Unter dem Titel „Geplante Obsoleszenz: Schneller kaufen, noch schneller wegwerfen“ findet am Dienstag, 5.2.2013, ab 19.30 Uhr im Literaturbüro im Alten Wiehrebahnhof, Urachstraße 40, eine Lesung mit Filmvorführung statt. Der Freiburger Journalist, Autor und Übersetzer Jürgen Reuß stellt in Lesung und Gespräch sein Buch „Kaufen für die Müllhalde“ vor und gibt Einblicke in das Thema. Die Einführung übernimmt Axel Mayer, Regionalgeschäftsführer des „Bundes für Umwelt und Naturschutz“ BUND. Im Anschluss wird die gleichnamige Dokumentation von Cosima Dannecker gezeigt. Der Eintritt nur für die Lesung beträgt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro, ebenso für den Film; Lesung und Film zusammen kosten 10 Euro, ermäßigt 6 Euro. Kartenreservierung auf www.literaturbuero-freiburg.de oder unter Tel 0761/289989.
Schneller kaufen – Schneller wegwerfen – Das Prinzip der geplanten Obsoleszenz
Das Thema des Abends ist die geplante Obsoleszenz, die „gezielte Lebensdauerverkürzung von Produkten“ aber auch die vielen anderen Formen von Obsoleszenz. Dazu werden wir heute Abend viele Details hören und sehen. Als BUND-Geschäftsführer möchte ich das Thema in einen größeren gesellschaftspolitischen und umweltpolitischen Rahmen einordnen. Ich glaube nicht daran, dass hinter: „Schneller kaufen – Schneller wegwerfen“ nur der böse Wille und das Gewinnstreben einzelner Firmen steht. Geplante Obsoleszenz ist für mich eine Reaktion der Wirtschaft in Krisen und einer zerstörerischen Endphase exponentiellen Wachstums.
Ich muss zugeben: Seit 39 Jahren bin ich im Umweltschutz aktiv, aber bis vor einem 3/4 Jahr kannte ich den Begriff „Geplante Obsoleszenz“ nicht. Ich saß vor einem 3/4 Jahr mit der Fernsehjournalistin Sigrid Faltin zusammen und wir diskutierten eine Sonderform der Obsoleszenz. Den Abriss der Freiburger Unibibliothek
https://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/universitaetsbibliothek-freiburg.html nach nur 33 Jahren. Abends kam die Mail von Sigrid: Zu dem Thema läuft ein sehenswerter Film auf Arte. Seither beschäftige ich mit diesem Thema: Internet: 22.000 Zugriffe auf unsere Seiten, Viele Medienanfragen, Versuch, das Thema in den BUND und in die bundesweite Umweltbewegung zu tragen.
„Seither beschäftige ich mit diesem Thema“ ist eigentlich falsch ausgedrückt. Wir haben das Pferd immer nur vom anderen Ende her aufgezäumt. Die wünschenswerte und notwendige Langlebigkeit von Produkten war immer
schon ein BUND-Thema. Nur die gezielte Kurzlebigkeit nicht… Noch einmal: Ich glaube nicht daran, dass hinter: „Schneller kaufen – Schneller wegwerfen“ nur der böse Wille und das Gewinnstreben einzelner Firmen steht. Geplante Obsoleszenz ist für mich eine Reaktion der Wirtschaft in einer zerstörerischen Endphase exponentiellen Wachstums. Es ist ein Puzzelestück in den aktuellen multiplen globalen Krisen.
1932 veröffentlichte der damalige General-Motors-Chef Bernard Londons sein Buch „Ending the depression through planned Obsolescence“. Die Idee war, dass eine verkürzte Haltbarkeit von Produkten den Konsum anheizen würde und so der Wirtschaft aus der Depression helfe. Zwei Fragen ans Publikum:
1) Wie viel Wachstum hätten Sie denn gerne? Wie viel Wachstum brauchen wir, um aus der Krise zu kommen?
Bei einem anhaltenden Wachstum von 3% verdoppelt sich das Bruttosozialprodukt alle 23 Jahre, bei 5% sogar bereits alle 14 Jahre. Und eine Menge, die exponentiell wächst, vertausendfacht sich jeweils nach der zehnfachen Verdoppelungszeit.
2) Wie viele Dinge haben Sie in Ihrem Haushalt? Eine durchschnittliche Mitteleuropäerin oder ein Mitteleuropäer
besitzt heute zwischen 10 000 und 13 000 Dingen, und es werden (Dank Wachstum & Werbung) täglich mehr.
Jetzt stellen Sie sich die Menge der Dinge vor, die Sie besitzen und ein dauerhaftes Wachstum von 3% ´. Ist schnelles Wegwerfen die Problemlösung? Uns wird gesagt: Chinesen & Deutsche arbeiten recht effizient und produzieren viel. Uns wird gesagt: Die Finanz- und Wirtschaftskrise soll dadurch gelöst werden, dass
Griechen, Spanier und der Rest der Welt so effizient arbeiten und produzieren wie Chinesen & Deutsche.
Ich frage Sie: Wohin dann mit den ganzen Produkten? (Jährlich kommen in Deutschland 1,7 Mio. Tonnen Elektro- und Elektronikgeräte auf den Markt). Wer soll den ganzen Scheiß kaufen und woher sollen Energie und´Rohstoffe für die Produktflut kommen? Ist es sinnvoll und erfüllend unter immer größerem Stress immer mehr zu arbeiten um immer kurzlebigere und dümmere Produkte zu kaufen?
„Früher“ gab es diese Probleme nicht. Wir produzierten nicht so effizient. Es gab alle zwanzig dreißig Jahre einen großen Krieg und viele der Überlebenden besaßen nach dem Krieg nur noch 200 Dinge. Wir sollten versuchen, unsere Probleme ohne Krieg zu lösen. In der Logik eines Systems unbegrenzten Wachstums spricht alles für
Schneller kaufen – Schneller wegwerfen.
Früher haben sich die Menschen über den Besitz von Dingen, über das „Haben“ definiert. Heute definiert sich eine werbeerzogene „Ich kaufe, also bin ich-Generation“ nicht mehr über den langen Besitz eines Produkts, über das „Haben“, sondern über den kurzen Vorgang des Kaufs . Und das Verrückte: Wir kaufen und kaufen und sind zunehmend unzufrieden, krank, ausgebrannt. In der Logik eines Systems unbegrenzten Wachstums und globalen Raubbaus spricht alles für Schneller kaufen – Schneller wegwerfen. Doch unbegrenztes Wachstum zerstört begrenzte Systeme. Das Versprechen vom unbegrenzten Wachstum ist nicht haltbar und beschleunigt die globale Krisen.
Unsere globale Raubbauwirtschaft führt zu: Klimawandel, Ausbeutung (nicht nur) armer Länder und zur absehbaren Endlichkeit der Energie- und Rohstoffvorräte: „In einem Jahr verbrauchen wir gerade weltweit so viele fossile Rohstoffe, wie die Erde innerhalb einer Million Jahre herausgebildet hat.“ mittelfristig zu Peak Oil, Peak Gas, Peak Kupfer, langfristig zu Peak Everything. Auch für unsere Handy- und Computerwegwerfkultur starben seit 1998 über 3 Millionen Menschen im „unbeachteten“ Coltan-Rohstoffkrieg in Uganda.
Es gibt ein Politikproblem: In Sachen Wachstumsglaube und geplante Obsoleszenz gibt es fast keinen
Unterschied zwischen der neoliberalen Rechten und strukturkonservativen Linken. Der berühmte Satz: „Wir müssen die Binnenkonjunktur ankurbeln“ heißt doch häufig nichts anderes als – schneller kaufen – schneller wegwerfen. Die Abwrackprämie / Umweltprämie war eine klassische Form von staatlich organisierter geplanter Obsoleszenz. Wer sein über 10 Jahre altes Auto verschrottete, bekam bei gleichzeitiger Anschaffung eines Neuwagens eine so genannte Umweltprämie von 2500 Euro. Hans Magnus Enzensberger gab der „Umweltprämie“ den richtigen Namen:
„Die Abwrackprämie ist eine Belohnung für die Vernichtung von Gebrauchsgegenständen; ihr Besitzer empfängt diese Prämie, die er als Steuerzahler entrichtet.“ (Zitatende)
Was tun? Sie warten jetzt auf die berühmt berüchtigten Appelle der Umweltbewegung ans Gewissen und an den guten Menschen: „Ändert Euer Leben! Kauft langlebige Produkte!“ Nach fast vier Jahrzehnten in der Umweltbewegung habe ich immer weniger Lust auf solche Appelle. Es ist gut, ökologisch sinnvoll zu handeln, aber Appelle reichen nicht und nützen wenig. Wir müssen gegen die zerstörerische Logik eines Raubbausystems angehen.
Was tun? Die Macht der VerbraucherInnen gegen die Verkürzung der Produktlebensdauer war bisher zumindest einmal erfolgreich: Der US-Konzern Apple wurde 2003 von tausenden KundInnen per Sammelklage
vor ein Gericht gebracht. Im iPod waren Akkus mit sehr kurzer Lebensdauer installiert, die natürlich nicht austauschbar waren. Es kam zu keinem Urteil, weil Apple sich außergerichtlich mit den KlägerInnen einigte. Dennoch war die Klage ein erster Erfolg im Kampf für nachhaltige Produkte. Gegen Obsoleszenz durch „immer Neues kaufen müssen“ hat das Urteil wenig genützt
Was tun? Der Kampf gegen die geplante Obsoleszenz ist ein unbeachteter, wichtiger Aspekt der Energie- und Rohstoffwende. Wir müssen Fortschritt menschengerecht definieren und dürfen den Begriff nicht den Gierigen überlassen. Wir brauchen die massive Verlängerung von Garantien und Gewährleistungszeiten. Das Ministerium für Verbraucherschutz sollte in regelmäßigen Abständen für (fast) jedes langlebige Produkt die „durchschnittliche Lebensdauer“ ermitteln und eine ein Drittel darüber liegende Mindestgarantiezeit fest legen. Dies würde den
technischen Fortschritt nachhaltig beschleunigen. Werbung und Werbeanzeigen ohne die Angabe von Garantiezeiten sollte es nicht mehr geben. Das Papier, auf dem die Garantie aufgedruckt ist, muss eine längere
Lebensdauer als das Produkt haben (Kein Thermopapier).Informieren Sie sich (dafür sind Sie heute hier).
Was können wir gewinnen? Aus einem Puzzlestück der globalen Krise könnte ein Puzzlestück der Problemlösung werden.Langlebige, schöne, reparaturfähige Produkte. Eine Verringerung der Lebensarbeitszeit (die dann aber auch global und national besser verteilt werden muss). Eine Verringerung der Energie- und Rohstoffverschwendung, der Umweltverschmutzung und des Klimawandels. Zukunftsfähigkeit und echte Nachhaltigkeit. Einen Ansatz für das „Gute Leben“ mit einem massiv verringerten Input an Energie- Rohstoffen und menschlicher Arbeitskraft
„Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“ (Ghandi)
5.2.2013, Redebeitrag von BUND-Geschäftsführer Axel Mayer vom 5. Februar 2013 im Kommunalen Kino in Freiburg:
(Es gilt das gesprochene Wort)
Mehr Basisinfos zum Thema findet Ihr hier.
https://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/geplante-obsoleszenz.html