Hysterie

Home >Zukunft >Demokratie >Deutschland >Gesellschaft >Zivilgesellschaft >Hysterie

Maske ade – im Schnee Anfang April 2022

  • Alexander Meschnig: Deutschland – eine hysterische Nation? (16.7.2024)
  • Die hysterische Republik (4.4.2022)

 

Deutschland: eine hysterische Nation?
von Dr. Alexander Meschnig
.
Woher kommt die breite Hysterie im sogenannten „Kampf gegen rechts“ oder ganz allgemein gegen Andersmeinende, die mit den realen Verhältnissen in Deutschland nichts zu tun hat? Ein Streifzug durch die historischen Wurzeln.
Ende Mai sangen ein paar offensichtlich betrunkene junge Menschen auf der Nordseeinsel Sylt in einer Nobelbar zur Melodie von L’amour toujours, einem harmlosen Partylied, „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen.“ Nachdem kurz danach ein Video der Feier in den sozialen Medien viral ging, gab es kein Halten mehr. Die Tagesschau berichtete zur besten Sendezeit über die, wie es hieß, erschreckende Entgleisung aus der Mitte der Gesellschaft. Innenministerin Faeser, Bundeskanzler Scholz, Präsident Steinmeier, alle äußerten maximalen Ekel vor den Ereignissen in Sylt: rassistisch, ausländerfeindlich, menschenverachtend, eine Schande für Deutschland.

Von verschiedenen Seiten wurden Höchststrafen wegen Volksverhetzung für die Beteiligten gefordert, die Namen der Partygröler wurden, zur Freude all derjenigen, die ansonsten Rot sehen, wenn die Herkunft von ausländischen Straftätern in Polizeiberichten genannt wird, im Internet veröffentlicht. Die Sylter Sänger verloren ihre Arbeitsplätze oder wurden vom Studium ausgeschlossen, ihre Familien und Freunde bedroht, dass alles unter dem Applaus der selbst ernannten Toleranten und Weltoffenen. Schließlich verboten mehrere Betreiber von Volksfesten oder öffentlichen Veranstaltungen das Abspielen des bis dorthin unbescholtenen Liedes um „rechtes Gedankengut“ zu verhindern, was natürlich, wie schon zuvor mit dem als sexistisch eingestuften Partyhit „Layla“, seine Bekanntheit extrem steigerte.
Nun kann und darf man das Gegröle „Deutschland den Deutschen“ der Wohlstandskinder auf Sylt pubertär und abstoßend finden, ein infantiles Verhalten, das mit den ausländerfeindlichen Parolen offenbar ein Ventil gegen die Auswüchse der „Wokeness“ fand und damit ein Lied europaweit zum Protestsong gegen die verordnete Fernstenliebe machte.

Die darauffolgenden vollkommen überzogenen Reaktionen von Politik und Medien – der Faschismus stand wieder einmal kurz vor der Machtübernahme – verlangen aber nach Antworten auf die möglichen Gründe für diese Überreaktion. Woher stammt diese breite Hysterie, im konkreten Fall im sog. „Kampf gegen rechts“, die mit den realen Verhältnissen in Deutschland nichts zu tun hat? Vergleicht man die hysterischen Reaktionen auf die Sylter Sänger damit, wie Universitätsleitungen in Deutschland etwa auf islamistische „Free Palestine” Aktivisten reagieren oder die öffentlich-rechtlichen Medien auf den Terrorangriff eines Afghanen in Mannheim, der einem Polizisten das Leben kostete, dann steht die Reaktion auf Sylt in keinem Verhältnis zum eigentlichen Anlass.

Die polit-mediale Klasse hat sich weitgehend von der Normalgesellschaft abgekoppelt
Wo liegen die tieferen Ursachen für diese hysterischen Reaktionen, die in der moralischen Empörung aktuell ihren Ausdruck finden? Auch wenn es auf den ersten Blick problematisch erscheint eine individualpsychologische Diagnose auf gesamtgesellschaftliche Prozesse zu übertragen, geht es mir an dieser Stelle, auch wenn der Begriff der Hysterie seit Freud inhaltliche Veränderungen erfahren hat, um die vorrangigen Merkmale einer Hysterie: der Mangel an realistischer Selbstwahrnehmung, das Ausweichen vor den faktischen Problemen auf ein Symptom und die fehlende Integration von Binnen- und Außenwahrnehmung.

Die hysterische Verarbeitung realer Problemlagen kann aktuell für einen großen Teil der deutschen Gesellschaft behauptet werden und das gilt insbesondere für die polit-mediale Klasse, die sich weitgehend von der Normalgesellschaft abgekoppelt hat. Vernunft, Pragmatismus, Nüchternheit und eine Orientierung an der realen Welt sind in den letzten Jahren zunehmend verschwunden. An ihre Stelle treten stattdessen mehr und mehr Erlösungs- und Weltrettungsphantasien die sich immer weiter von der Wirklichkeit entfernen, zugleich aber auch irreversible Tatsachen, etwa durch die Aufnahme Millionen von Einwanderern oder eine ausgerufene Energiewende, schaffen.
Die Projektion eigener, verdrängter Emotionen auf den politischen Gegner der als das „Böse“ schlechthin gilt, apokalyptische Szenarien wie bei der Klimadebatte („die Welt brennt“), imaginierte Umsturzängste (die „rechte Gefahr“ durch Reichsbürger oder die AfD) und eine wachsende Empörungsindustrie von Lobbyorganisationen, NGOs und millionenschweren Stiftungen, die in bezahlten Studien den kommenden Weltuntergang verkünden oder Fehlmeinungen anprangern, sind seit Jahren im Vormarsch. Schon 2014 hat der Journalist Reinhard Mohr in der WELT die Effekte eines mehr und mehr hysterischen Weltbildes zusammengefasst, das sich nicht mehr an den realen Problemen des Landes orientiert. Seine Beschreibung der Dynamik dieser Abwendung von der Wirklichkeit ist zehn Jahre später aktueller denn je:
Das emotionale Schmiermittel ist eine Hyper-Moralisierung, in der alles zusammengerührt wird, was der Empörungsbereitschaft dient: Die gute alte „Betroffenheit“, vermischt mit realen Problemen, das Ganze untergehoben mit einer Gutmenschen-Mentalität und einer politischen Korrektheit, die ihren Furor bis an den Rand des Wahnsinns treibt. Das Böse, Falsche und Gefährliche soll schon mit semantischen Mitteln porentief ausgetrieben werden.
So entsteht ein neuer Weltverbesserungsobskurantismus, der nicht selten ins Sektenhafte, ja Irre abgleitet, ganz so, als konzentrierte sich dort nun der harte Kern hysterischer Weltbetrachtung. Die wohl doch sehr deutsche Suche nach philosophischer Tiefe und faustischer Wahrheit landet fast immer in der erschütternden Plattheit ideologischer Kurzschlüsse, die schon in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts für Unheil sorgten.

Man könnte es auch eine Traumwelt nennen
Im Folgenden sollen einige der historischen und psychologischen Gründe für das Abgleiten der deutschen Nation in eine kollektive Hysterie, man könnte sie auch eine Traumwelt nennen, betrachtet werden. Manches wird und muss dabei Spekulation bleiben, dennoch lassen sich einige folgenreiche Ereignisse in der Geschichte der Deutschen rekonstruieren, die mögliche Erklärungen für das Abgleiten in ein hysterisches Weltbild geben können.

Das Changieren der Deutschen, ich verwende den Begriff hier ungeachtet der Tatsache, dass die Deutschen nie ein gesichertes Identitätsgefühl ausgebildet haben, zwischen einem kosmopolitischen und einem nationalen Pol, zwischen Niedergeschlagenheit und Größenwahn haben aufmerksame Zeitgenossen schon früh wahrgenommen und diese Beobachtung hat eine Menge an kritischen Reflexionen zum deutschen Nationalcharakter erzeugt.
Der ungarische Staats- und Verwaltungsrechtler István Bibó war einer derjenigen Autoren, die sich explizit mit der – wie er es nennt – historischen Genese der deutschen Deformation auseinandersetzte. Seine in Deutschland praktisch unbekannte, aber lesenswerte Schrift: Die deutsche Hysterie, 1942 auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs geschrieben, dient mir nachfolgend als wichtiger Referenzpunkt für eine Interpretation und Einordnung historischer und gegenwärtiger Entwicklungen in Deutschland. Der für Bibo zentrale Begriff der „kollektiven Hysterie“ entstammt zwar der Psychologie, hat aber ursächlich nichts mit individuellen Hysterien zu tun. Er entspricht auch nicht den unbewussten kollektiven Grundeinstellungen, mit denen die Mentalitätsgeschichte methodisch arbeitet. Für Bibo ist die kollektive Hysterie, so der ungarische Historiker György Dalos im Nachwort zur Studie,
„gebunden an das massenhafte Auftreten gleichförmiger Überzeugungen und Ängste. Diese führen im politischen Raum zu einem Verhalten, das mit „Hysterie“ bezeichnet werden kann. Ursachen solcher Massenphänomene können nur einschneidende historische Erfahrungen sein: In Verbindung mit bestimmten Deutungen eines solchen Ereignisses kann der Wunsch entstehen, eine Wiederholung der Katastrophe unter allen Umständen zu vermeiden. Gerade in diesem „unter allen Umständen“ besteht nun die neurotische Fixierung. Statt die gegenwärtigen Probleme realistisch zu untersuchen und an ihrer Lösung zu arbeiten, versteift sich die Gesellschaft auf eine Lösung, die eine zukünftige Katastrophe vermeidet und für Wiedergutmachung der vergangenen sorgt. Die Hysterie besteht in dem zunehmenden Realitätsverlust; er geht einher mit einer Neigung zu Minderwertigkeitskomplexen und Allmachtphantasien.

Deutschland als Hauptproblem einer intakten Nachkriegsordnung
Wer war aber dieser Istvan Bibo? 1911 im damaligen Österreich-Ungarn geboren, studierte er Internationales Recht und Rechtsphilosophie, war ab 1938 Mitarbeiter im ungarischen Justizministerium und gleichzeitig Professor an der Universität Szeged. Im Juni 1941 trat Ungarn auf Seite der Achsenmächte in den Zweiten Weltkrieg ein, eine Entscheidung, die Bibo als nationales Verhängnis und schweren politischen Fehler betrachtete. Nachdem Ungarn aufgrund der Niederlagen der deutschen Wehrmacht im Kriegsverlauf Kontakt zu den Alliierten suchte, besetzten deutsche Truppen im März 1944 das Land und installierten eine Marionettenregierung. Zeitnah begannen die Massendeportationen ungarischer Juden nach Auschwitz wo Hunderttausende ermordet wurden. Bibó verhalf in dieser Zeit Juden zur Flucht, indem er ihnen Pässe ausstellte und die Anordnungen der Besatzungsmacht, soweit ihm das möglich war, unterlief.
Nach Kriegsende war er Mitglied der provisorischen Regierung und wurde schließlich zum Direktor des Osteuropainstituts ernannt. Als Kritiker der kommunistischen Machtübernahme und der Einparteienherrschaft erteilte ihm die neue Regierung 1948 ein Lehrverbot. Nach dem ungarischen Volksaufstand und dem Einmarsch der sowjetischen Truppen 1956 wurde Bibó verhaftet und im August 1958 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Amnestierung war er schließlich bis zu seiner Pensionierung in der Bibliothek des ungarischen Zentralamts für Statistik tätig.
Istvan Bibo sah in seiner, erst 1982 drei Jahre nach seinem Tod, veröffentlichten Studie, Die deutsche Hysterie, in Deutschland das Hauptproblem einer intakten Nachkriegsordnung die den Frieden in Europa auf Dauer sichern sollte. Bereits bei Abfassung seiner Studie 1942 war dem Autor klar, dass das Dritte Reich den Krieg verlieren wird und die Frage nach der Zukunft Deutschlands den Schlüssel für eine Friedensordnung in Europa bildet. Deutschland charakterisiert der Autor als eine über Jahrhunderte entstandene Gemeinschaft deren historische Erfahrung stets zwischen nationaler Unterlegenheit und einem metaphysischen, alles Nationale transzendierenden, Überlegenheitsrausch wechselt.

„Mensch ist der Deutsche allein“
Der Grundgedanke des deutschen Humanismus war denn auch „Weltbürgerlichkeit“, eine Nation im klassischen Sinne, so die Überzeugung seiner Protagonisten, können die Deutschen nicht sein, da sie eine allgemein-menschliche Mission zu erfüllen haben. Der jüdisch-deutsche Autor Ludwig Börne schrieb Anfang des 19. Jahrhunderts in diesem Sinne: „Der Brite ist nur Brite, der Spanier nur Spanier, der Franzose nur Franzose; Mensch ist der Deutsche allein.“
Seit dem späten 18. Jahrhundert wurde das Deutschsein in maßgeblichen Kreisen über allen politischen und partikularen Interessen stehend definiert, als Synonym für die Menschheit als Ganzes. Richard Wagners berühmtes Zitat: „Deutsch sei, eine Sache um ihrer selbst willen treiben“ spricht diese abstrakte Auffassung des Deutschen unmissverständlich aus. Diese Verschiebung des Deutschen auf das Feld des Geistigen und Übernationalen kann man als eine psychische Reaktion auf das Fehlen einer nationalen Einheit betrachten, die eine politische Identität verunmöglichte und so die eigene Größe und Bedeutung im Bereich des Ideellen findet. In Deutschland, ein Wintermärchen spottet der Dichter Heinrich Heine 1844 über diese Verschiebung des Deutschen in eine Traumwelt:
Franzosen und Russen gehört das Land
Das Meer gehört den Briten
Wir aber besitzen im Luftraum des Traums
Die Herrschaft unbestritten
In der Deutschen Ideologie, in Teilen erstmals 1845/46 veröffentlicht, machen sich Marx und Engels über den, wie es heißt, „vorgeblichen Universalismus und Kosmopolitismus“ der Deutschen lustig, der aus ihrer Sicht nichts Anderes als – Zitat – „Überheblichkeit aus Schwäche“ ist. Diese Schwäche kann man als ein Produkt des Fehlens einer politischen Einheit als Staat interpretieren der die Macht der Nation repräsentiert. Die Anrufung einer Kulturnation und einer universellen Aufgabe des Deutschen ist folglich eine Art psychische Kompensation, eine Verabsolutierung und ein Ausweichen auf das Geistige, das aber auch positive und großartige Effekte zeitigte, wie etwa die wegweisenden deutschen Inhalte in Musik, Literatur, Philosophie oder Theologie und so die Idee einer Überlegenheit der Deutschen über alle anderen Nationen für seine Vertreter deutlich sichtbar machte.

Die verheerende Niederlage Preußens gegen das Frankreich Napoleons machte zu Beginn des 19. Jahrhunderts dann schlagartig das Fehlen eines einheitlichen und mächtigen deutschen Staates deutlich. Die deutsche Nationalbewegung hat ihren Ursprung wesentlich im Widerstand gegen die französische Fremdherrschaft, sie bleibt zunächst aber noch ambivalent in Bezug auf die zukünftige Aufgabe des Deutschen in Europa und der Welt. In den berühmten Reden Fichtes an die deutsche Nation, 1808 im Druck erschienen, wird noch von einer heilsgeschichtlichen Mission der Deutschen ausgegangen, die das Nationale transzendiert. Fichte, ganz der Aufklärung verhaftet, sieht ausschließlich eine kulturelle – keine imperiale – Mission des Deutschen als Aufgabe, überhöht aber den Charakter der Deutschen, die ihm zum Retter der Menschheit werden.

Die Idee einer deutschen Überlegenheit
Das Paradoxon und die Unheimlichkeit dieser Überhöhung, so der Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer,
„liegen darin, dass sie (…) ausgerechnet im Moment der tiefsten politischen Erniedrigung der Nation erfolgt, die sich doch soeben zu schönster geistiger Blüte entfaltet hat. Die Nation wird sich ihrer selbst, ihrer Identität in dem Moment empathisch bewusst, da sie dieser verlustig zu gehen droht. Diese Selbstüberhebung aufgrund des drohenden Selbstverlusts wird sich mit und nach dem Ersten Weltkrieg wiederholen und in die Superioritätsraserei des Nationalsozialismus hineinsteigern.“
Generell lässt sich an dieser Stelle bereits sagen, dass die Idee einer deutschen Überlegenheit, die sich im Dritten Reich im Rassegedanken manifestiert, 1945 zwar machtpolitisch und militärisch katastrophal endet, das Überlegenheitsgefühl nach einer Phase der Ernüchterung aber spätestens nach dem Herbst 2015 im Moralismus und Universalismus seinen gegenwärtigen Ausdruck gefunden hat. Der derzeit herrschende Hypermoralismus – eine Parallele zu 1945 – trägt dabei aktuell auch alle Züge einer Selbstzerstörung in sich.
„Das Schwanken zwischen Selbsterniedrigung und Größenwahn in der deutschen Geschichte erklärt Istvan Bibo über den Begriff der politischen Hysterie. Der Ausgangspunkt einer politischen Hysterie, so die Grundthese seines Buches, ist „immer irgendeine erschütternde historische Erfahrung der Gemeinschaft. Und zwar, eine Erschütterung, die die Belastbarkeit einer Gemeinschaft übersteigt und die daraus resultierenden Probleme unlösbar macht.“

Eine Gemeinschaft die eine solche, nicht zu verarbeitende Katastrophe erfährt – und für Deutschland sieht Bibó mehrere solcher Schlüsselerlebnisse – gerät in der Folge, wenn politische Ernüchterung und dadurch eine Genesung nicht gelingt, in ein wachsendes Missverhältnis zur Realität. Sie neigt dazu, neu entstehende Probleme in einen gedanklichen Rahmen zu stellen, der nicht das Mögliche oder Bestehende in den Mittelpunkt stellt, sondern Phantasien und Wunschträume, herbeigesehnte Szenarien der Erlösung und der Katharsis. Damit geht der Glaube an die magische Kraft der Beschwörung von Wunsch- und Traumbildern einher, die massive Abwehr aller Kritiker und Zweifler, bei gleichzeitiger Zunahme einer völlig falschen Selbsteinschätzung der eigenen Kräfte und Möglichkeiten.

Eine exakte Replik auf das Deutschland der Gegenwart
Bibó kennzeichnet die politische Hysterie insgesamt – und seine Beschreibung liest sich wie eine exakte Replik auf das Deutschland der Gegenwart – als das stetige Abgleiten der Politik in eine Art von Traumwelt, heute würde man wohl sagen, ins Postfaktische:
„Lossagung der Gemeinschaft von den Realitäten, Unfähigkeit zur Lösung der vom Leben aufgegebenen Probleme, unsichere und überdimensionierte Selbsteinschätzung, sowie irreale und unverhältnismäßige Reaktion auf die Einflüsse der Außenwelt.“
Das Schicksal der Deutschen wird in Bibos Studie weniger über psychologische Dynamiken als durch eine konkrete historisch-politische Ausgangssituation erklärt. Wenn auch der Dreißigjährige Krieg 1618 bis 48 bei vielen Historikern als die Urkatastrophe der Deutschen gilt – das 17.Jahrhundert war im Kontrast dazu eine Blütezeit in England und Frankreich – verortet Bibo den Beginn der deutschen Hysterie auf das Jahr 1806 und hier auf ein einzelnes Ereignis: die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation.
Das Heilige Römische Reich, seit dem Ende des 15. Jahrhunderts mit dem Zusatz „Deutscher Nation“ versehen, konnte aufgrund seines übernationalen Charakters nicht zu einem modernen Nationalstaat werden, es blieb ein monarchisch geführter Verband mit unzähligen Reichsständen, das zu offensiver Expansion, sprich: Machtpolitik, nicht in der Lage war. Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 erfüllte das Heilige Römischen Reich Deutscher Nation vor allem eine friedenssichernde Funktion in Europa. Trotz der politischen Zerrissenheit und der Verselbständigung der territorialen Fürstentümer gelangen den Deutschen vom 18. Jahrhundert an bedeutende Leistungen auf den Gebieten der Kultur und der Wissenschaft.

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts war das Reich aber nicht mehr in der Lage sich gegen innere und äußere Mächte zu schützen. Die napoleonischen Armeen und ihre militärische Dominanz machten schließlich die vollkommene Hilflosigkeit und Ohnmacht des politischen Korpus des Reiches schlagartig klar. Die aus der Niederlage resultierende Gründung des Rheinbunds, dessen Mitglieder aus dem Reich austraten, machten es praktisch handlungsunfähig. Damit war der Untergang des Heiligen Römischen Reiches nach Jahrhunderten besiegelt. Symbolisch endete seine lange Geschichte endgültig mit der Niederlegung der Reichskrone im August 1806 durch Kaiser Franz II.

In der Niederlage Preußens und der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches sieht Bibo die grundlegende Belastung der deutschen Nationalidee. Ging das moderne Nationalgefühl, etwa Frankreichs, mit Ideen einer Demokratisierung einher, war die Verbreitung und Etablierung demokratischer Ideen in Deutschland mit dem Erlebnis einer militärischen Niederlage und einer fremden Invasion verbunden. Belastend für die Geburt des Nationalgedankens in Deutschland war also, dass dieser Gedanke direkt aus dem Widerstand und dem Kampf gegen eine fremde Herrschaft hervorging. Das heißt, dass Demokratie und Nationalismus als unversöhnliche Antagonisten auftraten, der nationalen Einheit in diesem Konflikt von Beginn an eine stärkere emotionale Bedeutung zukam als den demokratischen Prinzipien.

Unerfüllte Sehnsucht nach einem starken und geeinten Staat
Dasselbe – und das ist wohl kein Zufall – gilt auch für die späteren faschistischen Staaten Spanien und Italien, in denen eine Demokratisierung lange Zeit misslang. Die nationalen Bewegungen konnten hier nicht einfach an einen bereits vorhandenen Staat andocken, dieser musste erst gegen fremde Besatzungsmächte oder gegen die feudalen Überreste der Fürstentümer erkämpft werden. Da dies, wie in Deutschland erfolgreich 1870/71 der Fall, vor allem mit Hilfe militärischer Mittel, aber unter Einbezug der alten Eliten erreicht wurden, gerieten, so Bibos Schluss, Nationalismus und Demokratie in Deutschland in einen unversöhnlichen Gegensatz.

In der verfehlten Einheit der deutschen Nation Anfang des 19. Jahrhunderts, in der unerfüllten Sehnsucht nach einem starken und geeinten Staat, der Weiterexistenz der territorialen Fürstentümer, sieht Bibó das eigentliche historische Verhängnis Deutschlands. Die Hegelsche Staatsphilosophie, unter dem Eindruck des Vormärz entstanden, kann beispielhaft als Ausdruck für den ersehnten Zentralstaat, die politische Einheit der Nation betrachtet werden, obwohl sie im Eigentlichen der Verteidigung des preußischen Territorialstaates diente. Zugleich steht der hegelsche Staat aber auch für die reine Idee, eine Abstraktion, ein absolutes Prinzip und für die Sehnsucht nach einem Nichtexistenten.

Das Abdriften Deutschlands in eine hysterische Politik ist für Bibo deshalb „an jenem kritischen Punkt zu suchen, als die deutsche Nation begann, mangels realistischer Ziele in Scheinlösungen, in erstarrten politischen Formeln, in Symbolen und in Phantasmagorien zu denken.“

Nach 1806 markiert Bibo in seiner Studie noch vier weitere verhängnisvolle Entwicklungen in der deutschen Geschichte die jeweils mit einer, wie er es nennt: Scheinlösung, auf die Frage nach der Einheit der Nation enden: 1. der Deutsche Bund, 1815 entstanden, erwies sich auf dem Schlachtfeld von Königgrätz als substanzlos und war keine adäquate Antwort auf die deutschen Einheitsbestrebungen; 2. das deutsche Kaiserreich, mit der unter Wilhelm II. ins Theatralisch-Opernhafte auswuchernden Inszenierung von Reich und Nation, das in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges führte; 3. die Weimarer Republik die, für Bibo durch den Versailler Vertrag und hier insbesondere durch das Anschlussverbot Österreichs schwer belastet, von radikalen Kräften von innen zerstört wurde und schließlich das Dritte Reich, das unter der Führung des Weltkriegsgefreiten Adolf Hitler versprach die Zeit der Demütigung der Deutschen endgültig zu beseitigen und Österreich „heim ins Reich“ zu holen, was 1938 mit dem Anschluss Österreichs Wirklichkeit wurde.

Ein universeller Überlegenheitsrausch
Die großen historischen Erschütterungen, für Bibo bis zur Abfassung seiner Studie 1942, der Untergang des Heiligen Römischen Reiches 1806, die Niederlage der deutschen Revolution 1848 und die Kapitulation der kaiserlichen Armee im November 1918, haben im Bewusstsein der Deutschen Unsicherheit und Angst erzeugt und gleichzeitig die Bereitschaft gefördert sich in Scheinlösungen und Trostformeln zu flüchten. Innerhalb von zwei Jahrhunderten herrschten fünf politische Systeme, die auf Dauer kein gesellschaftliches und politisches Gleichgewicht schaffen konnten.
Diese innere Labilität führte in der Anrufung der Nation zu äußeren Machtdemonstrationen und der Idee einer Verewigung politischer Umstände die in der Rückschau als historische Sackgassen zu betrachten sind. Die Erfahrungen der Deutschen blieb über alle Systeme hinweg ambivalent: man fühlte sich schwach und war mächtig zugleich, man suchte nach historischer Gerechtigkeit für erlittenes Unrecht und war bei anderen Nationen verhasst, man war in vielen Bereichen, ob Technik oder Kultur, führend und fühlte sich dennoch nicht respektiert.
Die moralische Genugtuung, eine Art Wiedergutmachung, die Befreiung vom seelischen Ballast vergangener Ereignisse, stand und steht dabei als Wunsch stets im Mittelpunkt. Heute sind nur die Mittel diese Ziele zu erreichen andere geworden. Gegenwärtig und in der Politik der Ampelregierung deutlich sichtbar, dominiert ein nicht mehr nationaler, sondern universeller Überlegenheitsrausch, eine von allen realen Friktionen abgelöste Hypermoral, die der von Bibo beschriebenen politischen Hysterie seit Anfang des 19. Jahrhunderts entspricht.
Auch wenn andere Nationen ebenso Niederlagen erlitten und ähnliche Symptome in ihrer Geschichte zeigen, der Gesamtkomplex aus Schuld, Versagen und Wiedergutmachung hat wohl nur in Deutschland diese pathologische Wirkung erzeugt. Der Versuch der Verwirklichung der Nationalstaatsidee ist politisch unter katastrophalen Folgen gescheitert, was sie nach 1945 endgültig diskreditiert hat. Vielleicht findet die Idee der Nation aber erst seit einer, in Bibos Worten, weiteren Scheinlösung, der Wiedervereinigung 1989 ein paradoxes Ende: im Wunsch einer Auflösung der Nation und dem Aufgehen in einem supranationalen Europa.

Teil 2:
Der ungarische Staats- und Verwaltungsrechtler István Bibó war einer derjenigen Autoren, die sich explizit mit der – wie er es nennt – historischen Genese der deutschen Deformation auseinandersetzte. Seine in Deutschland praktisch unbekannte, aber lesenswerte Schrift: Die deutsche Hysterie, wurde 1942 auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Darüber berichtete ich im ersten Teil dieses Beitrages.
Lässt sich ausgehend von Bibó’s Analyse der politischen Hysterie Deutschlands, die noch während des Zweiten Weltkriegs abgeschlossen wurde, eine historische Linie in die Nachkriegszeit und in unsere Gegenwart ziehen? Haben wir es aktuell bei der Migrationspolitik, der Energiewende, der Klimadebatte mit einer hysterischen Politik zu tun? Einer Politik, die sich nicht an den realen Problemen, sondern an Wiedergutmachungs- und Weltrettungsphantasien orientiert und die ihre eigenen Kräfte und Möglichkeiten bei weitem überschätzt? Betrachten wir für eine Beantwortung dieser Fragen im Weiteren zwei entscheidende Politikfelder der Gegenwart: zunächst die nach wie vor unbegrenzte Massenmigration und danach die Energie- bzw. Klimapolitik.

Die Ereignisse im September 2015 und ihre heute in aller Deutlichkeit sichtbaren Folgen können im Sinne der von Bibó beschriebenen Merkmale einer kollektiven Hysterie als eine Fortsetzung „der Lossagung der Gemeinschaft von den Realitäten“, als „unsichere und überdimensionierte Selbsteinschätzung“ interpretiert werden. Wenn auch Ex-Bundeskanzlerin Merkel und die allzu willfährigen Medien die sichtbarsten Akteure einer bereits irreversiblen Entwicklung waren, die Ereignisse im Herbst 2015 sind in ihrer Dynamik als ein massenpsychologisches Phänomen zu deuten und hätten ohne die breite Unterstützung in weiten Teilen der Bevölkerung niemals diese suggestiven Bilder erzeugen können. Nirgendwo sonst in Europa gab es eine hysterische Willkommenskultur in so reiner und konzentrierter Form.

Die Szenen jubelnder Menschen mit Blumen und Girlanden an deutschen Bahnsteigen und vor den Sammelunterkünften der Neuankommenden, können als eine Art von Selbstbegeisterung gedeutet werden die einem Gefühlsrausch dienten, der Politik und Moral in eins setzte und jegliche Reflexion über die Folgen bei Strafe des sozialen Ausschlusses verbot. Die Anrufung einer historischen Mission Deutschlands, der idealistische Gehalt der Begeisterung, die kollektive Dimension des Vorganges, die massive Abwertung aller Kritiker und Zweifler, die eschatologische Komponente, die Ziellosigkeit des eigentlichen Vorganges und das rasche Ende der Euphorie, begleitet von einer Ignoranz der realen Entwicklungen, deuten im Sinne Bibos auf eine hysterische Reaktion der deutschen Politik auf die von der Realität gestellten Probleme der Massenmigration hin.

Vom „absolut Bösen“ zum „absolut Guten“
Der Herbst 2015 und die sogenannte Flüchtlingskrise versprachen den Deutschen von Beginn an eine neue (nicht nur nationale) Identität und vor allem die endgültige Erlösung von einer historischen Schuld. Die italienische Zeitschrift La Stampa kommentierte stellvertretend für viele Stimmen das Geschehen im September 2015 in diesem Sinne als eine historische Zäsur und als den Beginn einer neuen Identität der Deutschen: „Merkels Beschluss, Flüchtlinge aufzunehmen, schließt im kollektiven Gedächtnis vieler Europäer die Epoche des grausamen und feindlichen Deutschland, wie es im Zweiten Weltkrieg entstanden war.“
Deutschland wandelte sich in diesen Tagen und Wochen vom historischen Sinnbild und Träger des „absolut Bösen“, zum Symbol des Guten, Moralischen und Erhabenen, indem es allen Beladenen und Unterdrückten dieser Welt Zuflucht bot, unabhängig von den sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen, auf die Kritiker früh aufmerksam machten. Ernsthaft wurde von Vertretern aus Politik, Medien, Kirchen und Zivilgesellschaft das Postulat vertreten, jetzt endlich könne man der ganzen Welt beweisen, dass Deutschland sich längst von der Schreckensnation des 19. und 20. Jahrhunderts in ein Land der Willkommenskultur, in eine bunte, weltoffene und tolerante Gesellschaft verwandelt habe.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach am 16. September 2015 unmissverständlich aus, dass sie sich nur noch mit einem ganz bestimmten Land identifizieren könne. Wenn das ihr anvertraute Volk nicht mehr mit ihren Werten übereinstimme, sehe sie sich selbst als Heimatlose: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Der regierungstreue Tagesspiegel stellte in diesem Zusammenhang unisono mit praktisch allen anderen Vertretern von Medien, Politik und Kultur klar, dass die Kanzlerin mit ihrer Open-Border-Politik die überwältigende Mehrheit der Deutschen auf ihrer Seite hat: „Die Mehrheit muss nicht überzeugt werden, wie es zugehen soll in diesem Land: human, freundlich, großherzig. Und dort, wo diese Menschen sind, findet Merkel ihr Land.“

Ab diesem Zeitpunkt gab es zwei voneinander getrennte Deutschland: das helle „Merkel-Land“ und das Terrain der Dunkeldeutschen, des Packs und der Verfemten, die sich der Willkommenskultur verweigerten, die allabendlich als eine Form der Massenbegeisterung in den Medien inszeniert wurde, flankiert von öffentlich-rechtlichen Talkshows, in denen man sich selbst für seine Großherzigkeit und Menschenliebe applaudierte. Bei den europäischen Nachbarn hat diese neuerliche Form der deutschen Hysterie – man erinnere sich an Teddybären und das begeisterte Klatschen auf den Bahnsteigen als die „Züge der Hoffnung“, so der SPIEGEL im Herbst 2015, einfuhren – zu kritischen bis hin zu sarkastischen Kommentaren geführt. Die deutsche Politik wurde in Erinnerung an frühere, dunkle Zeiten, wieder mit Größenwahn und Arroganz verbunden, als eine neue Form der Hybris, die mit einem Realitätsverlust und einer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten assoziiert wurde.

Unerreichbare Ziele und utopische Zustände
István Bibó hat in der eigentümlichen Selbstüberhebung und Heilsapologie der Deutschen das Kennzeichen einer Politik gesehen, die ihre inneren Widersprüche und Unfähigkeiten auf Ziele und Objekte außerhalb ihrer realen Möglichkeiten richtet. Wir haben es heute mit einer Verschiebung der von ihm beschriebenen politischen Hysterie der Deutschen auf ein neues Feld zu tun, in dem ein moralischer Rigorismus und Universalismus an die Stelle nationaler, imperialer oder verbrecherischer Ziele getreten ist. Eine Art Heilslehre, die die eigene Position als die einzig Richtige verkündet und einer pädagogischen Intention folgt, die alle anderen bekehren möchte. Deutschland wird in Anknüpfung an den früheren Kosmopolitismus zum Repräsentanten und Retter der ganzen Welt indem es den einzig richtigen Weg für alle anderen vorgibt:
„Weil die Deutschen – so Bibo – sich in den eigenen Belangen nicht zurechtfanden, wollten sie andere belehren. Den eigenen Missständen konnten sie nicht abhelfen, deshalb verkündeten sie, dass die Genesung der Welt von ihnen komme.“
Der Mangel an realistischer Selbstwahrnehmung und die fehlende Integration von Binnen- und Außenwahrnehmung bestimmen den Charakter einer Gesellschaft, die mehr und mehr der Vernunft und dem Pragmatismus abgeschworen hat und sich in den Bildern der eigenen Größe und Erhabenheit verliert. Erschwerend kommt hier sicherlich die geistesgeschichtliche Zugehörigkeit des Protestantismus zu Deutschland hinzu, die den Hang zum dogmatischen und moralischem Rigorismus, die unheilvolle Neigung zur Prinzipientreue, zu unerreichbaren Zielen und utopischen Zuständen, verstärkt. Eine idealistische Grundhaltung, die in der Realitätsverdrängung ihr deutlichstes Symbol gefunden hat und die im Namen des reinen Prinzips (der Rasse) zu den größten Opfern und Massakern in der Geschichte geführt hat.

Im Herbst 2015 sahen so viele Kommentatoren die Chance gekommen, eine Art Wiedergutmachung und heilige Mission zu erfüllen. Im Fremden, aus vom Westen unterdrückten Völkern stammend, wurde der Erlöser von moralischer Schuld (zu reich, zu weiß) emphatisch begrüßt. Es gilt gegenwärtig als fortschrittlich unter den Stichworten: Globalisierung oder „One-World“ deutsche Verpflichtungen in der ganzen Welt zu behaupten, die Handlungsimperative zur Folge haben. Wir müssen mehr tun, wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, wir zeigen mit dem moralischen Zeigefinger auf Andere, wir lösen die Probleme der Welt, wir haben aufgrund unserer Geschichte eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.

Ablösung von der materiellen Welt
Dieser Größenwahn, die narzisstische Überhöhung der eigenen Bedeutung und die moralische Überlegenheit über alle anderen, liefern den idealen Bezugspunkt für von allen Friktionen der realen Welt abgelöste Projekte: Deutschland konnte aber, ähnlich wie 1914 oder im Rassenkrieg der Nationalsozialisten, nicht zur Weltmacht gegen eine globale Allianz von Gegnern aufsteigen, genauso wenig wie 2015 zum alleinigen moralischen Gewissen der Welt. In allen Fällen wurde, aus Gründen der selbst zugeschriebenen kulturellen, rassischen bzw. moralischen Überlegenheit eine historische Mission Deutschlands behauptet der aber ein tiefes Schwächegefühl zugrunde liegt. Eine kolossale Egozentrik, die in sich alle Anzeichen einer Selbstzerstörung aus Unsicherheit über die eigene Identität trägt.

Die Ablösung von der materiellen Welt, in der Ressourcen begrenzt sind, etwa: Arbeitsplätze, Wohnraum, Integrationskraft, zeigte sich ab 2015 in der wiederholten Anrufung an das Volk mittels einfacher Durchhalteparolen („Wir schaffen das“), als auch in der Idee einer Läuterung, die die rasch entstandene Krise angesichts Millionen von Einwanderungswilligen aus tribalen, patriarchalen und korrupten Gesellschaften als eine Art Examen für eine bessere Zukunft sah. „Ich habe das absolut sichere Gefühl, dass wir aus dieser – zugegeben komplizierten – Phase besser herauskommen werden, als wir in diese Phase hineingegangen sind,“ so die ehemalige Bundeskanzlerin Merkel in einer Rede zur Lage der Nation im Herbst 2016. Die Massenmigration als Prüfung und Vehikel für eine Läuterung der Nation.

Eine vollkommene Verkennung der Lage, eine absolute Fehleinschätzung der Zahl und der kulturellen Prägungen der Ankommenden und den daraus folgenden Problemen, kann seit 2015 attestiert werden. Die ursprünglichen Versprechungen von ökonomischem Aufschwung durch gut gebildete Flüchtlinge, die Absicherung des demografischen Wandels, die viel zitierte kulturelle Bereicherung, Parolen wie: „Wertvoller wie Gold“ oder „Chance für Deutschland“, klangen immer absurder, je mehr die Wirklichkeit der Masseneinwanderung im Alltag sichtbar wurde. Die Maßlosigkeit der politischen Agenda, die Abkehr von jeder Realpolitik, die gläubige Heilserwartung, die Anrufung eines höheren Endzieles und die Absage an jegliches logische und kohärente Denken sind die Folgen einer hysterischen Politik die nach Erlösung und Wiedergutmachung von den Verbrechen der Vergangenheit strebt und eine neue Identität der Nation erschaffen will. „Wir schaffen das“ beantwortet aber weder die Frage nach dem Was, noch nach dem Wir. Es gab und gibt keinen Plan. Die Anrufung eines imaginären Kollektivs bleibt so vage und unbestimmt. Bis heute ist völlig ungeklärt, was die deutsche Gesellschaft denn schaffen soll. Inzwischen wird diese Frage gar nicht mehr gestellt.

Die Irrationalität und Hysterie der deutschen Politik zeigt sich neben dem Problem der Massenmigration ebenso deutlich sichtbar in der bereits von der Merkel-CDU angestoßenen sog. Klimapolitik und der daraus resultierenden Energiewende, die die Abschaffung fossiler Brennstoffe und ihre Ersetzung durch Wind- und Sonnenenergie in kurzer Zeit zum Ziel hat. Hier gilt wie für die Migrationspolitik: kein Land in Europa vertritt mit einer solchen Vehemenz die These eines menschengemachten Klimawandels, bei der das CO2 der einzig relevante Faktor für Veränderungen des Klimas sein soll. Daraus werden einschneidende politische Handlungen abgeleitet. Das Ziel der Ampelregierung ist es, als Musterschüler einer globalen Agenda, den C02 Ausstoß in Deutschland zu reduzieren und dadurch, so die Überzeugung, den Temperaturanstieg global auf 1,5 Grad zu begrenzen, also die Erdtemperatur wie mit einem Heizungsthermostat zu regeln, koste es was es wolle.

Ein globales Klima ist aber nur ein theoretisches Konstrukt, dass in mathematischen Modellen simuliert wird und findet nirgends eine empirische Entsprechung. Trotz der überwältigenden Zahl an Parametern, die einen Einfluss auf das Weltklima haben, wird diesen Modellen eine verlässliche prognostische Qualität zugeschrieben an der sich die derzeitige hysterische Politik orientiert. Warum ein einziges Element (CO2) aus einem hochkomplexen System alles erklären soll erschließt sich vielen kritischen Wissenschaftlern nicht. Die Co2 These darf in öffentlichen Debatten aber nicht mehr in Frage gestellt werden. Sie ist sozusagen zum Surrogat des Heiligen geworden und steht so außerhalb jeder Kritik. Insofern ist das Klimanarrativ nicht Wissenschaft, sondern Religion.

Katastrophen-Lust und Leugner
Erstaunlich ist vor allem mit welcher Aggressivität und missionarischem Eifer die These einer anthropogenen Erderwärmung vertreten wird. Dabei sind die hysterischen Reaktionen sogenannten Klimaaktivistinnen, in der Regel Mädchen und junge Frauen aus der Oberschicht, auf Kritiker und Zweifler, das deutlichste Kennzeichen einer irrationalen Bewegung, die sich als Retter der Menschheit sieht und Opfer von uns allen fordert. Die permanente mediale Angstproduktion, die psychologisch an der Lust vor der drohenden Katastrophe andockt, lässt sich inzwischen an vielen Dingen ablesen. Der Begriff der „Klimaerhitzung“ hat etwa den harmloseren der Klimaerwärmung längst abgelöst.
Wer könnte angesichts des drohenden Hitzetodes ernsthaft gegen staatlicherseits notwendige Maßnahmen und Einschränkungen des täglichen Lebens sein? Das kann, ähnlich wie der Zuwanderungs- oder Coronakritiker, nur ein absolut unmoralischer Mensch sein, der bei der Klimafrage den wissenschaftlichen Konsens, die vielzitierten 97 Prozent, starrköpfig leugnet. Im Begriff des Leugners kommt das Religiöse der Klimabewegung und der darauf basierenden Politik am Deutlichsten zum Ausdruck. Erstens ist der Begriff unsinnig. Kein Mensch leugnet das Klima, das wäre so, als ob man den Tod oder physikalische Naturgesetze leugnet. Zweitens, der Begriff ist pejorativ, also abwertend gemeint. Er suggeriert semantisch, wohl nicht ohne Absicht, eine Nähe zum Holocaustleugner, setzt also den Anderen in eine unmoralische Position, die die eigene aufwertet und moralisch adelt. Und Drittens ist der Begriff totalitär, da er insinuiert, es gäbe nur eine einzige Wahrheit und wer ihr widerspricht, der muss im Unrecht sein, also leugnen. Eine andere Meinung wird so gar nicht mehr zugelassen oder in den Bereich des Verfemten verschoben. Wer die herrschende Auffassung vom nahenden Untergang der Welt nicht teilt, ist folglich nicht nur ein Leugner, sondern auch gegen „die Wissenschaft“ und letztlich gegen das Überleben der Gattung Mensch.

Es scheint, als wäre mit dem Klima eine Ersatzreligion gefunden worden, die insbesondere eine von allen existenziellen Problemen befreite Jugend anzieht, die nun ein gemeinsames Generationenprojekt besitzt. In der Vorstellung des drohenden Unterganges der Menschheit, in der die Schuldigen (Kapitalismus, weiße alte Männer, fossile Industrien) ausgemachte Sache sind, steckt auch ein Moment der Lust an der Katastrophe. Angstlust hat Freud das genannt. Über eine lustvolle Komponente hinaus stiftet das Klimathema auch so etwas wie Sinn, nämlich einen verlorenen Gemeinschaftssinn. In einer Welt, in der man sich danach sorgt, Sorgen zu haben, bietet die Klimakrise die Möglichkeit für jeden etwas zum Wohle aller beizutragen. Jeder kann mit entsprechendem Verhalten, dass staatlicherseits und medial goutiert wird, die drohende Katastrophe verhindern.
Am Bizarrsten äußert sich die Klimaangst und die hysterische Stimmung vor allem bei jungen Menschen derzeit in der Auffassung, Kinder zu bekommen wäre der größtmögliche Egoismus angesichts des kommenden Armageddon. Das eigene Reproduktionsverhalten wird so direkt an den Klimawandel gekoppelt, der ein Kind als größtmögliche CO2 Schleuder sieht. Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen und können das eigene Leben, als Teil einer globalen Heilsbewegung, transzendieren. Wenn die Katastrophe kommt und sie wird, so die Klimaapologeten, unweigerlich kommen, dann macht vieles, etwa Kinder zu bekommen, einfach keinen Sinn mehr, ja wird in gewisser Weise zum unmoralischen Akt.

Die Kosten der Weltbeglückungsträume
Nun ist die „German Angst“ ja sprichwörtlich geworden. Deutschland ist nicht nur der Vorreiter einer Angst vor der Apokalypse, sondern zugleich in seinen hysterischen Reaktionen auf konkrete Themen unübertreffbar: Atomkraft, Waldsterben, Ozonloch, Gentechnik, Klimawandel. Stets ist die Angst riesengroß, aber auch der Glaube daran, alles verändern zu können indem man Handlungen der Buße und Reue vollzieht. Hier bietet das Klima als supranationales, globales Thema den idealen Ansatzpunkt denn im Prinzip sind wir alle schuldig. Die Erlösung kann so nur eine Weltgesellschaft bringen in der jeder Einzelne sein Verhalten ändern muss.
Die hysterischen Weltrettungsphantasien rund um das Klima – und das ist das Fatale unserer Situation – wird derzeit in totalitären Dimensionen nur in Deutschland für eine Politik des globalen Green Deal handlungsleitend. Dass die bereits von der CDU unter Merkel eingeleitete Energiewende gescheitert ist, zeigt die Wirklichkeit die aber für eine Betrachtung der Folgen einer hysterischen Politik keine Rolle spielt. Die horrenden Kosten von mehreren 100 Milliarden Euro haben bis dato keinerlei Einsparungen an C02 gebracht, für eine Verringerung sorgen nur die Zerstörungen und Insolvenzen der heimischen Industrien durch einen grünen Wirtschafts- und Klimaminister. Die physikalischen und chemischen Grenzwerte von Wind und Sonnenenergie können nicht außer Kraft gesetzt werden, auch wenn manche glauben zaubern zu können. Das alleinige Setzen auf E-Mobilität (Rohstoffe, Problem der Batterien, Ladestationen), die Zerstörung und Rodung von Wäldern für immer größere Windanlagen, die nicht grundlastfähig sind und deren Recycling ungeklärt ist, fehlende Trassen, fehlende Speichermöglichkeiten, das notwendige und irrsinnig teure Backup durch konventionelle Kraftwerke, die zur Stabilisierung des Stromnetzes am Netz gehalten werden müssen. Alle diese Visionen sind weitgehend hysterische, radikale und völlig unvernünftige Forderungen, die von Weltuntergangsszenarien und täglichen Mahnungen an uns alle begleitet werden, Milliarden von Euros kosten und dabei sind die heimischen Unternehmen aus der einstmals führenden Industrienation zu vertreiben.

Es mag gegenwärtig eine Hoffnung sein, dass die von der Wirklichkeit vorgegebenen Probleme (etwa die Energieversorgung eines Hochtechnologielandes) die Klimahysterie relativieren wird und ihre Propagandisten leiser werden. Dem steht aber entgegen, dass in einer säkularen Gesellschaft wie die der Deutschen, eine unbefriedigte Sehnsucht besteht, ein Opfer bringen zu dürfen, denn es allein verspricht Erlösung, Selbsterhöhung und Selbstaufwertung. Ein Teil der deutschen Bevölkerung nimmt sogar eine Deindustrialisierung des Landes in Kauf, um sich als Retter des Weltklimas zu imaginieren. Die von Istvan Bibo in seiner Studie für die Deutschen beschriebenen typischen Weltbeglückungsträume und die Bereitschaft sich für eine höhere Sache um eines Prinzips willen zu opfern, kehren beim Klimathema wieder, finden aber auch insgesamt im Verlust der nationalen Selbstbehauptung und der Abgabe der eigenen Souveränität ihren Ausdruck. Hier ist der Klimawandel der ideale Ansatzpunkt, da ein globales Problem, so die Überzeugung, nicht mehr von Nationalstaaten „gelöst“ werden kann. Die derzeitige deutsche Regierung sieht im Nationalstaat so nur noch ein notwendiges Übel, das historisch vor der Abdankung steht und als reaktionäres Konzept gilt. „Alles für Deutschland“ steht nun bekanntlich unter Strafe.

Der Arzt und Publizist Adorján Kovács sieht in einem Essay in der Zeitschrift TUMULT im gegenwärtigen Willen zur Selbstauflösung des deutschen Staates und seiner Assimilierung an einen europäischen Superstaat den letzten Ausdruck eines hysterischen Weltbildes, das seinen Weg als einzig möglichen ansieht und von allen anderen Nationen Europas dasselbe verlangt. In paradoxer Weise wird die Forderung nach einer Auflösung der Nation zur Formel für die Bewältigung einer historisch verfehlten Konstruktion. Man lässt über eine Million Einwanderer aus tribalistischen, patriarchalen und gewaltaffinen Kulturen ins Land, verzichtet auf den Schutz der eigenen Grenzen und will von allen anderen, dasselbe zu tun oder zumindest den Folgen einer solchen Entscheidung (Quotenregelung, Verteilung der Migranten in Europa) zuzustimmen. Man ist der stolze Vorreiter einer hysterischen Klimabewegung, ergeht sich in Untergangsszenarien, beschwört Bilder der Apokalypse, hat in einer Aktivistin mit Asperger eine Heilige gefunden und zerstört um eines Prinzips willen mutwillig die heimischen Industrien auf denen der Reichtum des Landes beruht. Man stilisiert sich als moralische Autorität, steht hoch über den Trumps, Putins und Orbans dieser Welt und hat bereits in Gestalt der Partei der Grünen den gender- und diversitysensiblen „neuen Menschen“ institutionalisiert. Man folgt bis hin zur eigenen Selbstzerstörung abstrakten Rechtsprinzipien und gesteht in der Festhaltung an von der Wirklichkeit überholten Asylgesetzen allen Menschen auf der Welt ein prinzipielles Recht auf Partizipation am deutschen Sozialstaat zu. Man sieht überall Rechte oder Nazis und warnt unaufhörlich in hysterischem Ton vor Zuständen wie 1933, kategorisiert die gehäuften Gewalttaten der Eingewanderten aber immer noch als vernachlässigbare Einzelfälle.

Dynamik einer hysterischen Politik
Das wirklich Erschreckende ist die Tatsache, dass diesen hysterischen Konvulsionen und Verrenkungen kaum Widerstand entgegentritt. Selbst diejenigen, die im Herbst 2015 den irrationalen Charakter der deutschen Politik erkannten, haben in überwältigender Mehrheit, wie die beiden Bundestagswahlen 2017 und 2021 zeigen, für eine weitere Fortsetzung dieses Kurses plädiert. Nach Bibó kann das hysterische Weltbild nur durch „brutale Fakten“ aufgebrochen werden, da es sich in einem hermetisch abgeschlossenen Raum befindet.
Die derzeit waltenden destruktiven Kräfte wirken auf sich selbst zurück. In der Phase der nationalen Überhöhung führte die Hybris der NS-Bewegung in den apokalyptischen Untergang des Dritten Reiches. Das Moment der Selbstzerstörung, so könnte man an dieser Stelle vermuten, steht stets am Ende einer hysterischen Politik, die heute – quasi spiegelbildlich zur imperialen Phase – ihre suizidale Komponente in der Verabsolutierung eines moralischen Universalismus findet. Der bereits erwähnte Adorján Kovács führt die Gedanken des 1979 verstorbenen Istvan Bibo über dessen Ausführungen hinaus fort. Für Kovács symbolisiert das Deutschland der Gegenwart die letzte und paradoxe Machtentfaltung einer Nation, die sich in geradezu theatralischer Pose als Speerspitze und Erlöser der Menschheit imaginiert, keine Nation mehr sein will und dabei bereit ist den Rechts- und Sozialstaat um eines Prinzips willen zu opfern und damit seine eigene Identität aufzulösen.
„Ein erweiterter Selbstmord als Sühneopfer für die leidende Welt, in einer irrealen Mischung aus Hybris und Demut. Und das für die Hysterie Typische ist: Der größte Teil des deutschen Volkes scheint nichts dagegen zu haben, sondern feiert den Untergang oder akzeptiert ihn wenigstens. Hier zeigt sich der wahnhafte und zerstörerische Charakter der deutschen Politik (…) besonders gut. Ob der Tod als Heilung einer Krankheit angesehen werden kann, sei ebenso bezweifelt wie die Erwartung, dass andere Völker die nicht hysterisch sind, diesen Weg widerstandslos mitgehen werden. Es wird leider wieder Unheil von Deutschland ausgehen.“
Heilung durch Selbstzerstörung, mit dieser Formel lässt sich die derzeitige Dynamik einer hysterischen Politik in Deutschland vielleicht auf einen einzigen Nenner bringen.

Dieser Text ist ein Vortrag, den der Autor am 30. Juni 2024 für die Reihe Audimax des Radiosenders „Kontrafunk“ gehalten hat https://kontrafunk.radio/de/ .
… Alles vom 16.7.2024 von Alexander Meschnig bitte lesen auf
https://www.achgut.com/artikel/deutschland_eine_hysterische_nation_1
https://www.achgut.com/artikel/deutschland_eine_hysterische_nation_2_

Dr. Alexander Meschnig studierte Psychologie und Pädagogik in Innsbruck und promovierte in Politikwissenschaften an der HU Berlin. Auf Achgut.com analysiert er unter mentalitätsgeschichtlicher und psychologischer Perspektive die politische Situation Deutschlands.

.

Die hysterische Republik
DPolG-Vorsitzender Rainer Wendt über das Buch „Die hysterische Republik“:
Der Buchtitel könnte nicht besser gewählt sein. Hysterie ist in vielen öffentlich diskutierten Sachverhalten die bestimmende Komponente; die Intervalle werden immer kürzer, in denen Lautstärke, Empörung und Geschrei, kombiniert mit Verdächtigungen, Vorverurteilungen und Ausgrenzungen das Bild bestimmen.
Eine spannende Mischung von Autoren hat Steffen Meltzer zusammengebracht, um unterschiedliche politische Themen beleuchten zu lassen. Mein Kollege Rainer Berendsen, die Psychologin Martina Christlieb und der Wirtschaftspsychologe Alexander Freitag, dazu das Mitglied des Bundestages Gunter Weisgerber (SPD) u.v.a.m. machen das Buch zu einem interessanten und vielseitigen Lesestoff.
Über das „Landesantidiskriminierungsgesetz“ in Berlin schreibt beispielsweise der Jurist Christian Sitter: „Selbst Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) meinte, das Gesetz sei ‚im Grund ein Wahnsinn“, was wohl ein sicheres Indiz ist, dass der Bund demnächst ein ähnliches Gesetz bekommt.‘
In Baden-Württemberg ist das traurige Gewissheit geworden; die Union hatte das immer abgelehnt, jetzt steht es im Koalitionsvertrag.
Viele Anmerkungen mit Quellenangaben lassen darauf schließen, dass Plagiatsjäger hier vergeblich suchen. ‚Die Lektüre richtet sich vor allem an aktive Menschen‘ schreibt der Herausgeber Steffen Meltzer, ‚die sich nicht mehr in den Leitmedien repräsentiert fühlen‘. Man kann und sollte sich mit vielen Aussagen auch kritisch auseinandersetzen. Das macht den Reiz des Buches aus, das ich mit großem Vergnügen gelesen habe.

Leseauszug von Mitautor Alexander Freitag zur Rolle des Journalismus in Deutschland:
Im ebenso hysterischen wie fürsorglichen Deutschland heutiger Prägung, ein im Grunde mindestens proto-autokratisches Staatswesen, gibt es zwischen Staatsführung und Bevölkerung einen impliziten Deal:
Ihr, die Bevölkerung, tut das, was wir, die Staatsführung wollen
– und wir sagen euch, wie ihr das macht. ….
Hierzu stehen aus Sicht der Staatsführung unter anderem zwei wesentliche Werkzeuge zur Verfügung: Framing und Nudging.
….
Am Ende des Tages haben Medien und Wissenschaften zwei Dinge gemeinsam: Sie sind jeweils ein Betrieb – und sie produzieren nützliche Idioten, die ihre Rolle zum eigenen Vorteil taktisch oder strategisch aktiv nutzen. In sozio-ökonomisch stabilen Gesellschaften mit gut ausgeprägtem Bildungsgrad spielen nicht käufliche, aber mietbare nützliche Idioten eine vergleichsweise geringe Rolle. Ihre Rolle wird stärker in Gesellschaften, die aus unterschiedlichen Gründen instabiler sind, deren Bildungsgrad nicht gut ausgeprägt (oder wie im Falle unserer Gesellschaft sinkend) ist. Provokant formuliert ließe sich also sagen, dass das schiere Ausmaß an Lauterbachs, Leschs und Pfeiffers ein Ausdruck der zwischenzeitlichen Schwäche und Instabilität unserer Gesellschaft ist. Die erhebliche Dynamik, mit der kollektivierte Ingroups gegen kollektivierte Outgroups arbeiten, nützliche Idioten aus Wissenschaft und Medien aus Gründen der Konformität gleich kolonnenweise dazu ihren Beitrag leisten, macht umgekehrt deutlich, wie tief und fortgeschritten die Spaltung in dieser Gesellschaft bereits ist.
»Nudging« und »Framing«, das Eingangs genannte Bestreben einer ideenarmen, einfältigen und proto-autokratischen Regierung, ist nicht Gegenstand von Kritik. Ganz im Gegenteil: Wissenschaftler und Journalisten, Wissenschaft und Medien betreiben als selbsterklärte Verbündete, als kollektivierte, gleichgeschaltete Betriebe dieses Geschäft mit. Sie sind nicht Mitläufer, sondern Aktive …
… Alles vom 4.4.2022 von Alexander Freitag bitte lesen auf
https://vera-lengsfeld.de/2022/04/04/nicht-kaeuflich-aber-mietbar/#more-6468
.
Alexander Freitag ist Wirtschaftspsychologe und Lehrbeauftragter für Präklinische Notfallmedizin & Psychiatrie. 

Steffen Meltzer (Hrsg): Die hysterische Republik,
Bevormundung von Bürgern und Polizei,
ISBN 978-3981955965
Ehrenverlag, 244 S., 16,97 Euro
Autorenliste: Rainer Berendsen, Martina Christlieb, Aleander Freitag, Dr. Wolfgang Geist, Annette Heinisch, Prof Wolfgang Meins, Steffen Meltzer, Oliver Nölken, Prof Ulrich Schödlbauer, Christian Sitter und Gunter Weißgerber,