Genossenschaften

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Blick von St.Peter übers neblige Dreisamtal zu Kybfelsen, Schauinsland und Rappeneck (von rechts) am 12.12.2008 um 17 Uhr

 

Genossenschaften zwecks Selbsthilfe

In der Bundesrepublik Deutschland sind die genossenschaftlichen Unternehmen ein bedeutender Faktor. Jeder vierte Mitbürger profitiert von der Zugehörigkeit zu einer Genossenschaft. Traditionelle Genossenschaften sind etwa Kreditgenossenschaften, landwirtschaftliche Genossenschaften oder Einkaufs- und Absatzgenossenschaften des Handels und des Handwerks sowie Wohnungsbaugenossenschaften.
Die Genossenschaft ist – unabhängig von der Verfolgung weitergehender Ziele – ein wirtschaftliches Unternehmen und kann von mindestens drei Mitgliedern gegründet werden. Sie wird geprägt durch die Grundsätze der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.
Selbsthilfe bedeutet, dass sich mit Hilfe einer Genossenschaft einzelne juristische und/oder natürliche Personen mit ähnlich gelagerten wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Interessen zusammenschließen, um ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsam Aufgaben zu bewältigen, die der Einzelne nicht erfüllen könnte. Selbstverwaltung und Selbstverantwortung bedeuten, dass jede Genossenschaft autonom ist, d.h., von sich selbst verwaltet wird und für ihr Handeln auch selbst verantwortlich ist.
www.dgrv.de , www.neuegenossenschaften.de

 

Energiegenossenschaften

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien bringt grundlegende Veränderungen für unsere Energieversorgung. Sichtbare Zeichen sind Windkraftanlagen in der Landschaft, Photovoltaikanlagen auf den Dächern oder Bauernhöfe mit Biogasanlagen. Wärmepumpen, Pelletheizungen und Holzhackschnitzelanlagen liefern Wärme und machen ganze Dörfer unabhängig von fossilen Energieträgern. Erneuerbare Energien schützen nicht nur das Klima, sondern sie verbessern auch die Versorgungssicherheit und schaffen neue Arbeitsplätze sowie Einnahmen in den Regionen. Der dezentrale Charakter der Erneuerbaren Energien bietet jedem Bürger die Möglichkeit, einen aktiven Beitrag zum Umbau der Energieversorgung zu leisten: entweder durch den Bau von eigenen Anlagen oder durch eine Beteiligung an Gemeinschaftsprojekten.
In zahlreichen Bürgergruppen, Gemeinderäten oder lokalen Wirtschaftsunternehmen haben sich in den letzten drei Jahrzehnten Menschen zusammengefunden, um Erneuerbare-Energien-Projekte gemeinschaftlich in ihrer Region zu realisieren. Energiegenossenschaften erfreuen sich hierbei als Organisationsform immer größerer Beliebtheit, denn sie bieten vielfältige Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Allein in den vergangenen fünf Jahren sind in Deutschland etwa 300 erfolgreiche neue Genossenschaften im Bereich der Erneuerbaren Energien gegründet worden – Tendenz steigend.
Die vom DGRV gemeinsam mit der Agentur für Erneuerbare Energien veröffentlichte Broschüre zeigt die große Bandbreite der Energiegenossenschaften in Deutschland – organisiert durch Bürger, Landwirte und Unternehmen, aber auch durch Kirchen, Solarvereine, Belegschaften und Kommunen. Sie dient als Orientierungshilfe für Gründungsinteressierte, richtet sich aber ebenso an die Öffentlichkeit, an Politiker und Journalisten. Die Broschüre kann zum Preis von 0,90 Euro zzgl. MwSt unter goerne@dgrv.de  bestellt werden.
https://www.neuegenossenschaften.de/ideen_konzepte/Energiegenossenschaften.html

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Was ist von der Idee einer Baugenossenschaft für Dietenbach zu halten?
Eine Baugenossenschaft unter städtischer Regie soll für günstigen Wohnraum im geplanten Stadtteil Dietenbach sorgen. Mit dieser Idee haben die Fraktionen von SPD, Freien Wählern und FDP in der vergangenen Woche für Aufsehen gesorgt. Heute soll der Gemeinderat die Weichen dafür stellen. Was von der Idee zu halten ist, wollte Uwe Mauch vom Freiburger Experten Burghard Flieger wissen, der seit mehr als drei Jahrzehnten bundesweit die Gründung von Genossenschaften betreut und begleitet.
BZ: Sie als Förderer der Genossenschaftsidee müssten jetzt laut Hurra rufen, dass in Freiburg eine Baugenossenschaft unter kommunaler Regie entstehen soll.
Flieger: Grundsätzlich bin ich froh, dass sich etwas tut. Ich bin allerdings der Meinung, dass bestimmte Dinge noch nicht reflektiert sind, zum Beispiel wo diese Genossenschaft angesiedelt und positioniert werden soll.
BZ: Es soll eine städtische Genossenschaft werden.
Flieger: Das ist ein Widerspruch in sich. Denn eine Genossenschaft ist immer in der Hand ihrer Mitglieder und von städtischer Seite eigentlich nicht zu steuern. In einer Genossenschaft haben die Mitglieder das Sagen.
BZ: Ist dieser rechtlich-organisatorische Aspekt Ihr einziger Kritikpunkt?
Flieger: Wenn ich das Konzept richtig verstehe, soll über Bürgerbeteiligung das Eigenkapital aufgebracht werden. Eine Genossenschaft dient der Förderung der Mitglieder und sie müssen ein Interesse haben, ihr Geld zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall ist noch nicht klar, was die Mitglieder eigentlich davon hätten.
BZ: Sie sollen je nach Größe der Wohnung einige zehntausend Euro aufbringen und erhalten im Gegenzug eine dauerhaft günstige Miete und die Sicherheit, nicht gekündigt zu werden.
Flieger: Letzteres ist natürlich sehr viel wert. Doch bei Neugründungen von Genossenschaften sind günstige Mieten bei niedrigem Eigenkapital pro Kopf kaum machbar. Zur Zeit entstehen viele neue Baugenossenschaften. In der Regel müssen die Mitglieder 20 Prozent des Eigenkapitals aufbringen – durchschnittlich 60. 000 Euro pro Wohnung in Form von Pflichtanteilen. Das ist kein sozialer Wohnungsbau. Bestimmte Zielgruppen können das nicht stemmen. Das Konzept betont aber, für finanziell schwächer gestellte Menschen entwickelt worden zu sein. Da muss klar werden, wie das gehen soll.
BZ: Ihr Kollege André Heuss, der das Konzept erarbeitet hat, meint, es gebe finanzielle Förderungen, sodass sich auch Menschen mit mittleren und kleineren Einkommen beteiligen können.
Flieger: Die reichen dafür nicht aus. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW fördert zwar Genossenschaftsanteile, doch dann habe ich eine doppelte Belastung: Zinsen an die KfW für mein Eigenkapital plus die Miete, mit der die Kosten fürs Fremdkapital abbezahlt werden – häufig mit einem Anteil von 80 Prozent. Neubauprojekte kommen meist nicht auf eine Miete von unter neun Euro pro Quadratmeter. Diese Belastung ist für finanziell Schwache zu hoch.
BZ: Sie bezweifeln, dass eine Genossenschaft mit diesem Konzept günstigen Wohnraum schafft?
Flieger: Das würde nur gelingen, wenn die Stadt Freiburg zwei Dinge praktiziert: Erstens müsste sie selber mit viel Geld einsteigen …
BZ: …das ist nicht vorgesehen.
Flieger: Sie könnte Grund und Boden als Sachkapital einbringen. Sie würde dann auf Verkaufserlöse verzichten, müsste aber nicht Cash investieren – sie hätte stattdessen Genossenschaftsanteile.
BZ: In dem Fall würde aber Geld für die Erschließung des Stadtteils fehlen.
Flieger: Einen Tod muss man sterben.
BZ: Und zweitens?
Flieger: Die Werteorientierung. Sie wird bei diesem Konzept nicht deutlich. Die Baugenossenschaft Familienheim war in ihrer Entstehungsphase christlich orientiert, was ihre Stärke war. Sie wollte für Familien mit geringem Einkommen bauen. Das hat funktioniert, weil aus christlichen Zusammenhängen Kapital geflossen ist. Die Oekogeno spricht Menschen an, die Inklusion als hohen Wert ansehen und als Wohnende oder Förderer viel Geld beisteuern.
BZ: Sie meinen, eine Baugenossenschaft braucht einen gewissen Idealismus?
Flieger: Wo der bei diesem Konzept herkommen soll, ist unklar. Das Problem bei Neubauprojekten in Quartieren ist, dass die späteren Bewohner anfangs nicht wirklich existent sind. Ich gründe also eine Genossenschaft für Bewohner, denen ich eine Sicherheit geben muss, dass sie auch wirklich künftig dort wohnen werden, die aber noch gar nicht wissen, wie sie dort wohnen und was die Grundlagen sind.
BZ: Sie kaufen die Katze im Sack?
Flieger: Deswegen gibt es nur zwei Varianten, wenn man in diesen Größenordnungen agieren will. Die Bestandsgenossenschaften in Freiburg haben relativ viel Eigenkapital. Die sind sogar überversorgt. Ihnen müsste man einen Anreiz schaffen, verstärkt für bestimmte Zielgruppen zu bauen. Aber der eigentliche Ansprechpartner müsste die städtische Wohnungsgesellschaft Stadtbau sein.
BZ: Ihrer Ansicht nach sollte nicht eine Genossenschaft unter städtischer Regie diese Aufgabe übernehmen?
Flieger: Genau. Die Stadtbau müsste das Risiko eines Anfangsverlustes eingehen. Denn eine Refinanzierung wäre erst nach einigen Jahren möglich. Oder die Stadt gibt Zuschüsse.
BZ: Die charmante Idee der Genossenschaft besteht ja gerade darin, dass das Geld von den Mitgliedern käme.
Flieger: Aber für jene möglichen Mitglieder, die das könnten, ist das Konzept nicht interessant. Und jene, für die das Konzept interessant ist, können es nicht.
BZ: Der Gemeinderat befasst sich in seiner Sitzung am Dienstag mit dem Thema. Welche Empfehlung geben Sie ihm?
Flieger: Um einen Teil des Bedarfs genossenschaftlich zu decken, den es in Freiburg gibt, halte ich das Konzept einer Dachgenossenschaft für am besten geeignet. Darunter können sich unterschiedliche und relativ eigenständige Wohnprojekte sammeln und ihre eigenen Wertekonzepte verfolgen. Als Frauenwohnprojekt, als Familienwohnprojekt, für Senioren oder für ein autofreies Quartier.
Burghard Flieger, 67, Volkswirt und Soziologe, leitet das Projektbüro Innova in Freiburg, das Genossenschaften in Gründung berät, ist Vorstand der Freiburger Sozialgenossenschaft Sages und Dozent für Gemeinwesenentwicklung an der Hochschule in München und Siegen.
7.5.2019,
https://www.badische-zeitung.de/was-ist-von-der-idee-einer-baugenossenschaft-fuer-dietenbach-zu-halten
https://www.badische-zeitung.de/neue-baugenossenschaft-fuer-dietenbach-soll-die-50-prozent-quote-sichern

»… das Geld von den Mitgliedern…
Flieger: Aber für jene möglichen Mitglieder, die das könnten, ist das Konzept nicht interessant. Und jene, für die das Konzept interessant ist, können es nicht.« Damit sagt Herr Flieger kurz und prägnant, was Sache ist. Zum anderen hätte die Gründung einer solchen Genossenschaft in städtischer Hand zur Folge, kommunale Kräfte zu splitten statt zu konzentrieren. Neben der Stadtbau-Aufsicht müsste es noch einen zweiten Aufsichtsrat geben, neben der Stadtbau-Leitung noch Genossenschaftsvorstände. Ein (weiterer) Wasserkopf entstünde.
7.5.2019, A.SCH, BZO
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Na das waren ja mal solidarisch genossenschaftliche Grüße heute zum Frühstück. Zu den Fakten: Thema Akteure in Dietenbach für den sozialen Wohnungsbau: Akteure werden in jedem Fall die Stadtbau, die Baugenossenschaften, das Mietshäusersyndikat, das Studentenwerk und weitere sein. Die Freiburggenossenschaft ist eine sehr sinnvolle Ergänzung und alle genannten Akteure sprechen unterschiedliche Zielgruppen an. Ich meine auch, dass es sich um eine notwendige Ergänzung handelt, um die Zusagen aus dem Bürgerentscheid ein zu halten und keine neuen politischen Enttäuschungen hervor zu rufen – die Zusage war 50 % geförderter Mietwohnungsbau. Dieses Ziel ist schwierig zu erreichen, wenn man nicht die zweiten 50 % einfach zum maximalen Preis verkauft oder vermietet und damit die ersten 50 % quersubventioniert. So hat es die Stadtbau jahrelang gemacht und tut es aus meiner Sicht richtigerweise nicht mehr. Was geförderter Mietwohnungsbau ist, definiert vor allem das Landeswohnungsbauprogramm. Dies sieht aktuell Mieten mit 40 % und 20 % Abschlag auf den Mietspiegel vor – Stand heute also ca. 7 EUR bis 10 EUR pro qm Wohnfläche für eine fiktive Neubauwohnung in Dietenbach. Die Einkommensobergrenzen liegen bei Bruttojahreseinkommen von bis zu 49.300 EUR (1 Personen Haushalt) bzw. bis zu 67.300 EUR (4 Personen Haushalt).
7-5.2019, A.H.

 

Kein Unternehmen ist demokratischer als Genossenschaften

850 Genossenschaften gibt es in Baden-Württemberg.  Die Idee hat Kriege und politische Systemwechsel überdauert. Dass man gemeinsam mehr bewegt als allein, trifft heute noch zu. So sind Genossenschaften nach wie vor Teil des Alltags. Genossenschaften sind weitaus älter als ihre Verbände. Seitdem Menschen in Gemeinschaft leben und arbeiten, gibt es private und gemeinschaftlich genutzte Güter. Das mittelhochdeutsche Wort „genoz“ enthält das alte Wort „noz“ für Vieh. Genosse war, wer Anteil an der Viehherde oder -weide hatte. Je tiefer die Arbeitsteilung, desto umfassender wurde der Organisationsgrad der Gesellschaft. Nicht von ungefähr entstanden die modernen Genossenschaften im Zeitalter der industriellen Revolution. Die Industrieproduktion setzte Landwirtschaft, Handwerk und Handel unter Druck, bei Privatbanken hatte der Mittelstand keinen Zugang zu Krediten. So gründete man genossenschaftliche Gewerbebanken.
Bereits 1844 wurde in England die erste Warengenossenschaft aus der Taufe gehoben, das Vorbild der Konsumgenossenschaften auf dem Kontinent. In den Staaten des Deutschen Bundes ist die Genossenschaftsbewegung mit den Namen von Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen verbunden. Sie schufen fast zeitgleich und unabhängig voneinander die ersten deutschen landwirtschaftlichen und Kreditgenossenschaften mitsamt den dazugehörigen Verbandsstrukturen. Seit dem Weyersbucher Brodverein – 1847 im Westerwald von Raiffeisen gegründet – und den „Rohstoffassoziationen“ für Tischler und Schuhmacher – 1849 vom sächsischen Landtagsabgeordneten Hermann Schulze in seinem Wahlkreis Delitzsch-Eilenburg ins Leben gerufen – sind Genossenschaften überaus erfolgreich. Volks- und Raiffeisenbanken, Wohnbau-, Winzer- und Handelsgenossenschaften gehören heute zum Alltag. Es werden immer wieder neue Genossenschaften gegründet – zuletzt vor allem Bürgerenergiegenossenschaften, die Solarparks, Windkraftwerke und andere Projekte erneuerbarer Energieerzeugung umsetzen.
Die jüngste baden-württembergische Genossenschaft – beim Verband am 27. Februar 2014 eingetragen – ist die Bürgerenergie Abtsgmünd eG in Lauda-Königshofen. Im Main-Tauber-Kreis, dem nördlichsten Zipfel Baden-Württembergs, sind bereits drei Solarparks von Genossenschaften errichtet worden. Eine vierte Genossenschaft will eine weitere Freifläche mit Photovoltaikmodulen bestücken. Die mittlerweile gut 600 mainfränkischen Genossen haben sich auf Flächen am Rande der Autobahn A 81 spezialisiert, die weder gewerblich noch land- und forstwirtschaftlich genutzt werden können. Klimaschutz durch saubere Energie ist das eine. Genossenschaftsvorstand Joachim Thees ist aber auch wichtig, „dass Erfolg und Rendite in der Region verbleiben und den beteiligten Bürgern, Kommunen, Unternehmen und Institutionen aus Abtsgmünd zugutekommen und nicht über national oder international operierende Fonds aus der Region abwandern“. Die Absenkung der Einspeisevergütung schreckt die Genossen nicht ab, Solarstrom kann mittlerweile direkt vermarktet werden. Von der Kraft der Sonne hängt auch der Ertrag der ältesten badischen Winzergenossenschaft ab: Der Winzerverein Hagnau am Bodensee wurde am 20. Oktober 1881 mit Beistand des politisierenden Seelsorgers und Schriftstellers Heinrich Hansjakob gegründet, der aus Haslach im Kinzigtal stammte. 1884 wechselte er als Pfarrer von Hagnau nach Freiburg. Noch heute schmückt sich der Winzerverein Hagnau mit seinem Konterfei. Sechzig Winzerfamilien bauen auf 155 Hektar Fläche auf der Sonnenseite des Bodensees umweltschonend Müller-Thurgau, Burgundersorten und neuerdings auch Sauvignon Blanc an. Verzicht auf Insektizide, eine gute Bodenpflege und Handlese sind überall Pflicht, acht Hektar werden rein ökologisch bewirtschaftet.
„Wir liegen an der Spitze bei den Auszahlungen in Baden“, sagt Karl Megerle (56), Winzer und seit zwölf Jahren Vorstand des Winzervereins. „Man muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen“, sagt er, schließlich sei die Genossenschaft kein Selbstzweck, sondern ein Mittel der Existenzsicherung. Die Genossenschaft sei in Hagnau nie angezweifelt worden. „Es gibt ja keine Unternehmensform, die mehr demokratische Mitsprache ermöglicht, der Betrieb gehört den Winzern.“ Und über ihre Belange entscheiden die Eigentümer gleichberechtigt in der Generalversammlung.
Schon drei Personen können eine Genossenschaft bilden. Der eigene Kapitaleinsatz ist gering, das begrenzt das Verlustrisiko. 800 Millionen Menschen sind weltweit Mitglied einer Genossenschaft, in Deutschland sind es rund 20 Millionen bei 7500 Genossenschaften. Die Szene ist vielfältig, sie reicht vom genossenschaftlichen Dorfgasthof in Bollschweil bis zur Süddeutschen Zuckerrübenverwertungs-Genossenschaft eG, die 52 Prozent der Anteile des mächtigen Südzucker-Konzerns hält. Auch der Einzelhandelsriese Edeka ist genossenschaftlich organisiert.

„Die Rechtsform der Genossenschaft kann anderen europäischen Ländern nur empfohlen werden. Die Genossenschaftsidee führt dazu, dass viele Bürger Mitunternehmer werden und damit aktiv Verantwortung für eine zukunftsorientierte Wirtschaft übernehmen“, sagt EU-Wettbewerbskommissar Günther Oettinger. Baden-Württemberg ist mit 850 Mitgliedsgenossenschaften Spitzenland.
10.3.2014, Heinz Siebold

Boom der Genossenschaften als Chance zu einer solidarischen Ökonomie

Bei gut tausend Bürgern in der Oberpfalz herrscht Hochstimmung. Vor einem Jahr haben sie 17 000 Anteile im Wert von 8,5 Millionen Euro gezeichnet, um mit einer Bürger-Energiegenossenschaft gemeinsam Strom zu produzieren. Jetzt erhalten sie zum ersten Mal eine Dividende für den verkauften Solarstrom: 3,8 Prozent. Die Initiative in Nordbayern ist kein Einzelfall. Landauf, landab gründen Bürger Genossenschaften. Und engagieren sich damit für eine Wirtschaft jenseits von Großunternehmen und Staat.
Besonders dynamisch ist die Entwicklung im Energiebereich. Mehr als 600 energiewirtschaftliche Bürgergenossenschaften gibt es inzwischen im Bundesgebiet – Tendenz stark steigend. Noch sind es vor allem Initiativen in ländlichen Regionen. Doch jetzt kommen auch Großstadtbürger hinzu. Die neu gegründete Genossenschaft „Bürger Energie Berlin“ will das Stromnetz der Hauptstadt kaufen.
Der Gründungsboom bei Genossenschaften geht jedoch weit über den Energiebereich hinaus: In wenigen Jahren sind zahlreiche genossenschaftliche Dorfläden entstanden. Bürger gründen Softwaregenossenschaften, Seniorenstifte, retten Hallenbäder, Zuglinien oder finanzieren das Stadiondach für den Fußballverein. „Pro Jahr kommen in Deutschland derzeit 200 bis 250 neugegründete Genossenschaften hinzu, zehnmal so viel wie noch vor sechs Jahren“, sagt Andreas Wiege vom Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband.
Die Genossenschaftsidee hat in Deutschland eine lange Tradition, wurde aber immer kritisch beäugt. Im 19. Jahrhundert schlug der liberale Politiker Hermann Schulze-Delitzsch Kleingewerblern vor, sich zu Vereinen zusammenzuschließen, um günstiger einkaufen und gegen große Unternehmen bestehen zu können. Der Sozialreformer Friedrich-Wilhelm Raiffeisen gründete Darlehenskassen als Selbsthilfe-Unternehmen, mit denen sich die Not leidenden Bauern aus dem Würgegriff von Wucherern befreien konnten. Daraus wurden die Volks- und Raiffeisenbanken. Selbsthilfe und Eigenverantwortung: Die Genossenschaften breiteten sich im 19. und im frühen 20. Jahrhundert in Deutschland aus. In den Wohlstandsjahrzehnten der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg traf der Genossenschaftsgedanke jedoch zunehmend auf Widerstände: Großunternehmen setzten auf hohe Renditen für wenige Eigentümer. Gewerkschafter weigerten sich, aus Arbeitnehmern oder Kunden Kapitalisten zu machen. Viele linke Kritiker des Systems setzen lieber auf staatliche Regelungen als auf unternehmerische Eigeninitiative.
Deshalb beschränkten sich viele Genossenschaften, zum Beispiel im Wohnungsbau, auf die konservative Verwaltung ihrer guten Idee. Nicht wenige Volksbanken passten sich um die Jahrtausendwende den zweistelligen Renditezielen großer Privatbanken an – und unterschieden sich immer weniger von diesen.
Erst der globale Finanzkapitalismus führte vielen Bürgern vor Augen, dass die Wirtschaft großen Schaden erleidet, wenn sie vor allem von großen Konzernen bestimmt wird. Als globale Finanzinvestoren städtische Wohnungen aufkauften, gingen die Wohnungsbau-Genossenschaften in die Offensive: „Mit uns gegen die Heuschrecken“, hieß es. Inzwischen gründen Bürger in großen Städten wie Berlin neue Wohnungsbau-Genossenschaften, um die spekulativen Steigerungen der Immobilienpreise zu verhindern. Seit der Finanzkrise entdecken die Bürger wieder die Vorteile von Volksbanken. Wichtige Alternativbanken wie die GLS-Gemeinschaftsbank oder die Ethikbank melden einen Boom.
Auch bei Unternehmenspleiten steht schnell die Genossenschaftslösung im Raum. So versuchten Hunderte Bürger den Ökotextilproduzenten Hess Natur durch eine Genossenschaft zu übernehmen, bevor der Eigentümer ihn doch an einen Finanzinvestor verkaufte. Im Falle Schlecker loten Gewerkschafter derzeit mit den Kunden vor Ort Möglichkeiten aus, um Filialen kooperativ zu retten. Natürlich garantiert eine Genossenschaft noch keinen ökonomischen Erfolg. Gerade dort ist hohe ökonomische Kompetenz erforderlich. Dass mehr Bürger dennoch bereit sind, gemeinsam Strom zu erzeugen, Häuser zu bauen, ja sogar Unternehmen zu retten, zeigt: Sie suchen nicht nur Alternativen zum herrschenden Wirtschaften, sie packen selbst mit an. Das eröffnet die große Chance zum Einstieg in eine solidarische Ökonomie.
25.8.2012, Wolfgang Kessler, Wirtschaftspublizist und Chefredakteur der christlichen Zeitschrift Publik-Foruum
Kommentar in www.badische-zeitung.de

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