Konservatismus

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Herbstmorgen bei einer Obstbaumwiese am Fuß des Schwarzwaldes 13.10.2022

Die Liebe – auch die der Konservativen
„Jeder liebt sein Land, seine Sitten, sein Weib,
nicht weil sie die besten auf der Welt,
sondern weil sie die bewährten Seinigen sind,
und er in ihnen und und seine Mühe selbst liebt“
Johann Gottfried Herder (1744 – 1803)
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Jordan Peterson: „12 Rules for Life“ und „Konservatives Manifest“
Ethische Tour de force
Der kanadische Psychologe Jordan B. Peterson hat ein „Konservatives Manifest“ vorgelegt: Wertevermittlung mit etwas naivem Mut und gesundem Menschenverstand
Der frühere kanadische Psychologieprofessor Jordan B. Peterson ist heute einer der weltweit bekanntesten konservativen Intellektuellen. Das war ihm nicht in die Wiege gelegt. Peterson ist in einem kanadischen Provinznest aufgewachsen, wo sein Vater Bibliothekar an einem kleinen College war, was Petersons spätere Liebe zu den großen Autoren aus Weltliteratur und Philosophie (Dostojewski, Nietzsche, Jung) erklären könnte. Nach seiner Promotion in Psychologie an der renommierten McGill-Universität in Montreal war Peterson einige Jahre lang Assistenzprofessor in Harvard, wo er sich mit Drogen- und Alkoholmißbrauch in Familien beschäftigte, um schließlich zur Jahrtausendwende zurück nach Kanada zu gehen, wo er in Toronto an der dortigen Universität dann Lehrstuhlinhaber im Fach klinische Psychologie war, was er bis 2021 blieb.
Ein Mann mit einem solchen Lebenslauf ist nicht prädestiniert, einer der konservativen Vordenker in der angelsächsischen Welt zu werden – und lange war Peterson das auch nicht. Lange hat er wie seine akademischen Kollegen brav Fachartikel und Bücher geschrieben, die ihn in der engen Welt seines Faches ins Gespreäch brachten, mit denen er aber kein größeres Publikum erreichte.
Dann veröffentlichte Peterson 2018 den Ratgeber „12 Rules For Life: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt“, der ihn schlagartig bekannt machte. Nun gibt es Selbsthilfe-Ratgeber wie Sand am Meer, und die meisten verschwinden bald wieder in der Versenkung. Petersons erstes Buch aber hat sich millionenmal verkauft und ihn weltberühmt gemacht. Plötzlich war der kanadische Psychologieprofessor weltweit ein gefragter Interviewpartner und Vortragsredner und Betreiber eines Youtube-Kanals, der sechseinhalb Millionen Abonnenten hat – mehr als Spiegel und Bild-Zeitung zusammen.
Auf den ersten Blick ist der Erfolg der „12 Rules For Life“ ein bißchen überraschend, wenn man sich anschaut, was diese zwölf Lebensregeln eigentlich besagen. Peterson teilt seinen Lesern nämlich keineswegs tiefe und neue Einsichten mit, sondern bietet Erkenntnisse, auf die jeder selbst kommen könnte: „Sag die Wahrheit“, lautet Regel Nr. 8, „Drück‘ dich klar aus“, sagt Regel 10, und „Tu Dinge, die Sinn haben“ besagt Regel 7. Aber es ist weniger der Wortlaut dieser im Tonfall von Benjamin Franklin und Dale Carnegie verfaßten Lebensregeln als die Verve und pure Überzeugung, mit der Peterson schreibt und spricht, die seine Leser begeistern. In einer sophistischen Welt relativistischer Wohlfühlethiken, in der positive Wahrheiten nicht zugelassen sind und alles in Leben, Gesellschaft und Politik ex negativo begründet wird, sagt da einer klar und bündig und mit Worten, die in ihrer apriorischen Schlichtheit von den amerikanischen Gründervätern stammen könnten, was gut, richtig und erstrebenswert ist.

Nach einem Buch mit zwölf neuen Lebensregeln („Beyond Order“) hat Peterson aktuell ein „Konservatives Manifest“ veröffentlicht, in dem er auf einige Dutzend Seiten kurz und knapp darstellen will, woraus konservatives Denken heute besteht und wie es sich begründen läßt. Peterson beginnt sein Büchlein mit der Feststellung, daß die Menschen der westlichen Welt, ihre Gesellschaften und Institutionen derzeit von einer tiefgreifenden Sinnkrise erschüttert würden. Die Wurzeln dieser Sinnkrise liegen im Zweifel an allen Werten, der Ignoranz gegenüber ihrer geschichtlichen Entstehung und dem daraus resultierenden Willen zur Macht, der zur alleinigen Triebkraft einer Gesellschaft wird, die Werte und Glaubenssätze aufgegeben hat.

Das ist guter, später Nietzsche, den Peterson erkennbar gründlich gelesen hat. Aber im Gegensatz zu Nietzsche, der den Willen zur Macht in einer säkularen Gesellschaft, wenn überhaupt, dann durch hochtalentierte „Übermenschen“ überwunden sieht, will Peterson Lösungen für all jene anbieten, „die versuchen, an den traditionellen Werten unserer Vergangenheit festzuhalten und einen unerschütterlichen Glauben an sie demonstrieren“. Er will also lange aufgegebene Werte wieder etablieren. Welche Werte sind das? Peterson nennt Demut, Freiheit, Autonomie, Wahrheit, Handlungsfähigkeit, Identität, Leistung, Verantwortung, Tradition, Gemeinschaft, Schöpfungsverantwortung, Gerechtigkeit und Einigkeit – und begründet dann jeden einzelnen im Hauptteil seines Manifests.

Überraschend an dieser ethischen Tour de force ist, daß Peterson die von ihm propagierten Werte nicht mit dem Rekurs auf organische Kollektivgebilde (Nation, Volk, Staat) erklärt oder sie, wie Edmund Burke, auf historisch gewachsene Institutionen zurückführt, was Konservative normalerweise tun, sondern sie mit dem „ehrlichen und ungehinderten Diskurs unter Männern und Frauen“ begründet – eine Aussage, die auch von Habermas stammen könnte. Überhaupt argumentiert Peterson oft weniger von einem typisch konservativen als einem libertären Standpunkt her. Das Kurzkapitel „Leistung“ beginnt mit der Feststellung, daß „die Fähigkeiten der einzelnen Menschen sehr unterschiedlich sind“, und erklärt dann, daß diese unterschiedlichen Fähigkeiten am besten durch „freie Entscheidungen der Akteure auf freien Märkten zustande kämen, wodurch Fortschritt und Wohlstand entstünden“. Das sind alles zutreffende Feststellungen, die man allerdings genauso auch bei Ludwig von Mises oder Friedrich von Hayek lesen kann.
Aber Peterson argumentiert keineswegs immer wirtschaftsliberal: Armut und Ungleichheit hält er für naturgegeben, weshalb die Antwort darauf weder mehr Markt noch Umverteilung sein kann, sondern Duldsamkeit der Schwachen und mitfühlende Humanität der Starken, die fürsorglich, großzügig und wohltätig sein sollen.
In einem großangelegten Fazit will der Kanadier aber nicht nur Moralprinzipien aufstellen, er will auch lebenspraktische Ratschläge erteilen. Ehe, Familie und Freundschaft sind für ihn die Institutionen, die den Mittelpunkt eines gelungenen Lebens bilden, das dann mit einer sinnvollen Beschäftigung und zivilem Engagement ausgefüllt werden muß – nur so stellt sich Erfolg ein.
Jordan B. Peterson steht in diesem Konservativen Manifest manchmal kurz davor, in den Ton einer calvinistischen Sonntagspredigt zu verfallen, aber sein schierer gesunder Menschenverstand und sein fast schon naiver Mut, vergessene, verachtete und verpönte Tugenden in den Mittelpunkt einer konservativ-freiheitlichen Grundordnung zu stellen, die auch junge Menschen begeistert, macht ihn zu einer Ausnahmegestalt und dieses Manifest zu einem außergewöhnlichen Buch.

Jordan Peterson: Konservatives Manifest.
Fontis Verlag, Basel 2023, gebunden, 88 Seiten, 15,90 Euro

… Alles vom 24.3.2023 von Markus Brandstetter bitte lesen in der JF 13/23, Seite 32

Kindergewalt und Tugenden (2.3.2023)

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Konservative und Progressive
Lieber der fehlbare als der neue Mensch
Von Axel C. Knappmeyer.
Anders als der Linke weiß der Konservative, dass der Mensch fehlbar ist und auch nicht beliebig geformt werden kann. Er leugnet die natürlichen Unterschiede nicht, sondern versucht, ehrlich damit umzugehen und das Beste daraus zu machen.
Wie es die Disziplin der Philosophie vorschreibt, werde ich allgemein über Begriffe referieren müssen.
Als Erstes über, was sonst, „konservativ“ an sich, und dafür wandle ich die Ausgangsfragestellung leicht um: Woher stammt der Begriff konservativ?
Er entstammt dem Lateinischen „conservare“ und wird mit „bewahren, erhalten“ ins Deutsche übersetzt. Man spricht auch gern von Tradition, von einer Überlieferung von Sachen und Taten, die sich offensichtlich bewährt haben, die man auch gern als Üblichkeiten bezeichnen kann: Das hier, das ist einfach so. Ich muss es nicht infrage stellen, zusammen mit denjenigen, die diese Tradition vermitteln / vermittelt haben.
Daraus resultiert ein Zustand von Gewissheiten, die in Summe einer immens großen Alltagsentlastung gleichkommt und eine existenziell notwendige Ordnungsleistung darstellt. Denn ich kann und will nicht jeden Moment des Alltags immer wieder als einen „neuen“ erleben: ich weiß, was mich erwartet, denn ich verlange nach Gewissheit, um in Sicherheit in Freiheit zu leben. Könnten Sie sich ein Leben, das diese Erwartungssicherheiten ausschließt, vorstellen? Ich nicht. Und aufgrund meiner Lebenserfahrung und nach häufig zufälliger und dann ausgesuchter Lektüre verschiedenster philosophischer Autoren behaupte ich einfach:
Jeder Mensch ist und denkt zuletzt konservativ – philosophisch verstanden. Das Zitat des liberal-konservativen Philosophen Hermann Lübbe bringt es auf den Punkt: „Tradition gilt nicht wegen ihrer erwiesenen Richtigkeit, sondern wegen der Unmöglichkeit, ohne sie auszukommen.“ Wie es bereits in der Einladung lautet: „Die Beweislast hat der Veränderer“ (Odo Marquard).

Der Mensch ist von Natur aus ein fehlbares Lebewesen
Diese Erkenntnis ist geradezu banal: Jeder will etwas bewahren, will, so gut es gelingt, einfach sichergehen, um möglichst angstfrei zu leben. Weshalb verhält es sich so? Diese Frage möchte ich mit dem nächsten Begriff aus der philosophischen Mottenkiste beantworten: Natur.
Mit Natur, sage ich, versteht das konservative Denken die Natur des Menschen an sich, die schlicht und ergreifend in ihm aufbewahrt und nicht zu tilgen ist: Der Mensch ist ein fehlbares Lebewesen. Er möchte es oft genug nicht sein, er ist es aber. Und bleibt es. Ich zitiere dazu als meinen Anwalt Immanuel Kant: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden. Nur die Annäherung zu dieser Idee ist uns von der Natur auferlegt.“
Und der fundamentalste Naturzustand, der im Menschen konserviert ist, das ist der des reflektierten Bewusstseins vom Tod: Ich werde sterben. Angesichts dieser im Prinzip aussichtslos-trostlosen Zukunft wäre es nicht verwunderlich, dass alle verzweifelten, dass das Leben keinen Sinn ergibt ­– alles egal. Dass dies nicht der Fall ist, beweisen wir – so einfach, so illustrationsmächtig – heute durch unsere Gegenwart. Würde die Verzweiflung obsiegen, wären wir nicht da. Was verdeckt nun diesen „Abgrund des Endlichen“, was spendet uns Hoffnung? Gibt Zuversicht? Der entgegengesetzte Anteil von Natur und dem Bewusstsein des Todes: Es ist das Ich, das leben will: Ich glaube an das Leben, es ist mir heilig.
Auch wenn jeder von uns, salopp gesagt – aber es ist nun mal die Wahrheit –, unfreiwillig geboren ist, spendet uns die Natur erneut, sozusagen aus Ausgleich, oder Geschenk (oder Bürde?), etwas Besonderes, etwas exklusiv Menschliches: die Vernunft, den Intellekt und den freien Willen – um sich z.B. fortpflanzen zu wollen – oder auch nicht. Freilich sind die meisten so vernünftig und tun es: Sie fühlen, dass sie es wollen – und wollen auch, weil es sich gut, sich richtig anfühlt.

Unser Gegner lässt sich als „der Gute“ abfeiern
Aber Vernunft, Intellekt und freier Wille führen nicht natürlich ins Gute, Schöne und Wahre, sondern, wie jeder weiß – dazu genügt der oberflächlichste Blick ins Geschichtsbuch oder aus dem Fenster, oder auch gern mal in den Spiegel – häufig ins Gegenteil, in das Böse, Hässliche und Falsche. Siegt das Böse, wird es siegen? Nein:
„Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen“, soll der irisch-britische konservative Vordenker Edmund Burke gesagt haben. Und dies ist meines Erachtens das Zentrum des konservativen Denkens: Ja, es gibt Gut und Böse, für immer, aber man kann etwas gegen das Böse tun.
Wichtig, sei daran erinnert: 1.) Der Konservative ist gewiss nicht der bessere, der gute Mensch. 2.) Was für grauenhafte Verbrechen wurden und werden im Namen des oder besser irgendeines Konservatismus XYZ begangen. Aber wir sollten uns dennoch auf das konservative Denken besinnen, dem dann natürlich (!) auch Taten zu folgen haben.
Was ist nun konservatives Denken? Weiß ich nicht, wer oder was ich bin, frage ich mein Gegenüber und werfe deswegen nun einen Blick ins Denken des politischen Gegners, der seinen Gegner, uns, eben als konservativ, rechts – also Nazi – diffamiert. Unser Gegner ist, wie er es selbst stolz und lautstark von sich gibt, der Linke: der Gute, der er doch sein will – und als der er sich abfeiern lässt.

Linke lieben die Menschheit, verachten aber den Menschen
Der Linke agiert selbstgerecht mit einer Aura aus Arroganz und Alleinherrschaftsanspruch. Er inszeniert sich als der „megatolerant-linksseiende“ Zimmermann mit seiner woken Bauplanwirtschaft, der sich anmaßt, das krumme Holz – siehe Immanuel Kant – dann doch noch schnell kerzengerade hobeln zu können. Mister „Perfect World“ ist bekanntlich unbeirrbar davon überzeugt, dass nach seiner glorreichen letzten Revolution all das, was für ihn konservativ oder rechts ist, also Heimat, das Christentum, Religion, Gott generell, Gesetze, Eigentum, Sitten, Hierarchie, Familie, Verhandlung, Kompromiss, Regierung, Institutionen und, klar: Marktwirtschaft = Kapitalismus weg„erzogen“, weg„therapiert“, liebend gern auch weg„geschlossen“ oder, als ultima ratio, vom nützlichen Idioten weg„geschossen“ sein wird. Dann wird der und das Konservative für immer verschwunden sein und das Ende der Geschichte erreicht, wo die Sonne immer scheint.
Dafür müssen halt nur die richtigen Leute am Schalthebel der Macht sitzen – wie es Henry L. Mencken, USA, richtig erkannte und linkes Denken pointiert entlarvte: „Der unbedingte Wille zur Rettung der Welt ist zumeist nichts anderes als der unbedingte Wille zur absoluten Macht.“ Linke lieben die Menschheit, verachten aber den Menschen.
Und vor allem den Familienmenschen, denn die Brutstätte alles Bösen ist, der Klassiker: die Familie. Was ist Familie?

Die perfekte Familie gibt es nicht
Ab dem ersten Lebenstag sind wir unfreiwillig einfach dort, wo wir sind: Einst sprach man vom Clan, vom Stamm, gar Blutsbande, jetzt sprechen wir von der Familie. Wie schwierig und teils verdammt tragisch sich ein Familienleben auch gestaltet und egal, als was der kleinste Menschenverbund der Welt genannt oder diffamiert wird: Ein Neugeborenes wird mit hoffentlich bedingungsloser Liebe in diese Welt aus- und eingeführt, und zwar primär entlang der jeweiligen Familientraditionen.
Das vertraute Eigene ist der Maßstab für die ersten Lebensjahre eines jeden Menschen, der ein Leben lang nachwirkt. Das Kind erfährt das, was die Familie als Teil dort am Ort auf der Welt, wo sie lebt, selbst erleben musste, konnte und wollte. Was dort konserviert ist, sich bewährt hat. Wichtig: Das Fehlbare bleibt natürlich (!) auch in dem „Phänomen Familie“ anwesend. Die perfekte Familie gibt es nicht.
Aber natürlich (!) weiß sich der Mensch nicht hilflos der Natur, dem Fehlbaren, dem Tod ausgeliefert, denn in unserer Menschennatur ist ebenfalls angelegt, einmal die eigene, die innere Natur als auch die, die uns Menschen umgibt, also unsere Lebensumwelt zu beeinflussen, sie zu formen. Der Mensch errichtet Kulturen und handwerkelt sich damit sein künstliches Umfeld zurecht. Und jede Familie ist nämlich sowohl die Ursache als auch Folge der Kultur von den am jeweiligen Ort ansässigen Menschen. Ob diese Kultur nun wahr oder falsch, gut oder böse, das sei erst einmal so dahingestellt, nur dass die Familie an sich nichts genuin Böses ist – auch wenn die eigene gescheitert sein sollte.

„Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein“
Das bringt uns zu dem Begriff der Kultur: Die unfreiwillige Geburt in eine Familie hinein ist, wie erwähnt, das natürlichste Phänomen – auf der ganzen Welt. Allerdings mit dem banalen und ebenso nicht zu tilgenden offensichtlichen Unterschied, dass es auf der Welt extrem differente Orte, diverse Klimazonen, Naturbeschaffenheiten und es deswegen differente Gesellschaften und somit sehr viele Kulturen – mit Familien – gibt. Und jede Kultur ist für sich, na was wohl: konservativ, weil sie nun einmal aus Menschen besteht, die sich, wie erläutert, millionenfach Erwartungssicherheiten wünschen, startend mit der Familie, und die sich diese Sicherheitern dann auch geben. Sonst wäre die Welt – von Natur aus – eine Monokultur, was sie unübersehbar eindeutig nicht ist. Nein, sie ist tatsächlich „multi“-kulturell. Und Multi gibt es nur durch Unterscheidung, Abgrenzung, Trennung – was einen weiteren Begriff ins Spiel bringt, der mir für das konservative Denken zentral scheint: Diskriminierung.
Eine konservativ-humanistische Bildung kann nützen: lat. discriminatio = dt. für Scheidung, Absonderung. So sieht’s nämlich überall aus, Zitat Michael Klonovsky: „Natürlich ist jede Kultur diskriminierend, sie könnte sonst nicht existieren.“ Denn „wer für alles offen ist, der kann nicht ganz dicht sein.“
Menschliche Gesellschaften/Kulturen sind von Natur aus exklusiv: Sie gewähren nur den Insidern Privilegien und Vorteile. All dies kann nicht nach Belieben und in blinder Liebe fürs Fremde an alle Ankömmlinge verschenkt werden, ohne dabei das Vertrauen zu schädigen, auf dem eine soziale Harmonie, eine Kultur, ein Staat sich aufbaut, sich erhält und sich weiterentwickelt – nicht zurück.
Und jede Kultur dieses Planeten, ob in einem oder als ein eigener Staat, nimmt sich ihr Recht, sich zu erhalten – wieso auch nicht? Somit gibt es auch eine deutsche Kultur: Üblichkeiten, Ähnlichkeiten, Sitten, Gebräuche, die es, trotz aller lokal-regionaler Eigenarten – zum Beispiel Niederrhein versus Ostfriesland – einem Individuum ermöglicht, zu sagen: Ich bin Deutscher und lebe und arbeite (!) in einer Bundesrepublik, in der die dafür nötigen Institutionen die konkrete Verkörperung von Verpflichtungen und Freiheiten unter Fremden darstellt. Ich kann ja auch nicht alle kennen – und will ich auch gar nicht. Mich will ja auch nicht jeder als Nachbar haben. Ich bleibe aber ein Deutscher.

Jede Kultur muss kritisiert werden
Was ist denn dann deutsch? Eine schon lang andauernde Debatte wird uns zu Antworten zwingen: Sofern Deutschland ein Einwanderungsland werden soll, muss man sich doch recht simpel fragen: In was will denn da jemand einwandern? Von Welt nach Welt – oder von Nichtdeutschland nach Deutschland, das Land mit seiner wertvollen und zugleich fragilen FDGO? Oder wandern am Ende alle Erdenbewohner so lange irgendwo ein und aus, bis es nur noch „Eine Welt“ gibt? Zumal der Einwanderer garantiert „diskriminieren“ und sehr genau hinschauen wird, wohin, besser, worein er zu immigrieren gedenkt.
Und der Konservative diskriminiert, er verteidigt und verbessert auch natürlich (!) seine Kultur. Ja, er kritisiert die eigene, weil ewiger Stillstand ebenso irrational ist wie ewiger Friede, soll mir dazu der Freiherr zu Guttenberg (CSU) sekundieren: „Weder hat es gestern die gute alte Zeit gegeben, noch wird es morgen die bessere Welt geben.“ Der Konservative kritisiert aber auch andere Kulturen, sage ich als der konservative Kulturchauvinist, der ich bin, denn „wenn andere Kulturen nicht kritisiert werden dürfen, kann man die eigene nicht verteidigen“, sprach es aus dem linksliberalen Carlo Strenger.

Kein Staat kann die ganze Welt retten
Eine Idee von Nation als Schicksalsgemeinschaft und Sinnstifterin durch Blut und Boden ist meines Erachtens eine schwachsinnige, eine wahnhafte Idee, die ich ablehne. Und ich erwarte von einer Nation weder schnuckelige Nestwärme noch irgendeine höhere metaphysische Vollendung. Dennoch bin ich, wie der – Achtung! – linke Philosoph Jean Améry, ich zitiere: „immer noch überzeugt, dass man Landsleute in Dorf- und Stadtstraßen haben muss, wenn man der geistigen ganz froh werden soll, und dass ein kultureller Internationalismus nur im Erdreich nationaler Sicherheit recht gedeiht. Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben.“
Dies sollten sich Konservative wieder in Erinnerung rufen und sich offensiv darauf berufen. Dem fehlbaren Menschen, all unseren Landsleuten fehlte sonst das, was ich versucht habe zu erläutern und der konservativen Menschennatur entspricht: meine Heimat, die ich verteidige. Ja, die auch willkommen heißt – aber nicht alles und jeden toleriert. Die gesamte Welt aufzunehmen oder sie gar retten zu wollen – das schaffen wir nicht. Das schafft kein Staat dieser Welt. Und kein Staat würde dies wollen. Und das sollten wir als Deutsche ebenfalls so handhaben.
Zuletzt weiß der Konservative, dass die Linke, dass das linke Denken niemals verschwinden wird, denn auch dieses Denken ist Teil menschlicher Natur und muss toleriert werden. Somit ist der Konservative übrigens toleranter als sein politischer Gegner. Ich freue mich also auf weitere, hoffentlich zivilisierte politische Debatten in einem demokratischen Wettbewerb um Macht auf Zeit, bei dem am Ende die Kraft des stärkeren Arguments und dann der Wähler entscheidet.
… Alles von 5.1.2023 von Axel C. Knappmeyer bitte lesen auf
https://www.achgut.com/artikel/lieber_der_fehlbare_als_der_neue_mensch
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Axel C. Knappmeyer studierte an der Folkwang Jazzsaxophon, überlebte als Quereinsteiger in Düsseldorf das Referendariat für Gy/Ge und unterrichtet nun Musik und Praktische Philosophie an einem Gymnasium am Niederrhein. Dieser Beitrag ist die leicht gekürzte Version eines Vortrags, den er vor der Mönchengladbacher CDU gehalten hat

 

Berliner Bibliothek des Konservatismus (BdK) 10 Jahre
Hoffnungsvoll auf Sieg spielen
Heiterer Pessimismus beim Festakt: Mit gehaltvollen Podiumsdiskussionen feierte die Berliner Bibliothek des Konservatismus ihr zehnjähriges Gründungsjubiläum
Florian Werner

Konservative Bildung sei wie der Acker, auf dem politische Erfolge wüchsen, erinnert der Journalist Marco Galina an diesem Herbstnachmittag die versammelte Festgesellschaft. Gefeiert wird das zehnjährige Bestehen der Bibliothek des Konservatismus (BdK) in Berlin. Und tatsächlich – es ist Erntezeit. Die Blätter auf den Straßen nahe dem Bahnhof Zoo leuchten in satten Gold- und Rottönen. Die Sonne bricht immer wieder kraftvoll durch die spärliche Wolkendecke am Himmel. In Schweden und Italien haben konservative Bündnisse Parlamentswahlen gewonnen. Und mit dem jüngsten Erfolg der AfD in Niedersachsen wird die Frage nach Rolle und Einfluß politischen Konservatismus in Deutschland wieder lauter. Anlaß zu einer Bestandsaufnahme.

Dabei steht noch manch dunkle Wolke am Horizont. „Wir stehen am Ende von 2.000 Jahren Zivilisation – unsere Kultur stirbt.“ Die Mahnung des niederländischen Rechtsphilosophen Andreas Kinneging hallt warnend durch den Lesesaal der BdK. Doch die hoffnungsvolle Atmosphäre des Tages überwiegt Zweifel der versammelten Festgesellschaft wegen der politischen Großwetterlage. Kassandrarufe wie die des Hochschullehrers aus dem niederländischen Leiden scheinen die Hochstimmung der etwas mehr als 80 geladenen Gäste nicht zu trüben. Im illustren Publikum gesichtet werden der Bestsellerautor Thilo Sarrazin, die Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek und Ulrich Vosgerau. Eine Stimmung des „heiteren Pessimismus“ à la Friedrich Nietzsche liegt in der Luft.
„Das eigentliche Lesen ist die Sammlung auf das, was ohne unser Wissen einst schon unser Wesen in den Anspruch genommen hat, mögen wir dabei ihm entsprechen oder versagen“, sagt Heidegger in seiner Schriftensammlung „Aus der Erfahrung des Denkens“. Zwischen den Bücherregalen das Schicksal der abendländischen Kultur erspüren, um es zum Besseren zu wenden – das scheint in lockerer Anlehnung an den Philosophen von „Sein und Zeit“ die Devise an diesem Geburtstag zu sein.

Seminare für Studenten, hochkarätige Vortragsabende
„Wir müssen Traditionskompanien bilden“, unterstreicht der Historiker Karlheinz Weißmann in einem Redebeitrag, „und die manchmal sehr schwere Entscheidung treffen, was wir von unserer Kultur retten wollen“. Das sei nicht zuletzt auch der besondere Sinn der Bibliothek des Konservatismus, die im November 2012 ihre Tore für den Besucherverkehr öffnete. Dies wurde auf der Tagung mehrfach bekräftigt: Europaweit ist die BdK ein Unikum. Es gibt in keinem anderen europäischen Land eine vergleichbare Einrichtung, die derart umfassend den Kosmos konservativer Geistesgeschichte in über 35.000 katalogisierten Werken zugänglich macht.
Nach dem Festvortrag von Andreas Kinneging sitzen neben diesem auf dem ersten Podium Karlheinz Weißmann sowie die Althistoriker Egon Flaig und David Engels, als Moderator Bibliotheksleiter Wolfgang Fenske. „Längst ist die Bibliothek zu einem Kristallisationspunkt des Konservatismus in Deutschland geworden“, freut sich letzterer zuvor in seinem Grußwort an die Runde, in der tatsächlich so ziemlich alles sitzt, was im konservativen Deutschland Rang und Namen hat.

Nach zehn Jahren Publikumsverkehr biete die BdK nicht nur studienbegleitende Seminare, hochkarätige Abendveranstaltungen – in den kommenden Wochen etwa mit vieldiskutierten Schriftstellern wie Uwe Tellkamp und Michael Klonovsky –, Seminare für Studenten und eine eigene akademische Schriftenreihe an. Mit den beiden Podcasts „Katechon“ und „Forum“ sei sie mittlerweile auch im digitalen Raum angekommen und erreiche noch mehr junge Interessenten. „Kein Hort musealer Verklärung“, sondern „ein Ausgangspunkt für Debatte und Aktion“ solle die BdK sein, betont auch JF-Chefredakteur Dieter Stein als Vorsitzender des Stiftungsrates der die BdK tragenden gemeinnützigen Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung (FKBF) in seiner Dankesrede.

Dabei könne sich heute kaum noch jemand vorstellen, „unter welch abenteuerlichen Bedingungen die Gründung der Bibliothek damals vonstatten ging“. Die ursprüngliche Idee zur Bibliotheksgründung sei 2007 aus einem Gespräch zwischen Stein und dem FKBF-Gründer Caspar von Schrenck-Notzing entstanden – „einem der wichtigsten konservativen Publizisten der deutschen Nachkriegszeit“, so Stein. Schrenck-Notzing habe sich damals gefragt, was in Zukunft aus seiner mehr als 15.000 Bände umfassenden privaten Forschungsbibliothek werden solle. Daraus entstand schließlich der Plan, die einmalige Sammlung für politische Bildungsarbeit im konservativen Milieu zu erhalten.

Doch zunächst wurden die Bücher ab 2009 behelfsmäßig in Räumlichkeiten der JUNGEN FREIHEIT zwischengelagert, denn weder das Personal noch eigene Räume schienen für die Bibliothek damals in Sicht. Für Stein war es daher eine mutige Entscheidung von BdK-Leiter Wolfgang Fenske, sein Pfarramt für das Projekt aufzugeben und sich ganz dem Aufbau der Bibliothek zu verschreiben.

Doch nicht nur die Bibliothek in der Fasanenstraße unweit des Bahnhof Zoo wurde anläßlich dieses Jubiläums gewürdigt. Neben einer eher philosophisch gehaltenen Diskussionsrunde wurde auch der aktuelle Stand konservativer Politik eingehend diskutiert. Für alle Beteiligten stellte sich die nachdenkliche Frage: Ist der jüngste Wahlsieg Melonis in Italien nur ein Strohfeuer oder Anzeichen eines generellen Trendwechsels?

Die Katastrophen der Zeit mit einem Augenzwinkern begleiten
Kämpferische Grüße aus dem europäischen Ausland überbrachte auch der Herausgeber der in Budapest hergestellten Zeitschrift The European Conservative, Mario Fantini. Die Wähler in westlichen Ländern würden von konservativen Parteien keine Kompromißhaltung mehr sehen wollen, sondern stärkere Prinzipientreue, so Fantini. Mit den Worten des katholischen Schriftstellers Gilbert Chesterton erinnerte er daran: „Es werden noch Schwerter gekreuzt um den Satz zu verteidigen, das zwei und zwei vier ergeben.“
Der ehemalige ungarische Botschafter in Deutschland und der Schweiz Gergely Pröhle gemahnte bei so viel Kampfeslust zur Besonnenheit. Politik beruhe immer auch auf Kompromissen mit anderen Parteien. „Man muß sich daran gewöhnen, mit jemandem am gleichen Tisch zu sitzen, den man nicht unbedingt zum Bier einladen würde“, gab er zu bedenken.
Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt schließlich versuchte in seinem Wortbeitrag, derlei Widersprüche zwischen Fundamentalopposition und Annäherung an den Mainstream im konservativen Lager durch Verweis auf die Notwendigkeit einer ironischen Weltsicht zu versöhnen. Konservative müßten die Katastrophen der Zeit mit einem Augenzwinkern begleiten, um nicht zu verzweifeln. Auch hier meldete sich der „heitere Pessimismus“ Nietzsches wieder, der auch im Herbst der europäischen Zivilisation noch auf Sieg spielt.

Wie auch immer die Zukunft des Konservatismus in Europa aussehen mag – an den Büchern führt kein Weg vorbei. „Es gibt kein außerhalb des Texts“, mahnt der französische Schüler Heideggers Jacques Derrida. Man muß durch die „kritischen Wälder“ (Herder) hindurch, um dem Verhängnis der abendländischen Kultur auf die Spur zu kommen. Denn wer einen Bogen um die dicken Wälzer und ellenlangen Bände macht, wird selbst irgendwann darin zu finden sein – als abschreckendes Beispiel für die Nachwelt.

Daß die Feiernden im Anschluß an den Festakt noch bis in die späten Abendstunden fröhlich beisammensaßen, darf unterdessen als Beleg dafür angesehen werden, daß die BdK in ihrer ersten Dekade zu einem Ort des lebendigen Austauschs zwischen Konservativen aus ganz Europa geworden ist – ein Grund für Zuversicht.
… Alles vom 14.10.2022 von Florian Werner bitte lesen in der JF 42/22, Seite 16

Bibliothek des Konservatismus, Fasanenstraße 4, 10623 Berlin
https://www.bdk-berlin.org