Reale und virtuelle Lebenswelten

Das Online-Sein übers Smartphone bewirkt, dass man ständig aus der realen Umgebung in die virtuelle Welt des Internets gerissen wird. Dadurch sind wir permanent gezwungen, uns zu entscheiden und zu wählen: Mails checken oder weiter frühstücken, Facebook-Eintrag beantworten oder weiter sprechen,  Blog posten oder lesen, Börsekurse abrufen oder Akten sortieren, iPod oder chillen, auf SMS reagieren oder mit der Tochter spielen, Newsletter anschauen oder arbeiten, Smartphone oder Stammtisch, Parlamentsdebatte live verfolgen oder spazieren gehen, geliked werden oder echte Freundschaften pflegen, Online-Game fortführen oder nix tun, … 
  
(1) Zwischen realer und virtueller Welt switchen
Reale und virtuelle Welten mischen sich. Wie wirkt dieses Wechseln real-virtuell auf die Psyche? Verwirrung und Verunsicherung? Reizüberflutung? Auszeiten? Kann man sich überhaupt nicht mehr so tief in eine  der Welten einlassen? Oder stärkt und erweitert sich unser Horizont?
   
(2) Das Verschwinden der Sehnsucht
“Ich bin so gespannt. Ich freue mich wahnsinnig schon seit langem. Ich kann es kaum erwarten. Ich vergehe fast vor Sehnsucht.“ Solche Aussagen werden seltener, da mit über Google, Twitter, Wikopedia, Skype, Youtube, … der informationelle Wunsch sofort erfüllt wird. Die lange Vorfreude, dass der Briefträger die CD endlich bringt, wird durch ein paar Klicks beim Download hinfällig. Die Sehnsucht als Warten, auch als Verzicht und Leiden, nimmt ab. Oder werden Sehnsuchtsträume durch neue Attraktoren in eine neue Ebene geführt? 
   
(3) Fortwährendes Warten auf Feedback
Wer in sozialen Netzen unterwegs ist, postet, liket, twittert und bloggt, will Feedback und Reaktion und wartet ständig, ist immer „auf Empfang“. Man kann Anerkennung erfahren, aber auch Kränkung, in jedem Fall wird der Mensch anfälliger, unsicherer und unruhiger. Besonders n der Pubertät und in Zeiten der Krise.
   
(4) Reale Probleme n der virtuellen Welt
Ausbleibende Rückmeldungen, Cybermobbing, Shitstorms wie auch Lovestorys unter Avartaren sind reale Probleme. Die virtuellen Welten des Internets verstärken Kränkungen und erforden ein tragendes Fundament in der eigenen realen Umgebung. Je kleiner ein Kind, desto zerbrechlicher das Fundament – es braucht Online-Begleitung, Schutz und Verbote.  
  
(5) Mehrere Identitäten
Mit den digitalen Medien des Internets erweitern sich Anzahl und Ausprägungen der Identitäten und Selbstbildern des Menschen. Man ist nicht nur Sohn Vater, Lehrer und DRK-Helfer, sondern auch User in Facebook-Gruppen, Blogger, Avartar und Gamer im 14.Level. War es früher schon anstrengend, zwischen den Identitäten zu wechseln, so macht es das Internet noch schwerer, die Übersicht und innere Stimmigkeit zu bewahren. Das Unvermögen, die verschiedenen Selbstaspekte zu integrieren, kann Angst erzeugen und krank machen.
   
(6) Das Internet raubt uns die Zeit
Man wird geliked, ohne dies begründen zu müssen, einfach so. Content wird hochgeladen und geteilt, ohne dass man dessen Quelle kennt. Und das Schreiben wie Lesen von Information im Netz geschieht schnell und häufig – wie den Überblick erhalten? Immer schneller und deshalb unkritischer urteilen? Greift diese Informationsfülle nicht etwa unsere Urteilskraft an? Zur Bildung einer eigenen, fundierten  Meinung braucht man Abstand, Vertrauen und vor allem Zeit. Aber das Internet lässt den Usern keine Zeit.
   
(7) Privat wird öffentlich
Mit dem Absenden, Speichern bzw. Hochladen unserer Daten in Netz, Servern bzw. Cloud werden diese in irgendeiner Form öffentlich zugänglich. Da hilft keine Verschlüsselung, da jeder Code geknackt werden kann (siehe NSA, Prim). Die meisten beunruhigt dies kaum (Ich habe nichts zu verbergen! Wer interessiert sich schon für mich?). Der User nimmt dies nicht als Fremdbestimmung wahr, sondern als Preis der modernen Identität billigend in Kauf. Wer in Beruf, Familie, Freundeskreis und Verein gut geerdet ist, wird die Erweiterung der Lebenswelten durch Big Data und Social Media eher bewältigen.
11.9.2013

 

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