Wir sollten das Geschehen in und um das Wasserbecken am erfreulicherweise immer besser besuchten Platz der Alten Synagoge als Seismograph für den Zustand unserer Stadt-Gesellschaft nutzen. Vielleicht zeigt dieser Seismograph an,
1) daß viele Besucher des Platzes die Infotafeln zur Reichsprogromnacht überhaupt nicht lesen können (Analphabeten) bzw. wollen (Zeitdruck, Handy) oder schlicht nicht verstehen (Bildung)?
2) wie beneidenswert unbefangen und unschuldig unsere Kinder sind, wenn sie im Wasserbecken lebensfroh spielen und planschen.
3) dass die trübste Zeit endlich vorbei ist:
„Dass das Leben nicht verging,
soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering
in der trübsten Zeit.“
Schalom ben Chorin, jüdischer Religionsphilosoph im Jahr 1946
4) daß es hohe Zeit ist, miteinander zu reden. Gespräche und Diskussionen tun der Erinnerungskultur gut, während Zäune und Verbotsschilder ihr nur schaden.
5) wie sehr unser Nanny-Staat zur Verantwortungslosigkeit erzieht, wenn zumeist junge Leute an Wasserbecken und Sitzbänken im Dreck rumlungern, während die Stadtreinigungsmänner im orangegen Overall ihren Müll wegräumt.
6) daß Touristen, Migranten und all die, die „das vor 1945 nichts angeht“, sich gerne aufklären lassen über die deutschen Geschichte.
7) daß erneute zusätzliche Investitionen der Stadt Freiburg in wieder neue Lösungen voreilig sind, solange die vielen Möglichkeiten zu Kommunikation, Information, Gedenken und Chillen, die der Platz der Alten Synagoge in seiner jetzigen Gestaltung bietet, überhaupt noch nicht ausprobiert und bewertet sind.
Keine Gedenkstätte im Freiburger Stadtgebiet ist so gut besucht wie der Platz der Alten Synagoge. Freuen wir uns daran. Jeder von uns – Bobbele oder andere – kann Sorge dafür tragen, dass der Besuch auch „gut“ ist.
18.7.2018
Durch Einschränkungen erzwungenes „Gedenken“ diente keiner Erinnerungskultur
Am Wochenende habe ich mich sehr über das muntere fröhliche Treiben auf dem Platz der Alten Synagoge gefreut, auch über die Kinder, die voll Begeisterung im flachen Brunnen planschten. Der Platz ist das geworden, was er werden sollte: ein Ort mitten in der Stadt, an dem sich die ganze Bevölkerung wohlfühlen kann. Dies ist ein wesentlicher Punkt: Würde man einen zentralen Teil dieses Platzes als Gedenkstätte reservieren, würde man ihn der Nutzung der Bevölkerung entziehen.
Ich hätte kein Verständnis dafür, denn durch Einschränkungen erzwungenes „Gedenken“ diente keiner Erinnerungskultur, sondern provozierte Ablehnung und beförderte das Zerrbild von Deutschland, wo alles durch Ge- und Verbote geregelt sein muss, auch wenn diese verzichtbar wären. Und verzichtbar wären sie, denn die Stadt entzieht sich nicht dem Gedenken. Die großartige Idee der Stolpersteine erinnert bei jedem Gang durch die Stadt an die unsäglichen Verbrechen; Straßen werden – endlich – umbenannt, und auch eine Verwendung der Steine aus den Grundmauern der Alten Synagoge für ein Mahnmal an geeigneter Stelle beseitigt jeden Zweifel an dem angemessenen Bekenntnis der Stadt und der Mehrzahl ihrer Bürger zu Humanität und historischer Wahrhaftigkeit.
Die Förderung der urbanen Lebensfreude steht damit wesentlich mehr in Einklang als eine griesgrämige Einschränkung derselben – auch wenn einige Einwohner diese Lebensfreude als respektlos betrachten (vielleicht haben sie vergessen, wie viel Freude ihnen als Kindern das Planschen an heißen Tagen gemacht hat?).
18.7.2018, Hans-Dietrich Heilmann, Freiburg, BZO
Der Gedenkplatz vereint die Gegensätze
„Dass das Leben nicht verging,
soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering
in der trübsten Zeit.“
So dichtete der jüdische Religionsphilosoph Schalom ben Chorin vier Jahre nach der Reichspogromnacht, der auch die Freiburger Synagoge zum Opfer fiel. Das Großartige am Gedenkplatz ist ja gerade, dass er die Gegensätze vereint: die unmittelbare Freude am Lebendigsein, wie die Kinder es uns vormachen, und die bedrückende Erinnerung an den industriellen Massenmord. Dass das Ganze menschlichen Lebens bis in seine Extreme in Erscheinung tritt: einerseits das lebendige Leben mit der Lebenslust der Kinder – und gelegentlichen Geschmacklosigkeiten Erwachsener – andererseits Tod und Zerstörung. Dass sie das zusammenbringt, das steigert die Bedeutung der Erinnerungsstätte, gibt ihr eine schwere Leichtigkeit und macht sie – mit Schalom ben Chorins Worten – zu einem „Fingerzeig, wie das Leben siegt.“
18.7.2018, Andreas Kautzsch, Freiburg, BZO
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Sonntagmorgen, 8 Uhr, auf dem Platz der Alten Synagoge.
Groteskes Schauspiel: Auf den Bänken lagern junge Leute, pöbeln, saufen, grölen. Um sie herum Dosen, Scherben, Müll. Zur selben Zeit Männer in Orange, die diesen Müll beseitigen. Ist es nicht möglich, diese jungen Leute unter Anleitung zu zwingen, ihren Müll selbst zu beseitigen? Sie würden eine sinnvolle Aufgabe erfüllen, vielleicht sogar ein bisschen daraus lernen, und die Angestellten der Abfallbeseitigung – von uns allen bezahlt – könnten am Sonntagmorgen ausschlafen.
18.7.2018, Margit Anhut, Freiburg, BZO