17Juni1953

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Hubertus Knabe zum 17. Juni 1953: „Das große Schweigen“
Interview: Der 70. Jahrestag ist vorbei – der Volksaufstand gegen die SED fast schon wieder vergessen. Dabei zählt er zu den „großen revolutionären Erhebungen der deutschen Geschichte“, mahnt der DDR-Experte Hubertus Knabe in seinem nun wieder erschienenen Standardwerk „17. Juni 1953“
Moritz Schwarz

Herr Dr. Knabe, gerät der „deutsche Aufstand“, wie Sie ihn nennen, vom 17. Juni 1953 in Vergessenheit?
Hubertus Knabe: Ich fürchte, ja. Dieser 70. Jahrestag war wahrscheinlich das letzte Mal, daß sich Medien und Politik mit den Ereignissen breiter befaßt haben. Vielleicht findet der 75. Jahrestag noch einmal größere Aufmerksamkeit, aber das Unwissen nimmt von Jahr zu Jahr zu.

Zum 75ten dürften die meisten Zeitzeugen tot sein.
Knabe: Das ist leider jetzt schon ein Problem.

In der Neuausgabe Ihres Buchs schreiben Sie, „erst 2003 erinnerten sich viele plötzlich wieder der dramatischen Ereignisse“. War der Grund nur der 50. Jahrestag oder steckte dahinter vielleicht mehr?
Knabe: Der 50. Jahrestag fand in der Tat große Aufmerksamkeit – die jedoch genauso plötzlich endete, wie sie begann. Viele Journalisten entdeckten damals die Geschichte ihres eigenen Landes neu. Im Westen hatte das Gedenken an den Aufstand zunehmend als eine Art „Relikt des Kalten Krieges“ gegolten. Im Osten war er jahrzehntelang verschwiegen oder als „faschistischer Putschversuch“ verteufelt worden. Nach der Friedlichen Revolution 1989 erschien er vielen dann auf einmal als deren früher Vorläufer.

Die Deutschen haben damals den 17. Juni „neu entdeckt“?
Knabe: Zweifellos. Die breite Berichterstattung war vermutlich auch eine Gegenbewegung zur „Ostalgie“-Welle, die die Medien davor beherrschte.

Mit „Tage des Sturms“ gab es erstmals sogar einen Spielfilm zum Thema, mit Starbesetzung und einem Drehbuch aus der Feder des Schriftstellers Erich Loest.
Knabe: Besser war allerdings der Film „Zwei Tage Hoffnung“. Selbst Erich Loest kritisierte, was der MDR aus seinem Drehbuch gemacht hatte. Aber diese Fernsehfilme trugen natürlich erheblich dazu bei, daß der Aufstand plötzlich in aller Munde war.

Aber daß er bald danach wieder vergessen war, deutet doch auf ein mediales Strohfeuer hin.
Knabe: Leider ja. Während etwa in Ungarn bis heute die allermeisten den Volksaufstand von 1956 kennen dürften, weiß ein großer Teil der Deutschen nicht mehr, was 1953 in der DDR geschah – vor allem in der jüngeren Generation.

Warum ist das so?
Knabe: In einer brutalen Diktatur für freie Wahlen auf die Straße zu gehen, ist etwas ganz Besonderes. Der 17. Juni gehört deshalb in die Reihe der großen demokratischen Erhebungen in Deutschland. Als er 2003 wiederentdeckt wurde, nahm auch das Wissen darüber plötzlich rapide zu. Der Anteil derjenigen, die wußten, was am 17. Juni geschah, stieg binnen weniger Wochen von 52 auf 68 Prozent, bei den unter Dreißigjährigen sogar von 20 auf 50 Prozent.

„Kaum war der Jahrestag vorbei, senkte sich erneut der Mantel des Schweigens“, schreiben Sie in Ihrem Buch „17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand“.
Knabe: Genau – und das, obwohl nach 2003 noch viele neue Erkenntnisse hinzukamen.

Zum Beispiel?
Knabe: Zum Beispiel wurde die Behauptung der SED widerlegt, westdeutsche Geheimdienste hätten den Aufstand initiiert. In Wirklichkeit war die „Organisation Gehlen“, der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, genauso überrascht wie die SED. Sie verdächtigte sogar die Sowjets, dahinterzustecken. Auch die Regionalforschung zum 17. Juni erlebte 2003 einen Schub. Doch dies stieß auf kein besonderes Interesse mehr. Bereits 2005 hielten ein Drittel der deutschen Schüler den Volksaufstand für einen „antisozialistischen Putschversuch“.

Und zum 60. Jahrestag?
Knabe: 2013 gab es nochmal eine hochrangig besetzte Gedenkveranstaltung in Berlin. Das war aber auch schon alles. Danach setzte wieder das große Schweigen ein.

Hat Sie das überrascht?
Knabe: Ehrlich gesagt, nein. Was mich überraschte, war eher das enorme Interesse 2003. Denn es stand im Gegensatz zur Gleichgültigkeit, das in Deutschland sonst gegenüber dem Widerstand und der Verfolgung in der DDR zu beobachten ist.

Wurde darüber nach dem Ende der DDR nicht immer wieder berichtet?
Knabe: Der Zusammenbruch der SED-Diktatur 1989 löste in der Tat eine breite Berichterstattung über die kommunistischen Verbrechen aus – nach jahrelanger Schönfärberei zuvor. Bald wurde diese aber von Berichten überlagert, daß die Ostdeutschen angeblich vor allem unter den Folgen der Wiedervereinigung litten. Die Bundesregierung will dazu jetzt in Halle sogar ein riesiges Zentrum bauen.

Die Politik beteuert doch bei jeder Gelegenheit, demokratische Lehren aus der Geschichte gezogen zu haben.
Knabe: Davon merkt man leider wenig. Viele Politiker interessieren sich einfach nicht für die DDR. An Gedenktagen gibt es ein paar Schaufensterreden, aber das war’s. Der aktuelle Antrag der Ampel-Regierung ist ein Beispiel dafür: Irgendwelche Maßnahmen, wie man die Erinnerung an den 17. Juni wieder stärken könnte, finden sich nicht darin.

Sie schreiben, der 17. Juni hätte „eine elementare Kraft, die fasziniert“. Worin liegt diese?
Knabe: Geschichte betrachten wir meist vom Ende her. So sehen wir im 17. Juni vor allem das Scheitern. Erzählt man Geschichte aber von ihrem Anfang her – also so, wie sie die Zeitgenossen erlebt haben –, dann war der Aufstand ein großer Tag der Befreiung. Das SED-Regime brach wie ein Kartenhaus zusammen. Die Parteispitze mußte ins sowjetische Hauptquartier evakuiert werden, der DDR-Regierungssitz wurde gestürmt. In zahlreichen Städten wurden die Parteizentralen besetzt, vielerorts auch Gefängnisse, Polizeireviere und Stasi-Dienststellen. Hätten nicht sowjetische Panzer und Soldaten interveniert, wäre die SED-Diktatur schon 1953 zu Ende gewesen.

Aber in Berlin kam die Niederlage schon nach wenigen Stunden.
Knabe: Berlin war eher ein Ausnahmefall. Weil der Potsdamer Platz im Sichtfeld westlicher Journalisten lag, wird der Aufstand bis heute vor allem mit Bildern von dort identifiziert. Das verzerrt den Blick, denn in Berlin rollten sowjetische Panzer schon zwischen 10 und 11 Uhr in die Innenstadt. Um 12 Uhr eroberten die Sowjets den Regierungssitz zurück, danach räumten sie den Potsdamer Platz, wo es um 12.40 Uhr den ersten Toten gab. Um 13 Uhr wurde schließlich der Ausnahmezustand verhängt. In anderen Städten jedoch zog sich der Aufstand viel länger hin. In Halle fand noch um 18 Uhr eine große Kundgebung statt, erst danach griffen sowjetische Truppen ein. In Görlitz war es ähnlich. Die Erhebung konnte sich deshalb dort viel weiter entwickeln. Die Aufständischen übernahmen das Rathaus, setzten den Bürgermeister ab und erteilten erste Anweisungen. Innerhalb von Stunden erreichten sie das, wofür die Bürgerbewegungen 1989 Monate brauchte: die Entmachtung der SED.

Um so mehr stellt sich die Frage, warum ein solch wuchtiges Ereignis aus historischer Identität und kollektivem Bewußtsein der Deutschen verschwunden ist?
Knabe: In der DDR war der 17. Juni 36 Jahre lang extrem tabuisiert. Selbst die Bürgerrechtler der achtziger Jahre wollten nichts damit zu tun haben. Im Westen wurde der Tag zwar – auf Initiative der SPD – noch 1953 zum einzigen bundesgesetzlichen Feiertag erklärt. Doch bereits Ende der sechziger Jahre wollte man ihn wieder abschaffen, und seit 1968 gab es keine Gedenkstunde im Bundestag mehr. Als sich Bundeskanzler Willy Brandt dann 1970 mit dem DDR-Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph in Erfurt traf, sprach niemand mehr davon, daß Stoph, 1953 Innenminister, für die Verhaftung Tausender Aufständischer verantwortlich gewesen war. Helmut Kohl führte die Gedenkstunde 1983 zwar wieder ein, doch die Grünen boykottierten sie. Woher sollte also das Bewußtsein kommen!

Der 17. Juni verkam bekanntlich zum Badetag – oft wird angeführt, weil die Westdeutschen nicht Teilnehmer, sondern nur Zaungäste waren.
Knabe: In den fünfziger und frühen sechziger Jahren gab es im Westen noch eine große Anteilnahme an den Geschehnissen. 1963 erhob der Bundespräsident den Feiertag zusätzlich zum „Nationalen Gedenktag des deutschen Volkes“. Doch der Linksruck infolge der Studentenbewegung veränderte auch die Einstellung zur DDR. Hatten sich Studenten der Freien Universität Berlin zuvor als Fluchthelfer engagiert, demonstrierten sie jetzt mit Bildern von Marx, Mao Tsê-tung und Ho Chí Minh.
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Nach wie vor ist der 17. Juni offiziell „Nationaler Gedenktag des deutschen Volkes“ – was aber quasi kein Deutscher mehr weiß.
Knabe: Weil er im Alltag keine Rolle spielt. Als der Feiertag 1990 abgeschafft wurde, gab es weder im Westen noch im Osten Protest dagegen. Es war ja auch irgendwie seltsam gewesen, einen Aufstand gegen Walter Ulbricht, Willi Stoph und Erich Honecker zu feiern, mit denen man zur selben Zeit freundschaftliche Bande knüpfte.

Die Entspannungspolitik erklärt, warum die Politik, nicht aber, warum das Volk sich nicht mehr mit dem 17. Juni identifizierte.
Knabe: „Das Volk“ ist vielleicht etwas hochgegriffen, treffender ist wohl: die meinungsbildenden Eliten. Dafür gab es verschiedene Gründe: Die verstärkte Aufarbeitung des Nationalsozialismus ließ die DDR vielen irgendwie harmlos erscheinen. Einflußreiche Intellektuelle erklärten, die Teilung Deutschlands sei die Strafe für Krieg und Holocaust. Die Renaissance des Marxismus schuf eine gewisse ideologische Verbundenheit mit den DDR-Machthabern. Olaf Scholz zum Beispiel fühlte sich als Vizechef der Jusos deutlich mehr zu diesen Leuten hingezogen als zur Nato und zu den USA – obwohl diese damals auch seine Freiheit sicherten.

Welche Rolle spielte dabei, daß der 17. Juni auch ein – vielleicht mißliebiger – nationaler Aufstand war, für die Einheit und Freiheit Deutschlands?
Knabe: Das gebrochene Verhältnis zur eigenen Nation spielte sicher eine Rolle, warum viele 68er von dem Aufstand in der DDR nichts wissen wollten. In den Forderungskatalogen vom 17. Juni findet sich die Wiedervereinigung allerdings nur vereinzelt. Aber Zeitzeugen berichten einhellig von Rufen nach der deutschen Einheit, sogar nach Abschaffung der Oder-Neiße-Grenze und vom Singen des Deutschlandliedes. In Berlin zog man mit schwarzrotgoldenen Flaggen durchs Brandenburger Tor, von dem die rote Fahne heruntergerissen und durch die deutsche ersetzt wurde.

Knabe: Das war aber nicht unbedingt ein Ausweis nationaler Gesinnung. Denn die DDR und die Bundesrepublik verwendeten damals noch ein und dieselbe Fahne. Das Staatswappen der DDR mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz kam erst 1959 dazu. Nach vier Jahren Teilung war es allerdings naheliegend, daß freie Wahlen bald wieder zu einem einheitlichen Staat führen würden.
Eben, für die Aufständischen war die deutsche Einheit selbstverständlich und „logische“ Folge ihrer politischen Forderungen – womit das Nationale doch ein Kernelement des 17. Juni war.

Knabe: Nicht unbedingt. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit forderten damals fast alle politischen Kräfte, auch und gerade die SED. Die Frage war, unter welchen Bedingungen. Die Sowjets wollten erst eine gesamtdeutsche Regierung bilden und dann Wahlen durchführen, die West-Alliierten bestanden auf der umgekehrten Reihenfolge. Ohne die Zustimmung der vier Alliierten war eine Wiedervereinigung jedoch undenkbar, denn Deutschland war ein besetztes Land. Tatsache ist: Der Aufstand begann mit sozialen Forderungen, nämlich der Rücknahme der Arbeitsnormenerhöhung. Daraus entstanden bald politische Forderungen, vor allem Rücktritt der Regierung, Freilassung der politischen Gefangenen und freie Wahlen. Die anderen Punkte, die Sie genannt haben, wurden nur punktuell flächendeckend erhoben. So richtete sich der Zorn der Demonstranten in Berlin gegen die Kontrollstellen, die die DDR an der Sektorengrenze aufgebaut hatte. In Görlitz forderte man, die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zurückzunehmen, weil die Stadt seitdem in einen deutschen und eine polnischen Teil geteilt war. In grenznahen Gebieten ging es um die Öffnung der seit 1952 verschlossenen innerdeutschen Grenze. Daraus, wie in der Bundesrepublik geschehen, einen „Tag der deutschen Einheit“ zu machen, verschiebt im nachhinein etwas die Akzente.

Der 17. Juni-Teilnehmer Wolfgang Liebehenschel sagte jüngst im Interview mit dieser Zeitung, er sehe heute „wiederkehren, wogegen wir uns damals erhoben haben … den Zug, dem Volk vorzuschreiben, was es zu denken hat und jene, die nicht mitziehen, auszugrenzen“. Hat er recht?
Knabe: Teils, teils. Die Situation ist heute eine grundsätzlich andere. Wir leben nicht in einer Diktatur, wo man für einen Witz ins Gefängnis kommt. Aber die Ausgrenzung abweichender Meinungen hat zugenommen. Darüber wird bei meinen Veranstaltungen besonders im Osten geklagt. Auch die Ideologisierung von Politik erinnert dort viele an früher. Die Methode, Kritik als rechtsradikal zu stigmatisieren, kommt vielen ebenfalls bekannt vor. Auch die SED bezeichnete den Aufstand jahrzehntelang als „faschistischen Putschversuch“. In Ostdeutschland reagiert man auf solche Tendenzen sensibler als im Westen.

Sie gelten als einer der profiliertesten Experten für die DDR-Diktatur. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Knabe: Ich würde sagen, wir haben aus der Geschichte wenig gelernt – obwohl wir gerne das Gegenteil behaupten.
… Alles vom 22.6.2023 bitte lesen in der JF 26/33, Seite 3
https://www.junge-freiheit.de

Dr. Hubertus Knabe, war Mitgründer und von 2000 bis 2018 Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zur Erinnerung an die SED-Verbrechen. Heute lehrt der 1959 im westfälischen Unna geborene Historiker als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Würzburg. Er schreibt als Gastautor für diverse Blätter wie NZZ, FAZ, Welt, Focus oder Cicero und ist Autor zahlreicher Bücher, darunter „Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der DDR“ (2007), „Honeckers Erben. Die Wahrheit über die Linke“ (2010), „Nazis in der DDR. Die Legende vom antifaschistischen Staat“ (2020). Seine als „große, packende Erzählung“ (FAZ) und „Standardwerk“ (Tagesspiegel) gelobte Studie „17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand“ (2003) ist nun in aktualisierter Neuauflage wieder erschienen.

Kommentar:
Wie so viele Gedenktage und Meilensteine unserer deutschen Geschichte ist der 17.Juni weitgehend aus dem Gedächtnis verschwunden. Die Altparteien haben kaum etwas getan, um den Geist der mutigen Männer und Frauen in Mitteldeutschland am Leben zu erhalten, die vor 70 Jahren unter Einsatz ihres Lebens und vom Westen im Stich gelassen, gegen den SED Unrechtsstaat auf die Straße gingen. 1,5 Millionen Menschen in 700 Orten standen nicht nur gegen erhöhte Arbeitsnormen auf – nein auch für Freiheit, Selbstbestimmung sowie gegen die russische Besatzung! Der Volksaufstand konnte nur durch sowjetische Panzer gestoppt werden. Hunderte Deutsche verloren ihr Leben, und rund 15.000 Festnahmen folgten.
Der 17. Juni 1953 war die geistige Wurzel für das, was letzendlich am 9. November 1989 in einer friedlichen Revolution zur Teilwiedervereinigung sich erfüllte! Der 17.Juni ist ein sinnvollerer Nationalfeiertag als der konstruierte 3.Oktober 1990 (Unterzeichnung des Einigungsvertrag). … M.K.
Ende Kommentar

 

17. Juni 2023 in der deutschen Erinnerungspolitik
von Michael Klonovsky

Heute möchte ich darüber sprechen, warum der 17. Juni in der offiziellen deutschen Erinnerungspolitik praktisch keine Rolle mehr spielt (und auch im Westen schon lange vor der Wiedervereinigung nicht mehr spielte). Im Übrigen gilt diese Feststellung auch für den 9. November 1989, und zwar aus demselben Grund.
Lassen Sie sich nicht täuschen von dem bisschen Gedöns, das der Bundestag zum 70. Jahrestag des Aufstandes veranstaltet hat, und den salbungsvollen Worten, die Herr Steinmeier in der Feierstunde am Freitag im Bundestag sagte. Der 17. Juni ist und bleibt für die sogenannten Eliten dieses Landes ein Tag zum Vergessen. Nichts ist ihnen unangenehmer und peinlicher als ein Volk, das sich lautstark artikuliert.
Natürlich vereinnahmte der Bundespräsident die Aufständischen von vor 70 Jahren als „Vorkämpfer unserer heutigen Demokratie”. Die Worte „unser“ oder „wir“ verwandeln sich allerdings in ein wenig einladendes Gehege, wenn ein Linker sie ausspricht. Steinmeier ist Mitglied einer sozialistischen Partei. Die einzige logische Konsequenz, die aus dem 17. Juni zu ziehen ist – Nie wieder Sozialismus! –, werden Sie von ihm niemals hören. Für diesen Mann endet „unsere Demokratie“, wenn sie keine linken Mehrheiten hervorbringt.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, ebenfalls SPD, bezeichnete den Tag als „ein Schlüsselereignis” der deutschen Geschichte: „Was 1953 mit brachialer Gewalt unterdrückt wurde, fand 1989 eine späte Vollendung – in der friedlichen Revolution.” Das stimmt. Der 17. Juni 1953 gehört zum 9. November 1989 wie die andere Seite der Medaille. Zwischen den beiden Ereignissen existiert gleichsam eine unterirdische historische Wasserader. Der 9. November 1989 – präziser gesagt: die Ereignisse, die seit dem 7. Oktober zu ihm führten – löste das Freiheitsversprechen des 17. Juni ein. Erich Mielke hat das geahnt. „Ist morgen der 17. Juni?“, fragte er in einer Lagebesprechung im August 1989, in den späten Tagen des vorletzten Lebensjahres der DDR.

So omnipräsent der 17. Juni als stete Drohung zu Häupten des Regimes schwebte, so nichtexistent war dieses Datum in der DDR-Öffentlichkeit. Im Geschichtsunterricht hatte der 17. Juni nicht stattgefunden. Kein Wort war je über diesen Tag gefallen. Offiziell war damals nämlich überhaupt nichts geschehen. Schon sich als Schüler nach diesem Datum zu erkundigen, hätte bedeutet, dass der Frager eingestand, seine Information aus obskuren Quellen zu beziehen, dass er ihnen zudem Glauben schenkte und der DDR-Geschichtsschreibung misstraute, denn wenn die schwieg, konnte ja nichts Erwähnenswertes passiert sein. Hätte der Frager noch die Impertinenz besessen, den im Westen kursierenden Terminus „Volksaufstand“ zu benutzen, wäre er erledigt gewesen. Denn – das Phänomen „kognitive Dissonanz“ gab es bereits in der DDR – es waren vom Westen bezahlte Saboteure, Rowdys und Asoziale, die damals, als offiziell nichts passiert war, in Berlin und anderswo randaliert hätten, bis die Rote Armee dem Spuk ein Ende bereitete.

Zur Überraschung eines wiedervereinigten DDRlers mit unterentwickelter Sympathie für den Sozialismus war der 17. Juni auch in der westdeutschen Öffentlichkeit mehr oder weniger inexistent. Es gab zwar die „Straße des 17. Juni“ auf der anderen Seite des Brandenburger Tores, aber dort stand ein sowjetisches Ehrenmal mit zwei Panzern jenes Typs, der damals bei der Niederschlagung des Aufstandes eingesetzt worden war. Mit Hilfe solcher Panzer war zuvor angeblich Deutschland „befreit“, also die Pest mit der Cholera therapiert worden – die verkorkste deutsche Geschichte en miniature.

Zum Feiertag der deutschen Einheit wurde bekanntlich der Termin eines blutleeren Verwaltungsaktes gewählt. Auch im Kohlschen Biedermeier hielten die Politiker sich und ihre Taten für bedeutender als das Volk. Die beiden emotionaleren und bedeutungsvolleren Daten, eben der 17. Juni und der 9. November, waren der Bundesregierung bereits damals nicht geheuer, und den Wortführern des Landes ohnehin nicht. Bei den meisten Linken auf beiden Seiten der Mauer, die heute wieder vereint sind, wurde der 17. Juni verdrängt, kleingeredet, ignoriert.

Der Schriftsteller Patrick Süskind schrieb am 16. September 1990 im Spiegel – und er sei hier lediglich als prominentes Pars pro toto zitiert – Folgendes:
„Freilich hatte man uns in der Schule beigebracht, daß die Teilung Deutschlands nicht von Dauer sei, daß die Präambel des Grundgesetzes jeden bundesdeutschen Politiker verpflichtete, auf ihre Überwindung hinzuarbeiten, daß die Bundesrepublik und ihre Hauptstadt Bonn nur ein Provisorium darstellten. Aber das haben wir schon damals nicht geglaubt und glaubten es mit den Jahren immer weniger. Man lebt nicht jahrzehntelang in einem Provisorium – schon gar nicht in einem so prächtig gedeihenden, schon gar nicht als junger Mensch –, und wenn in den Sonntagsansprachen von ‚unseren Brüdern und Schwestern in der Zone‘ die Rede war oder man uns nach dem Bau der Berliner Mauer aufforderte, zum Zeichen der nationalen Solidarität nächtens ein Adventslichtlein ins Fenster zu stellen, so kam uns das ebenso lächerlich und verlogen vor, als würde man von uns Heranwachsenden im Ernst verlangen, einen Stiefel in den Kamin zu stellen, damit der Nikolaus uns Schokolade hineinwürfe. Nein, die Einheit der Nation, das Nationale überhaupt war unsere Sache nicht. Wir hielten es für eine vollkommen überholte und von der Geschichte widerlegte Idee aus dem 19. Jahrhundert, auf die man getrost verzichten konnte. Ob die Deutschen in zwei, drei, vier oder einem Dutzend Staaten lebten, war uns schnuppe. Am 17. Juni gingen wir segeln.“
Am 17. Juni gingen wir segeln – das war die Einstellung einer Generation, die nicht mehr an die deutsche Nation glaubte und auch nicht daran, dass Recht und Freiheit den Nationalstaat zur Voraussetzung haben könnten.
Im Gegenteil: Sie hatten „Angst vor Deutschland“. So lautete der Titel eines Sammelbandes, in dem der eben zitierte Text von Süßkind erschien. Es handelte sich um eine im Bewusstsein der Teilung aufgewachsene Generation, der die Landsleute hinter der Mauer schlechterdings gleichgültig waren. Zumindest die intellektuellen Wortführer dieser Generation – Süskind sagte es in seinen weiteren Ausführungen – wollten nicht länger Deutsche sein, sondern Europäer, Kosmopoliten, „Anywheres“. Der Osten war ihnen unbekannt, allenfalls peinlich, in jedem Fall aber: egal.
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Diesem Phänomen der nationalen Entsolidarisierung folgte später, in unseren Tagen, aber im identischen Milieu, die soziale Entsolidarisierung. Die grüne, linke, woke Schickeria in den besseren Stadtteilen interessiert sich keine Sekunde für ihre Landsleute in den prekären Gegenden, die den Hauptstoß der von ihnen herbeigeschriebenen und ‑politisierten Massenmigration auffangen müssen. Das scheint auf den ersten Blick nichts mit dem 17. Juni zu tun zu haben, auf den zweiten aber schon. Ich komme noch darauf.

Die deutsche Teilung war die Strafe für Auschwitz, statuierte der Schriftsteller Günter Grass, dem lange entfallen war, welchem militärischen Orden er einst selbst angehört hatte; vielleicht tränten ihm auch die Augen beim Häuten seiner autobiographischen Zwiebel zu sehr, bis er endlich bei der letzten Schicht angekommen war. Das Pech der Ost- bzw. historisch gesehen Mitteldeutschen bestand darin, dass sie, anders als Grass und Süskind, diese Strafe unter der sowjetischen Knute ganz allein erdulden mussten. Als die Nachricht vom Mauerfall den Bundestag erreichte, erhoben sich die meisten Abgeordneten und sangen die Nationalhymne. Die grünen Sieger der Geschichte blieben sitzen – und sicherlich auch Grass daheim vor seinem Tätervolksempfänger. Dass die Demonstranten „Wir sind das Volk!“ und später „Wir sind ein Volk!“ riefen, klang in den Ohren der Grünen wie ein Geisterchor aus der Vergangenheit, die bekanntlich für den Progressisten immer etwas Schlimmes ist. Ein Zombie ging um und auf die Straße: das deutsche Volk.

Der aktuelle grüne Wirtschaftsminister und eigentliche Chef der Partei – sofern man einer Tentakel des globalistischen Kraken irgendeine Chefrolle zusprechen mag – fand „Vaterlandsliebe stets zum Kotzen“ und „wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht“. Man hat es an seinem verkniffenen Benehmen bei der Feierstunde im Bundestag wieder studieren können, wie unangenehm ihm die Nationalhymne ist. Wenigstens hat er nicht gezittert.
„Volksverräter“, erklärte Habeck bei anderer Gelegenheit, „ist ein Nazibegriff. Es gibt kein Volk, und es gibt deswegen auch keinen Verrat am Volk.“ Zumindest wenn es um Deutsche geht, also Nazibegriffsverwender. Das ukrainische Volk darf seine Heimat verteidigen. Das tibetische Volk darf sich gegen seine Sinisierung wehren. Zwar werden wegen „Volksverhetzung“ im besten Deutschland aller Zeiten immer mehr Hausdurchsuchungen veranstaltet und Anklagen erhoben, seit die Grünen ihre Leute in Polizei und Justiz untergebracht haben, aber ein deutsches Volk im Sinne einer ethnisch-kulturellen Abstammungsgemeinschaft und immer noch größten Teils des Staatsvolkes darf es nicht geben. Dann gibt es natürlich auch keinen Volksaufstand.
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Wer vom 9. November geschockt war, ist es nachträglich auch vom 17. Juni. An beiden historischen Tagen erhoben sich Menschen gegen die sozialistische Tyrannei. Sie standen auf gegen staatliche Bevormundung, Gesinnungsterror, politische Verfolgung, Unfreiheit und die jeder sozialistischen Herrschaft wie der Donner dem Blitz folgende Verelendung.

Ist Ihnen aufgefallen, meine Damen und Herren, dass in vielen Medienberichten zu den Jahrestagen von Mauerbau und Mauerfall praktisch nicht mehr erwähnt wurde, wer eigentlich diese Mauer gebaut hatte und zu welchem Zweck? Und warum so viele DDR-Bürger ihren Staat verlassen wollten? Haben Sie irgendwo gelesen, dass die Menschen vor dem Sozialismus davongelaufen sind? Ist irgendwo beklagt worden, dass die direkte Nachfolgerin der Mauerbauerpartei heute im Bundestag sitzt, in Länderparlamenten mitregiert und in Thüringen sogar den Ministerpräsidenten stellt? Dass sie in den sogenannten neuen Bundesländern als Koalitionspartner der CDU im Gespräch ist? Im Gegenteil. Das neue „Narrativ“ lautet, dass 1989 die Menschen in der DDR für Weltoffenheit und gegen die Abschottung ihres Landes durch Grenzen auf die Straße gingen.

Auf vergleichbare Weise wird man versuchen, aus dem 17. Juni 1953 für die Geschichtsbücher einen Tag zu machen, an dem die Ostdeutschen erstmals nach einer bunten weltoffenen Gesellschaft mit feministischer Außenpolitik verlangten. Die Deutschlandfahnen, die die Demonstranten trugen, wird man als Vorläufer der Regenbogen- und Europafahnen beschreiben, ihr Verlangen nach freien Wahlen als Vorstufe der freien Wahl seines Geschlechts. Und man wird daran erinnern, dass womöglich auch queere Menschen Steine auf Panzer warfen und weiblich gelesene Personen Flugblätter verteilten.

„Hunderttausende hatten im Juni 1953 den Mut, der SED-Diktatur die Stirn zu bieten. Sie riskierten ihr Leben”, erklärte Steinmeier. Wofür? Dafür, dass ihre Kinder und Enkel einmal gendern und endlich ihre heteronormativen Geschlechterrollen ablegen können? Dafür, dass ihre Kinder und Enkel einmal das Weltklima retten und einen ökosozialistischen Maßnahmestaat errichten dürfen? Dafür, dass ihre Kinder und Enkel sich, von kritischen Weißseinsforschenden belehrt, als weiße Rassisten begreifen lernen, die in einem viel smarteren Gesinnungsstaat als der DDR wegen eines falschen Wortes oder falscher Parteimitgliedschaft ihren Job verlieren können, aber in einem Siedlungsgebiet ohne Grenzen leben dürfen, wo „Alman“, „Jude“ und „Kartoffel“ beliebte Kosenamen auf den Schulhöfen sind? Na wofür denn sonst!

Übrigens: Steinmeier kam drei Jahre nach der Niederschlagung des Aufstandes zur Welt und studierte Ende der 1970er in Gießen Rechts- und Politikwissenschaften. Während seiner Studienzeit gehörte er zur Redaktion der linken Quartalszeitschrift Demokratie und Recht, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, als der noch die Verfassung und nicht die Regierung schützte. Die Zeitschrift erschien im Pahl-Rugenstein-Verlag, der von der DDR finanziert wurde, was seinem Programm durchaus anzumerken war. Als der Herr Pahl-Rugensteinmeier anfing, sich Gedanken über „unsere“ Demokratie zu machen, waren also jene Genossen mit im Spiel, die den 17. Juni niedergeschlagen hatten. Der aktuelle Bundeskanzler war als Juso ja auch ein gern gesehener Gast in der DDR. Wie gesagt, von solchen Leuten werden Sie die Worte „Nie wieder Sozialismus!“ niemals hören. Und von den grünen Ökosozialisten erst recht nicht.

Was aber war der 17. Juni?
Ein Volksaufstand, sagt man heute so dahin. Das ist nicht ganz richtig. Das Volk stand nicht auf. Es waren ein paar hunderttausend Arbeiter, die im sogenannten Arbeiter- und Bauernstaat aufstanden. Sie forderten freie Wahlen und Freilassung der politischen Gefangenen; Ausgangspunkt der Unruhen waren allerdings Preiserhöhungen im Einzelhandel und eine maßlose Steigerung der Arbeitsnormen. Die Öffnung der Archive habe ergeben, schreibt der Historiker Hubertus Knabe, dass es „ganz normale Bürger waren“, die vor 70 Jahren auf die Straße gingen.
1989 verhielt es sich nicht anders. „Wir sind das Volk!“ war der Ruf einer Minderheit. Der Otto-Normal-Deutsche veranstaltet keine Aufstände – er ist ja kein Franzose. Er wartet daheim hinter der Gardine und schaut, was passiert. Einem Aufstand schließt er sich erst an, wenn er praktisch offiziell genehmigt ist.

„Die SED war schon am 17. Juni mit ihrem Latein am Ende“, erklärten die Ostberliner Historiker Armin Mitter und Stefan Wolle – sie gehörten zu den ersten, die SED- und Stasi-Akten auswerten konnten – in einem Interview am 17. Juni 1990. Nach der Niederschlagung des Aufstands begann der Aufbau des DDR-Sozialismus durch den Ausbau der Staatssicherheit. Die Stasi versuchte, „nazistische Kräfte“ als Verantwortliche für die Schürung der Unruhen ausfindig zu machen. Tatsächlich hatten die Gewerkschaften die Streiks und Demonstration organisiert. Nach dem 17. Juni wurden sie gleichgeschaltet.
Da die Stasi sich vergeblich um den Nachweis bemüht hatte, es habe sich um einen faschistischen Putsch gehandelt, hat es die SED-Führung später einfach behauptet. Viele prominente Intellektuelle und Schriftsteller der DDR übernahmen, oft wider besseres Wissen, diese offizielle Darstellung, Bertolt Brecht etwa, Stefan Heym, Stephan Hermlin, Robert Havemann, Erich Loest. „Für Faschisten darf es keine Gnade geben“, schrieb Brecht im Neuen Deutschland. Und wenn die Versorgung mit „Faschisten“ zu wünschen übrig lässt, müssen sie eben herbeiphantasiert werden.
Zwei der genannten Autoren, Havemann und Loest, hat schnell die Nemesis ereilt, Havemann wurde von der Stasi jahrelang unter Hausarrest gestellt, Loest ging 1957 wegen „konterrevolutionärer Gruppenbildung“ für sieben Jahre ins Gefängnis.
Was DDR-Intellektuelle 1953 über die angeblichen faschistischen Provokateure vortrugen, die nur ihre Bürgerrechte einforderten, ähnelt im Sprachduktus und Diffamierungsfuror verblüffend dem, was deutsche Öffentlichkeitsarbeiter heute über die Rechtspopulisten sagen. Heute darf ein ehemaliger Stasi-Spitzel wie Anetta Kahane an der Spitze einer Stiftung und im Kuratorium eines sogenannten Instituts, gefördert mit Steuermillionen, der rechten Opposition unterstellen, einen faschistischen Umsturz anzustreben und deren Verbot fordern.

Ich wiederhole: 1953 und 1989 erhoben sich Menschen für ihre Freiheit, für die deutsche Einheit und gegen den Sozialismus. Sozialisten mögen keine Freiheiten für die anderen, sie wollen nicht, dass Bürger auf die Straße gehen für ihre Rechte. Das versuchen sie zu verhindern. Und am meisten stört sie, dass es ein Volk gibt, dass es einen Souverän gibt, der auf seine Rechte pocht. Sie wollen das Volk in „Menschen da draußen im Land“ verwandeln, wie das Verhängnis im Hosenanzug formulierte. Sie wollen, dass möglichst viele disparate Gruppen existieren, die sie gegeneinander ausspielen und so besser beherrschen können. Deswegen ernennen – oder importieren – sie unentwegt immer neue unterdrückte Minderheiten, als deren Anwälte sie sich ausgeben, um die Mehrheitsgesellschaft moralisch unter Druck zu setzen und via Umverteilung zu enteignen.
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Deswegen redet heute übrigens auch kein Offizieller mehr von Integration. Divide et impera, das heißt: Desintegration ist erwünscht. Ausländer, die sich wirklich integrieren, könnten schon in der nächsten Generation auf die verrückte Idee kommen, Deutsche zu sein und „Wir sind das Volk!“ zu rufen, bloß weil sie mit der Regierung unzufrieden sind. Ich sage das hier explizit, damit die Leser und Lauscher in der Haldenwang-Combo mir nicht unterstellen können, ich besäße ein „völkisches Volksverständnis”.

Die Wiedergeburt der deutschen Nation, die sie für tot, zumindest für historisch überholt hielten, haben die Linken speziell den Ossis nicht verziehen. Deshalb erklären sie die Bundesländer im Osten summarisch zu unaufgeklärten Gebieten, ja zu Schandflecken, in denen dumpfe, vielfaltsfeindliche Hinterwäldler siedeln. In Thüringen, wo seit Dezember 2014 die SED regiert – die Linke ist nicht der Nachfolger der SED, sie ist rechtsidentisch mit der Mauerpartei –, droht heute angeblich die Gefahr von rechts. Thüringens herrschende Neo-SEDler kündigen ein „Landesprogramm gegen Neonazismus und für Demokratie“ an. Genauso klangen ihre politischen Vorgänger anno 1953. Die Warnung vor einem aufkommenden Faschismus ist das konstante Begleitgeräusch der Errichtung eines sozialistischen Staates. Mit einer gewissen polemischen Überspitzung lässt sich sagen: Teile der heutigen Bundesregierung stehen im Nachhinein eher auf der Seite von Ulbrichts SED als auf jener der Volksaufständischen. Die Sicht von Mielke und Krenz auf die Demonstranten von 1953 und 1989 dürfte jedenfalls gewisse Überschneidungen mit jener von Habeck und Trittin aufweisen.

Man kann die Politik der momentanen Koalition, aber auch schon der Merkel-Kabinette und der Regierung Schröder-Fischer – Schröfisch, wie ein Freund die Chimäre taufte – geschichtssymbolisch in zwei Parolen zusammenfassen: Nie wieder 17. Juni! Nie wieder 9. November 1989!
Nie wieder sollen Menschen in Deutschland mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ gegen eine autoritäre Linksregierung auf die Straße gehen.

Brecht, der Feigling – Feigheit ist das erste aller Menschenrechte, aber hättest du geschwiegen, wärest du ein Dichter geblieben –, Brecht sendete nach der Niederschlagung des Aufstands öffentliche Ergebenheitsadressen an die SED-Oberen. Für sich privat notierte er in seinem später berühmt gewordenen Gedicht „Die Lösung“ die Frage der Epoche:
„Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?“

Als die rotgrüne Koalition Schröder-Fischer an die Macht kam, begann die Suche mit dem Souverän unzufriedener deutscher Regierungen nach einem anderen Volk. Sie sind, wie jeder begreift, der sich auf deutschen Straßen und in deutschen Schulen umsieht, inzwischen weit gekommen. Eine hegelsche List der Vernunft besteht freilich darin, dass viele dieser Anderen heute die Opposition wählen. Und es werden immer mehr.
„Ist morgen der 17. Juni?“, grauste es Erich Mielke, den alten Menschenfreund. Es würde mich nicht im Mindesten stören, wenn diese Sorge auch über der aktuellen Bundesregierung und allen sozialistischen Nachfolgeregierungen schwebte.
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Das war die Rede, die ich hielt
Bei der Stiftung D. Erasmus.
Es heißt, Frau Göring-Eckardt zart
Erlitt drob einen Spasmus.
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… Alles vom 17.6.2023 von Michael Klonovsky bitte lesen auf
https://www.klonovsky.de/2023/06/17-juni-2023/
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Anmerkung: Die fett unterlegten Textstellen wurden nachträglich eingefügt.