Gaertner contra Saatgut-Industrie

„Die Bauernwaren immer die Eigentümer ihres Saatguts. Nun wurden sie enteignet.“ Dr. Thomas Gladis, Biologe und Kulturpflanzenforscher. Er und kämpferische Gärtner leisten Widerstand gegen die Saatgut-Industrie und die EU – auch am Samengarten in Eichstetten am Kaiserstuhl. Jahrtausendealtes Erbe der Ackerbaukultur, hier schlummert es – in eingestaubten Gurkengläsern und gebrauchten Wasserflaschen aus Plastik. Hinter den dicken Mauern der Zehntscheuer von Eichstetten am Kaiserstuhl bewahrt  Thomas Gladis rund 800 Planzensorten auf, genauer gesagt: deren Samen. Der Biologe betreut die Kulturpflanzensammlung der Stiftung Kaiserstühler Garten, zusammenmit einem Team von Ehrenamtlichen. Sie suchen alte Getreidesorten, Bohnen, Salate, Kräuter, die durch die Einheitssorten der Agrar- und  Lebensmittelindustrie verdrängt wurden. Nicht aus Nostalgie, sondern weil sie in der genetischen Vielfalt alter Kulturpflanzen eine Zukunftsgarantie der Landwirtschaft sehen. Gärtner, hobbymäßige und professionelle, bestellen in Eichstetten Samenproben. Einer der Pflanzensammler sucht dann unter den feinsäuberlich nummerierten Gläsern, Flaschen oder Papiertüten die richtige heraus und füllt einen Teelöffel Samen in ein Tütchen. Zwei Euro „Aufwandsentschädigung“ sind dafür zu zahlen. Rund 2000 solcher Samenproben haben die Kaiserstühler dieses  Jahr schon abgegeben. Doch nun droht ihnen Brüssel einen Strich durch die Rechnung zumachen. Eine neue europäische Saatgutverordnung, die morgen zwischen den EU-Kommissaren ausgehandelt werden soll, könnte die Kaiserstühler Samensammlung in ihrer Existenz bedrohen. So wie andere ähnliche Initiativen in ganz Europa, die bereits Sturmgegen die Brüssler Pläne laufen, obwohl sie im Detail noch gar nicht bekannt sind. Sie befürchten, dass sich die Lobbyisten der Saatgut-Konzerne durchsetzen. Es drohen strengere Zulassungspflichten für den Handel mit Pflanzensamen. Nur amtlich registrierte Sorten dürften dann weitergegeben werden.

 
Thomas Gladis im Eichstetter Samengarten will genetische Vielfalt erhalten. Bild: Daniel Gräber

Der Widerstand von Ökoaktivisten und Saatgutsammlern ist in den vergangenen Wochen stark angewachsen: Zwei Online-Petitionen wurden gestartet, offene Briefe an EU-Kommissare geschrieben. Sogar Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hat sich eingemischt. „Es darf nicht so weit kommen, dass Privatgärtner für ein paar Samenkörnchen eine amtliche Zulassung vorzulegen haben“, sagte sie dem Handelsblatt.Und: „Kleine Züchter müssen von der Zulassungspflicht befreitwerden.“ Die EU-Kommission reagierte mit einer „Klarstellung“. Darin heißt es, die neuen Regeln gelten ausschließlich für „professionelle Akteure“ wie Landwirte oder Gartenbaubetriebe. Für Kleinstunternehmen werde es Ausnahmen geben. Kulturpflanzenforscher Thomas Gladis gibt sich damit nicht  zufrieden. „Das ist nur eine Vernebelungstaktik“, sagt erund seine Stimmewirdwütend. Er redet schnell und mit Berliner Akzent. Erwill keineAusnahmenvon der Sortenregistrierungspflicht für nicht-professionelle Züchter und keine Erleichterungen für Kleinstbetriebe. Erwill, dass sich die EU-Bürokratie ganz aus dem Saatgutgeschäft heraushält. „Das regelt doch die Marktwirtschaft. Wer mit unseren Samen  nicht zufrieden ist, bestellt sie eben nicht mehr. Fertig.“ Alle 800 in Eichstetten gesammelten Sorten registrieren zu lassen, das wäre selbst beivereinfachten Regeln ein Aufwand, den er und seine ehrenamtlichen Helfer kaum leisten könnten. 2007 kam Gladis nach Eichstetten, seitdem engagiert er sich beim Kaiserstühler Samengarten. Gegründet wurde die Initiative, die sich hauptsächlich durch  Spenden und das Stiftungsvermögen finanziert, im Jahr 2000. Er öffnet eines der Gläser, die auf einer Tischreihe in der Zehntscheuer stehen. Fünf, sechs dunkelviolette, ungewöhnlich runde Bohnen mit je einemweißen Punkt an der Seite schüttet er sich in die Hand. „Türkische Schwertbohnen“, sagt er. „Die haben Einwa derer an den Kaiserstuhl gebracht und ich habe sie beim Spaziergang von einer türkischen Gärtnerin geschenkt bekommen.“ Der Samentausch über den Gartenzaun, das war sehr lange die wichtigste Formdes Saatguthandels. Und es hat sehr lange sehr gut funktioniert. „Die Bauern waren immer die Eigentümer ihres Saatguts. Nun wurden sie durch die Industrie mit Hilfe der EU-Bürokratie enteignet.“  Thomas Gladis spricht in der Vergangenheitsform, denn die aktuell diskutierte Saatgut-Verordnung ist nur ein weiterer Schritt in einer Reihe von Regelungen, die den wirtschaftlichen Interessen der Agrarkonzerne in die Hände spielen. Darunter sind höchst umstrittene wie das Patentrecht auf Pflanzen. Die industriellen Großzüchter behaupten, ohne exklusive Vermarktungsrechte könnten sie die wachsende Weltbevölkerung nicht ernähren. Zusammen mit dem Klimawandel eine gewaltige Herausforderung für die Landwirtschaft weltweit. Ihre Lösung: Hightech-Züchtungen und die dazu passenden Chemie-Wundermittel. Doch Ökoaktivisten und Saatgutsammler wie Thomas Gladis widersprechen demvehement. Sie werfen den großen Samenlieferanten wie Monsanto und Syngenta vor, ein weltweites Kartell zu errichten und Landwirte in ihre Abhängigkeit zu bringen. Zum Beispiel durch Hybrid-Züchtungen: sehr ertragreiche und gleichförmigwachsende Sorten, deren Samen allerdings immer wieder neu gekauft werden müssen. Einen kleinen Teil der Ernte einzubehalten, um daraus selbst Samen zu gewinnen, sei inderheute üblichen Landwirtschaft kaum mehr üblich, beklagt Gladis. „Doch dadurch liegt die Ernährungssicherheit der gesamten Menschheit in den Händen dieser paar Firmen.“ Alte, regionale Sorten, die Generationen von Züchtern an die jeweiligen Böden und Witterungsbedingungen angepasst haben, seien unverzichtbar, sagt Gladis. Ihr genetischer Reichtum sei Grundlage dafür, neue Sorten zu züchten – angepasst an neue Bedingungen. Ein kleiner Teil der in der Zehntscheuer schlummernden Gen-Schätze wird einige hundert Meter weiter zum Leben erweckt. Gladis und seine Helfer hegen ein fußballfeldgroßes Stück Land am Rande Eichstettens, den Kaiserstühler Samengarten. Es geht ihnen darum, das Saatgut zu vermehren, bestimmte Sorten an die hiesigen Verhältnisse anzupassen und Interessierten einen Einblick in die Vielfalt an Tomaten, Salaten, Kräutern und anderen Nutzpflanzen zu geben. Auf einemkleinen Eck  vorderen Bereich des Gartens haben sie alte Getreidesorten gepflanzt: Spelzweizen und Emmer. Deren grüne Halme sind schon schienbeinhoch. Gladis bückt sich, um sie auseinanderzubiegen. Zum Vorschein kommen zart blühende Pflänzlein, sonnengelb bis himmelblau. „Hahnenfuß und Ehrenpreis“, benennt Gladis sie. Dann entdeckt er Feldsalat, der so heißt, weil er eigentlich auf den Getreidefeldern wuchs, Nadelkerbel, das als Würzkraut diente, und die Kornrade. „,Rade, Rade, Rade rot – in vierWochen neues Brot‘, haben die Kinder früher gesunden“, sagt Gladis. Weil die Rade vier Wochen vor der Kornreife rotblüht. „Das Liedist ausgestorben, so wie die Pflanze beinahe auch.“ In der Eichstettener Samensammlung lebt sie noch. Gladis hat sie in seinem Getreideeck ausgesät, zusammen mit 90 anderen „Unkräutern“. In der modernen Landwirtschaft, wächst kaum ein Kraut mehr zwischen dem Korn. Denn die neuen Sorten seien auf Unkrautvernichtungsmittel angewiesen, sagt Gladis. „Sie wachsen nicht hoch genug, um das Unkraut zu überragen.“ Und als Erklärung fügt er hinzu: „Das weltweite Saatgutgeschäft ist in den Händen von Chemiekonzernen. Die leben eben davon, dass ihre Kampfstoffe eingesetzt werden.“ Sein Samengarten braucht nichts davon. 
Daniel Gräber, 5.5.2013, www.der-sonntag.de

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