Am Samstag findet der diesjährige Tag der Artenvielfalt statt. Untersuchungsgebiet ist das zwei Hektar große Gewann Obergrün zwischen Anne-Frank-Schule und Gaskugel im Stadtteil Betzenhausen: Mitten in der Stadt findet man dort Wiesen, Hecken, Feuchtbiotope und einen Bach. BZ-Mitarbeiter Andreas Braun befragte Ralf Hufnagel vom Leitungsteam der Ökostation zu diesem Aktionstag.
Den Tag der Artenvielfalt gibt es in Freiburg nun schon seit 2003. Welche Erkenntnisse hat er seitdem gebracht?
Ralf Hufnagel: Im Schnitt wurden jedes Mal 380 verschiedene Tier- und Pflanzenarten gezählt. Um die Daten nicht zu verfälschen, ist das Jahr 2010, als die bundesweite Hauptaktion in Freiburg stattfand, nicht berücksichtigt: Damals waren nämlich sehr viele Spezialisten vor Ort, die über 2300 Arten fanden. Dies zeugt von einer hohen Artenvielfalt in der Stadt, ebenso aber auch von einem großen Interesse seitens der Bevölkerung, denn jedes Jahr haben mehrere hundert Leute mitgemacht.
Ist angesichts dieser Zahlen überhaupt noch damit zu rechnen, dass neue Tiere und Pflanzen gefunden werden?
Hufnagel: Es geht uns in erster Linie nicht darum, neue Arten oder so viele Arten wie möglich zu entdecken. Vielmehr liegt uns in die Sensibilisierung der Bevölkerung für den Reichtum an Arten und Lebensräumen in der Stadt am Herzen. Das ist eine wichtige Aufgabe, denn auf dieser biologischen Vielfalt baut letztlich unsere Existenz auf. Aus diesem Grund haben die Vereinten Nationen 2011 ja die Dekade der Biodiversität, und damit auch der Artenvielfalt, ausgerufen.
Dass sich die Vorbereitungsgruppe, das so genannte Freiburger Netzwerk Artenvielfalt, diesmal für das Obergrün als Exkursionsgebiet entschieden hat, ist durchaus bemerkenswert: Verschiedene Gruppen befürchten ja, dass diese Naturinsel von Bebauung bedroht sein könnte und fordern von der Stadt ihren Erhalt. Hat dies bei Auswahl eine Rolle gespielt?
Hufnagel: Neben dem Obergrün wurde auch das Dietenbachgelände vorgeschlagen. Mit den artenreichen Wiesenflächen, die teilweise durch Beweidung gepflegt werden, haben wir im Obergrün jedoch einen Gebietstyp, den wir in den letzten Jahren noch nicht besucht hatten. Hinzu kommt, dass das naturpädagogische Konzept des dort ansässigen Vereins Bauernhoftiere für Stadtkinder unserem Ziel, Familien mit Kinder für den achtsamen Umgang mit der Natur zu sensibilisieren, entgegen kommt. Letztlich waren also diese beiden Punkte entscheidend. Das Netzwerk Artenvielfalt versteht sich übrigens nicht als kommunalpolitische Speerspitze für Naturschutz: Letzteres ist vielmehr Aufgabe der einzelnen Mitgliedsverbände, die in Bezug auf das Obergrün ja auch klare Positionen bezogen haben.
Halten Sie es dennoch für möglich, dass sich die Ergebnisse des Aktionstags – etwa durch den Nachweis geschützter Arten – positiv auf den Erhalt des Obergrüns auswirken können?
Hufnagel: Die erhobenen Artenlisten werden veröffentlicht und stehen damit allen Interessierten, also auch der Stadt Freiburg, zur Verfügung. Wie zu lesen war, hat die Stadt ja ein Gutachten für das Obergrün in Auftrag gegeben. Die von uns erhobenen Daten können da sicherlich eine Ergänzung sein. Es würde uns natürlich freuen, wenn wir damit einen Beitrag zur Sicherung dieses wertvollen Gebiets leisten könnten.
Mit welchen Seltenheiten oder besonderen Arten rechnen Sie konkret?
Hufnagel: Für die geschützte Zauneidechse sind die extensiv bewirtschafteten und strukturreichen Flächen im Obergrün wichtige Rückzugsorte. Zu erwarten ist auch die Gottesanbeterin: Mitte Juni dürften ihre Jugendstadien bereits zu beobachten sein. Und mit etwas Glück könnte man bei der morgendlichen Vogelexkursion auch die Dorngrasmücke zu hören bekommen.
Andreas Braun, 15.6.2012
Der „Tag der Artenvielfalt“ wurde 1999 vom Naturmagazin „Geo“ ins Leben gerufen. Gemäß dem Motto: „Nur was man kennt, will man auch schützen“ werden jedes Jahr an einem Samstag im Juni vielerorts Veranstaltungen zum Kennenlernen der Natur angeboten. Für die Teilnehmer gilt es, innerhalb von 24 Stunden möglichst viele Arten zu entdecken. Dadurch soll das Bewusstsein für die Naturvielfalt vor der Haustür gefördert werden, zugleich werden Veränderungen des Artenspektrums erkannt und dokumentiert. In Freiburg beginnt der Aktionstag, zu dessen Vorbereitung sich mehrere naturkundliche Vereine sowie das Forstamt und Waldhaus zum „Freiburger Netzwerk Artenvielfalt“ zusammengeschlossen haben, mit einer Vogelexkursion um 7 Uhr morgens. Danach werden bis Mitternacht zehn weitere Exkursionen angeboten, die auch für Familien mit Kindern geeignet sind. Außerdem gibt es Info-Stände und für Bewirtung ist ebenfalls gesorgt. Zentraler Treffpunkt für die meisten Exkursionen ist das Vereinsgelände der Bauernhoftiere für Stadtkinder hinter der Anne-Frank-Schule, Wilmersdorfer Straße 19. Weitere Informationen sind im Internet unter https://www.oekostation.de sowie bei der Ökostation unter Tel. 0761/892333 erhältlich.
Zahlreiche Exkursionen beim Tag der Artenvielfalt am 16.6.2012. Ein beeindruckendes Bild von der Naturvielfalt mitten in der Stadt konnten sich am Samstag die Besucher des diesjährigen Freiburger Artentags machen: Von früh am Morgen bis spätabends waren um die 200 Leute gekommen, um bei mehreren Exkursionen unter Anleitung von Fachleuten die Tier- und Pflanzenwelt im Gewann „Obergrün“ zu erforschen. Diese im Stadtteil Betzenhausen gelegene Grünparzelle hatten sich die Veranstalter, das so genannte „Netzwerk Artenvielfalt“, im Vorfeld als Untersuchungsgebiet ausgewählt. „Es ist schön hier und interessant“, meinte Anwohnerin Silke Pfaff: Bereits um sieben Uhr war die Naturliebhaberin auf den Beinen, um mit Josef Ruf vom Naturschutzbund und anderen Interessenten die Vogelwelt im Gebiet hinter der Anne-Frank-Schule zu erkunden. Innerhalb von anderthalb Stunden entdeckte die Gruppe 20 Arten – so auch die Heckenbraunelle und den Grauschnäpper. „Jetzt habe ich einen Eindruck davon, was vor meiner Haustür so lebt“, freute sich Pfaff. Eine weitere Vormittags-Exkursion beschäftigte sich mit den Lebewesen des Mühlbachs: Dem neunjährigen Moritz Herlyn aus der Oberau machte es dabei sichtlich Spaß, gemeinsam mit den Freiburger Gewässerführern nach den Larven von Köcher- und Eintagsfliegen zu suchen, die auch zahlreich gefunden wurden. Im Mittelpunkt des Aktionstags standen jedoch vor allem die Wiesen und Weiden, welche das Gebiet „Obergrün“ in erster Linie prägen: „Man findet verschiedene Typen von Grünland nahe beieinander“, betonte Kerstin Geigenbauer vom Verein Bauernhoftiere für Stadtkinder. So seien einige Parzellen von Hecken und Gestrüpp bewachsen, andere Bereiche würden indes gemäht und gestalteten sich deshalb lückiger und ärmer an Nährstoffen. „Das ist auch der Grund dafür, warum dort Pflanzen wachsen, die auf gut gedüngten Wiesen fehlen“, erklärte die Biologin. Mehrere solcher Kräuter wurden den Teilnehmern vorgestellt, beispielsweise der Hornklee und die Wiesenflockenblume.
Anhand der letztgenannten Art zeigte Insektenfachmann Klaus Rennwald am Nachmittag die enge Verzahnung zwischen Tier- und Pflanzenwelt auf: Mit einem Kescher fing er nämlich eine besondere Bohrfliege, die ihre Eier in den Rispen dieser violett blühenden Pflanze ablegt. „Wo es keine Flockenblumen gibt, fehlt auch diese Fliege“, brachte es der Zoologe auf eine einfache Formel. Neben dem pflanzlichen Artenspektrum spiele für manche Insekten ebenso die Bewirtschaftungsform eine Rolle: „Das Ochsenauge etwa legt seine Eier gerne an frisch gemähten Wiesen ab“, erläuterte Rennwald. Mehrere Besucher hatten diesen dunkelbraun gefärbten Schmetterling gefunden, außerdem etliche Heuschrecken wie das Grüne Heupferd. Laut Einschätzung Rennwalds könnten auf der Fläche des „Obergrüns“ insgesamt mehr als tausend Insektenarten vorkommen.
Dass die Krabbeltiere am Samstag relativ leicht beobachtet werden konnten, war in erster Linie dem guten Wetter zu verdanken. Auch die Stadtverwaltung leistete einen Beitrag dazu: „Eigens wegen des Aktionstags hat das Garten- und Tiefbauamt einen Mähtermin nach hinten verschoben“, hob Ralf Hufnagel vom Veranstalter-Netzwerk lobend hervor. Zuvor hatte der Leiter des Waldhauses, Markus Müller, in einem Grußwort als Vertreter des Rathauses den Freiburger Tag der Artenvielfalt als ein ganz besonderes Ereignis benannt: „Auch, weil er Kinder für die Natur begeistert“, so der Förster.
Andreas Braun, 18.6.2012