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Werner Patzelt: Eine redliche, inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD fehlt
Politologe: „Nur die AfD selbst kann ihre Wähler abschrecken“
Ich möchte noch auf die politische Kultur zu sprechen kommen. Im Bundestag sind jüngst zwei Anträge zur Neuregelung der Sterbehilfe durchgefallen. Ein Grund dafür ist, dass die Abgeordneten der AfD beide Anträge mit einem „Nein“ beschieden haben. Die Abgeordneten der AfD waren – nach meiner Beobachtung – aber in dem ganzen parlamentarischen Verfahren der Abgeordnetengruppen nicht eingebunden. Wo liegt aus Ihrer Sicht die Grenze zwischen strikter politischer Hygiene und zielgerichtetem politischem Handeln?
Hier muss man weiter ausholen. Zu den großen zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften Europas gehört die Erfindung des demokratischen Parlamentarismus. Dessen Kern sind Vertretungskörperschaften, welche mittels streitiger Debatten von Abgeordneten die Meinungsvielfalt der vertretenen Bevölkerung widerspiegeln. Genau dort wird, mit anschließenden verbindlichen Entscheidungen, freiheitssichernder politischer Streit ausgetragen, stellvertretend für die repräsentierte Bevölkerung, vor aller Augen, und möglichst zivilisiert.
Doch leider verfahren wir seit dem Einzug der AfD in die Parlamente nicht mehr gemäß diesen Prinzipien. Statt mit AfDlern ernsthaft und publikumswirksam zu diskutieren, hört man diesen in der Regel nur zu, um eigene, oft herabsetzende Zwischenrufe geschickt zu platzieren. AfD-Abgeordnete sind da spiegelbildlich aber auch nicht besser. Was also fehlt, ist eine redliche, inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD. An ihrer statt wurde eine mit sozialen Strafandrohungen bewehrte Frontlinie zwischen den „Anständigen“ und „der AfD“ aufgebaut, an welcher der für parlamentarische Demokratie unverzichtbare Streit um die Sache weniger praktiziert als vielmehr simuliert wird. So entstand allerdings ein kommunikativer Schutzraum um die AfD. Diese Partei muss nun gar keine wohlüberlegten Argumente mehr vorbringen, weil sich mit diesen ohnehin niemand ernsthaft auseinandersetzen wird. Auf diese Weise seit Jahren argumentativ unbehelligt, konnte die AfD große populistische Anziehungskraft entwickeln.
Also sollten wir endlich begreifen: Politisches Ausgrenzen hat nicht die gleiche Wirkung wie argumentatives Auseinandernehmen! Und wenn nicht einmal bei einem so wichtigen Thema wie der Sterbehilfe die AfD in die politischen Diskurse einbezogen wird, dann werden wichtige Prinzipien unseres Parlamentarismus schlicht verraten. Das aber schlägt offensichtlich nicht zum Nachteil, sondern zum Vorteil der AfD aus, der so eine Opferrolle angeboten wird. Und wenn nun der Einwand kommt, es versuche die AfD doch nur, sich im Parlament als wählbare Partei zu präsentieren und sowie von ihren Extremisten abzulenken: Wäre es dann nicht viel zielführender, die Schwächen von AfD-Positionen im Parlament inhaltlich bloßzustellen, dabei die argumentative Gegenwehr von AfD-Politikern auf wählerattraktive Weise zu überwinden, und AfD-Extremismus eher auf der Faktenebene vor Augen zu führen, als ihn durch intensives Schimpfen allenfalls zu beglaubigen?
In der Öffentlichkeit lässt man Wähler und Protagonisten der AfD gerne etwas dümmlich oder plump dastehen. Welchen Effekt hat diese Stigmatisierung?
Ein Effekt ist, dass Arroganz wahrgenommen und durch eigene Abkehr erwidert wird. Es hat doch wirklich der AfD nicht sonderlich geschadet, dass ihre Gegner sich seit langem als die „Klugen und moralisch Wertvollen“ gegenüber den „dummen und moralisch verkommenen“ AfDlern inszenieren! Das hat nur Gegenarroganz der folgenden Art hervorgerufen: „Genau wir wissen alles besser als die Etablierten – und weil die das merken, kommen sie uns ja auch nicht mit Argumenten!“
Diese Spaltung bringt in unsere politischen Diskurse einen Ton der Respektlosigkeit, Unseriosität, Häme und Angriffslust, der jedes menschliche Miteinander erschwert. Das führt bis hin zum selbstgerechten Abbruch der kommunikativen Auseinandersetzung mit Gegnern – oder zu neuen Tatbeständen wie einer „Kontaktschuld“, für die es anschließend zu büßen gilt. Doch politische Legitimität entsteht nun einmal allein aus politischer Kommunikation. Deshalb entlegitimieren wir selbst, ganz anders als doch beabsichtigt, unser politisches System durch jene Kommunikationsverweigerung – und wundern uns anschließend darüber, dass gar nicht wenig AfDler dann unseren Staat tatsächlich für illegitim halten. Mir scheint jedenfalls, dass falsche Reaktionen auf den Aufstieg der AfD in deren Reihen Extremismus regelrecht herangezüchtet haben.
Und von diesem Vorwurf nehme ich die Kirchen ausdrücklich nicht aus. Die bedenken anscheinend nicht, dass sich schon Jesus gegen den Vorwurf wehren musste, er setze sich unzulässigerweise mit Sündern zusammen – also, auf heutige Diskurslagen bezogen, auch mit AfDlern. Teils die Konservativen, teils die besonders Wohlmeinenden hielten ihm damals vor: „Was macht es wohl mit Deiner Glaubwürdigkeit, wenn Du Dich mit solchem Gesindel abgibst?“ Und Jesus antwortete, dass nicht die Gesunden den Arzt bräuchten, sondern die Kranken – und dass ein guter Hirte gerade den verlorenen Schafen nachgehe. Weil mir scheint, dass Jesus hier völlig recht hat, stört es mich durchaus, dass ausgerechnet im christlichen Bereich der Pharisäerreflex so stark ist, den Umgang mit politischen Sündern strikt abzulehnen und verlorenen AfD-Schafen keinesfalls nachzugehen. Anscheinend werden in den Reihen von Christen, oder seitens der Kirchen, wichtige Aussagen Jesu nicht mehr als ernstlich zu befolgen wahrgenommen. Dabei sicherte gerade deren Umsetzung in die Praxis den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
… Alles vom 17.8.2023 von Werner Patzelt bitte lesen auf
https://www.pro-medienmagazin.de/politologe-nur-die-afd-selbst-kann-ihre-waehler-abschrecken/
Pro – Das christliche Medienmagazin https://www.pro-medienmagazin.de
Alexis de Tocqueville – Der Widersacher wird zum Feind
Essay von Eberhard Straub: Wo Freiheitsrechte und die Vernunft auf der Stecke bleibe, gerät auch der Parlamentarismus in die Krise
Alexis de Tocqueville, der 1840 ein klassisches Werk über die Demokratie in Amerika abgeschlossen hatte, beschäftigte die Sorge, wie es möglich sein könne, Demokratie und Freiheit miteinander zu vereinbaren. Denn in demokratischen Zeiten ist, wie er vermutete, der Hang zum Despotismus besonders zu fürchten.
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Das Ziel der nie zur Ruhe findenden Demokratisierung, Gleichheit der Lebensverhältnisse und damit auch des Denkens und Fühlens zu erreichen, ermögliche unter Umständen einen ganz neuen Absolutismus, der allmählich mit betreuender Fürsorglichkeit alles selbständige Leben ersticke. Der leidenschaftliche Freund der Freiheit hielt diese Entwicklung nicht für unausweichlich. Er wollte vielmehr Demokraten vor Illusionen warnen und die Demokratie vor ihren Versuchungen bewahren. Alexis de Tocqueville resümierte die Bedenken der Liberalen gegenüber unklaren Bedürfnissen, dauernd mehr Demokratie zu wagen. Wahrhafte und wehrhafte Demokraten von heute begreifen solche Vorbehalte gar nicht mehr. Für sie erfüllt sich der Liberalismus in der Demokratie, die Freiheit in der Gleichheit.
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Liberale sahen allerdings die Freiheit unmittelbar mit der humanistischen Idee des unerschöpflichen Individuums verbunden, das sich von jedem anderen unterscheidet und in einem Eigentum, in seiner Eigenart, eben in seiner Freiheit zum Anderssein nicht beschränkt werden darf. Solcher liberalen Freiheit widersprach die demokratische Tendenz, den konkreten Einzelnen einer ihn beengenden Gleichheit einzupassen. Alles Eigene, vom materiellen Eigentum bis hin zur geistigen Unverwechselbarkeit, verdiente vielmehr höchsten Respekt, es galt Liberalen als heilig.
Ein geordnetes Zusammenleben beruhte für sie deshalb auf der sittlichen Übereinkunft, jeden einzelnen mitten in der Welt als eine Welt für sich zu achten, unergründlich und unvergleichlich.
Daher rückten sie die Diskussion,
das öffentliche Gespräch,
in den Mittelpunkt,
damit sich in Staat und Gesellschaft
durch die ungehinderte Konkurrenz der Meinungen die sachbezogene Vernunft durchsetzen
und wirre Aufregungsbedürftigkeit beruhigt werden könne.
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Zu den Voraussetzungen eines vernünftigen Gespräches gehörte es, jeden als gleichberechtigt gelten zu lassen und auch bei erstaunlichsten Eigenwilligkeiten nicht nach der Polizei zu rufen oder bei Gerichten vorstellig zu werden. Das Parlament sollte in diesem Sinne die Stätte sein, wo im lebhaften Austausch kontroverser Ansichten die Vernunft ihre heilsame Macht entfaltet und Widersprüche und Gegensätze versöhnt oder zumindest abschwächt.
Im diskutierenden Parlament repräsentierte sich überredend und überzeugend die souveräne Vernunft. Der Überstimmte wurde nicht als unvernünftig disqualifiziert, wenn er weiter auf seiner Meinung beharrte, auch der irrende Geist hatte für Liberale Anteil am Geist und wurde nicht als Ungeist disqualifiziert. Sie wollten im Inneren des Staates keine Feindschaften schüren und ihre Gegner nicht moralisch in Frage stellen oder gar fertigmachen. Das Parlament unterschied sich nicht grundsätzlich von einem gepflegten Herrenzimmer, indem es hoch hergehen konnte, was ja gerade die Freude an unterschiedlichen Temperamenten nicht minderte, die aufeinander prallend dennoch eine Einigkeit in Vielfalt bezeugten, aufeinander zu hören, um die Stimme der Vernunft nicht zu überhören.
Diese ungemein gesellige und humane Haltung bildete das Fundament des Parlamentarismus. Die Wirklichkeit war spannungsvoller als das Ideal. Aber auch die Gegner des Parlamentarismus kamen im Parlament zu Wort. Alle wahrten untereinander die Formen der Höflichkeit. Das Parlament mit vielen Parteien repräsentierte auf halbwegs übersichtliche Weise eine insgesamt unübersichtliche Öffentlichkeit zahlloser Gruppen, Bewegungen und Kreise. Das Besondere, auch das Absonderliche brauchte nicht zu bangen, energisch zur Ordnung gerufen zu werden. Die Ordnung entfaltete sich als ein unerschöpfliches prächtiges Pluriversum individueller Lebensentwürfe, geschützt von einem Rechtsstaat und einem Parlament, die sich als Hüter auch eigenwilligster Bekundung geistiger oder praktischer Daseinsfreude verstanden und betätigten.
Davon ist nach dem Untergang bürgerlicher Lebensformen und ihrer umfassenden Liberalität seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr viel übriggeblieben. Keiner vermutet mehr, daß in parlamentarischen Debatten mit ihrem Parteigezänk und dem Lärm der Schlagworte die Vernunft siege. Sie sind eine lästige Veranstaltung, ein Zugeständnis an die Theorie des Parlamentarismus, weil die ernsthafte Arbeit in Ausschüssen und Gremien stattfindet. Unter Demokraten haben Freiheit und Vernunft ihr Prestige verloren, da eine unkontrollierte Freiheit zu ganz unvernünftigen Ergebnissen führen könne, die als undemokratische überhaupt nicht wünschenswert wären. Wahrhafte und wehrhafte Demokraten mißtrauen deshalb längst der Freiheit, weil nur gut und bekömmlich zu wirken vermag, was auch zugleich demokratisch
und deshalb vernünftig ist.
Die Freiheit wird von der Vernunft abgekoppelt. Vor der Freiheit muß vielmehr eindringlich gewarnt werden. Nur zu oft lautet die Parole der Demokraten: keine Freiheit für die Feinde der Freiheit, also der Demokratie, keine Toleranz den Intoleranten. Wobei sie bestimmen, wer ihr Feind ist oder gar der Feind schlechthin. Ein öffentliches Gespräch ist nicht mehr möglich, sobald einige im Wettbewerb der Meinungen zu Feinden erklärt werden. Dann verliert auch der Parlamentarismus seinen Sinn.
Liberale hatten nie vergessen, daß die Französische Revolution sich in der Schreckensherrschaft radikaler Demokraten 1793/94 vollendete. Die Gleichheit kommt ohne einen allgemeinen Willen der vielen nicht aus, der sich imeinheitlichen Wollen wie in einer Glaubensgemeinschaft offenbart. Der Einheit und Einförmigkeit standen allerdings Parteiungen, Meinungsverschiedenheiten, der Individualismus oder Föderalismus in seinen vielen Sonderformen von der Familie, den Provinzen und Städten über Kirchen und philosophische oder ästhetische Systeme im Wege. Im Besonderen äußerte sich gefährliche Unvernunft, die von Aristokraten, Royalisten, störrischen Christen oder intoleranten Menschenfeinden aller Art ausging. Die eine Vernunft fordert die Gleichheit der Vernünftigen. Sie muß sich mit dem Schrecken verbinden, um jeden das Fürchten zu lehren, sich nicht eigensinnig von den Gleichen abzusondern und undemokratisch zu verhalten.
Sarastro, der unerschrockene Weise, der Toleranz und Humanität als totale Mitmenschlichkeit in Mozarts „Zauberflöte“ kurz vor der französischen Schreckensherrschaft der Gleichen 1791 verkündete,machte keinen Hehl daraus, was dem unweigerlich widerfährt, den solche Lehren nicht erfreuen: er verdiene nicht, ein Mensch zu sein. Es sind die wahrhaften und wehrhaften Menschen, die bestimmen, wer ein Mensch oder ein Menschenfeind ist und wer es wert ist, als ein Mensch geachtet zu werden. Jeder, der wegen Normierungsschwächen 1793 und 1794 auffiel, machte sich verdächtig und wurde von den Gleichen in volkspädagogischer Absicht für alle noch Schwankenden ertränkt, erschossen, guillotiniert und aus der Gemeinschaft der Menschen eliminiert oder gründlicher Umerziehung unterworfen. Diese Erfahrungen veranschaulichten Liberalen drastisch, daß ohne die mäßigende Freiheit Demokratien als totale Mobilmachung aufrechter Demokraten in Despotie ausarten.
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Von der Freiheit ist heute wenig die Rede, vom Staat und Recht ohnehin nicht, über denen als Höheres und Höchstes die sogenannten Werte schweben. Wer an der Wertegemeinschaft der Demokraten zweifelt, gerät sogleich in den Verdacht, ein Abtrünniger der alle verpflichtenden Gemeinschaft wertebewußter Demokraten zu sein. Die Liberalen und Freien kannten keinen Feind.
Die Wertegemeinschaftler beschwören hingegen ununterbrochen den Feind und dessen widerwärtige Umtriebe und mahnen zu Achtsamkeit. Das öffentliche Gespräch findet unter Genossen einer kämpferischen Gesinnungsgemeinschaft statt, es ist ein Selbstgespräch. Es gibt keinen Dialog mehr, obgleich ununterbrochen beteuert wird, wie notwendig das Gespräch sei. Darüber sind der Parlamentarismus und mit ihm die debattierende Öffentlichkeit in eine Krise geraten, überall in der westlichen Wertegemeinschaft. Kein Wertebewußter hält sich mehr an die Spielregeln des Wettbewerbes. Es geht um Macht, um ausschließliche Macht, den Konkurrenten
als Feind zu erledigen. Im Parlament stehen sich nicht verschiedene, gleichberechtigte Gruppen gegenüber.
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Den Sieger im Wettbewerb – etwa Präsident Donald Trump – wollen die Unterlegenen, die mit ihrer Niederlage nicht fertig werden, kriminalisieren und als Feind um seine amtliche Würde und sein persönliches Ansehen bringen.
Das britische Parlament erweist sich als unfähig, eine sachliche Frage, wie den Austritt aus der EU, befriedigend zu lösen.
Überall in der westlichen Wertegemeinschaft kämpfen Feinde gegen Feinde. Demokratien werden zu Veranstaltungen der Unversöhnlichkeit und der Friedlosigkeit, nicht zuletzt weil die Führer der aufgeregten Massen – Journalisten, Politiker, Professoren, Bischöfe und Sinnstifter in Verbänden und NGOs – jeden Widersacher als Feind einschätzen, und sich weigern auf seine Argumente einzugehen.
Die streitlüsternen Demokraten brauchen Freunde der Freiheit, um sie vor sich selber zu schützen. Ohne vernünftige Freiheit erleiden die wehrhaften Demokraten das gleiche Geschick wie die nach Walhall aufbrechenden Götter Wagners: „Ihrem Ende eilen sie zu / die so stark im Bestehen sich wähnen“, wie der scharfsinnige Systemkritiker Loge ihnen nachrief, den neunmalklugen Betrügern und subjektiven Wertesetzern, die ihre Götterdämmerung vorbereiteten, ihren schmählichen Untergang
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15.11.2019, Eberhard Straub, „Der Widersacher wird zum Feind“,
Junge Freieit 47/19, Seite 13
Zwei Leserbriefe:
Liberaler Nachhilfeunterricht zu Alexis de Tocqueville
Herzlichen Dank für diese glänzende Interpretation von Alexis de Tocquevilles Meisterwerk. Möge dieser Beitrag auch von den anderen Autoren Ihrer geschätzten Zeitung zur Kenntnis genommen werden und dazu beitragen, daß dort endlich damit aufgehört wird, den Ausdruck „liberal“ wie selbstverständlich für die zutiefst sozialistische Politik unserer Tage zu gebrauchen. Nicht zuletzt den Autoren der JF möchte ich die nachfolgenden fünf Punkte zur Gedankenanregung geben:
Erstens: Liberalismus ist kein dehnbarer Begriff, sondern ein scharf definiertes Prinzip. Es besagt: Kanalisiere Gewalt nach einem Gesetz, unter dem „jedermanns Willkür mit der von jedermann vereint werden kann“ (vgl. Immanuel Kant: „Metaphysik der Sitten, 1. Theil: Rechtslehre).
Zweitens: Liberalismus ist demokratieindifferent! Demokratie ist lediglich ein Mittel, um blutige Revolutionen zu vermeiden, nicht aber das Ziel liberaler Politik (siehe: Johannes Adam v. Liechtenstein, „Der Staat im 3. Jahrtausend“ und Ludwig v. Mises: „Liberalismus“).
Drittens: Liberalismus ist nicht Pazifismus, sondern fordert die Anwendung von Gewalt gegen Diebstahl und Vertragsbruch (vgl. David Hume: „A Treatise of Human Nature“, Book III, Part II).
Viertens: Liberalismus ist das Gegenteil von Sozialismus – und nicht von Konservatismus. Das Gegenteil von „konservativ“ ist „progressiv“ (Buchtip: Friedrich von Hayek, „Die Verfassung der Freiheit“).
Fünftens: Es gibt keinen Sozialliberalismus. Ausdrücke wie „linksliberal“ und „sozialliberal“ sind Produkte sozialistischer Politstrategen, um bürgerliche Parteien zu unterwandern. Sie sind wegen ihrer Paradoxie intellektuell anrüchig und gehören in keine Zeitung, die ihr Leserpublikum ernst nimmt und ernst genommen werden will (siehe auch: Oliver Janich, „Das Kapitalismuskomplott – Die geheimen Zirkel der Macht und ihre Methoden“, Finanzbuch-Verlag).
28.11.2019, Janina Xiao, Tübingen, JF, Seite 28
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Freiheit schließt Demokratie aus
Das Spannungsfeld zwischen Demokratie und Freiheit löst sich nicht auf dem Wege ihrer Quadratur mit Vernunft und Toleranz. Sarastro ist ein Tugendterrorist, der den am Ende blutigen Jakobinismus der Inhaber des Deutungsrechts antizipiert. Das genau war doch Tocquevilles Problem, die Einsicht, daß Demokratie und Freiheit nicht im Sinne zweier paralleler (zeitgleicher) Maxima verwirklichungsfähig sind. Demokratie schließt Freiheit letztkonsequenzlich notwendig aus, weil intellektuelle Defizienz regelmäßig einen höheren Verbreitungsgrad hat als höhere Urteilskraft.
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Die fundamentaldemokratische Sakralisierung des 1:1-Mitspracherechts aller, also auch der überwiegenden Mehrheit der Inkompetenten, ist ein systemisches Opfer, das dem Grundverständnis der Demokratie geschuldet ist. Wie wir schon seit der Antike wissen, pflegen Demokratien im Verlauf ihres Bestehens zu verpöbeln oder zu oligarchisieren, oder beides zugleich. Schon deshalb sind freiheitliche Idealvorstellungen, die von einer Versöhnungsmöglichkeit mit der Demokratie träumen, wirklichkeitsfremd. Letztes Ziel auch der Demokratie ist nicht Freiheit, sondern Macht. Die Zahl der Anhänger respektive Befürworter, also derer, die ihre Stimme einer bestimmten politischen Observanz geben, bestimmt am Ende, welche Gesinnungsgenossenschaft tonangebend sein soll.
Die gegenwärtige deutsche Wirklichkeit liefert für diese Mechanismen ein überzeugendes Exempel. Immer wieder wird die Frage gestellt, was es für eine Gesellschaft ist, die sich so lange von „dieser Kanzlerin“ regieren läßt. Nun, diese Kanzlerin hat nur das demokratische Instrumentarium genutzt. Sie hat sich nur auf ihre demokratische Legitimation zu berufen brauchen. Wenn auch die Wahlergebnisse im Laufe ihrer Regierungszeit zunehmend kläglicher ausgefallen sind, ist die Herrschaft nicht in Gefahr geraten. Dafür haben demokratische, mit freiheitlichen Idealvorstellungen inkompatible Spielregeln gesorgt, also vorrangig die Möglichkeiten eines beliebigen Koalitionsschachers. Wir sehen hieran, daß „Freiheit“, „Vernunft“, „Toleranz“ und verwandte Idealismen mit demokratischer Wirklichkeit nichts zu tun haben. Nicht zufällig fand Schopenhauer die deutsche Nation ihrer überschwenglichen Dummheit wegen verachtungswürdig.
28.11.2019, Peter Pietschmann, Blaustein, JF