Diplomatie anstelle von Krieg

Wer in einen Krieg eintritt, muß das Ziel kennen. Welches Ziel ist mit der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und der Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Boden verknüpft? Bis dato ist das Kriegsziel nicht klar definiert. Äußerungen des US-Aussenministers Lloyd Austin in Ramstein „Russland in einem Maße geschwächt sehen, das es dem Land unmöglich macht, zu tun, was es in der Ukraine mit der Invasion getan hat“ und der Außenministerin Annalena Baerbock „Russland ruinieren“ sind zu vage und deuten auf einen lange sich hinziehenden Krieg hin.

(1) Das Völkerrecht gilt: Der Angriff russischer Truppen in die Ukraine verstößt gegen das Völkerrecht. Er ist genauso zu verurteilen wie das völkerrechtswidrige Vorgehen der Nato gegen Serbien im Kosovo-Krieg.

(2) Wendehälse sind wieder „in“: Nach Beginn des Ukraine-Krieges haben sich Politiker wie Medienleute als hurtige Wendehälse entpuppt: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht trotz seiner Ost-Biographie von „Zeitenwende“, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entdeckt einen Irrtum und entschuldigt sich (steht der nächste Irrtum dann beim Putin-Nachfolger an?) und Aussenministerin Annalena Bärbock wechselt von pazifistischen zu brutal-faschistischen Statements wie „Russland ruinieren“ (immerhin ist Russland das größte Land der Erde). Eine Welle von Russenhass und Russland-Bashing geht durch Deutschland.

(3) Überzeugungen zählen:
Nur wenige sind ihren Überzeugungen treu geblieben. So der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi und der Journalist Boris Reitschuster,
Der 93-jährige von Dohnanyi als das letzte noch lebende Mitglied der Regierung Willy Brandt steht weiter zu dessen Entspannungspolitik und spricht sich gegen die Lieferung schwerer Waffen ins Kriegsgebiet aus. Bei Lanz sagt er: „Wir müssen jeden Schritt tun, um uns nicht nur zu bewaffnen, sondern auch zukünftige Kriege zu vermeiden. … Das kann am Ende nur Diplomatie – und wie ich meine, auch das Verständnis nationaler Interessen aller Beteiligten… Wir brauchen auch den Versuch eines Ausgleichs mit Russland – auch nach Putin.“ Mehr dazu unter „SPD-Politiker bei Lanz: Von Dohnanyi warnt vor neuem „großen Krieg““ vom 25.3.2022 auf
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/dohnanyi-lanz-ukraine-krieg-russland-100.html

Der Journalist Boris Reitschuster ist ausgewiesener Russland-Kenner. Er hat 16 Jahre in Russland als Korrespondent gelebt und bereits 2006 in seinem Buch „Putins Demokratur“ den Ukraine-Krieg vorausgesagt. Reitschuster verweist auf die komplizierte Situation (siehe Beitrag „Putin ist Stalin im neuen Gewand“ unten).

(4) Fakten, Fakten, Fakten zählen (Markwort vom Focus):
Der Schweizer Jacques Baud, Delegierter für Menschenrechte bei der NATO in Brüssel und ehem. Oberst der eidgenössischen Armee, hat eine detaillierte Analyse des Ukraine-Konflikts im ‚Centre Français de Recherche sur le Renseignement‘ veröffentlicht (mehr hier). Dabei geht er vor allem auf die russischstämmigen Ukrainer ein und deren Bestreben im Donbass nach Autonomie (Region), nicht aber nach Loslösung als gesonderte Republik.
Gerd Schultze-Rhonhof, Bundeswehrgeneral a. D., zur Gefahr der Ausweitung zu einem Atomkrieg: „Was ist, wenn sich Russland an die Wand gedrängt fühlt? Dann werden sie den US-Stützpunkt in Ramstein/Pfalz bombardieren. Daran hatte Olaf Scholz mit seinem Zögern der Lieferung schwerer Waffen und seiner Warnung vor einem Atomkrieg gedacht.“ Mehr hier:  https://youtu.be/PELCMBKh9Gs

(5) „USA gegen Russland“ ist veraltet
Dieses Diktum bestimmt die US-Aussenpolitik seit dem 1. Weltkrieg bis heute, auch die Biden-Administration richtet sich danach. Deshalb darf Deutschland keine guten Beziehungen zu Russland unterhalten; so erklärt sich auch der riesige Militärunterstützung der USA an die Ukraine mit dem Ziel, Russland als Feind Nr. 1 so zu „schwächen“ (US-Aussenminister Lloyd Austin), daß es „es volkswirtschaftlich jahrelang nicht mehr auf die Beine kommt“ (Baerbock).
Donald Trump hatte erkannt, daß der Hauptgegner der Amerikaner nicht mehr Russland, sondern China ist. Jede auf Biden folgende Regierung – ob republikanisch oder demokratisch – wird dies genauso erkennen müssen. Das bedeutet für D und EU: Das Diktum „USA mit Russland gegen China“ wird das Diktum „USA gegen Russland“ ablösen und die Politik bestimmen, womit die USA ihren bisherigen vehementen Widerstand gegen jegliche Kooperation zwischen Deutschland und Russland aufgeben werden.
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Jeder Krieg hat nur Verlierer und endet über Verhandlungen mit einem Kompromiss. Weder das Kriegsziel noch solche Kompromisslösungen sind bis heute benannt. Gilt eine neutrale Ukraine als Brückenstaat zwischen NATO und Russland als Kompromiss? Mit autonomen Regionen oder abgetrennten Republiken in Donbass und Krim? Warum schweigt die Diplomatie? Im Hinblick auf den Einsatz atomarer Waffen verbietet sich Kriegsrhetorik. Aber wbo ist die Friedensrhetorik?
4.5.2022
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Reitschuster: „Putin ist Stalin im neuen Gewand“
… Ich habe Respekt vor anderen Meinungen und respektiere diese. Umso mehr, wenn sie wohlwollend vorgetragen wird wie von diesem Leser (was leider nicht immer der Fall ist). Ich kann mich inhaltlich aber nicht allem anschließen. Es gab weder eine Mörderei noch wurde diese an „russischen Zivilisten“ begangen. Wahr ist, dass im bewaffneten Konflikt in der Ostukraine, den Moskau losgetreten hat, mehr als 3.000 Zivilisten ums Leben gekommen sind. Diese Todesfälle eindeutig den von Russland angetriebenen Rebellen oder den ukrainischen Truppen zuzuordnen, ist aber nicht möglich. Fakt ist: Ohne Russlands Einmischung hätte es den bewaffneren Konflikt in der Ostukraine nicht gegeben.
Lugansk und Donezk werden auch nicht überwiegend von Russen bewohnt. Moskau bezeichnet die vorwiegend dort lebenden russischsprachigen Ukrainer als „Russen“. Nach der Logik wäre auch Präsident Selenski als russischsprachiger Ukrainer ein „Russe“? Nach Putins Ideologie sind die Ukrainer eigentlich alle Russen. Diejenigen, die sich dazu nicht bekennen, sind demnach Nazis. Und Nazis gehören vernichtet. Insofern ist der russische Krieg in seiner Grundlage ein „Säuberungs-“ und Vernichtungskrieg. Das macht ihn besonders schrecklich und verwerflich.
Auch die Bezeichnung des Asows-Regimes als „Nazitruppe“ ist zu pauschal. Aber das wäre Gegenstand für einen eigenen Bericht – und einen solchen, sehr kritischen, habe ich ja auch schon geschrieben (siehe hier https://reitschuster.de/post/das-rechtsextreme-asow-regiment-und-seine-rolle-in-kiew/). Dass die Ukraine einen Angriff auf Russland plant(e), wird seit Jahren in den Moskauer Propaganda-Medien verbreitet. Belege gab es nie. Wohl aber dafür, dass Putin wie so oft seinem Gegenspieler das unterstellte, was er selbst plante. Die Sanktionen wiederum waren eine Reaktion auf den Überfall auf die Krim und die Ostukraine 2014 – und sie taten Moskau nie wirklich weh.

Unter anderem wird mir in Briefen immer wieder vorgeworfen, ich hätte ein falsches Bild von Russland, eben weil ich es gut kenne – ebenso wie Putin. Diese Argumentation finde ich beachtlich. Sie beißt sich auch in den Schwanz: Denn schließlich habe ich die aktuelle Entwicklung für jedermann nachlesbar schon 2006 in meinem Buch „Putins Demokratur“ vorhergesagt.
https://www.amazon.de/gp/product/3548377939/ref=as_li_tl
So völlig falsch mit allem, was Putin angeht, kann ich also nicht liegen. Und es hat seine Gründe, warum die deutschen Medien mich in Sachen Russland völlig totschweigen – weil das, was ich zu sagen hätte, von ihrem mehr als zwanzigjährigen Versagen im Umgang mit Putin ablenken würde.
Viele der Argumente gegen mich kann ich nachvollziehen. Ich bin der Letzte, der sagen würde, dass die Ukraine und die NATO keine Fehler gemacht hätten. Mehr noch: Der Westen trägt eine große Mitverantwortung an dem, was in Russland geschehen wird. Punkt! (Ich habe dazu auch ein Video gemacht https://www.youtube.com/watch?v=QE1hghK-F7o). Aber genau hier liegt die Sollbruchstelle. Denn all das ist keine Rechtfertigung für das und macht auch nicht weniger gefährlich, was Putins Verteidiger durch die Bank übersehen: Russland hat den totalitären Ungeist der 1930er Jahre nie aufgearbeitet. Und er ist dort wiederauferstanden. Putin ist Stalin im neuen Gewand. Er setzt auf Gewalt, auf Imperialismus, auf die Unterdrückung seiner Gegner, auf Terror gegen die eigene Bevölkerung, auf Krieg. Nirgends werden Russischsprachige so unterdrückt wie in Russland. Darüber zu streiten, wie groß die Mitverantwortung des Westens an dieser Entwicklung ist, macht Sinn – aber erst, wenn der Großbrand, der Europa erfasst hat, gelöscht ist. Denn aktuell muss das Löschen im Vordergrund stehen.
… Alles vom 3.5.2022 von Boris Reitschuster’s Wochenbriefing bitte lesen auf https://www.reitschuster.de

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Leben mit dem Krieg – kann Deutschland das?
Außenministerin Annalena Baerbock hat das Ziel in der ihr eigenen halb-naiven Art formuliert: Das anstehende sechste Sanktionspaket Deutschlands werde dazu beitragen, Russland derart zu schädigen, dass „es volkswirtschaftlich jahrelang nicht mehr auf die Beine kommt“. Zum militärischen Konflikt mit der wachsenden Teilhabe Deutschlands durch Ausbildung ukrainischer Streitkräfte und Waffen kommt ein Wirtschaftskrieg.

Laut US-Verteidigungsminister Lloyd Austin wollen die USA „Russland in einem Maße geschwächt sehen, das es dem Land unmöglich macht, zu tun, was es in der Ukraine mit der Invasion getan hat“. Die USA wollen also mit der Nato und mit ihren Verbündeten Russland dauerhaft niederkämpfen, es soll „nicht mehr auf die Beine kommen“, wie es Annalena Baerbock sagt. Es soll die ganze Ukraine sein, und nicht eine um ihre südlichen und östlichen Teile beraubte. Damit ist eine Maximalposition definiert, die nicht kurzfristig erreichbar ist. Die Konsequenz scheint der Ampel noch nicht ganz klar zu sein – die Bevölkerung ahnt, aber weiß wenig:
…. Alles vom 4.5.2022 bitte lesen auf
https://www.tichyseinblick.de/tichys-einblick/leben-mit-dem-krieg-kann-deutschland-das/

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