Somewheres gegen Anywheres

Angesichts der fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft hat Bundespräsident Steinmeier zum „Miteinander reden“ aufgerufen, denn „Sprachlosigkeit heißt Stillstand“. Gespalten ist weniger in rechts-links, reich-arm, Stadt-Land, West-Ost, alt-jung, oben-unten, gebildet-ungebildet, sondern in Somewheres-Anywheres, so der britische Publizist David Goodhart:
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Die Somewheres als die Ortsgebundenen sind an das ökonomische und soziale Umfeld ihres Wohnorts gebunden: Landwirte, Handwerk, Ärzte, Mittelschicht … Anders als die ortsungebundenen Anywheres können Sie nicht einfach
– ihre berufliche Tätigkeit in eine andere Stadt oder ins Ausland verlegen.
– ihr Wohnumfeld z.B. in ein privilegiertes Viertel wechseln.
– ihr Kind in eine entfernte Privatschule schicken, wenn die Staatsschule zum Ghetto wird
– ihr Diesel-Auto in ein E-Auto wandeln oder mit dem ÖPNV oder Velo fahren.
– vor Unannehmlichkeiten weichen bzw. flüchten
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Zu den Anywheres zählt laut Goodhart die Elite (in Politik, Wirtschaft, Medien, Lobby, Wissenschaft und Kunst), geprägt durch die Urbanität der Ballungsgebiete, in denen sie leben. Sie arbeiten als Abgeordnete, Juristen, Banker, Experten, Journalisten, Berater usw. bei EU, UN, NGO, Ministerien, Lobby in Frankfurt, Berlin, Brüssel, Genf bzw. New York. Leben auf Pump und Schuldenmachen gelten als modern. Die Anywheres haben sich Staat und Gesellschaft nach ihrer Ideologie eingerichtet und mit den Schlagworten Offenheit, Vielfalt und Toleranz ein humanistisches Ansehen gegeben.
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Die Somewheres hingegen bilden die Mittelschicht – einschließlich die untere – , die unser Gemeinwesen per Arbeit und Steuerzahlung aufrecht hält. Die Somewheres stellen die Nettosteuerzahler Deutschlands (Zahlen siehe unten). Sie vertreten eher konservative Positionen und schätzen die Solidität von Realwerten

Wenn Anywheres als die eigentlichen Globalisierungsgewinner auf die Somewheres als „Abgehängte“, „ewig Gestrige“ bis hin zum „Pack“ herabblicken, dann verletzt und beleidigt dies. Diese Überheblichkeit liegt dies auch daran, dass die Medien allesamt in urbanen Zentren angesiedelt sind und die Journalisten die Probleme der Somewheres lieber per „Recherche am PC“ im Office angehen (drei Tage mit Übernachtung im Landgasthaus in Amberg in der Oberpfalz sind eben mühsam).
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Man mag die Argumentation Someweheres-Anywheres als zu überspitzt ansehen, aber diese Polarisierung läßt sich in den westlichen Demokratien nicht wegreden .
In GBR haben die Somewheres für den Brexit gestimmt, in Frankreich gehen sie als „Gillets Jaunes“ seit 10 Wochen auf die Strassen. Natürlich kann man GBR und F nicht mit D vergleichen, aber Parallelen gibt es schon:
Der französische Philosoph Alain Finkielkraut führte die Unruhen der „Gilets jaunes“ auf die wirtschaftliche und kulturelle Unsicherheit der ethnisch französischen Unter- und Mittelschicht zurück. Dieser Schicht gehören Menschen an,
– die durch steigende Mieten aus den Großstadtzentren vertrieben wurden,
– die ihre Arbeitsplätze und Kleinunternehmen durch “grüne” Steuern und Vorschriften zerstört sehen,
– die das Gefühl haben, einen Machtkampf mit muslimischen Einwanderern verloren zu haben, und
– die spüren, dass ihre herrschenden Klassen mehr Mitgefühl mit Einwanderern haben als mit ihnen.
Die Ecoles élémentaires im Großraum Paris sollen mit Toiletten fürs 3.Geschlecht ausgestattet werden. Was interessiert dieses Eliten– bzw. Genderprojekt eine Familie irgendwo in der weiten französischen Provinz (18 km Landstrasse zur nächsten Kleinstadt), die sieben Tage vor Monatsende kein Geld mehr hat, um den Diesel für ihre drei Pkw (Vater, Mutter, älteste Tochter) zu bezahlen?

Trifft diese Beschreibung von Finkielkraut nicht auch für Deutschland zu? Gewiß sind Frankreich als zentralisierter Flächenstaat (15 km von Ort zu Ort) und Deutschland als dezentral föderalistischer, dichtbesiedelter Bundesstaat nur schwer vergleichbar. Auch deshalb sieht z.B. Prof Jäger (s.u.) die Gefahr eines Übergreifens der Gelbwesten auf Deutschland nicht – Wunschdenken?
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Wenn der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Ansprache zum Jahreswechsel 2018/2019 immer wieder zum „Miteinander reden“ auffordert, dann richtet er sich damit an beide Seiten unserer polarisierten Gesellschaft:
An die Anywheres, die jeder Kritik gleich den Nazi-Mülleimer entgegenhalten und jeder Frage mit dem „Kampf gegen Rechts“ begegnen.
Und an die Somewheres, die sich einer Debatte allzu rasch durch Übernahme äußerst rechter Positionen verschließen.
„Miteinander reden“ heißt aufeinander zugehen und sich öffnen – außerhalb und innerhalb des Parlaments.
13.2.2019

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Anywheres versus Somewheres
David Goodhart, from the think tank Policy Exchange, argues that the UK is divided into two rival camps: Anywheres versus Somewheres
https://www.bbc.com/news/video_and_audio/headlines/39293519/david-goodhart-anywheres-versus-somewheres
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For Goodhart, the data confirms his belief that Anywhere and Somewhere describe real groups, the latter characterised by an unease with the modern world, a nostalgic sense that “change is loss” and the strong belief that it is the job of British leaders to put the interests of Britons first. Anywheres, meanwhile, are free of nostalgia; egalitarian and meritocratic in their attitude to race, sexuality and gender; and light in their attachments “to larger group identities, including national ones; they value autonomy and self-realisation before stability, community and tradition”. Unsurprisingly, Goodhart’s Somewhere/Anywhere distinction maps neatly on to the leave/remain divide. Indeed, the evidence he presents makes the victory of leave over remain seem all but foretold: the only surprise is that the winning margin of 52% to 48% was so narrow.
https://www.theguardian.com/books/2017/mar/22/the-road-to-somewhere-david-goodhart-populist-revolt-future-politics
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Gelbwesten in Deutschland nicht denkbar?
Für Wolfgang Jäger ist eine Bewegung wie die der französischen Gelbwesten in Deutschland nicht denkbar.
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Wenn die Analyse zutrifft, dass in den Protesten vor allem der Gegensatz von Zentrum und Peripherie – also der fortschrittlichen, global orientierten Metropolen und der abgehängten Provinz zum Ausdruck kommt –, dann muss vom französischen Zentralismus die Rede sein. Trotz der Regionalreform hängt die Provinz am Tropf der Zentralregierung und genießt längst nicht die Aufmerksamkeit, die im deutschen Föderalismus der regionalen Strukturpolitik zukommt.
… Komplettes Interview von Prof Wolfgang Jäger vom 8.2.2019 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/kommentare-1/praesident-macron-ueberschaetzt-seine-plebiszitaere-legitimation–165900324.html
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15 Mio Nettosteuerzahler tragen die 83 Mio Einwohner Deutschlands
Von 83 Millionen Einwohner sind 53% bzw. 44 Millionen berufstätig, aber nur oder 27 Millionen Bürger zugleich Netto-Steuerzahler.
Also nur 27 Mio bzw. 33% der Bevölkerung zahlen ein in die Steuerkasse zwecks späterer Umverteilung
Da die beim Staat beschäftigten  Beamte und Angestellte (Polizei, Lehrer, Professoren, Berufssoldaten usw.) auch von den eingenommenen Steuern bezahlt werden, muß man sie von den Netto-Steuerzahlern subtrahieren. Somit bleiben nur 15 Millionen echte Nettosteuerzahler übrig:1) Staatsquote 44%. 2) 44% von 27 Mio ergibt 11,88 Mio. 3) 27 Mio – 11,88 Mio ergibt 15,12 Mio, also ungefähr 15 Mio echte Steuerzahler.
Diese finanzieren nicht nur das ganze System „Bundesrepublik Deutschland“, sondern auch all das, was der deutsche Staat als EU-Mitgliedsland in die EU-Töpfe an Transfers zu leisten hat.
Mehr dazu auf:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74428/umfrage/anzahl-der-erwerbstaetigen-mit-wohnort-in-deutschland/
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