehin verlorene Schlacht stecken wollte.

Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht völlig richtig. Denn zum einen sehen wir, wenn auch zeitversetzt, selbst in Lateinamerika einen nicht zu leugnenden Niedergang des Katholizismus, zum anderen darf nicht vergessen werden, daß vieles von dem, was formal „katholisch“ scheinen mag, im Innersten durch einen starken Synkretismus mit paganen Vorstellungen geprägt ist; man denke hier nur an den Voodoo in der Karibik, in Brasilien und Westafrika, oder die wieder erstarkenden präkolumbianischen Glaubensvorstellungen in Mittelamerika und im Andenraum.

Das katholische Christentum ist zwar, wie ja auch der Islam oder der Buddhismus, eine universale Religion, trotzdem ist es zutiefst von abendländischen Zivilisationsformen geprägt, ohne die es sich in eine völlig unterschiedliche Richtung entwickeln könnte, ebenso wie ja auch der chinesische Buddhismus eine Richtung eingeschlagen hat, die mit seinen indischen Wurzeln nur noch wenig gemein hat. Fällt der abendländische Einfluß auf den Katholizismus aus, wird dieser sich nicht nur in kulturell völlig fragmentierte Zonen aufsplittern, sondern dürfte sich auch die Rolle Roms auf die eines bloßen Symbols beschränken.

All dies ist natürlich weder für den verschiedenen Papst noch für die hochrangigen Vertreter des Vatikans ein Geheimnis. Ganz abgesehen davon, daß fast alle Würdenträger in der einen oder anderen Weise das Zweite Vatikanum entweder mitzuverantworten haben oder es doch mitgetragen haben und kaum zum Traditionalismus zurückkehren können, ohne das eigene Gesicht und natürlich ihr Netzwerk zu verlieren, befindet sich die Kirche in einem echten Dilemma: Identifiziert sie sich ganz mit dem Konservatismus abendländischen Musters, begibt sie sich nicht nur auf einen frontalen Kollisionskurs mit dem Großteil der politischen, medialen und kulturellen Machthaber des Kontinents (und das in einem Zeitalter der Schwäche und Teilung), sondern riskiert auch einen Konflikt mit außereuropäischen Kirchenströmungen, die sich aufgrund von Ressentiment und Kolonialismusdiskurs vom europäischen Zentrum emanzipieren wollen. Stärkt die Kirche aber „linke“ Strömungen, setzt sie sich einer dogmatischen Zerreißprobe aus, die sie langfristig das europäische Zentrum kosten könnte – mit allen Folgen.

Welcher Handlungsspielraum ist der Kirche also gegeben? Ein „Young Pope“, wie ihn viele „Tradis“ erhoffen, wäre ein Risiko, das eine so alte, vorsichtige und ehrwürdige Institution wie die Kirche nur alle paar Generationen eingeht. Wahrscheinlicher sind daher eher kleine, diplomatische Kurskorrekturen und die Überzeugung, daß der lange Atem gleichzeitig auch am sichersten ans Ziel führt und der Heilige Geist die Kirche schon oft genug über den scheinbar unvermeidlichen Untergang hinübergerettet hat.

Diesen Unwillen zur Veränderung hat wohl auch Franziskus spüren müssen, weshalb er seine Reformversuche, die allesamt eher in die linke Richtung zielten, nicht von innen, also aus dem Apparat selbst, sondern von außen, durch den Druck der Öffentlichkeit, hat erzwingen wollen; eine Taktik, die ihm von vielen als machiavellistische Strategie vorgeworfen worden ist, obwohl sie gleichzeitig auch ein gewisses Eingeständnis der Schwäche war. Bewirkt hat er dadurch vor allem Verwirrung seitens der Gläubigen und Uneinigkeit innerhalb der Institution, während die Sympathien, die Franziskus mit seinen Äußerungen zu Klima, Migration, Covid, LGBTQ oder Populismus in den Massenmedien und seitens jener post-religiösen Kulturchristen gewonnen hat, die nur zu Weihnachten oder Begräbnissen eine Kirche betreten, für die konkrete Zukunft der Kirche wohl weniger von Belang waren, als er es gehofft haben mag: Die Medien sind ohnehin fundamental anti-christlich eingestellt, und die Kulturchristen an einer echten inneren Auseinandersetzung mit Gott uninteressiert.

Man wird das vergangene Pontifikat also vor allem als Ausdruck einer innerkirchlichen Auseinandersetzung in Erinnerung behalten, in der Franziskus versucht hat, durch Kampf gegen die allzu abendlandpatriotische, angeblich „fundamentalistische“ oder „formalistische“ Rechte sowie durch eine mediale Annäherung an einen weitgehend linken Medien- und Machtapparat nicht nur eine Stärkung des Pontificalamts zu bewirken, sondern auch eine ideologische Verzahnung zwischen Zentrum und Peripherie zu bewirken. Indem Franziskus den Glauben radikal auf die freie und intime Beziehung zwischen Gott und den Einzelnen zurückführen wollte und somit dem hochdifferenzierten dogmatischen Gerüst der katholischen Lehre gewissermaßen den Angelpunkt der theologischen Berechenbarkeit entzogen hat, hat er wohl gehofft, einen neuen Minimalkonsens zu schaffen, der gleichzeitig auch einen Anknüpfungspunkt an den modernen linken Zeitgeist ermöglichen sollte, wenn das Resultat jener Spannung zwischen liberaler Rhetorik und dogmatischer Konstanz auch wohl eher in Verwirrung, Verunsicherung und Spaltung als in Versöhnung bestand.

Wie geht es weiter? Rechts wie links scheint im Kardinalskollegium vor allem in einem Punkt Einigkeit zu bestehen: Der nächste Papst sollte vor allem Besonnenheit und Stabilität ausstrahlen; es braucht eine Verschnaufpause, um den inneren Frieden wiederherzustellen. Freilich ist ein neuer Unsicherheitsfaktor in dieses Kalkül eingetreten: Donald Trump. Denn während die beiden letzten Papstwahlen im Klima der weitgehenden kirchenpolitischen Indifferenz der großen Machtblöcke stattfanden, findet die jetzige inmitten der völlig neuartigen Situation einer amerikanischen Präsidentschaft statt, die nicht nur stärker als jede vorherige durch die Bereitschaft zur Disruption und durch den Einfluß traditioneller katholischer Kräfte, sondern auch durch ein starkes Ringen um moralisch-ideelle Legitimität gekennzeichnet ist: Für Trump könnte die Wahl eines ihm genehmen Papstes mindestens ebenso wichtig sein wie weiland für den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Angesichts der finanziellen Nöte des Vatikans und der historischen Unerfahrenheit vieler Kardinäle könnten die Machtproben der kommenden Wochen gänzlich neue Herausforderungen darstellen und möglicherweise ungeahnte Folgen entfalten.
… Alles vom 8.5.2025 von David Engels bitte lesen in der JF 20/25, Seite 18

Prof. Dr. David Engels, Jahrgang 1979, war Professor für Römische Geschichte in Brüssel und lehrt jetzt am Catholic Institute of Higher Studies ( ICES) in der Vendée Weltgeschichte