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- BVG: Öffentliche Meinung macht Alternativen sichtbar (18.12.2022)
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- Meinungsstreit: Voraussetzung für die Gemeinschaft der Freien (25.11.2022)
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Meinungsstreit statt Konsens
„Es geht nicht um Spalten oder Versöhnen, sondern darum , das Streiten zu lernen. … Nicht der Konsens, sondern der Streit hält die Gesellschaft zusammen“
Norbert Bolz in „Alte weiße Männer„, S. 15/26
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BVG: Öffentliche Meinung macht Alternativen sichtbar
Delegitimieren kann der Staat sich nur selbst
In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon vom 30. Juni 2009
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2009/06/es20090630_2bve000208.html, in dem es exakt um diese Frage – die Legitimität der staatlichen Ordnung und das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern – ging, heißt es:
„Demokratie bedeutet nicht nur die Wahrung formaler Organisationsprinzipien (vgl. BVerfGE 89, 155 <185>) und nicht allein eine korporative Einbindung von Interessengruppen. Demokratie lebt zuerst von und in einer funktionsfähigen öffentlichen Meinung, die sich auf zentrale politische Richtungsbestimmungen und die periodische Vergabe von politischen Spitzenämtern im Wettbewerb von Regierung und Opposition konzentriert. Diese öffentliche Meinung macht für Wahlen und Abstimmungen erst die Alternativen sichtbar und ruft diese auch für einzelne Sachentscheidungen fortlaufend in Erinnerung, damit die politische Willensbildung des Volkes über die für alle Bürger zur Mitwirkung geöffneten Parteien und im öffentlichen Informationsraum beständig präsent und wirksam bleiben. Art. 38 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG schützen insoweit auch den Zusammenhang von politischer Sachentscheidung mit dem wahlkonstituierten Mehrheitswillen und dem daraus abgeleiteten Regierungs-Oppositions-Dualismus in einem System konkurrierender Parteienvielfalt und beobachtender, kontrollierender öffentlicher Meinungsbildung.“
Wüssten sie die Quelle nicht, Faeser, Haldenwang et al. würden bei diesen Worten sofort die Stirn in Falten werfen, mit den Köpfen wackeln und erklären, solche Ansichten seien ja höchstbedenklich. Meinung und Gegenmeinung, Rede und Gegenrede, der Bürger im Mittelpunkt und nicht der Staat; die freie, staatlich ausdrücklich nicht kuratierte Meinungsbildung entscheidend für die Demokratie, und nicht die staatlich durchfinanzierte Zivilgesellschaft, die weiß, was gut und gerecht ist – ja, wer garantiert dann, dass gesellschaftliche Debatten in die richtige Richtung laufen?
Das Verfassungsgerichtsurteil von 2009 gilt immer noch. Diejenigen, die jetzt daran arbeiten, eine gelenkte Gesellschaft zu vollenden, können sich auf alles mögliche berufen. Aber nicht auf das Grundgesetz und seine bisher noch gültige Auslegung. Von einem Prinz Reuß hatte die Bürgergesellschaft nie etwas zu befürchten.
Von denen, die schon in verantwortlichen Positionen sitzen, jede Menge. Sie sind illiberal durch und durch.
… Alles vom 18.12.2022 von Alexander Wendt bitte lesen auf
https://www.publicomag.com/2022/12/delegitimieren-kann-der-staat-sich-nur-selbst
Meinungsstreit: Voraussetzung für die Gemeinschaft der Freien
Die Herrschaft des Verdachts
Essay: Der Austausch verschiedener Meinungen, mitunter sogar schroffer Gegensätze, ist die Voraussetzung für eine Gemeinschaft der Freien
von Eberhard Straub
Politische Systeme werden nicht von ihren Kritikern delegitimiert, sondern durch Regierungen und Institutionen. Darüber unterrichtet die Geschichte. Der spektakulärste Zusammenbruch und Umbruch eines führenden Staates und einer vorbildlichen Gesellschaft in Europa ist mit der Französischen Revolution verbunden, dem Ergebnis von Ungeschicklichkeiten mehrerer Monarchen und ihrer Behörden, mit den Ursachen und Folgen einer Reihe von Krisen fertig zu werden. Die Grundsätze und Prinzipien des königlichen Staates verloren zuerst unter den Eliten und allmählich überall ihre Überzeugungskraft.
Die Grundsätze und Prinzipien der demokratischen Republik – Diskussion und Öffentlichkeit – sind längst fragwürdig geworden. Deshalb gibt es eine zunehmende Unruhe unter den Bürgern, aber nicht unter den „systemrelevanten Kräften“ in Parteien und Ministerien oder den mit ihnen vielfach „verquackelten“ Medien. Ihnen fällt höchstens – ähnlich wie einst in Frankreich – der Appell ein: Weiter so! Denn „die Menschen draußen im Lande“ leben in dem besten Staat, den es je gegeben hat, der deshalb alternativlos und der Diskussion entzogen ist.
Wer von dieser Botschaft nicht überzeugt ist, macht sich verdächtig, nicht nur ein unzulänglicher Bürger, sondern ein unzuverlässiger Demokrat und gar ein Verfassungsfeind zu sein, der die Bundesrepublik destabilisieren will. Der repräsentative öffentliche Raum für die Debatte ist das Parlament. Doch selbst ein leidenschaftlicher Verfechter der bundesrepublikanischen Errungenschaften käme nicht auf den Gedanken, noch an der alten, liberalen Theorie festzuhalten, daß im Parlament aufgrund des gründlichen Austausches von Argumenten die Vernunft siegt, die im Beschluß der Mehrheit laut vernehmbar wird.
Im Plenum wird nur von wenigen Abgeordneten und meist sehr knapp diskutiert. Die wichtigste Arbeit wird in Ausschüssen geleistet, und viele Gesetze werden einfach durchgewinkt, weil sie im Zusammenhang mit Auflagen aus Brüssel und den dort versammelten Einrichtungen stehen. Insofern kann der Eindruck entstehen, daß alles Wichtige „hinter den Kulissen“ verabredet wird in Gremien und Kreisen, die sich jeder öffentlichen Kontrolle entziehen.
Es gibt im Zeitalter der Öffentlichkeit keine Offenheit mehr. „In der Öffentlichkeit hört die Offenheit auf und beginnt das Geheimnis“, wie Carl Schmitt 1924 notierte. Es ist daher kaum verwunderlich, daß ununterbrochen „mehr Transparenz“ gefordert wird, ohne daß es zu ihr kommt. Als das wahre Forum, auf dem Öffentlichkeit inszeniert wird, erweisen sich die vielen Gesprächsrunden im Fernsehen, ohne die Politiker und Parteien kaum noch wahrgenommen würden. Private Arrangements ersetzen die repräsentative Öffentlichkeit, die theoretisch zur „repräsentativen Demokratie“ gehört.
Immer wieder wird die Gewaltenteilung beschworen. Doch sie ist längst außer Kraft gesetzt, seit es die vornehmste Aufgabe des Parlaments sein soll, einem Kanzler und seinen Gefährten beim „Durchregieren“ nicht lästig zu fallen. Eine energische Opposition hat es im Lande der Volksparteien und Volkskanzler selten gegeben, die weniger vom Staat reden als von der Verantwortungsgemeinschaft. Gemeinsam sind wir stark! Wir schaffen das! Wir müssen zusammenhalten!
Außerdem haben die Parteien und die ihnen nahestehenden NGOs alle Institutionen einschließlich der Medien durchdrungen, so daß die so oft angerufene „Gemeinsamkeit der Demokraten“ eine Homogenität schafft, die der Diskussion widerspricht, die sich aufgrund der Einmütigkeit erübrigt. Kurt Schumacher hatte am 20. September 1949 das Wesen der Opposition bestimmt als permanenten Versuch, der Regierung „den Gestaltungswillen der Opposition aufzuzwingen!“ Eine solche Absicht würde heute sofort den Verfassungsschutz alarmieren, der seine Aufgabe darin sieht, wie der alte Attinghausen in Schillers Wilhelm Tell die Verfassungspatrioten zu ermahnen: Seid einig, einig, einig!
Eine solche Haltung widerspricht vollkommen dem Grundsatz einer freien Diskussion, die sich als Austausch verschiedener Meinungen, unter Umständen sogar schroffer Gegensätze, entwickelt. Sie ist das Bindemittel, das eine Gemeinschaft der Freien vereinigt, die sich im Recht manifestiert und ohne eine Vielfalt der Ansichten und Pläne, ohne Gegensätze gar nicht auskommt.
Gemeinschaft und Gegensatz stehen in einer Wechselwirkung. Liberale wußten noch, daß die Republik ein Rahmen sein muß, der heftige Gegensätze ermöglicht, ja zu ihnen nötigt, um die Gemeinschaft im Wechsel der Zeiten vor Erstarrung zu bewahren und zu erweitern, was heißt, sich in stets neuen Variationen um Einigkeit und Eintracht in Vielfalt zu bemühen, statt nach Einheit und Vereinheitlichung zu streben.
Liberale im klassischen Sinne gibt es nicht mehr. Vom Rechtsstaat ist zuweilen die Rede, von der Republik und vom Staat kaum noch. An deren Stelle werden die Werte gesetzt und die Wertegemeinschaft, denen – als höchste Mächte – Staat und Recht ein- und untergeordnet werden. Die Wertegemeinschaft ist eine Glaubensgemeinschaft, ja Heilsgemeinschaft, die jeden aus allen Übeln errettet, der sich den Werten hingibt und, wertvoll geworden, missionarisch unter den noch Wertlosen tätig werden muß, um diese, wie einst die in die weite Welt ausgesandten Gralsritter, von Unzulänglichkeiten zu befreien und zu würdigen Mitgliedern der „westlichen Wertegemeinschaft“ als Welterlösungsanstalt zu erziehen. Damit entfernt sich die Republik und Demokratie von ihren Voraussetzungen.
Diese Gefahr besteht immer, sobald „die Demokratie“ eine totale Verantwortung für alles und jedes beansprucht, in die Privatheit massiv eingreift und sich anmaßt, jeden zur Rechenschaft ziehen zu dürfen, der sich weigert, den Sinn seiner Existenz darin zu finden, ein wahrhafter und wehrhafter Demokrat zu sein, sich dem alle umfassenden System einzupassen, um als tüchtig vor sich hin schnurrendes Funktionselement darin Freude zu finden, anderen Freude zu bereiten.
… Alles vom 25.11.2022 von Eberhard Straub bitte lesen in der JF 48/22, Seite 13
Dr. phil. Eberhard Straub, Jahrgang 1940, habilitierter Historiker, Publizist und Buchautor, war Feuilletonredakteur der FAZ und Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin.