POPC für „Permanently Online, Permanently Connected“ – dank Smartphone und Tablet sind immer mehr Menschen dauernd über Telefon, Internet bzw. soziale Medien (Facebook, Whatsapp, Twitter, …) erreichbar. Der heutige Notfall (Handy weg, Akku leer, Funkloch) war bislang normal: ohne Kontakt, auf sich alleine gestellt, unkontrolliert. Es wäre naiv zu glauben, dass man im POPC-Modus das gleiche Leben führt wie im früheren Offline-Modus. .
Da stellen sich Fragen: Wie handelt, erlebt, denkt und fühlt der heutige Mensch im Wissen, immer und überall online zu sein, also zu jedem Zeitpunkt irgendwelche Messages empfangen und senden zu können. Wie ändert sich sein Verhalten, anderen und auch sich selbst gegenüber? Und die Diskussionskultur allgemein?
Wie tiefgreifend die Änderungen sind, zeigt sich am Beispiel des Schulbusses: Früher machten die Schüler nach sechs Stunden Unterricht den Busfahrer mit Lärm, Streichen, Rumrennen und Schubsen fast verrückt. Heute ist Ruhe im Bus, denn jeder ist mit seinem Handy beschäftigt und postet, mailt, liket, chattet, liest oder hört Musik..
(1) Im POPC-Modus zwischenmenschliche Beziehungen pflegen
(1.1) Erreichbarkeit: Online statt Distanz
Im POPC-Modus verschwindet die georafische Distanz zu Freund, Ehepartner, Eltern, Kollege, Kunde oder Vereinsmitglied. Wir sind immer erreichbar und erwarten dies auch vom Partner. Wir leben in ständigen abrupten Unterbrechungen: WhatsApp beantworten, Mail checken, Smart-Uhr gucken. Diese Erreichbarkeit macht auch vor der Privatsphäre keinen Halt. Wir sind nahe dran an allem und allen – und entfernen uns dadurch von uns selbst?
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(1.2) Dialog: Unterbrechungen statt Gespräch
Früher hatte ein Gespräch – mit meinem Gegenüber oder am Telefon – ein Anfang und ein Ende. Heute herrscht ein ständiges Unterbrechen: „Entschuldigung, da ist jemand auf der anderen Leitung“, Handy vibriert. Man fühlt, dass jede Konversation jederzeit von anderen oder einem selbst unterbrochen und auch wieder fortgesetzt werden kann. Es gibt keine Kohärenz und Abgeschlossenheit in der Zuwendung zu einem Gesprächspartner. Unruhe, Anspannung immer was los.
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(1.3) Verpflichtung: Unverbindlichkeit statt Zusage
Abmachungen bezüglich Termin, Party, Einladung, Hilfsangebot, Team-Mitarbeit gegenüber Kollegen bzw. Freunden werden über Handy bzw. Web ganz einfach und rasch mit ein paar Klicks getroffen – und auch wieder rückgängig gemacht. Wir wollen uns alles offenhalten, nicht binden, „Laß uns noch mal mailen“ oder „Wir sehen uns zuvor ja noch einmal“. Der eine stellt für sich einen Gewinn an Flexibilität fest, der andere ein Verlust an Loyalität.
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(1.4) Vertrauen: Kontrolle statt Verlässlichkeit
Wir googlen unsern Partner und können dadurch möglichst viel über ihn in Erfahrung bringen. Bevor wir ein Telefongespräch annehmen, schauen wir im Display nach, wer es ist, der da anruft. Per WhatsApp sehen wir, was wer wo gerade macht. Es ist für mich überhaupt nicht erforderlich, meinem Gegenüber irgendeinen Vertrauensvorschuß zu gewähren. Mehr noch: Ich tue so, als sei ich freudig überrascht, dabei habe ich mich zuvor übers Netz über alles informiert.
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(1.5) Nacherzählung: Teilhabe statt Bericht
Früher hatte man sich so viel zu erzählen: Urlaubsbericht, Fussballturnier, Vereinsversammlung, Baumfällaktion, „Weescht noch“, „Wie wars, erzähl mal“, … – wir waren ja nicht dabei. Heute lassen Tablet-Nutzer ihre Freunde und Bekannte an allen Erlebnissen fast in Echtzeit teilhaben: Selfie, Video, Tweet, Posting. Ein späteres Berichten von Erfahrungen verlagert sich aufs Handy vor. Zum allseitigen Nachteil – Beispiel Venedig: man hat den Eindruck, der Urlauber sehe die Lagunenstadt nur noch durchs Smartphone. Wieder zuhause, erübrigt sich der Urlaubsbericht, da ja bereits alles sofort gepostet und gesendet wurde.
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(1.6) Wertschätzung: Likes statt Zuneigung
Die auf den POPC-Nutzer einprasselnde Informationsflut wächst und wächst. Man muß dran bleiben mit Liken und Kommentieren, um die soiale Anerkennung bei Facebook & Co ja nicht zu verlieren. Online-Freunde sind wichtig, auch wenn sie offline überhaupt nicht lokalisierbar sind. Es geht um Erhalt und Steigerung der virtuellen Wertschätzung. Auch das Zeitproblem stellt sich: Vor lauter Entgegennehmen und Absetzen der vielen Likes am Smartphone bleibt immer weniger Zeit – und zwischenmenschliche Zuneigung und Verständigung braucht seine Zeit, eine zudem schöne Zeit.
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(2) IM POPC-Modus Probleme lösen (lassen)
(2.1) Wissen: „Gewußt wo“ statt eigenes Knowhow
Wurden früher Gespräche oft unterbrochen durch langes Nachdenken des Gegenübers, so ist es heute die Unterbrechung durch „Moment, da muß ich kurz bei Google nachschauen“. Eigenes Wissen scheint immer weniger wichtig, wenn man weiß, wo dieses Wissen abgespeichert ist und abgerufen werden kann. Um ein Problem zu lösen, scheint das eigene mühsame Einlesen in einen bestimmten Sachverhalt nicht mehr erforderlich zu sein – man weiß ja, wo Lösungsangebote im Netz zu finden sind.
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(2.2) Kreativität: Crowd statt eigene Innovationskraft
Über Mail wie Facebook können Experten um Rat und Problemlösungsvorschläge befragt werden. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass unter den vielen Ideen der Crowd einige geeignet sind, das Problem zu knacken. Die Schwarmintellligenz übers Handy routinemäßig abfragen – eine feine Sache. Nur: Wird dadurch das eigene Nachdenken, Grübeln bzw. Kreativwerden nicht behindert bzw. hintangestellt?
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(2.3) Intuition: Bid Data statt eigenes Gespür
Entscheiden heißt, zwischen Alternativen auswählen. Dabei sollte man sich letztenendes auf das eigene Gespür verlassen, also der Intuition vertrauen – so sagt es die Entscheidungspsychologie. Doch nun sind im Netz unendlich viele und sogar über Big Data empirisch abgesicherte Ratschläge, Lösungsvorschläge bzw. optimale Problembehandungen verfügbar: Politiker erfahren, was Bürger wollen. Lehrer, wie Schüler ticken. Geschäftsleute, was Kunden wünschen. Patienten, wie Krankheiten heilbar sind. Mit dem Smartphone in der Hand und dessen Display vor Augen gerät das eigene Bauchgefühl ins Hintertreffen – angesichts der schönen bunten Grafiken, hinterlegt mit wissenschaftlich verlässlicher Empirie.
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(2.4) Erfolgserlebnis: Zustimmung statt Freude
Smartphone, Tablet und Laptop präsentieren uns ständig neue, sensationelle Features und Dienste – demnächst sogar eingebunden in das „Internet der Dinge“. Und es geht ganz ohne Mühe, einfach nur heran zoomen und auf OK bzw. Zustimmung klicken – und schon ist der Dienst aktiviert und das Problem gelöst. Da wandelt sich das Bewußtsein eines eigenen Erfolgs bzw. einer eigenen guten Leistung, denn das Internet liefert ja „effizient Vorgekautes“, weniger aber das Erlebnis, selbst etwas Tolles gemacht zu haben. „Das habe ich ja super hingekriegt, ich selbst“ – dieses Erfolgserlebnis mitsamt Freude über sich selbst wird immer seltener. Stolz auf das eigene Tun ist wichtig – nicht nur für Kinder.
(3) Im POPC-Modus das Selbstbildnis pflegen
(3.1) Authentizität: Selbstdarstellung statt Echtheit
Wer in den sozialen Medien unterwegs ist, wird ständig beobachtet. Also muß er sich ständig performen und in ein günstiges Licht stellen. Diese Online-Rolle des Selbstpräsentierens kollidiert häufig mit der eigenen Echtheit. Im Netz bewegt sich dann zuweilen ein anderer Typ als im realen Leben zwischen Haustüre und Strassenbahnendhaltestelle.
(3.2) Geheimnisse: Transparenz statt Verschwiegenheit
Was man so alles im Netz preisgibt, trotz Datenschutz und Datensicherheit, ist schon erstaunlich. Wo es doch für die eigene Identität so eminent wichtig ist, das nur wir selbst über unsere persönlichsten Dinge Bescheid wissen – und niemand sonst. Wer Geheimnisse im Internet preisgibt, nur um soziales Kapital in Form von Aufmerksamheit, Likes, Image und Kontakten zu gewinnen, läuft Gefahr, die eigene Persönlichkeit im Netz abzugeben und sich dem Cyber-Mobbing auszuliefern.
(3.3) Meinungsbildung: Zustimmen statt selbst Urteilen
„Meiner Meinung nach ist das so und so ….“ ist mutig und schwierig, da man hierbei selbst aktiv Stellung bezieht, indem man seine Meinung selbst formuliert und begründet. Mit dem Statement „Der Meinung von XY zu … schließe ich mich an“ hingegen bezieht man Stellung, indem man sich der Meinung Dritter anschließt. Genau dies fördert der POPC-Modus: Mit dem Teilen und Liken übernimmt man die Positionen bestimmter Blogger, Jornalisten, Nutzer, Politiker, Shitstorm-Initiatoren, Petition-Einbringer bzw. Promis, die ebenfalls im Netz unterwegs sind. Wie Lemminge und Herdentiere. Nach wie vor: Ein deutliches „Das muß ich dazu sagen“ ist mehr als das Klicken des „Teilen“-Buttons.
POPC als neuer Normalzustand verändert unsere Gesellschaft bzw. unser soziales Miteinander grundlegend und in alle Richtungen, positiv wie negativ. Wichtig ist, dass wir uns dessen bewußt werden bzw. unsere Kinder dessen bewußt machen.
POPC läßt uns alle ständig online rumlaufen, ständig mit dem Smartphone, Tablet oder Laptop im Blick, ständig „unter Strom“ im eigentlichen Sinne des Wortes.
Belastet uns POPC?
Macht POPC uns weniger spontan, also mehr strategischer vorgehend – das Internet liefert uns ja die Instrumente bequem und cool aufs Display?
Und macht POPC uns ich-bezogener, also narzisstischer – ich will ja weltweit geliked von Tausenden von Freunden werden?
Reihen wir uns damit ein in die vielen Nutzer, die mitschwimmen in dem, was gerade angesagt ist. Mitschwimmen im Mainstream?
Sind wir bereits POPC-süchtig? Mach mal die Probe: Einen Tag ohne Smartphone, und zwar einen GANZEN Tag lang – also incl dem Abfragen der Mails früh morgens nach dem Aufstehen, und incl dem letzten Nachgucken auf WhatsApp abends vor dem Insbettgehen.
16.2.2016
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Mehr zum Thema auf:
Peter Vorderer und Christoph Klimmt: Das neue Normal, DIE ZEIT vom 28.1.2016, Seite 33
https://www.zeit.de/2016/05/online-kommunikation-leben-alltag-auswirkungen