Wenn von Orchideen die Rede ist, denken viele an den Kaiserstuhl. Tatsächlich ist das Naturschutzgebiet am Badberg und Haselschacher Buck weithin bekannt dafür. Kaum weniger bedeutsam ist jedoch das Schönbergmassiv südlich von Freiburg. Dort kommen rund 30 verschiedene Arten vor und damit die Hälfte der in Deutschland verbreiteten Orchideen. Eine Schatzkammer der Vielfalt ist das 23 Hektar große Naturschutzgebiet „Jennetal“, das zu den ältesten Schutzgebieten Baden-Württembergs zählt. Offiziell trägt das Naturschutzgebiet „Feldberg“ den Titel das älteste zu sein, denn erste Flächen dort wurden bereits am 24. Februar 1937 nach dem 1935 erlassenen Reichsnaturschutzgesetz ausgewiesen, das Ebringer Schutzgebiet hingegen erst im November jenes Jahres. Sein Kernstück aber, eine 7100 Quadratmeter große Fläche mit Wiesen und Gehölzen, wurde schon zuvor unter Schutz gestellt, und zwar durch die private Initiative von Erwin Sumser, der aus Merzhausen stammte und in Hüfingen als Arzt praktizierte. „Faktisch ist das Jennetal demnach das älteste Schutzgebiet Baden-Württembergs“, stellt Benno Kuhn aus Ebringen in einer Veröffentlichung der Arbeitsgemeinschaft Ebringer Dorfgeschichte von 2007 über das „Jennetal“ fest. Denn dort hatte Erwin Sumser von 1931 an insgesamt sieben Grundstücke von Ebringern erworben und der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Ende 1932, also vor gut 80 Jahren, ließ er sie in die damalige Liste der amtlichen Naturdenkmale eintragen.
Weil die Fläche eingezäunt ist, sprechen die Ebringer vom Sumsergarten. Ehrenamtliche Naturschützer pflegen sie und halten auch Führungen ab (samstags, sonntags und feiertags von 9 bis 16 Uhr). Unter ihnen ist Benno Kuhn, der zudem über das Naturschutzgebiet referiert, zuletzt beim Bildungswerk Wittnau, wobei er Fotografien von nahezu allen Orchideenarten am Schönberg zeigt. Mehrere Gattungen sind vertreten, etwa Ragwurze, die sich dadurch auszeichnen, dass sie den Stängel aus einer unterirdischen Knolle ausbilden und mit bestimmten Duftstoffen und ihrem täuschenden Aussehen Insekten zur Bestäubung anlocken. Ein Beispiel ist die Hummel-Ragwurz, deren Blüte tatsächlich einer Hummel ähnelt. Häufig anzutreffen sind auch die auffällig pinkfarben blühenden Knabenkräuter oder die Pyramidenorchis.
Auch Benno Kuhns Tante hatte ein Stück Land an Erwin Sumser verkauft. Von ihr weiß er, dass die Einheimischen den Arzt damals belächelt hatten. Heute lacht keiner mehr über diese Aktivitäten. Die Ebringer sind sich bewusst, welchen Schatz Erwin Sumser ihrer Gemeinde hinterlassen hat. Denn der Sumsergarten zieht Pflanzenfreunde und Wissenschaftler aus ganz Deutschland an. Allerdings macht Gemeinde keine Werbung dafür, denn mehr Leute wollen den Garten besichtigen als eigentlich gut ist, besonders jetzt in der Blütezeit, weshalb das Tor zum Garten unter der Woche auch abgeschlossen ist. Wer in diesen Tagen jedoch im Naturschutzgebiet „Jennetal“ spazieren geht oder auch im anderen, weit größeren Ebringer Naturschutzgebiet „Berghauser Matten“, sieht sich von der Blütenpracht der Orchideen fasziniert. Mit dem kleinen Knabenkraut hat sie in der dritten Aprilwoche ihren Auftakt genommen.
Auch Erwin Sumser muss fasziniert gewesen sein, meint Benno Kuhn, der Kontakt zu einer seiner Töchter hat. Wie sei sonst zu erklären, dass der Arzt große Teile seines Einkommens für den Kauf von Grundstücken und ihre Pflege ausgegeben habe. Auch in den Baar-Gemeinden Riedöschingen, Hondingen und Bräunlingen hatte er Grundstücke erworben, um Vorkommen von Orchideen und anderen seltenen Pflanzen zu schützen. „Sumser war seiner Zeit voraus“, findet Benno Kuhn. Er habe erkannt, dass die aufkommende Praxis der Düngung mit industriell hergestellten Mineraldüngern und des chemischen Pflanzenschutzes die natürliche Vielfalt der Vegetation beeinträchtigen würde. 1960, ein halbes Jahr vor seinem Tod, hat er die gesamten Flächen an das Land Baden-Württemberg verkauft, wobei er 10 500 Mark erlöst hat.
Orchideen sind eine weltweit verbreitete Pflanzenfamilie, die meisten in den Tropen und Subtropen. Die in Mitteleuropa heimischen Orchideen – das sind etwa 250 Arten – wurzeln allesamt auf mageren, also nährstoffarmen Böden. Auf normal landwirtschaftlich genutzten Wiesen, die gedüngt werden, kommen sie daher so gut wie nicht vor.
In den Schutzgebieten hingegen sind die Vorkommen relativ stabil, und zwar landesweit, aber nur, weil überall – ebenso wie in Ebringen – ehrenamtliche Naturschützer die Flächen pflegen. Entscheidend ist ein später Mähzeitpunkt, so dass die Orchideen blühen und sich vermehren können. Einzelne Arten, etwa die Bocksriemenzunge, breiten sich seit einigen Jahren außerhalb der Schutzgebiete relativ stark aus, auch nach Norden. Denn sie profitieren von der steigenden Jahresdurchschnittstemperatur. Andere Arten hingegen, beispielsweise der Frauenschuh, haben sich selbst in den geschützten Zonen rar gemacht; im „Jennetal“ ist der Frauenschuh sogar ganz verschwunden. Für Botaniker haben Orchideen einen hohen Stellenwert, sie gelten als sogenannte Zeigerpflanzen für die ökologische Qualität ihrer Standorte. Denn weil sie sehr hohe Ansprüche an ihren Lebensraum stellen, ist anzunehmen, dass sich auch viele weitere Pflanzenarten, die auf nährstoffarme Böden angewiesen sind, dort wohlfühlen, ebenso wie auf diese Pflanzen ausgerichtete Insekten. In Ebringen lassen sich solche bunten, natürlichen Blumenwiesen erleben.
11.5.2013, Silvia Faller
Sumsergarten im Jennetal bei Ebringen: Orchideengarten >Naturschutz2 (9.6.2007)
https://www.freiburg-schwarzwald.de/orchidee.htm