Home >Demokratie >Grundgesetz >Bundesverfassungsgericht >Verfassungsschutz >Gesinnungspolizei

„Heimatliebe ist kein Verbrechen“ am Gymnasium Ribnitz-Damgarten – von der Polizei konfisziert am 18.3.2024
- Listenauswahl eines Beitrags: Bitte anklicken oder runterscrollen
- Wie der Verfassungsschutz den demokratischen Diskurs beschädigt – Anmerkungen zum Fall Maaßen Teil 1 (8.1.2025)
- Am öffentlichen Pranger: Verfassungsschutz (16.8.2024)
- BfV: Radikal oder extremistisch? (11.4.2024)
- Resignation der Bürger (27.3.2024)
- Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? (23.3.2024)
- Mathias Brodkorb: BfV – Verschwörungstheoretiker von Staats wegen (23.3.2024)
- Mathias Brodkorb. Der Warner – „Kampf gegen rechts“ mit Bürgerkriegspotenzial (22.3.2024)
- Die Schülerin Loretta bei der Gefährderansprache: „Wie eine Straftäterin“ (22.3.2024)
- Rezension zu Mathias Brodkorb: Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? (20.3.2024)
- Delegitimierung des Staates: Mit Demokratieprinzip und Meinungsfreiheit unvereinbar (8.1.2023)
- Prof Murswiek: Verfassungsschutz – Wer delegitimiert hier wen? (24.11.2022)
- Gesinnungsprüfung
- Murswiek
- Polizei
Mathias Brodkorb: Von der exekutive abhängigen Verfassungsschutz (Gesinnungspolizei, Inlandsgeheimdienst) abschaffen
=============================================================
Am öffentlichen Pranger: Verfassungsschutz
Wieso nicht nur die DDR, sondern auch die Bundesrepublik eine Geschichte totalitärer Überwachung kennt
Thorsten Hinz
Das Buch „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?“ des Publizisten und früheren SPD-Landesministers Mathias Brodkorb über die Praktiken des Verfassungsschutzes (VS) hat viel Aufmerksamkeit und Zuspruch gefunden. Auch in dieser Zeitung wurde es positiv besprochen (JF 13/24). Brodkorb hat das Selbstbild des VS als die sorgende Wächterin der wehrhaften Demokratie gründlich dekonstruiert und nachgewiesen, daß er sich als effektives Repressionsorgan betätigt.
Dieser Effekt ergibt sich insbesondere aus dem Zusammenspiel mit den Medien und sozialen Netzwerken, die das verhängte Extremismus-Stigma – konkret: das Stigma des Rechtsextremismus – umgehend aufgreifen und verbreiten. Damit stehen die Betroffenen am öffentlichen Pranger und werden zum Opfer staatlicher Feindvernichtung. Das angefügte Fragezeichen im Buchtitel kann man ruhig weglassen; der Untertitel: „Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik“ enthält bereits die Antwort.
Was Brodkorb anhand von sechs Fallstudien beschreibt, ist in der Sache nicht neu. Besonders ist die Nüchternheit und Präzision, mit der er die Begriffe und Kategorien, die der Inlandsgeheimdienst nutzt, beim Wort und auseinandernimmt. Er bescheinigt den Geheimdienstlern intellektuelle Defizite, Willkür, Machtarroganz sowie ideologisch und parteipolitisch motivierten Verfolgungseifer. Sie können nicht einmal definieren, was „Extremismus“ überhaupt ist und wo er anfängt.
Bis in die siebziger Jahre sprach man vom „Radikalismus“. Die potentiellen Implikationen, die sich daraus ergaben, empfand der damalige Innenminister Werner Maihofer (FDP), ein Rechtsprofessor und Bürgerrechtsliberaler alten Schlages, offenbar als freiheits- und demokratiegefährdend, weshalb er 1974 dem Verfassungsschutz ins Stammbuch schrieb, „daß politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine bestimmte nach allgemeinem Sprachgebrauch ‘radikale’, das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben“. Erst wenn sie sich gegen den „Grundbestand“ der Verfassung richteten, seien sie „extremistisch“ und damit verfassungsfeindlich.
Radikal im Sinne Maihofers wäre heute die Frage, ob der Parteienstaat, der sich in der Bundesrepublik herausgebildet hat, ohne zwingend vom Grundgesetz bestimmt worden zu sein, in der Lage ist, repräsentative Volksvertretungen und eine befähigte politische Klasse hervorzubringen. Ob das Ergebnis nicht vielmehr in einer sich selbst reproduzierenden Kaste – einer Oligarchie – und in einer Negativauswahl – einer Ochlokratie – besteht. Für Innenministerin nancy Faeser und VS-Chef Thomas Haldenwang hätten die Fragesteller bereits die Grenze zur „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ und damit zum Extremismus überschritten.
Es handelt sich nicht nur um persönliche Marotten. Brodkorb zitiert aus dem „Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste“ (2017): „Wenn Extremismus nur ein Synonym für die zielgerichtete Verwirklichungsstrategie radikaler Ansichten ist, aber bereits radikale Ansichten inhaltlich extremistisch sind“, sei nicht einzusehen, weshalb man sie dulden soll. Der VS selbst ist in der Tat der Auffassung, daß sich im Radikalismus bereits „eine überspitzte, zum Extremen neigende Denk- und Handlungsweise“ äußert. Brodkorb hat beim Bundesamt für Verfassungsschutz nachgefragt, was man dort unter Radikalismus versteht, und die Antwort erhalten: „Der Begriff Radikalismus ist kein klar definierter ‘Arbeitsbegriff’ der Verfassungsschutzbehörden, da dieser Bereich der politisch-gesellschaftlichen Aktivitäten nicht in den Aufgabenbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt. Er dient lediglich zur Abgrenzung zum Bereich des Extremismus. Eine fachliche Definition durch das BfV kann daher nicht erfolgen und ist auch nicht erforderlich.“
Das ist zum einen falsch. Der VS nimmt den Radikalismus sehr wohl in den Blick, und zwar als Semi-Extremismus, der fließend in den verfassungsfeindlichen Extremismus übergeht. Seine Weigerung, sein Observationsgebiet klar zu definieren, bedeutet zum anderen im Umkehrschluß: Es liegt ganz in seinem beziehungsweise im Belieben seiner Auftraggeber, was er als radikal und – da die Grenze fließend ist – extremistisch und verfassungsfeindlich einstuft. Brodkorb hält diese Praxis für tendenziell totalitär, er verweist auf Orwell, auf die Praktiken der Stasi und kommt zu dem Schluß, daß der gesamte Laden unreformierbar ist und aufgelöst gehört.
Dazu wird es natürlich nicht kommen. Trotz der positiven Resonanz hat das Buch keine politische Debatte ausgelöst. Der VS hat seine Praktiken genausowenig geändert wie die Medien. Auch für Zeitungen, die das Buch zustimmend rezipiert haben, bleibt der VS eine unanfechtbare Instanz und unwidersprochen zitierwürdige Quelle.
Das ist kein Wunder, denn der Verfassungsschutz gehört zur DNA der Bundesrepublik. Brodkorb hat ausdrücklich darauf verzichtet, die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des VS ausführlich darzustellen und zu analysieren. Er beschränkt sich auf das Klischee, daß die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ mit der Etablierung des VS die junge Demokratie vor einem virulenten Nazismus hätten schützen wollen. Er zitiert aus der berühmten Rede Carlo Schmids 1948 im Parlamentarischen Rat. Schmid hatte eine „immanente Schranke“ der Grundrechte markiert, hinter der die Selbstverteidigung des demokratischen Staates, die „wehrhafte Demokratie“, beginne. Allerdings, so Brodkorb, hätten die alliierten Sieger den Deutschen noch ein wenig demokratische Gehhilfe geleistet und ihnen mit auf den Weg gegeben, daß Geheimdienste „keine Polizeibefugnisse“ haben dürften.
Das ist eine sehr idealistische Darstellung. Schmid hatte bei der Gelegenheit noch anderes gesagt. Zum Beispiel wies er in aller Offenheit darauf hin, „daß fremde Mächte innerdeutsche Verhältnisse (…) auf deutschem Boden nach ihrem Willen gestalten wollen“. Darüber zu jammern sei sinnlos, jeder wisse, warum es dazu gekommen sei. „Es liegt hier ein Akt der Unterwerfung vor (…) eine Art von negativem Plebiszit, durch das das deutsche Volk zum Ausdruck bringt, daß es für Zeit auf die Geltendmachung seiner Volkssouveränität zu verzichten bereit ist.“
Deshalb konnten auch die Nachkriegsgeheimdienste keine Organe der nationalen Souveränität sein, sie wurden kontrolliert und angeleitet von den Alliierten. Erst wenn man diese historischen, politischen und ideengeschichtlichen Hintergründe und Absichten kennt, kann man das Wirken des Verfassungsschutzes ganz erschließen. Der Historiker Josef Foschepoth hat in seinem Buch „Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik“ (2012) dargestellt, daß die Alliierten wesentliche der seit 1945 eingeführten Kontroll- und Zensurmaßnahmen mit Gründung der Bundesrepublik sogar noch ausbauten, und zwar mit Duldung und Unterstützung deutscher Politiker. Laut Foschepoth nahm man es mit der Trennung von Geheimdiensten und Polizei nicht sehr genau. Exekutivmaßnahmen „der Polizei (wurden) im Benehmen mit dem Verfassungsschutz durchgeführt“. Der VS arbeitete wie ein ganz normaler Geheimdienst mit Spionage, Spionageabwehr usw. unter der Anleitung und Kontrolle westalliierter Sicherheitsdirektoren. BfV-Präsident Hubert Schrübbers sprach 1963 von einem „einheitlichen nachrichtendienstlichen Organismus“.
In den Augen der Amerikaner sei die „dauerhafte Beschränkung der Souveränität und Autonomie“ der Bonner Republik „nötig“ gewesen, um einerseits die Westbindung „für den Westen überhaupt erträglich“ und andererseits aus der „alten Bundesrepublik“ einen zuverlässigen „Frontstaat“ zu machen. Adenauer war die alliierte Bevormundung durchaus recht, weil sie seiner auf Westintegration ausgerichteten Politik Nachdruck verlieh. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) spielte bei der Koordination der Überwachung eine zentrale Rolle.
Der Jurist Josef Schüßlburner, der sich in zahlreichen Büchern – zu nennen ist vor allem das 2004 erschienene „Demokratie-Sonderweg Bundesrepublik. Analyse der Herrschaftsordnung in Deutschland“ –, Broschüren und Aufsätzen mit dem Verfassungsschutz beschäftigt hat, sieht sogar eine „alliierte Überverfassung“ am Werk. Die USA hätten unter dem Schlagwort der „Demokratisierung auf die Stärkung bestimmter Parteien“ hingewirkt und die Schwächung von „Parteiformationen (betrieben), unter deren Hegemonie Deutschland im 19. Jahrhundert zu einer maßgeblichen Macht geworden war, nämlich gegen Nationalliberale und Konservative“. Zu diesem Zweck habe sie die „Verhinderung eines weiteren Nazismus als Vorwand“ genutzt.
In den siebziger Jahren standen vor allem linke Aktivisten und Organisationen im Fokus. Brodkorb stellt zwei Fälle vor: die Langzeitobservationen des Juristen Rolf Gössner und des Gewerkschafters Bodo Ramelow. Beide standen dem kommunistischen Milieu der DKP nahe, Gössner pflegte zudem intensive Kontakte in die DDR. Nun waren damals die Observationen aus Sicht des Verfassungsschutzes und seiner Partner im Ausland absolut plausibel, denn die extreme Westlinke war nato- und amerikakritisch ausgerichtet und stellte im Frontstaat Bundesrepublik auch eine „Partei der DDR“ (Ernst Nolte) dar; sie bildete im Konfliktfall ein Sicherheitsrisiko. Die nationalkonservative Rechte war inzwischen domestiziert. Sie hatte sich weitgehend mit der CDU/CSU arrangiert, die nicht nur der Westbindung huldigte, sondern sich über die (zivil)religiöse Deutung des Holocaust sukzessive dem Antifaschismus der Linken annäherte und sich vom Antitotalitarismus verabschiedete.
Mit dem Zusammenbruch der DDR und des Ostblocks bestand aus Nato- und US-Sicht keine Gefahr mehr, daß sich die Linke in Westdeutschland im Ernstfall als Agent oder nützlicher Idiot des Ostblocks erweisen würde. Statt dessen war eine neue deutsche Unwägbarkeit entstanden. Sie lag darin, daß ein wiedervereintes, in die Souveränität entlassenes, durch Katastrophen geläutertes Deutschland als „selbstbewußte Nation“ aus der Mündelposition heraustreten und eine eigene Gestaltungsmacht in Europa beanspruchen würde.
Jetzt erwies sich die Linke, die inzwischen starke antinationale Affekte hegte, als ausgesprochen nützlich. Ihre Multikulturalismus-Romantik, ihr Beharren auf offenen Grenzen nebst einem extensiven Asylrecht, ihre Neigung, politische und staatsrechtliche Fragen zu moralisieren, haben viel dazu beigetragen, das verunsicherte, mit der neuen Lage überforderte Land vollständig zu paralysieren und es als politischen Akteur zu neutralisieren. Rolf Gössner wurde später in Bremen zum Verfassungsrichter berufen und Bodo Ramelow amtiert in Thüringen als Ministerpräsident. 2015 erlebte er nach seinen eigenen Worten den schönsten Tag in seinem Leben, als ein Zug mit „Schutzsuchenden“ in Thüringen eintraf. Er begrüßte die Ankömmlinge auf arabisch und wollte vor Freude weinen.
Gefahr wurde nun aus einer anderen Richtung erwartet. Man fürchtete den Auftritt einer nüchternen, interessengeleiteten Realpolitik. Die bescheidenen Vorstöße und Überlegungen, die es gab, wurden als protofaschistisch verdammt. Umgehend machte sich der Verfassungsschutz den Kampf der Linken „gegen Rechts“ zu eigen. Es ging und geht darum, den Widerstand gegen den übereilten Verzicht auf nationale Souveränitätsrechte zu kriminalisieren. Es genügte bereits, dezidiert gegen den 1993 beschlossenen Maastricht-Vertrag und die Abschaffung der D-Mark zugunsten einer Gemeinschaftswährung Stellung zu beziehen, um in den Ruch der Verfassungsfeindlichkeit zu geraten. Letztlich knüpfte der VS an die Praktiken und Motivik aus den fünfziger Jahren an.
Schüßlburner zufolge wird „den Deutschen die normale Demokratie eines offen und frei ausgetragenen Links-Rechts-Antagonismus als Kennzeichen politischer Freiheit verwehrt“. Mittels Propaganda, Geheimdienstrepression und Drohung mit dem Parteiverbot würden jene, die auf nationalen Interessen beharren, „tendenziell ausgebürgert“, während gleichzeitig die „wandernden Anhänger einer traditionell fremden Religion“ oder extrem nationalistische Türken „integriert“ werden sollen. „Eine Politik, die nicht einmal die eigenen ‘Rechtsextremisten’ integrieren kann, glaubt sich befähigt, Weltreligionen zu integrieren“, bringt Schüßlburner den Irrsinn auf den Punkt. Seit einigen Jahren führt der Verfassungsschutz „Islamfeindlichkeit“ als verfassungsfeindliches Verdikt auf. Im deutschen Interesse liegt das gewiß nicht. In wessen Interesse dann?
Um die VS-Praxis gerecht zu würdigen, ist die juristische und sprachlogische Hermeneutik unabdingbar, aber sie erklärt nicht alles. Genauso wichtig ist es, die politischen und historischen Kontexte sowie den „einheitlichen nachrichtendienstlichen Organismus“ zu analysieren, deren Teil der Inlandsgeheimdienst ist. Aus der Beschränktheit und dem ideologischen Furor einzelner formt sich, wenn die Umstände danach sind, ein monströser Behemoth.
… Alles vom 16.8.2024 von Thorsten Hinz bitte lesen in der IF 23/24, Seite 13
.
Mathias Brodkorb: BfV – Verschwörungstheoretiker von Staats wegen
In keinem anderen westlichen Industrieland findet sich ein Inlandsdienst mit einer so eigentümlichen Aufgabenbeschreibung wie beim deutschen Verfassungsschutz. Es ist Zeit für seine Abschaffung.
…
Aufgabe des Verfassungsschutzes sei es, Gefährder der Demokratie ausfindig zu machen. Das Dilemma: Gerissene Feinde der Demokratie geben sich als solche nicht unbedingt zu erkennen. Im Stillen zu agieren, nicht fassbar zu sein für staatliche Behörden und die Öffentlichkeit, gilt geradezu als notwendige Erfolgsbedingung des Umsturzes. Also kann es nicht nur darum gehen, rechtswidrige Handlungen aufzuspüren und zu bekämpfen. Man muss bereits in deren Vorfeld tätig werden. Die Handlungen sind bloß der Rauch, der auf das Feuer folgt. Es gilt, bereits das Feuer auszutreten. Und das Feuer, das sind die Gedanken. Dadurch aber, so Brückner, entstehe eine „Atmosphäre des universellen Verdachts“ (2). Im Grunde werde dem Staat so „jeder verdächtig“ (3).
Der Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen kann schon dadurch entstehen, dass ein unbescholtener Bürger Kontakt zu einem offiziell Verdächtigen unterhält. Wie ein infizierter Staffelstab wird dann der staatliche Verdacht von Bürger zu Bürger weitergereicht. Die sogenannte „Kontaktschuld“ (4) ist für den Verfassungsschutz bis heute Anhaltspunkt, um seine Untersuchungsfelder auszuweiten. Ziel der Operation ist es, durch Öffentlichkeitsarbeit die Verdächtigen gesellschaftlich zu isolieren. Wenn man die Existenz von Extremisten schon nicht vollständig verhindern kann, sollen diese und ihr Denken zum Schutze der Demokratie zumindest vom Rest der Gesellschaft abgekapselt werden: „Berührungsfurcht soll sich (…) nicht nur an Personen, Einrichtungen und Aktionen heften, sondern auch an Begriffe. Kontaktschuld gibt es (…) auch gegenüber der Sprache.“ (5) Die Einschränkung des öffentlichen Diskurses ist also das ausdrückliche Ziel der hauptamtlichen Verfassungsschützer, die „Philosophie des Verdachts“ (6) ihre DNA.
.
Verfassungsschützer sind Verschwörungstheoretiker
Immer dann, wenn jemand ohne schlüssige Beweise und gegen die Realität an einer Unterstellung festhält, nennt der Verfassungsschutz dies eine „Verschwörungstheorie“ (7). Anhänger von Verschwörungstheorien sind für ihn letztlich Menschen mit einem intellektuellen Defekt. Da sich ihre Ambitionen zugleich gegen das demokratische Gemeinwohl richten sollen, tritt ein moralischer hinzu. Beide Bestimmungsmomente haben wissenschaftliche Vorbilder. Eingeführt wurde der Begriff der Verschwörungstheorie im Jahre 1945 durch Karl Popper als „Verweltlichung eines religiösen Aberglaubens“ (8). Echte Verschwörungen müssten aber außerdem zum „Nachteil der Allgemeinheit“ (9) betrieben werden. Ihr Motor sei letztlich ein „perfider Plan“ (10). Neben die epistemische Überforderung des Begriffes tritt so eine normative. Bereits die Absprachen der Hitler-Attentäter um Claus Schenk Graf von Stauffenberg könnten so aber gar nicht mehr als (politische) Verschwörung erfasst werden. Das ist offenkundig unplausibel. Dieser auch im Alltagsverständnis etablierte Begriff von Verschwörungstheorie entpuppt sich als rhetorische Floskel zur Markierung einer moralisch überlegenen Erkenntnisposition und führt zu in der Sache unhaltbaren Konsequenzen.
Eine Verschwörung ist stattdessen das zielgerichtete Handeln eines Personenzusammenschlusses auf der Grundlage eines geheimen Planes: „Eine Verschwörungstheorie ist entsprechend der Versuch, (wichtige) Ereignisse als Folge derartiger geheimer Absprachen und Aktionen zu erklären.“ (11) Diese strukturell angelegte Definition hat Konsequenzen: Erstens ist der Inlandsgeheimdienst somit selbst dazu verdammt, sich als verschwörungstheoretische Behörde zu betätigen. Ausdrücklich geht es ihm darum, nicht auf „bloße Lippenbekenntnisse“ (12) zur Demokratie hereinzufallen, sondern hinter die mitunter „vorgespiegelte Fassade“ (13) der Staatsgefährder zu blicken und deren tatsächliche Absichten zu „entschlüsseln“ (14). Das ist kein Defekt, sondern der gesetzliche Auftrag. Verfassungsschützer sind Verschwörungstheoretiker im Auftrag des Staates. Und zweitens müssen Verschwörungstheorien nicht notwendig falsch oder irrational sein. Sie können ein solches Ausmaß an methodischer Komplexität erreichen, dass sie zu echten wissenschaftlichen Theorien aufsteigen. Sie haben dort ihre Berechtigung, wo die Vermutung der Existenz einer Verschwörung als wahr bewiesen werden kann (15).
Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es daher, präziser gesprochen, berechtigte Verschwörungstheorien über tatsächliche Staatsfeinde zu verfertigen (16). Unberechtigte Verschwörungstheorien unterscheiden sich von berechtigten dabei entweder durch die erwiesene Falschheit ihrer Unterstellungen oder die anhaltende Nichtnachweisbarkeit ihrer Richtigkeit. Eine Verschwörungstheorie kann somit paradoxerweise unberechtigt sein, obwohl sie wahr ist. Das ist genau dann der Fall, wenn sie nicht als wahr nachweisbar ist (17). Es ist ein Erkennungsmerkmal unberechtigter Verschwörungstheorien, dass diese an ihren Unterstellungen selbst dann festhalten, wenn sich deren Richtigkeit gerade nicht belegen lässt. Die Verschwörung gilt dann gerade durch Abwesenheit eines Beweises als bewiesen. Wer so argumentiert, befindet sich allerdings „auf halbem Weg zum Wahn“ (18).
Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft
Berechtigte Verschwörungstheorien sind somit nichts anderes als legitime Hypothesenbildungen zur Erklärung der Welt und unverzichtbares Handwerkszeug auch des Inlandsgeheimdienstes. Die Beziehung zu dessen Beobachtungsobjekten entpuppt sich allerdings als „mimetische Rivalität“ (19). In dem Versuch, den gerissenen Verfassungsfeind durch noch mehr Gerissenheit zu entschlüsseln und zu übertrumpfen, kann es zur Anverwandlung an das eigentlich zu bekämpfende Objekt kommen. Wird dieser Kipppunkt überschritten und das Feld ungerechtfertigter Verschwörungstheorien betreten, sind wahnhafte Schlussfolgerungen unvermeidlich. Man blickt dann auf eine spezifische déformation professionnelle. Das Grundgesetz verpflichtet die Staatsbürger aber nicht zum angemessenen Gebrauch ihrer Vernunft. Es ist nicht verfassungswidrig, irrational zu agieren oder verrückt zu sein. Genau deshalb aber taugen nicht einmal unberechtigte Verschwörungstheorien als Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen.
Der Inlandsgeheimdienst deutscher Prägung passt aus doppeltem Grund nicht mehr in die Zeit. Die Demokratie ist trotz aller aktuellen Krisen nicht so labil und gefährdet, wie sie es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst war. Auch im Jahr 2023 zählen Experten Deutschland zu den erfolgreichsten demokratischen Systemen der Welt (20). Der Verfassungsschutz aber schwingt sich immer mehr zu einer Sprach- und Gedankenpolizei auf und schreckt dabei auch vor ungerechtfertigten verschwörungstheoretischen Methoden nicht zurück. Dies ist immer dann der Fall, wenn er an seiner Verfolgungsabsicht entgegen der Beweislage festhält. Es gibt nachweislich Fälle, in denen der Verfassungsschutz selbst die Nichtexistenz von Beweisen zu einem Beweis umdeutet und sich in wahnhaften Operationen verfängt. Dass diese Einschätzung aus Gründen der Anschaulichkeit zwar zugespitzt, aber in der Sache richtig ist, soll in diesem Buch gezeigt werden.
Nach dem ersten Kapitel wird in sechs Fallstudien auch anhand interner Unterlagen des Verfassungsschutzes gezeigt, mit welchen teils manipulativen Methoden die Behörde arbeitet und dabei Ergebnisse fabriziert, die sich rechtsstaatlich kaum noch rechtfertigen lassen. Grenzüberschreitungen betreffen dabei nicht nur die politische Linke (Bodo Ramelow und Rolf Gössner) oder Rechte (Institut für Staatspolitik, Martin Wagener und die AfD). Inzwischen kann aufgrund der Beliebigkeit der Arbeitsbegriffe buchstäblich jeder Bürger Beobachtungsobjekt des deutschen Inlandsgeheimdienstes werden. Dafür genügt im Zweifel schon eine robust formulierte kritische Meinung zum Regierungshandeln. Die Wahrnehmung des Bürgerrechts auf Meinungsfreiheit und Regierungskritik nennt der Inlandsgeheimdienst dann verklausuliert, aber wortgewaltig die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ (Kapitel 7). Sie ist der vielleicht größte, weil allumfassendste Skandal in der Geschichte des deutschen Inlandsgeheimdienstes. Von den etablierten Medien wird er indes auf erstaunliche Weise ignoriert.
Während ich selbst lange ein glühender Anhänger der Behörde war, bin ich heute mit Claus Leggewie und Horst Meier davon überzeugt, dass sie es nicht einmal „verdient, reformiert zu werden“ (21). Der Verfassungsschutz ist kein Teil der Lösung mehr, sondern selbst ein Teil des Problems. Er gehört abgeschafft.
Dies ist ein Auszug aus dem Buch
Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Von Mathias Brodkorb,
erschienen am 4. März 2024 im zuKlampen Verlag, für 25,00 Euro, hier bestellbar.
Mathias Brodkorb (*1977 in Rostock) ist ein deutscher Journalist. Er war Finanz- und Bildungsminister in Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzender der dortigen SPD-Landtagsfraktion.
… Alles vom 23.3.2024 von on Mathias Brodkorb. bitte lesen auf
https://www.achgut.com/artikel/verschwoerungstheoretiker_von_staats_wegen
.
Einige Kommentare:
Wenn andere westliche Demokratien sowas nicht haben, brauchen wir das auch nicht. Wenn man überdies sieht, wie eine Inneministerin Faeser (SPD) sich den Laden gefügig machen kann, um gegen die Opposition vorzugehen oder einen angeblichen Rentnerputsch zu inszenieren, dann brauchen wir sowas gleich zweimal nicht. Und unter Haldenwang (CDU) handelt der Verfassungsschutz inzwischen doch wohl ganz ungeheim öffentlich und lautstark verfassungsfeindlich, also brauchen wir das schon dreimal nicht. S.L.
.
Laut einer INSA Umfrage halten 48 Prozent der Deutschen es für wahrscheinlich, dass der Verfassungsschutz politisch missbraucht wird. Nur 31 Prozent halten das für unwahrscheinlich, das berichten NIUS und JF. Der sog. Verfassungsschutz ist ein Relikt der Nachkriegszeit, er ist heute Instrument der Herrschenden gegen die Opposition. Es gibt weltweit keine Demokratie mit einer vergleichbaren Behörde. Wenn wir eine Verfassung hätten, gäbe es ihn nicht. S.H.
.
Unter dem ‚Amt für Verfassungsschutz’ konnte die RAF gedeihen, kann die grüne Klebe-RAF gedeihen, konnte und kann islam-grüner Terror gedeihen, konnte und kann Antifa gedeihen. Denn das Amt ist seinen ursprünglich ‚angedachten’ [?] Aufgaben für die Nachkriegszeit nie nachgekommen. … I.G.
.
Man hat einen Verfassungsschutz zum Schutz der Regierung und man hat weisungsabhängige Staatsanwälte – das ideale Rezept für einen totalitären Staat, unabhängig davon wer gerade die Regierung bildet die um jeden Preis dort bleiben will. K.Sch
.
Nur mal nebenbei bemerkt; Wenn in Deutschland der Verteidigungsfall festgestellt wird, dann ist die Bundesinnenministerin Nancy Faeser CHEFIN DER DEUTSCHEN POLIZEI, weil die Befugnisse der Länder dann auf den Bund übergehen. Faeser wäre dann gewissermaßen BUNDESFÜHRERIN DER DEUTSCHEN POLIZEI, mit einer einzigartigen Machtfülle, wie sie nur zweimal in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vorgekommen ist. Als Bundesinnenministerin wäre Faeser dann Chefin des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Polizei der Länder icl. polizeilichen Staatsschutz. Bei Feststellung des Verteidigungsfalls ist der Gemeinsame Ausschuß das NOTPARLAMENT, weil Bundestag und Bundesrat dann von der Gesetzgebung ausgeschaltet sind. Der Gemeinsame Ausschuß besteht aus lediglich 45 Mitgliedern aus Vertretern Bundestag und Bundesrat. Das NOTPARLAMENT tagt nach seiner Geschäftsordnung unter Ausschluß der Öffentlichkeit und kann im Schnelldurchgang nahezu komplett sämtliche Gesetze ändern. Wahlen sind während des Verteidigungsfalls ausgesetzt, der Gemeinsame Ausschuß kann auch den Bundeskanzler wählen. Die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschuss stehen bereits fest- u.a. sämtliche Ministerpräsidenten, darunter Ramelow von der Linken. Ein Blick ins Internet zum Thema GEMEINSAMER AUSSCHUSS, NOTPARLAMENT, VERTEIDIGUNGSFALL informiert. Wann endet übrigens der Verteidigungsfalls: Nun, wenn die Beendigung des Verteidigungsfalls festgestellt wird,siehe auch dazu die entsprechenden Seiten Bundestag und Bundesrat. Die wenigsten wissen um die Modalitäten des Verteidigungsfalls und der Notstandsgesetze. Die Ausrufung des Verteidigungsfalls könnte allerdings die politischen Machtverhältnisse in Deutschland für die nächsten, Jahre möglicherweise Jahrzehnte, irreversible festlegen- einmal Ermächtigungsgesetz, immer Ermächtigungsgesetz! Und wie beschrieben: Nancy Faeser ist im Verteidigungsfall Chefin der gesamten deutschen Polizei, gewissermaßen BUNDESFÜHRERIN. Inge Minos
.
Das Hauptproblem dieser Behörde ist die (theoretische, nur ein Gedankengang, keine Behauptung..) Möglichkeit, politisch missbraucht zu werden. R.B.
.
Ist so ein Amt geschaffen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Sache in falsche Hände gerät und verwahrlost. Jedes Angebot schafft seine Nachfrage. Eu glauben, man könnte den VS abschaffen, ist naiv. Dafür wird es nie Mehrheiten genen, da jede Partei in der Hoffnung lebt, irgendwann die Hand draufhalten zu können. Bei mir in F gibt es keinen (deutschen) VS, sonst wären 80 % der Politiker im Knast und 80 % der Bevölkerung unter Verdacht. Im Vergleich zu Zemour, Melenchon oder MLP sind AFDler laue Linksliberale. Es gibt allerdings den PNF (Parquet National Financier), diese Staatsanwaltschaft wurde von der linken Hollande Regietrung gegründet und wird politisch gegen rechts eingesetzt. Es ist kein Geheimnis, dass der PNF illegal und auf Druck der Regierung den Kandidaten Francois Fillon abgemurkst hat, um dem Macron den Weg zur Ptäsidentschaft zu ebnen. Das war 2017 eine beispiellose Schmutzkampagne basierend auf Ermittlungen und einer politisch erzwungenenen Anklagerhebung. So unschuldig sind also andere Demokratien nicht. U.N.
.
Wenn potenzielle Verfassungsfeinde an die Regierungsmacht kommen, finden sie immer Opportunisten, die für ihre persönlichen Karrierechancen den Verfassungsschutz zum Staatssicherheitsdienst gegen die Opposition umfunktionieren. Zur Zeit müsste der Verfassungsschutz eigentlich gegen sich selbst tätig werden. J.L.
.
Empfehle, mal das Gespräch zwischen Frank Henkel und Dr. Rupert Scholz (Berlin Direkt) anzuhören. Der Staatsrechtler und ausgewiesene Experte in Sachen Verfassung hat sich eindeutig besorgt um unsere Demokratie geäußert. Die wird nämlich aktuell von Leuten wie Haldenwang und Faeser bedroht. So dass ich der Aussage “Die Demokratie ist trotz aller aktuellen Krisen nicht so labil und gefährdet, wie sie es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst war” überhaupt nicht zustimmen kann. Unser Land befindet sich auf einem ganz gefährlichen Weg, und das sollte man nicht immer wegreden. H..J.
.
“Wer den Verfassungsschutz abschaffen will, ist selbst ein Fall für den Verfassungsschutz”. Aber Ironie beiseite: Bei den wirklich wichtigen Themen versagt der BfV. Mohammed Atta und seine Freunde konnten nur deshalb 9/11 ungestört vorbereiten, weil es die BfV Gurkentruppe gab und daran hat sich seither nichts geändert. Die Existenz des BfV gefährdet die Demokratie und macht den deutschen Staat zum Tummelplatz für Extremisten aus aller Welt. Die eigenen Extremisten, die es auch gibt, fallen dabei nicht ins Gewicht. Zwischen den islamischen Terroristen und deren Anhängern, die hier zu zigtausend herumlaufen und den RAF-Rentnern liegen im wahrsten Sinne ganze Welten. J.L.
Ende Kommentare
.
.
Rezension zu Mathias Brodkorb: Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?
Verschwörungstheoretiker im Auftrag des Staates
Die Bundesrepublik Deutschland ist die einzige westliche Demokratie, die sich einen Inlandsgeheimdienst leistet, der die eigenen Bürger zum Zwecke einer vorsorglichen Gesinnungsprüfung staatlicher Überwachung aussetzt. Verteidigt wird die Existenz einer solchen Behörde meist mithilfe des Schlagwortes von der „wehrhaften Demokratie“. Man sei gezwungen, die Verfassung gegen Extremisten aller Couleur proaktiv zu verteidigen.
Wer Mathias Brodkorbs neues Buch gelesen hat, wird zu einer gegenläufigen Einschätzung kommen müssen. Brodkorb, ehemaliger Bildungs- und Finanzminister (SPD) von Mecklenburg-Vorpommern und heute freier Publizist, ist studierter Philosoph und ein guter dazu. Das zeigt sich an seiner Fähigkeit, begriffliche Klarheit zu schaffen und komplexe Zusammenhänge einer messerscharfen Analyse zu unterziehen. Mit diesen Mitteln macht er deutlich, dass der Verfassungsschutz von einer Logik des Verdachts lebt, die schlicht alles als inkriminierendes Indiz zu deuten geneigt ist. In den pointierten Worten des Autors: „Verfassungsschützer sind Verschwörungstheoretiker im Auftrag des Staates.“
Dass dies nicht übertrieben ist, belegen die sechs Fallstudien, die im Zentrum von Brodkorbs Werk stehen. Es ist haarsträubend, was Brodkorb über die Machenschaften des Verfassungsschutzes zutage fördert. Um nur eines von vielen schlagenden Beispielen zu nennen: Der Rechtsanwalt und linke Bürgerrechtler Rolf Gössner wurde gut vierzig Jahre vom Verfassungsschutz bespitzelt, bis schließlich 2021 nach fünfzehnjährigem juristischem Kampf höchstrichterlich festgestellt wurde, dass seine Überwachung rechtswidrig war. Kaum etwas dürfte die erwähnte Logik des Verdachts so gut zum Ausdruck bringen wie die Tatsache, dass der Verfassungsschutz sogar den Umstand, dass Gössner „nicht Mitglied in einer als extremistisch geltenden Organisation“ war, als Zeichen seiner verfassungsfeindlichen Gesinnung verstanden wissen wollte.
Auch das politisch derzeit heißeste Eisen, den insbesondere vom Verfassungsschutz geführten „Kampf gegen rechts“, spart Brodkorb nicht aus, sondern widmet ihm gleich drei Fallstudien: eine über das Institut für Staatspolitik um den Publizisten und Verleger Götz Kubitschek, eine über die AfD und eine über den Hochschullehrer Martin Wagener. Es ist ein intellektueller Genuss zu lesen, mit welch unerbittlicher Präzision und Objektivität Brodkorb die Argumentation des Verfassungsschutzes in diesen Fällen auseinandernimmt.
Als ein Grundübel erweist sich dabei der Hang der Behörde, „Begriffe aus Gummi“ zu verwenden. Bereits für den essenziellen Begriff des Extremismus verfügen die Verfassungsschützer offenbar über keine sachlich sinnvolle oder juristisch haltbare Definition. Völlige Konfusion herrscht schließlich beim Begriff des Volkes. Die von Brodkorb mit vorbildlicher Klarheit dargelegte Unterscheidung zwischen dem politischen Staatsvolk (Demos) einerseits und der historisch-kulturellen Abstammungsgemeinschaft (Ethnos) andererseits ist für den Verfassungsschutz bereits tabu. Wer die bloße Existenz eines Ethnos anerkennt, denkt laut dieser Behörde schon extremistisch.
Die Kombination aus verschwörungstheoretischer Verdachtslogik und unreflektierten Gummibegriffen führt, wie Brodkorb überzeugend argumentiert, letztlich sogar dazu, dass der Verfassungsschutz sich immer mehr nicht nur als Meinungs-, sondern auch als „Gedankenpolizei“ betätigt. Bestimmte Dinge sollen schlicht undenkbar werden.
Zu Recht weist der Autor darauf hin, dass die Gefahr, die vom Verfassungsschutz ausgeht, trotz mangelnder polizeilicher Befugnisse enorm ist: Die Tatsache, dass die Behörde nicht nur Vereinigungen, sondern inzwischen auch Einzelpersonen öffentlich als extremistisch und verfassungsfeindlich brandmarken darf, hat im Informationszeitalter für die Betroffenen, die nichts Illegales getan haben, gravierende Konsequenzen, die teilweise genauso schwer wiegen können wie strafrechtliche Sanktionen.
Am bedrohlichsten ist aber vielleicht, dass es inzwischen jeden treffen kann, wie Brodkorb mit Verweis auf das neue Konzept einer „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ zeigt. So tauchten etwa im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2021 sogar jene „Kümmerer“ auf, die den Opfern der Überschwemmung im Ahrtal private Hilfe leisteten. Diese hätten dadurch nämlich den Eindruck erweckt, „dass“ – so der Wortlaut des offiziellen Dokuments – „staatliche Stellen bewusst nur unzureichend an der Verbesserung der Versorgungslage arbeiten würden beziehungsweise mit der Bewältigung der Lage komplett überfordert gewesen seien“. Der Verfassungsschutz ist, wie Brodkorb richtig schlussfolgert, damit längst zum Regierungsschutz verkommen.
Im Interesse des freiheitlichen Rechtsstaates ist zu hoffen, dass dieses furiose Buch möglichst vielen Menschen, allen voran politischen Entscheidungsträgern, die Augen öffnet: Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft.
… Alles vom 20.3.2024 von Sebastian Ostritsch bitte lesen auf
https://www.die-tagespost.de/kultur/literatur/verschwoerungstheoretiker-im-auftrag-des-staates-art-249212
oder
Mathias Brodkorb, Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik. Sechs Fallstudien. Zu Klampen Verlag, Hardcover mit Überzug, 250 Seiten, 25,00 €