EU-Steuerschlupfloecher

Die hohen Staatsschulden machen Ministern offenbar Mut zu Initiativen, an die sie sich bisher nicht herangewagt haben. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein britischer Kollege, Schatzkanzler George Osborne, wollen die Steuerschlupflöcher in der Europäischen Union schließen, mit deren Hilfe vor allem große Technologiekonzerne wie Amazon, Google, Apple und Co. Milliarden Euro an Steuergeldern an den Staaten vorbeischleusen. Die Initiative von Schäuble und Osborne könnte ein wichtiger Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit in Europa sein. Doch der Weg ist steinig. Bisher profitieren die multinationalen Unternehmen von der egoistischen Steuerpolitik einiger europäischer Regierungen und von der Unfähigkeit der Finanzminister, ihre Gesetzgebung dem Web-Zeitalter anzupassen. Die Konzerne nutzen die unterschiedlichen steuerlichen Standards für Hardware und für geistiges Eigentum geschickt aus, um ihre Steuerlast auf ein Minimum zu senken. Apple zum Beispiel verbuchte im vergangenen Fiskaljahr einen Reingewinn vor Steuern von 28,7 Milliarden Euro – und zahlte gerade einmal Steuern in Höhe von 556 Millionen Euro, ein Satz von 1,9 Prozent.
Die Tricks der Konzerne sind einfach und komplex zugleich. Wenn ein Kunde per Mausklick irgendwo auf der Welt bei Apple ein Musikstück kauft, fließt das Geld in wenigen Sekunden rund um den Globus und landet zum Beispiel bei der Apple-Tochter iTunes S.a.r.l. in Luxemburg. Sie profitiert von den generell geringen Unternehmenssteuern in Luxemburg und zusätzlich auch davon, dass der Kleinstaat für geistiges Eigentum nur eine geringe Steuerpauschale verlangt.
Andere Tricksereien der Konzerne laufen unter dem geflügelten Wort „double irish in a dutch sandwich“. Dabei unterhalten Unternehmen zwei Tochtergesellschaften in Irland – eine erhält die Gewinne aus dem Verkauf von Geräten. Dafür wird die konkurrenzlos niedrige irische Unternehmenssteuer von 12,5 Prozent fällig. An die andere Tochtergesellschaft gehen die Gebühren für Lizenzen, für geistiges Eigentum. Dafür verlangt Irland ebenfalls nur eine geringe Steuerpauschale. Im Falle von Apple arbeitet diese zweite Gesellschaft noch mit einer eigens gegründeten Briefkasten-Tochter in dem Steuerparadies Virgin Islands zusammen. Dazu genügt eine einfache Anmeldung, ohne Büro und Telefonnummer. Dann werden Steuern zumeist ganz vermieden. Um die Finanzbehörden völlig im Unklaren zu lassen, werden Gewinne aus den beiden Tochterfirmen in Irland oft in die Niederlande weitergeleitet: Sie kommen in das „dutch sandwich“. Auch in den Niederlanden gelten verschiedene Steuersätze für Gewinne aus dem Verkauf von Hardware und Lizenzgebühren. Die Steuern auf Letztere sind lapidar gering.
Auf diese Tricks angesprochen, pochen die Konzernvertreter auf die Legalität ihres Tuns. Und rechtfertigen sich zudem damit, dass sie in ihren Tochtergesellschaften in Irland, Luxemburg oder den Niederlanden Arbeitnehmer beschäftigten, die Lohn- und Einkommenssteuern zahlten. Lange schauten die Finanzminister diesem Treiben tatenlos zu. Doch die wachsenden Staatsschulden führen ihnen die Folgen unterschiedlicher Steuerstandards und bequemer Fluchtmöglichkeiten vor Augen: In reichen Staaten wie Deutschland hat der Anteil der Steuereinnahmen von multinationalen Konzernen drastisch abgenommen. In Krisenländern wie Griechenland müssen die Beschäftigten, die Arbeitslosen und die Rentner sparen, während die Wirtschaftselite ihr Geld in Steuerparadiesen vor dem Finanzamt sichert. Wenn Schäuble und Osborne die Steuerschlupflöcher schließen wollen, brauchen sie viel Mut und einen langen Atem. Denn dazu müssen sich alle Mitgliedsländer der Europäischen Union auf Mindeststeuern verständigen, die für gleiche Leistungen – auch für geistiges Eigentum – überall erhoben werden. Und auch dies macht nur Sinn, wenn die Finanzminister entschlossen gegen Steuerparadiese vorgehen, vor allem gegen jene in Europa, wie zum Beispiel die Kanalinseln.
Da die Europäische Union in Steuerfragen nur einstimmig entscheiden kann, stehen Schäuble und Osborne vor einer großen Herausforderung. Doch der Druck, die Steuerschlupflöcher zu schließen, wächst mit der Wirtschaftskrise. Wenn nicht bald etwas geschieht, wird der private Reichtum trotz Krise weiter wachsen, während die Staaten höhere Schulden verzeichnen und an allen Ecken und Enden sparen müssen.
24.11.2012, Wolfgang Kessler, Wirtschaftspublizist und Chefredakteur der christlichen Zeitschrift Publik-Forum

Tricks nicht der Multis, sondern der europäischen Staaten wie z..B. Luxemburg
Es handelt sich dabei in der Tat um völlig legale Gestaltungsmöglichkeiten. Daher wäre es angebrachter von Tricks der europäischen Staaten statt von Tricks der multinationalen Konzerne zu sprechen. Z. B. für Luxemburg sind solche Tricks ein gewaltiges Geschäft. Würde dieses winzige Ländchen die Gewinne aus den dort verkauften wenigen i-Phones mit fairen 25% besteuern, würden minimale Steuereinnahmen in den Staatssäckel fließen. Wenn durch die minimale Besteuerung von vielleicht 3%, die Gewinne aus allen i-Phone Verkäufen Europas in Luxemburg versteuert werden, nimmt das Land zwar nur gut ein Zehntel der Steuern pro Handy ein, dafür steigt aber die Menge der versteuerten Handys um das Hundertfache. Dass Luxemburg mit diesem Trick die Steuerbasis seiner Nachbarstaaten brutal erodiert, war den Luxemburgern schon immer egal. Solange deutsche Medien den luxemburgischen Ministerpräsidenten und die luxemburgische EU-Kommissarin unwidersprochen verkünden lassen, dass Luxemburg in der Eurokrise eine weit höhere finanzielle Last pro Kopf trage als Deutschland, braucht sich das Land schließlich keine Sorgen um sein internationales Ansehen zu machen. Die wahren europäischen Egoisten sitzen nach dieser Lesart nämlich östlich der Mosel, und sollten sich dafür schämen, wie sie Europa und Griechenland ausbeuten. Man könnte jetzt auf den Gedanken kommen, Luxemburg für diese Politik zu kritisieren. Nein, man muss sie dafür bewundern, wie geschickt sie ihre nationalen Interessen durchsetzen, und trotzdem als diejenigen dastehen, die dem europäischen Gemeinwohl verpflichtet sind.
25.11.2012, Rainer Brombach

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