Derzeit plant die EU eine Verschärfung der ohnehin fragwürdigen Abgasvorschriften für Pkw. Auf den ersten Blick wirkt die Idee überzeugend: Pkw dürfen pro Kilometer nur noch eine bestimme Menge CO2 ausstoßen. Da große Autos mehr Benzin verbrauchen als kleine, emittieren sie auch mehr CO2. Deshalb ist die Höchstmenge nach dem Fahrzeuggewicht gestaffelt. Ausgangspunkt ist ein Gewicht von 1372 Kilogramm. Bei ihm sind derzeit 130 Gramm CO2 pro Kilometer zulässig, ab 2020 nur noch 95 Gramm. Bei darüber oder darunter liegendem Gewicht wird diese Grenze herauf- bzw. herabgesetzt, und zwar jeweils um 4,57 Gramm CO2 pro hundert Kilogramm Gewicht. Jetzt will die EU diesen Wert für die Zeit ab 2020 auf 3,33 Gramm senken. Diese ganze Herumreguliererei ist verfehlt. Erstens: Die EU-Vorschriften halten nicht zum Benzin- und CO2-Sparen an. Denn sie unterscheiden nicht zwischen dem Sonntagsauto des Rentners, der im Jahr 5000 Kilometer fährt, und dem baugleichen Auto des Handlungsreisenden, der 200 000 Kilometer fährt, also 40 mal so viel CO2 emittiert. Ebenso wenig spielt eine Rolle, ob ein Auto von einem Beamten oder einem Jungsporn mit Bleifuß gefahren wird, der doppelt so viel Benzin verbraucht und CO2 in die Luft pustet. Schlimmer noch: Da die EU-Vorschriften nicht beeinflussen können, wer wie viel und wie rasant fährt, bieten sie keine Gewähr, dass der Kohlendioxid-Ausstoß auf das klimaunschädliche Maß begrenzt wird.
Zweitens: Die EU-Vorschriften machen die Motoren und damit auch die Autos deutlich teurer, laut EU um durchschnittlich 1100 Euro. Klimaschutz zum Nulltarif gibt es nun einmal nicht. Aber: Die Senkung des Ausgleichsbetrags von 4,57 Gramm auf 3,33 Gramm benachteiligt die deutschen Hersteller, weil Mercedes, Audi, BMW und Porsche im Durchschnitt größere, also schwerere Autos bauen als etwa Fiat, Peugeot oder Renault. Nehmen wir vereinfachend an, die Autos von Fiat wögen durchschnittlich 1272, die von Renault 1372 und die von Audi 1472 Kilogramm. Autos von Renault dürfen dann ab 2020 noch 95 Gramm CO2 ausstoßen; die Senkung des Ausgleichsbetrags wirkt sich bei ihnen nicht aus. Für Fiat wird die CO2-Vorgabe gelockert: von (95 – 4,57 =) 90,43 Gramm auf (95 – 3,33 =) 91,67 Gramm. Für Audi wird sie dagegen verschärft: von (95 + 4,57 =) 99,57 Gramm auf (95 + 3,33 =) 98,38 Gramm.
Dies reduziert die Mehrkosten für CO2-ärmere Motoren bei den italienischen und französischen Kleinwagenherstellern und entlastet damit deren Autopreise. Und es erhöht die Mehrkosten der – vor allem deutschen – Hersteller großer Autos, so dass deren Preise noch stärker steigen. Es drohen Marktanteils- und Arbeitsplatzverluste. Übrigens: Für die Spritschleudern von Lamborghini und Bugatti gelten gar keine Vorgaben. Begründung: Die Mehrkosten für CO2-sparende Motoren seien bei den kleinen Produktionszahlen nicht vertretbar.
Und was sind die Folgen der Senkung des Ausgleichsbetrags für das Klima? Die meisten in Europa verkauften Autos sind Kleinwagen. Die Aufweichung der Vorgaben für sie wird den CO2-Ausstoß stärker erhöhen, als die Verschärfung für große Autos ihn senken kann. Da haben die französische und italienische Autoindustrie erfolgreiche Lobbyarbeit geleistet.
Gäbe es eine Alternative? Ja: Der Autoverkehr müsste nur in das Emissionsrechte-System der EU einbezogen werden. In ihm darf CO2 nur emittieren, wer dafür Berechtigungszertifikate besitzt. An der Tankstelle würde man sie automatisch mit dem Benzin kaufen. Wer doppelt so viel Benzin verbraucht und damit auch doppelt so viel CO2 emittiert, benötigt auch doppelt so viele Zertifikate. Dabei ist egal, ob der höhere Bedarf auf ein großes Auto, Vielfahren oder Testosteron zurückzuführen ist. Wenn die Menschen insgesamt mehr Auto fahren wollen, steigt der Preis der Zertifikate. Das dämpft die Nachfrage, bis sie wieder dem Angebot entspricht. Vorteil eins: Es gibt nur so viele Zertifikate, wie CO2-Emissionen klimaunschädlich sind. Vorteil zwei: Es steigen nicht die Autopreise, sondern über den Preis der Zertifikate wird das Benzin teurer. Und das schafft Anreize zum Benzin- und CO2-Sparen. Wo und wie, entscheiden die Verbraucher – nicht die Bürokraten.
20.10.2012, Lüder Gerken, Vorsitzender der Stiftung Ordnungspolitik und des Centrums für Europäische Politik.