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Wyhl am Rhein zwischen Kaiserstuhl und Ortenau
Erneuerbare
Energien - AKW
  

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Erneuerbare, nachwachsende Energie - Infos ab 20.6.2007

Die Schornsteine rauchen: Blick nach Osten zum Schloßberg am 12.1.2009 um 9.30 Uhr - Freiburg im Frost bei -11 Grad
Die Schornsteine rauchen: Blick nach Osten zum Schloßberg am 12.1.2009 um 9.30 Uhr - Freiburg im Frost bei -11 Grad

 

Nai hämmer gsait: Typisch dickköpfig, diese Dreiländer
  Freiburg - Angefangen hat es wohl Mitte der Siebziger, erinnern sich Axel Mayer und Hubert Hoffmann. Die beiden sind seit den »Kindertagen« der Anti-AKW-Bewegung miteinander befreundet und haben sich zusammen so manches Protestplakat ausgedacht. Mayer ist heute Geschäftsführer des Umweltverbandes BUND in Freiburg, Hoffmann ist Vorstand einer alternativen Wohngenossenschaft im Freiburger Ökoviertel Vauban und saniert Altbauten. »Gelernter Grafiker bin ich nicht, ich habe aber einige Zeit eine Menge in diesem Bereich gemacht, Plakate, Flugblätter und so«, erzählt er. Sein »Nai hämmer gsait«-Plakat aus den Siebzigern hat nun eine solche Renaissance erfahren, dass es sogar bei AKW-Demonstrationen in Japan gesichtet wurde. »Nai« steht für grenzübergreifenden Protest

Der Slogan »Nai hämmer gsait« entspricht so ganz dem halsstarrigen, dickköpfigen Klischee des Badeners, das mancher vielleicht im Kopf haben mag. Dabei geht es hier nicht nur um störrische Schwarzwälder und Kaiserstühler, die mutmaßlich sowieso gegen alles sind. Das »Nai« steht vielmehr grenzübergreifend für Protest und Widerstand, denn der Satz wird im Dialekt der Badener, der Elsässer und der Nordschweizer gleichermaßen verstanden. »Der Hubert hat es wohl zum ersten Mal bei einer Bauplatzbesetzung in Marckolsheim im Elsass Mitte der Siebziger gesehen, der Dialekt ist also eigentlich Elsässerdeutsch«, erinnert Mayer sich. Dort ging es damals gegen den Bau einer Bleichemiefabrik. Die einjährige Besetzung des Bauplatzes verhinderte schließlich das Projekt. In der Folge wurden dann noch drei Atomkraftwerke in Wyhl (Baden), Kaiseraugst (Kanton Baselland) und in Gerstheim im Elsass auf dem Protestweg abgebogen. »Im Grunde war das damals die erste grenzüberschreitende Bürgerbewegung der Nachkriegszeit«, betont Mayer. »Ein vorweggenommener Ausdruck unseres Selbstbewusstseins als trinationale Region. Der Dialekt verbindet uns über die Grenzen hinweg, schafft Identität, verhindert, dass man sich gegeneinander ausspielen lässt. Und alles ohne EU-Fördergelder!« Das »Nai« zur Atomkraft sei auch immer schon das »Ja« der Menschen in der Region zu offenen Grenzen und alternativen Energien gewesen.

Etwa 70 bis 80 Prozent der Plakate der grenzüberschreitenden Bürgerprotestler stammten damals von Hubert Hoffmann, der ein »viel beschäftigter, nie bezahlter Hobbygrafiker« gewesen sei, so Axel Mayer. Nicht immer lief das reibungslos: »Das Plakat mit dem ›Nai‹ drauf haben damals viele eher kritisch beäugt und sogar abgelehnt. Über Ästhetik wird halt gern gestritten«, so Axel Mayer rückblickend. Aber durchgesetzt hat sich das Motiv dennoch, es gab sogar Zehntele-Gläser mit dem Satz drauf. »Revolutionskitsch« nennt Mayer sie. Geholfen habe jedoch auch das, zum Beispiel wenn es darum ging, Prozesskosten oder neue Plakate zu bezahlen.
Die große – von keinem gewollte – Renaissance des prägnanten Protestsatzes auf Plakaten, Bannern, Aufklebern, Buttons und Fahnen brachte dann in diesem Jahr das Atomunglück in Fukushima mit sich, so Hubert Hoffmann: »Meinem Eindruck nach ist der Slogan erst jetzt wieder neu aufgelebt. Er wurde vor allem von Axel wieder neu belebt.« Der Mundartboom der »Wyhler Zeiten« sei davor ja schon länger abgeflaut gewesen. Es war Mayer, der Hoffmann als Zeichner wieder aktivierte: »Ich hab ihn gefragt, ob er diese dicke Kinderschrift von damals noch hinbekommt«. So entstand das »Atomausstieg jetzt«-Plakat mit den durchgestrichenen Kühltürmen und dem »Nai hämmer gsait«-Design, das der BUND in Freiburg 16 000 Mal drucken ließ und bereits 10 000 Mal kostenlos verteilt hat.5000 neue Plakate auf Lager

Seit Mitte Juli hat Mayer 5000 neue Plakate auf Lager
»Fessene? Nai hämmer gsait!« ist die jüngste Variante des altbekannten Motivs, das in Wyhl sogar einen Gedenkstein im Wald ziert und im »Haus der Geschichte« in Stuttgart zu musealen Ehren gekommen ist. Auch andere Museen haben schon angefragt. Bereits in den Achtzigern hat es der »Kaiserstühler Realismus« in ein Buch über Plakate gegen Umweltverschmutzung des renommierten Beltz-Verlags geschafft. »Man muss aufpassen, als Protestbewegung nicht zu versteinern und sich weiter zu entwickeln«, so Mayers Credo. Man dürfe sich nicht zur »Heilsinstanz« erklären. Es sei zum Beispiel toll, dass auch der Bürgerprotest gegen den Schienenlärm beim Ausbau der Rheintalbahn sich des Satzes »Nai hämmer gsait« bediene. Das romantisierende »weisch no, damals« sei nicht sein Ding.

Atomprotest auf dem eigenen Balkon: Banner zum Mieten
Stattdessen setzt Mayer heute auf Newsletter per E-Mail und »Spuckis«. Das sind kleine Protestaufkleber, die wie Briefmarken abgeleckt und aufgeklebt werden. »Es gibt ja kaum noch diese alten Hoftore aus Holz, die wir früher mit Plakaten vollgetackert haben«, so Mayer weiter. Generell sei es schwieriger geworden, in den Städten und Gemeinden Platz zum Plakatieren zu finden. Da müsse man halt mit der Zeit gehen. Dazu gehört auch, dass Mayer in seinem BUND-Büro in Freiburg neuerdings Anti-Atom-Banner zur Miete für 20 Euro anbietet: »Die kann man sich an den Balkon hängen, bis der Vermieter meckert.« Wer das Plakat zum BUND zurückbringt, bekommt sein Geld zurück. »Das Plakat ›Nai hämmer gsait‹ ist wohl ein Klassiker des deutschen AKW-Widerstands«, resümiert Hubert Hoffmann.
 Weitere Plakate für Beznau und Leibstadt
Gedacht hätten weder er noch Axel Mayer dies, als sie damals in Wyhl, Marckolsheim, Gerstheim oder Kaiseraugst mit dabei waren. »Ich finde es nett, dass es immer wieder solchen Anklang findet«, sagt Hoffmann weiter. Persönliche Folgen für seinen Lebensweg habe es aber keine gehabt. Und Mayer würde es im Grunde am liebsten einmotten: »Hoffentlich werden wir zumindest das ›Nai‹ zur Atomkraft auch am Oberrhein in wenigen Jahren nicht mehr benötigen.« Davor werde es aber sicher noch »Nai hämmer gsait«-Plakate für die Reaktoren in Beznau und Leibstadt in der Schweiz geben. Davon ist Mayer überzeugt

2.8.2011, Ralf Deckert, www.schwarzwaelder-bote.de

 

 

Rolf Böhme: Wyhl - Oberrhein als Modellregion zur Energiewende der EU

Vor 40 Jahren begann 1971 der Protest gegen die Planung eines Atomkraftwerkes am Kaiserstuhl, damals noch am Standort Breisach. Die Kontroverse endete mit einer Verlegung des Standortes nach Wyhl. Aber trotz der Zustimmung der Gemeinde Wyhl begann hier der eigentliche Protest gegen die Atompolitik. Wyhl wurde zum Symbol der Ablehnung der Kernkraftwerke. Im Protest gegen Wyhl bildeten sich auch spontan über die Grenze am Rhein hinweg die badisch-elsässischen Bürgerinitiativen. Der Umweltschutz kennt keine Grenzen. Der Kampf um Wyhl ist Geschichte, aber sein Protest "Nai, hämmer g’sait – Kein AKW in Wyhl und anderswo"

 "NAI hammer gsait! 18. Februar 1975" Gedenkstein beim Wyhler Wald am Rhein NAI hammer gsait! 18. Februar 1975" Gedenkstein beim Wyhler Wald am Rhein

ging erst zu Ende mit dem Beschluss des Bundestages am 30. Juni 2011 zum endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie. In Wyhl begann dieser Weg. Die damalige Ablehnung des AKW-Standortes gelang durch den weithin akzeptierten Protest der Bevölkerung, und zwar diesseits und jenseits des Rheins. Die regionale Bündelung der Anti-AKW-Bewegung brachte den Erfolg. In der damaligen rheinüberschreitenden Vernetzung lag ein Alleinstellungsmerkmal. Diese Erfahrung gilt bis heute und kann bei der Umsetzung eines regionalen Verbundes von erneuerbaren Energien genutzt werden. Das Erbe von Wyhl bleibt so Verpflichtung und Ansporn, wieder voranzugehen und für die Energiewende eine europäische Modellregion zu schaffen. Das Konzept eines solchen Energieverbundes wäre zugleich eine inhaltliche Alternative und eine politische Antwort auf die Forderung zur Abschaltung des KKWs Fessenheim. Daraus könnte eine Pro-Bewegung werden, diesmal für eine Initiative zu besserer Energie-Effizienz, für mehr erneuerbare Energien und zu einem nachhaltigen Klimaschutz.

Eine Modellregion zum Umstieg auf erneuerbare Energien wäre zugleich ein Anstoß zur praktischen Einübung einer europäisierten Energiepolitik. Die Energiewende in Deutschland erfordert eine abgestimmte europäische Energiepolitik. Nur dann ist die Aufgabe zu erfüllen, sichere, nachhaltige und bezahlbare Energie zur Verfügung zu stellen. Dazu bedarf es bis zum Ausstiegsdatum 2022 einer EU-konformen Neuausrichtung der Förderinstrumente. Irgendwo muss diese europäische Binnenmarktpolitik beginnen. Im Dreiländereck haben wir reiche grenzüberschreitende Erfahrung und schon bestehende Netzwerke der Kooperation. Hinzu kommen auf deutscher Seite eine Reihe regionaler Zusammenschlüsse, in denen die Städte und Gemeinden, die Wirtschaft und das Handwerk, die Sparkassen und Volksbanken, aber auch Energiedienstleister wie die Badenova einen regionalen Weg suchen. Hier, am Ursprung der Energiewende ist auch der richtige Ausgangspunkt für ein Modell zur Entwicklung einer europäisierten Energiepolitik. Gewiss wird dieses Projekt nur in Schritten zu verwirklichen sein. Aber ebenso ist gewiss, dass die neue Energieversorgung eine regionale Kooperation braucht, zum Beispiel für die Speicherung erneuerbarer Energien durch Pumpspeicherkraftwerke, für Stromleitungen oder für die Ausweisung und Nutzung von Flächen für Wind- und Solaranlagen. Diese Einrichtungen müssen letztlich vor Ort entschieden und betrieben werden von den Kommunen, der Wirtschaft oder Energiedienstleistern. Aber auch das Land Baden-Württemberg steht in der Pflicht und hat mit der landeszugehörigen EnBW ohnehin die Aufgabe, ein Konzept zur Umsetzung der erneuerbaren Energien vorzulegen. Die neue grün-rote Landesregierung hat die Energiewende zu einem ihrer Mega-Themen erklärt. Ein Pilotprojekt mit einer Art Energie-Masterplan für den Oberrhein wäre eine lohnende Initiative des Landes.
Der Zeithorizont bis 2022 ist knapp bemessen. Viele wissenschaftliche Gutachten halten diesen Zeitplan für machbar. Aber die politische Steuerung und praktische Umsetzung bleibt eine epochale Aufgabe. Überkommene Positionen müssen an die Erfordernisse der neuen Energieversorgung angepasst werden. Dieser Weg ist schwierig, weil eine neue Energie- und Klimapolitik auch wirtschaftlich und sozial tragfähig bleiben und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes sichern muss. Die Energiewende wird große Investitionen auslösen, die allein für die notwendigen Strom- und Gasnetze auf 200 Milliarden € Euro geschätzt werden. Dies zeigt, dass die neue Energie-Agenda nicht nur klima- und energiepolitisch eine Chance ist, sondern auch ein Motor werden kann für die Wirtschaft und Arbeitsplätze, für den Mittelstand in Handwerk, Handel und Gewerbe. Ein Engagement lohnt sich.
13.7.2011, Rolf Böhme, Ex-OB von Freiburg


 

© by freiburg-schwarzwald.de, Kontakt, Update 09.08.11